Argumente gegen das Bedingungslose Grundeinkommen
1. Februar 2018 | Daniel Zamora
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde den Markt ausweiten. Wir brauchen aber Ideen, die ihn schrumpfen lassen.
Hillary Clinton schrieb in ihren Wahlkampfmemoiren »What Happened«, dass die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) für alle Amerikaner sie »faszinierte«. In Rückbesinnung auf ihre völlig uninspirierte Kampagne, erklärte sie, dass sie das BGE zwar in ihr Programm aufnehmen wollte, aber »mit den Zahlen nicht auf einen grünen Zweig kam«, daher ließ sie die Idee wieder fallen.
Sie hatte geplant, es »Alaska for America« zu nennen, und sich damit auf den Alaska Permanent Fund bezogen. Dieses Programm, gegründet 1982, zahlt jedem Staatsbürger Alaskas eine jährliche Dividende aus den Öleinnahmen des Bundesstaates. Diese Idee gewann Mitte der sechziger Jahre an Popularität, und Nixon wollte sie gar landesweit umsetzen. Amerikanische Forscher führten groß angelegte Experimente in New Jersey durch und Mitte der siebziger Jahre gab es auch im kanadischen Winnipeg eine Untersuchung dazu. Damals sorgte der Vorschlag für heftige Debatten in Westeuropa und Nordamerika, doch kam es in den folgenden Jahrzehnten zu einem langsamen, aber stetigen Rückgang der Unterstützung. Die Konservativen zogen »Workfare«- und »Aktivierungs«-Politiken vor, die die Sozialstaatsreformen in den neunziger Jahren prägten - angeführt noch von einem anderen Clinton – und machten das Grundeinkommen so zu einer utopischen Fantasie.
Aber wie das Interesse einer der mächtigsten politischen Persönlichkeiten der Welt beweist, haben die letzten zehn Jahre der Idee neues Leben eingehaucht. Tatsächlich steht sie jetzt auf der Tagesordnung vieler Bewegungen und Regierungen. Für Philippe Van Parijs und Yannick Vanderborght, zwei der führenden Befürworter des BGE, »hat die Verbindung von wachsender Ungleichheit, einer neuen Welle der Automatisierung und einem schärferen Bewusstsein für die ökologischen Grenzen des Wachstums dazu geführt, dass es weltweit von beispiellosem Interesse ist«.
Finnlands rechte Regierung testet die Idee nun. Auch in Kanada führt die Regierung von Ontario seit Sommer 2017 ein groß angelegtes Experiment durch. Die Niederlande haben das weitestgehende BGE-Experiment in Europa. Mehrere Gemeinden testen dort die Auswirkungen des Programms auf die Begünstigten. Und in Frankreich machte der glücklose sozialistische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon das Grundeinkommen zu seiner wichtigsten Maßnahme im Wahlkampf.
Politische Parteien auf der ganzen Welt diskutieren nun offen über die Idee, jedem Bürger ein bedingungsloses Einkommen zu gewähren. Beide Seiten des politischen Spektrums weisen dabei auf verschiedene vermeintliche Vorteile hin: Die Rechte verspricht sich vom BGE die Beseitigung überholter staatlicher Bürokratie; die Linke hingegen die Beseitigung der Armut.
Das Grundeinkommen, welches auf den ersten Blick als »liberal« und »sozial« zugleich erscheint, trennt nach herkömmlicher Ansicht diejenigen, die noch in altmodischen Begriffen wie »Klasse« und »industrieller Revolution« denken, von jenen, die anerkennen, dass die »Wissensökonomie« unsere Wirtschaft und Gesellschaft tiefgreifend verändert hat. Für diese letztgenannte Gruppe ist Vollbeschäftigung utopisch, stabile Arbeitsverhältnisse eine überholte Forderung, und die alten Institutionen der Lohnarbeit - Sozialversicherung, Gewerkschaften und dergleichen - sind überflüssig, bremsen den Fortschritt und die individuelle Freiheit. Für die linksradikalen, »akzelerationistischen« Theoretiker Nick Srnicek und Alex Williams stellt das Grundeinkommen eine »postkapitalistische« Ausstiegsmöglichkeit dar, während der selbsternannte »Unternehmer« Peter Barnes, dessen Bestseller »With Liberty and Dividends For All« Hillary Clinton inspirierte, darin einen Weg sieht, einen »ausgewogeneren Kapitalismus zu schaffen - wir würden es einen «Jeder-kriegt-etwas-ab-Kapitalismus» nennen.
