Kurze Ãœberlegung zu Corbyns Wahlkampfslogan
9. Juni 2017 | Patrick Schreiner
"For the many, not the few" – "Für die Vielen, nicht die Wenigen", mit diesem Slogan traten Jeremy Corbyn und Labour bei den britischen Parlamentswahlen an. Und sie hatten Erfolg damit. Was können wir daraus lernen?
Der Ausgang der Wahl im Vereinigten Königreich wird gerade breit diskutiert. Medien, Blogs, Verbände und Wissenschaft analysieren das Wahlergebnis, sie suchen nach Gründen und schlussfolgern für die Zukunft. Linke Sozialdemokratie und Gewerkschaften betonen dabei, dass Corbyn gerade auch mit einem linken, arbeitnehmerorientierten Wahlprogramm Erfolg hatte – und zwar gerade auch bei jungen Leuten. Der DGB etwa schreibt heute in seinem "klartext":
Mit dem Wahlkampfslogan „For the many, not the few“ – für die Vielen, nicht die Wenigen – setzt die britische Labour Party auf klassische sozialdemokratische Themen: Verstaatlichung der Bahn-, Energie- und Wasserversorgung, Besteuerung höherer Einkommen und Erhöhung der Steuer auf Unternehmensgewinne. Ähnlich wie Bernie Sanders gelang es Labour-Chef Corbyn, vor allem die Jugend zu mobilisieren und von seinem Programm der sozialen Gerechtigkeit zu begeistern. Er wurde zum Hoffnungsträger einer Generation, die zwar den Kampf gegen den Brexit verloren, aber in Corbyn die Chance für eine bessere und gerechtere Zukunft und einen weichen Brexit gesehen hat. Denn Corbyn tritt für mehr soziale Gerechtigkeit sowie für einen handlungsfähigen Staat ein. Und er forderte Premierministerin May Tag für Tag heraus. Erfolgreich bis zum Ende.
Und Lukas Oberndorfer ordnete Corbyns Sieg schon gestern auf Facebook (heute auf den Nachdenkseiten ausführlicher) in einen breiteren Kontext ein:
Während uns hier linksliberale Intellektuellen erzählen, es könnten heute nur noch rechte Wahlsiege verhindert werden, wenn man wirtschaftspolitisch in die Mitte und gegenüber Migrant_innen und Muslim_innen nach rechts rückt, vollzog Corbyn – von ihnen ganz im Gegensatz zu Macron totgeschwiegen – das Gegenteil.
Diese Analysen sind inhaltlich völlig richtig. Angesichts des enormen medialen Gegenwinds, dem sich Corbyn und Labour gegenübersahen, können wir getrost davon ausgehen, dass dieser Wahlsieg nicht trotz, sondern wegen eines dezidiert linken Wahlprogramms errungen wurde.
Eine Überlegung will ich allerdings ergänzen. Corbyn hat nicht nur gesagt, was er politisch umsetzen möchte. Und er hat auch nicht nur gesagt, für wen er dies erreichen will: "For the many". Sondern er hat auch gesagt, gegen wen er Politik macht : "Not the few".
Wir leben in Gesellschaften, die von grundlegenden Interessenkonflikten geprägt sind. Der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist dabei ein ganz entscheidender – vielleicht sogar der wichtigste. Ein linkes politisches Programm muss sich vor diesem Hintergrund klar an die Seite der Arbeit stellen. Und das bedeutet eben auch: gegen das Kapital Position zu beziehen. Corbyn hat diese Gegnerschaft zu Recht bezogen - und zu Recht klar benannt.
Wenn nun manche Analyse betont, dass die kontinentaleuropäischen Sozialdemokratien sich programmatisch – wie Corbyn oder auch Mélenchon und Sanders – stärker nach links wenden sollten, dann ist das sicherlich richtig. Es wäre allerdings zu ergänzen: Zu einem solchen programmatischen Wandel gehört auch, eine klare Vorstellung davon zu entwickeln und zu artikulieren, gegen wen sie Politik zu machen gedenken. (Und natürlich anschließend auch eine entsprechende Politik zu betreiben.)
Nichtssagende Slogans wie etwa "Das Wir entscheidet" (SPD, Bundestagswahl 2013) oder "NRWir" (SPD, Landtagswahl NRW 2017) jedenfalls zeigen schon von vornherein, dass eine solche klare Vorstellung von der eigenen Positionierung innerhalb der gegebenen Interessengegensätze fehlt. Und ebenso fehlt eine Vorstellung von Gegnerschaft. Ja mehr noch: Nicht einmal die Menschen, für die Politik gemacht werden soll, werden hier benannt. Damit bleiben diese Slogans an Klarheit und Identifizierbarkeit meilenweit hinter "For the many, not the few" zurück.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.