Die immer zahlreicheren Studien, Experimente und Debatten scheinen das BGE wieder zu einer Idee zu machen, «deren Zeit gekommen ist».
Paradoxerweise scheint das BGE aber eine besondere Nachfrage in Krisenzeiten zu erfahren und steht in Momenten des sozialen Rückzugs und der Austerität besonders hoch im Kurs. Immer wenn sich die Politik nach rechts bewegt und die sozialen Bewegungen in die Defensive zwingt, gewinnt das BGE an Boden. Je mehr soziale Errungenschaften als unerreichbar erscheinen, desto eher ergibt ein BGE Sinn. Es ist das, was Botaniker als «Bioindikator» bezeichnen: Es zeigt den Fortschritt des Neoliberalismus an. Die Unterstützung des Grundeinkommens nimmt dort erheblich zu, wo neoliberale Reformen am verheerendsten wüten.
In diesem Sinne ist das BGE keine Alternative zum Neoliberalismus, sondern eine ideologische Kapitulation vor ihm. Tatsächlich würden die durchführbaren Formen des Grundeinkommens die prekäre Arbeit generalisieren und die Sphäre des Marktes erweitern - so wie die Gurus des Silicon Valley es sich erhoffen.
Die Unmöglichkeit eines linken Grundeinkommens
Die Frage nach der wirtschaftlichen Machbarkeit des BGE, wenngleich im Wesentlichen technischer Natur, ist für die Bestimmung ihres politischen Charakters von entscheidender Bedeutung. Denn die Auswirkungen des BGE hängen von der Höhe der Auszahlung und den Bedingungen ihrer Umsetzung ab.
Nick Srnicek und Alex Williams schreiben in ihrem «akzelerationistischen» Manifest «Inventing the Future», dass «die wahre Bedeutung des BGE in der Art und Weise liegt, wie es die Ungleichverteilung der Macht, die gegenwärtig zwischen Arbeit und Kapital besteht, umkehrt». Die Einführung des BGE würde es den Arbeitnehmern ermöglichen, «die Wahl zu haben, ob sie einen Job annehmen wollen oder nicht.... Ein BGE verringert daher die Notwendigkeit zur Lohnarbeit und bedingt auch den Zwang, die Arbeitskraft zu Markte zu tragen, und verändert damit das politische Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital grundlegend.
Um dies aber zu erreichen, beharren die Autoren darauf, dass das BGE »ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung stellen muss, um davon zu leben«. Wenn es nicht hoch genug ist, um Menschen die Verweigerung von Arbeit zu ermöglichen, könnte das BGE hingegen die Löhne drücken und noch mehr »Bullshit-Jobs« schaffen.
Trotz der zentralen Bedeutung von Umfang und Umsetzung werden in den zahllosen Texten, die der Einführung eines BGE gewidmet sind - einschließlich der Arbeit von Srnicek und Williams - nur selten die konkreten Details dieser Maßnahme diskutiert. Viele Vorzüge des Grundeinkommens kämen nur dann zum Tragen, wenn ein großzügiger monatlicher Betrag zur Verfügung stünde, was im Umkehrschluss bedeutet, dass eine gemäßigte oder niedrig dotierte Variante potenziell negative Auswirkungen haben könnte.
Guy Standing, ein Pionier des Grundeinkommens in Großbritannien, verteidigt derzeit die Version eines niedrigen BGE. Um seinen Vorschlag voranzubringen, verweist er auf die Denkfabrik Compass, die mehrere Simulationen erstellt hat, um die Auswirkungen und die Durchführbarkeit einer solchen Maßnahme in Großbritannien zu bewerten. Die Studie zeigt die Risiken all jener BGE-Modelle auf, welche versuchen, bestehende, bedarfsorientierte Leistungen zu ersetzen: Ein solcher »Vollersatz« würde in seiner einfachsten Form jedem Erwachsenen monatlich 292 Britische Pfund (330 Euro) auszahlen, woraufhin die bisher bestehenden bedarfsorientierte Programme abgeschafft würden. Die Folgen wären katastrophal: Die Kinderarmut würde um 10 Prozent zunehmen, die Armut der Rentner um 4 Prozent und die Armut der Erwerbsbevölkerung um 3 Prozent.
Compass analysierte auch ein »angepasstes Modell« mit einem monatlichen Grundeinkommen von 284 Britischen Pfund (320 Euro) für Erwachsene im erwerbsfähigen Alter und niedrigeren Zahlungen für alle anderen, welches neben den meisten bestehenden Sozialprogrammen stehen würde, anstatt sie zu ersetzen.
Hier würde das BGE dann allerdings als Einkommen gezählt, wenn es um die Anrechte auf eben diese Sozialleistungen und die Berechnung der Steuerlast geht. Diese »Zusatz«-Logik macht die Maßnahme günstiger, da ein Großteil der Kosten letztlich mit den bestehenden Sozialausgaben verrechnet würde. Dies würde aber dann auch den Gesamtanstieg des Nettoeinkommens der Armen dämpfen. Dennoch belaufen sich die Gesamtkosten dieser Version - die Höhe der neuen Steuern, die erforderlich wären - auf 170 Milliarden Pfund (192 Mrd. Euro) oder 6,5 Prozent des britischen BIP. Diese Version wird jetzt von Standing gefordert.
Trotz der Gelder, die in die Umsetzung des neuen Systems fließen würden - 6,5 Prozent des BIP, das ist fast das Doppelte des BIP-Anteils in Prozent, den die USA derzeit für ihr Militär ausgeben - sind die erwartbaren Ergebnisse eher enttäuschend. Die Kinderarmut schrumpft von 16 auf 9 Prozent, aber für Menschen im erwerbsfähigen Alter sinkt sie um weniger als 2 Punkte (von 13,9 auf 12 Prozent), und bei Rentnern sinkt sie nur um einen Punkt (von 14,9 auf 14,1 Prozent). Die beträchtliche Summe der mobilisierten Gelder wirkt sich nur sehr bescheiden auf die Armut aus und kommt gerade nicht denjenigen zugute, die das Geld am dringendsten bräuchten. Wie der Ökonom Ian Gough schreibt, sieht die Idee aus wie eine »gewaltige steuerfinanzierte Maschine« aus, die »an einen winzigen Karren zieht«.
Diese Feststellung ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass die Kosten für die Beseitigung der Armut in jedem entwickelten Land etwa ein Prozent des BIP betragen. Ein individuelles Arbeitslosengeld an der Armutsgrenze (etwa 950 Euro im Monat), welches allen Arbeitslosen unabhängig von ihrem Platz in der Familienstruktur gewährt wird, würde nicht nur alle aus der Armut befreien, sondern auch die Verpflichtung zur Arbeit (Workfare) beenden, die familiäre, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in Frage stellen und den Arbeitsmarkt grundlegend verändern. Und das alles für einen Betrag, der irgendwo zwischen sechs und fünfunddreißig Mal weniger Geld als ein bedingungsloses Grundeinkommen kosten würde.
Die gleiche Kritik gilt für die moderate Version eines BGE von Philippe Van Parijs, einem der Gründer des Basic Income Earth Network (BIEN), welches das BGE seit Mitte der 1980er Jahre fördert. Van Parijs fordert ein Grundeinkommen von 600 Euro, welches, wie die Version von Standing, nicht vollständig mit den bestehenden Sozialleistungen verrechnet wird. Dieses Programm würde in Belgien etwas mehr als 6 Prozent des BIP kosten, einem Land mit einem bereits hohen Niveau an Sozialausgaben - und im Ergebnis das magere Einkommen der überwiegenden Mehrheit der Menschen, die von Sozialleistungen abhängig sind, nicht erhöhen. Dies ist eine bemerkenswerte Tatsache für eine Maßnahme, die oft als »revolutionär« bezeichnet wird - was das bedeutet wird im finnischen Versuch deutlich: Das »primäre Ziel« ist hier nämlich die »Förderung der Beschäftigung«, indem die Menschen dazu angeregt werden, »niedrig bezahlte und wenig produktive Arbeitsplätze anzunehmen«.
Natürlich könnten wir für eine großzügigere Version plädieren, die den antikapitalistischen oder »akzelerationistischen« Vorschlägen näher kommt, wie dem des französischen Ökonomen Yann Moulier-Boutang. In seinem Konzept beläuft sich das BGE auf 1.100 Euro pro Monat für jeden Bürger und würde zu den bestehenden Sozialleistungen hinzukommen.
In Frankreich würde es dann 871 Milliarden Euro oder 35 Prozent des BIP kosten. Als die Denkfabrik der französischen Sozialistischen Partei, die Fondation Jean Jaurès, die Auswirkungen eines monatlichen BGE von 1000 Euro auf den Landeshaushalt untersuchte, schätzte sie, dass dieses genauso viel kosten würde wie alle aktuellen Sozialausgaben - Renten, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe usw. - zusammen und zusätzlich das Budget für die Bildung oder das für das Gesundheitswesen. Es genügt hier festzustellen, dass diese Version wahrscheinlich nicht das Licht der Welt erblicken wird.
Moulier-Boutang bestätigt dies selbst und schreibt, dass »eine detaillierte Bilanz wohl noch erstellt werden muss«, wobei »eines sicher ist: Das gegenwärtige Einkommenssteuersystem kann nur einen kleinen Teil dieser Maßnahme finanzieren«. Um dieses Problem zu lösen, schlägt Moulier-Boutang vor, das derzeitige Steuersystem (einschließlich der progressiven Einkommensteuer) durch eine fünfprozentige Steuer auf Finanztransaktionen zu ersetzen - eine »fiskalische Revolution«, die »das Haushaltsdefizit reduzieren« würde, während »das gegenwärtige Niveau der Sozialausgaben beibehalten und ein BGE von 871 Milliarden Euro hinzugefügt werden könnte«.
Diese fabelhaften Berechnungen des Autors klingen verlockend, aber eine Finanztransaktionssteuer könnte niemals eine so hohe Summe einnehmen. Das Volumen der Finanztransaktionen ist riesig - derzeit zehnmal so hoch wie das BIP -, aber gerade nur, weil sie nicht mit 5 Prozent besteuert werden. Da Finanztransaktionen typischerweise mit dem Ziel durchgeführt werden, Gewinnarbitragewerte von wenigen Zehntel Prozent einzukassieren, würden sie einfach nicht mehr stattfinden, wenn wir die von Moulier-Boutang vorgeschlagene Steuer einführen würden. Nur zum Vergleich: Die »Tobin-Steuer«, die einzige Finanztransaktionssteuer, die heute ernsthaft in Betracht gezogen wird, wird in der Regel zwischen 0,05 Prozent und höchstens 0,2 Prozent angesetzt (hundertmal kleiner als der Vorschlag von Moulier-Boutang), und sie ist speziell darauf ausgerichtet, Spekulation (und damit Transaktionen) zu reduzieren.
Keine aktuell existierende Volkswirtschaft kann ein großzügiges Grundeinkommen finanzieren, ohne dafür nicht alles andere nicht mehr zu finanzieren. Wir müssten uns entweder mit der minimalistischen Version begnügen - deren Auswirkungen höchst fragwürdig wären - oder wir müssten alle anderen Sozialausgaben abschaffen und damit Milton Friedmans Paradies schaffen. Angesichts dieser Tatsachen sollten wir die Sinnhaftigkeit eines BGE in Frage stellen, oder wie Luke Martinelli es formulierte: »Ein erschwingliches BGE ist unzureichend, und ein angemessenes BGE ist unbezahlbar«.
Bevor wir unsere Volkswirtschaften nicht tiefgreifend umgestaltet haben, können wir keine Maßnahme umsetzen, die mehr als 35 Prozent des BIP kosten würde, während der Staat bereits heute rund 50 Prozent des BIP ausgibt. Die Machtverhältnisse, die notwendig sind, um diese Art eines BGE zu etablieren, würden, klipp und klar, einen Ausstieg aus dem Kapitalismus voraussetzen und die Darstellungen eines BGE als »Mittel« der sozialen Transformation sinnlos erscheinen lassen. Tatsächlich lassen sich viele Begründungen des Grundeinkommens als das klassifizieren, was Raymond Geuss als »nicht-realistische politische Philosophie« bezeichnete: Ideen, die in völliger Abstraktion von der bestehenden Welt und den realen Menschen formuliert wurden, vollständig »von der realen Politik abgekoppelt« - wie zum Beispiel das rawlsche Justizmodell, das Menschen wie Philippe Van Parijs als wichtige Inspiration dient.
Wenn ein BGE tatsächlich Gestalt annehmen würde, werden die derzeitigen Machtverhältnisse diejenigen begünstigen, die bereits über die Wirtschaftsmacht verfügen und davon profitieren wollen, indem sie das bestehende System des Sozialschutzes und der Arbeitsmarktregulierung schwächen. Wer entscheidet über die Höhe des monatlichen Betrags und wer bestimmt die Konditionen und Bedingungen? Wer wird von den heutigen Machtverhältnissen begünstigt? Sicherlich nicht die Beschäftigten.
Die Krise der Arbeit?
Auf das Thema Arbeit angesprochen, zitiert Van Parijs gerne den Arzt Jan Pieter Kuiper, der in den 1970er Jahren die Debatte über das Grundeinkommen in den Niederlanden angestoßen hatte: »Unter meinen Patienten sind Männer, die krank sind, weil sie zu viel arbeiten, und Männer, die krank sind, weil sie keine Arbeit finden«. Dieser Widerspruch zieht sich durch die Geschichte des Kapitalismus und motiviert Van Parijs und viele seiner Anhänger.
Das BGE würde eine Gesellschaft schaffen, in der »diejenigen, die zu viel arbeiten... weniger arbeiten, um ein Burnout zu vermeiden, ein wenig durchzuatmen, für neue Arbeit umzuschulen oder sich um ihre Liebsten zu kümmern, und die dadurch freiwerdenden Arbeitsplätze könnten von anderen übernommen werden«. Das heißt, ein BGE zielt nicht darauf ab, »weniger zu arbeiten, damit alle arbeiten können«, wie es die Arbeiterbewegung traditionell gefordert hat, sondern darauf, jedem die Wahl zu lassen, wie viel er zu einem bestimmten Zeitpunkt arbeiten möchte. Die Befürworter präsentieren dies als eine Möglichkeit, eine harmonischere Arbeitsteilung zu erreichen. Dieses Ziel mag vernünftig erscheinen, aber es wirft einige Fragen auf. Vor allem besteht die Gefahr, dass der derzeitige Wettlauf der Arbeitgeber nach unten noch verstärkt wird.
Der heutige Arbeitsmarkt ist stark ausdifferenziert: Einige Menschen haben Zugang zu guten Arbeitsplätzen, während andere einem harten Wettbewerb ausgesetzt sind und nur prekäre und instabile Arbeitsverhältnisse finden. Ein niedriges oder gemäßigtes BGE, das zu niedrig ist, um die Ablehnung von Jobangeboten zu ermöglichen, könnte die am wenigsten qualifizierten Personen in eine noch prekärere Situation versetzen. Oder wie Luke Martinelli es ausdrückt:
»Das Fehlen einer Ausweichmöglichkeit für diese Arbeitnehmer und ihre schwache Verhandlungsposition gegenüber den Arbeitgebern bedeutet, dass das Grundeinkommen letztendlich zu einer Verschärfung schlechter Löhne und Arbeitsbedingungen führen könnte, wenn andere Arbeitskräfte bereit wären, ihre Lohnforderungen aufgrund der bedingungslosen Zahlung zu reduzieren.«
Martinelli betont »die Gefahr, dass das Grundeinkommen das Problem der Niedriglöhne verschärfen und ineffiziente Arbeitgeber subventionieren würde«, was zu einer Zunahme »lausiger« Arbeitsplätze führen würde. In diesem Szenario werden diejenigen mit guten Arbeitsplätzen weiterhin ein erfülltes Leben führen, das jetzt durch ein Grundeinkommen ergänzt wird, während andere ihr BGE mit einem oder mehreren »lausigen« Jobs kombinieren müssten, bei einem nur geringen Einkommenszuwachs. Mit dem Vorschlag wird also nicht der Versuch unternommen, denjenigen, die heute keinen Arbeitsplatz haben, zu helfen, morgen einen zu bekommen oder ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Tatsächlich deutet alles darauf hin, dass das Gegenteil eintreten wird: Das BGE wird wie eine Höllenmaschine funktionieren, die dazu dient die Löhne zu senken und prekäre Arbeit auszuweiten.
Dieser Aspekt des Grundeinkommens ist nicht neu: Er erklärt, warum der neoliberale Ökonom George Stigler ursprünglich ein BGE in Form einer negativen Einkommenssteuer vorgeschlagen hat. Im Gegensatz zu Keynes, der die Rolle des Lohnniveaus in seiner Erklärung der Arbeitslosigkeit herunterspielte, argumentierte Stiglers berühmtes Papier »The Economics of Minimum Wage Legislation« von 1946, dass der Mindestlohn die Beschäftigung senke. Er forderte die Regierung dazu auf, solche Regelungen abzuschaffen, damit die Arbeitnehmer Löhne akzeptieren können, die den Marktpreis nicht überschreiten.
Die negative Einkommenssteuer von Stigler, die bis zu einem gewissen Grad eine Ergänzung der Einkommen darstellen würde, würde es den Arbeitnehmern ermöglichen, Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor anzunehmen, während sie weiterhin oberhalb der Armutsgrenze leben. Das System garantiert ein Mindesteinkommen, ohne den Preis der Löhne zu beeinflussen. Wie Friedman 1956 schrieb, verzerrt das Programm, »während es durch den Markt operiert, nicht den Markt oder behindert sein Funktionieren«, wie es keynesianische Programme täten.
Heute sieht man noch immer häufig, dass Befürworter eines BGE auf neoklassische Plattitüden über Beschäftigung zurückgreifen. Wir können beispielsweise nur erstaunt sein über die zweifelhaften Behauptungen, die Van Parijs und Vanderborgh in ihrem kürzlich erschienenen Buch Basic Income: A Radical Proposal for a Free Society and a Sane Economy aufgestellt haben. Zum Beispiel diese Behauptung: »Wenn die Höhe des Entgelts durch Mindestlohngesetzgebung, Tarifverhandlungen und großzügige Arbeitslosenversicherung fest abgesichert ist und bleibt, führt dies tendenziell zu massiven Arbeitsplatzverlusten.«
Wir sollten nicht von der Annahme ausgehen, dass zu hohe Löhne Arbeitslosigkeit erzeugen, indem sie das optimale Gleichgewicht der Wirtschaft stören. Vielmehr sollten wir diese Idee in aller Schärfe in Frage stellen. Denn solche Aussagen werden durch neuere Studien deutlich widerlegt. Im Gegensatz zu neoklassischen Vorhersagen weisen die Länder, in denen Arbeit am stärksten besteuert wird, die höchsten Beschäftigungsquoten auf, da diese Einkommenssteuern soziale Dienstleistungen finanzieren, die die Teilnahme am Arbeitsmarkt, insbesondere von Frauen, fördern.
Wer arbeitet eigentlich?
Stellen wir uns vor, dass es mathematisch möglich wäre, ein BGE einzuführen, das hoch genug ist, so dass keiner von uns arbeiten müsste. Angenommen, wir könnten dieses großzügige Grundeinkommen haben und trotzdem einen starken Wohlfahrtsstaat. Sicherlich wäre das ein Quantensprung. Doch auch diese Utopie beruht auf zwei problematischen Annahmen.
Erstens geht sie davon aus, dass Arbeitslose nicht arbeiten wollen oder genauso glücklich wären, wenn sie monatlich einen großzügigen Scheck erhalten würden. Aber was ist, wenn das falsch ist? Die Vorstellung, dass wir die Nachfrage nach Arbeitsplätzen reduzieren sollten, anstatt für Vollbeschäftigung zu kämpfen, lässt außer Acht, dass viele Menschen arbeiten wollen. Wie Seth Ackerman argumentiert hat, geht die obige Ansicht davon aus, dass die von Arbeitslosen zum Ausdruck gebrachte Verzweiflung auf ein falsches Bewusstsein hinauslaufe, ein Problem, das durch Werbekampagnen für das Nicht-Arbeiten gemildert werden könne.
Dies ist aber eine unzutreffende Erklärung dessen, was mit der Frage der Arbeit auf dem Spiel steht. Es ist noch etwas Tiefergehendes im Spiel: Arbeit ist mehr als ein Mittel, um Geld zu verdienen. Das liegt nicht nur an einer »arbeitsfreundlichen Ideologie«, sondern auch an den objektiven Bedingungen einer arbeitsteiligen Gesellschaft, in der jeder Einzelne seinen Beitrag zur kollektiven Produktion leistet. Dieses System erzeugt eine bestimmte Einkommensverteilung sowie eine bestimmte Arbeitsverteilung. Die Menschen sind offensichtlich besorgt über die Einkommensungleichheit, aber sind sie nicht auch besorgt über die Ungleichheit der Arbeitsverteilung? Ackerman schreibt:
»Solange die soziale Reproduktion entfremdete Arbeit erfordert, wird es immer diese soziale Forderung nach der gleichberechtigten Verpflichtung aller zur Arbeit geben, und ein unruhiges Gewissen bei denen, die arbeiten könnten, aber, aus welchen Gründen auch immer, es nicht tun«.
Deshalb gehören eine allgemeine Arbeitsplatzgarantie und eine flächendeckende Arbeitszeitverkürzung nach wie vor zu den wichtigsten Zielen jeder linken Politik. Eine kollektive Arbeitszeitverkürzung ist politisch und sozial sinnvoller als die Schaffung eines sozial abgegrenzten Reservoirs an Arbeitslosen mit schwerwiegenden Folgen für die Beschäftigten. Es ist nicht schwer zu erahnen, wie letzteres die Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse weiter verstärken könnte - und es bereits in den letzten Jahrzehnten der Fall war.
Zweitens wirft ein solch »utopisches« BGE die Frage auf, wie die Verteilung der Arbeit - und damit die Arbeitsteilung - in einer Gesellschaft festgelegt würde, in der wir uns gegen die Arbeit entscheiden könnten. Im Kapitalismus wird die Arbeitsteilung brutal festgelegt, indem große Teile der Bevölkerung auf Arbeitsplätze verwiesen werden, die anstrengend und schlecht bezahlt, aber oft von großem Wert für die Gesellschaft sind.
Ein »utopisches« BGE hingegen geht einfach davon aus, dass in einer von der Notwendigkeit zur Arbeit befreiten Gesellschaft die spontane Zusammenführung individueller Wünsche zu einer Arbeitsteilung führen würde, die einer gut funktionierenden Gesellschaft förderlich ist, und dass die Wünsche von Individuen, die sich nun frei entscheiden können was sie tun wollen, spontan zu einer perfekt funktionierenden Arbeitsteilung führen würden. Aber diese Erwartung wird eher angenommen als bewiesen.
Wenn wir uns eine Gesellschaft ausmalen wollen, in der die Arbeitsteilung nicht mehr durch Zwang bestimmt wird, dann müssen wir die Arbeit selbst überdenken. Und ein Umdenken der Arbeit wird nur dann in eine emanzipatorische Richtung weisen, wenn die Arbeit sinnstiftender und ansprechender gestaltet wird. In einer Gesellschaft, in der die Natur der Arbeit zutiefst ungleich ist - nicht nur in ihrer Verteilung, sondern auch in ihrem Inhalt - wird ihre grundlegende Veränderung notwendig.
Bargeldzahlung oder Zurückdrängen des Marktes?
Jenseits der Argumente von Realisierbarkeit oder den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt müssen wir uns auch eine wesentlich grundlegendere Frage stellen: Ist die Verteilung von 1.100 Euro an die gesamte Bevölkerung die beste Verwendung von 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts? Ist nicht der beste Weg, den Kapitalismus zu bekämpfen, die Reichweite, in der er operiert, zu begrenzen? Die Schaffung eines Grundeinkommens hingegen würde es lediglich ermöglichen, dass jeder am Markt teilhaben kann.
Die gegenwärtige Wirtschaftskrise geht weit über das Problem der Einkommensungleichheit hinaus. Während Ungleichheit zwar die größte Aufmerksamkeit erregt, ist sie ein eher zweitrangiges Merkmal des Kapitalismus. Eine der bedeutendsten Errungenschaften des Kapitalismus (aber auch eine seiner brutalsten) besteht darin, dass er den Marktaustausch zum fast ausschließlichen Mittel gemacht hat, um die für unsere eigene Reproduktion notwendigen Güter zu erwerben.
Damit machte er das Geld zum nahezu einzig gültigen Tauschmittel und zudem die Mehrheit der Bevölkerung vom Kapital abhängig, indem sich ein grundlegend ungleiches Machtverhältnis zwischen Unternehmer und Arbeiter durchsetzte. Dieses zutiefst ungleiche Verhältnis ordnet die Menschen nicht nur innerhalb der Sphäre der Arbeit, sondern auch darüber hinaus dem enormen Einfluss unter, den wirtschaftliche Macht auf Politik, Ideologie und Kultur ausübt.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Linken dieses Problem sehr gut verstanden. Der Wohlfahrtsstaat versuchte, die Bereiche, in denen der Markt und die Wirtschaftsmacht agieren konnten, einzuschränken. Hatte die Industrialisierung nur die Besitzenden zu vollwertigen Bürgern mit echten Rechten gemacht, so begründete die Sozialversicherung und besonders die Arbeitslosenversicherung das, was Robert Castel als »soziales Eigentum« bezeichnete. Wie der britische Soziologe T. H. Marshall erläutert, ist Gleichheit nicht möglich, »ohne die Freiheit der wettbewerbsorientierten Märkte einzuschränken«, also ohne soziale Räume zu öffnen, die frei von Marktzwängen sind. In anderen Worten waren für die Linken die wirtschaftlichen Auswirkungen der Marktausdehnung (sowie deren politische und kulturelle Konsequenzen) nie losgelöst von einer Infragestellung der Marktlogik als solcher zu sehen.
Obwohl diese Sichtweise seit den frühen 1970er Jahren enorme Rückschläge erlitten hat, bietet sie immer noch eine Vision, die sich radikal von unserem gegenwärtigen neoliberalen Konsens unterscheidet. Letztendlich geht es nicht darum, den Wettbewerb »fairer«, weniger »diskriminierend« oder weniger »reglementierend« zu machen. Vielmehr geht es darum, den Raum, in dem Wettbewerb herrscht, einzuschränken. In diesem Sinne bedeutet Freiheit nicht die Fähigkeit zum Marktzugang, sondern vielmehr die Fähigkeit, den Raum, in dem der Markt operiert, zu verkleinern.
Hillary Clinton hat zu Recht festgestellt, dass sie die Macht der »großen Ideen« unterschätzt hatte. Aber das bedeutet nicht, dass ein BGE die große Idee ist, die wir brauchen. Wir sollten uns stattdessen wieder an das emanzipatorische Erbe der Nachkriegszeit erinnern. Die nach dem Zweiten Weltkrieg von Arbeiterinnen und Arbeitern geschaffenen Institutionen haben den Kapitalismus nicht nur stabilisiert oder abgefedert, sie bildeten in noch unausgereifter Form die Elemente einer wahrhaft demokratischen und egalitären Gesellschaft, in der der Markt nicht den zentralen Platz einnimmt, den er heute innehat. Und wenn die jüngsten Erfolge von Bernie Sanders und Jeremy Corbyn etwas bedeuten, dann könnte die Tür jetzt offen sein für eine Wiedergeburt sozialistischer Politik.
Utopia ist nicht unerreichbar - es ist sogar näher, als wir denken.
Dieser Artikel erschien zuerst am 28.12.2017 in englischer Sprache auf der Homepage des »Jacobin Magazine« unter: ▸https://www.jacobinmag.com/2017/12/universal-basic-income-inequality-work. Die Ãœbersetzung fertigte Martin Ahrens an.
Daniel Zamora ist Soziologe, er lehrt und forscht an der Université Libre de Bruxelles und der Cambridge University.