ÖPP macht Schule (teuer)…
9. April 2018 | Kai Eicker-Wolf
Selbst vor Schulen machen Öffentlich-Private Partnerschaften nicht halt: Vielerorts soll der mangelnde Investitionsstau ausgerechnet durch ÖPP behoben werden. Die öffentlichen Kassen kommt das teuer.
In den skandinavischen Ländern gilt der Raum als »dritter Pädagoge« – neben den Mitschülerinnen und Mitschülern sowie den Lehrenden. Schulen und Klassenzimmer sollen flexibel nutzbar und individuell gestaltet sein. Ein angenehmer Raum, so die Erkenntnis in den nordischen Staaten, wirkt positiv auf das Lernklima und die Konzentration. Gemessen an dieser Einsicht in die Bedeutung der Schulinfrastruktur ist der Zustand vieler Schulen in Deutschland ernüchternd. Die allermeisten sind entweder alte oder rein funktionale Gebäude. Hinzu kommt, dass immer mehr Schulgebäude marode und baufällig sind. Die Benutzung von Toiletten ist oft eine Zumutung, und der Putz bröckelt buchstäblich von der Decke.
Der kommunale Investitionsstau und mangelnde Schulbausanierung
Schulen bilden einen Teil der staatlichen Infrastruktur. Ausgaben für den Erhalt und die Erweiterung von Infrastrukturen sind die staatlichen Investitionen. Die Zuständigkeit für die Schulgebäude liegt in Deutschland auf der kommunalen Gebietskörperschaftsebene – das heißt bei Landkreisen und kreisfreien Städten.
In den vergangenen gut vier Jahrzehnten ist ein deutlicher Rückgang der staatlichen Investitionen zu verzeichnen, und die Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand in Deutschland fällt im internationalen Vergleich relativ schwach aus. Besonders dramatisch ist dabei die Entwicklung auf der Gemeindeebene: Im Zeitraum 2002 bis 2016 überstieg der Verschleiß die getätigten Investitionsausgaben in der Summe um 68 Milliarden Euro.
Nach dem aktuellen Kommunalpanel der Kreditanstalt für Wiederaufbau beläuft sich der gesamte Investitionsrückstand auf der kommunalen Ebene sogar auf 126 Milliarden Euro. Gemäß dieser repräsentativen Umfrage liegt er im Bereich Schule (inklusive Erwachsenenbildung) bei fast 33 Milliarden Euro. [1]
ÖPP als Holzweg
Am 1. Juni 2017 sind im Bundestag bekanntlich die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs und die Schaffung einer Bundesautobahngesellschaft beschlossen worden. Eine weitere, in diesem Kontext erfolgte und so gut wie gar nicht beachtete Grundgesetzänderung betrifft den Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur. Dem Bund wird durch die Einführung des neuen Art. 104c Grundgesetz die Möglichkeit eingeräumt, finanzschwachen Städten und Landkreisen direkt Mittel zur Sanierung der Bildungsinfrastruktur zukommen zu lassen. Die Bundesregierung stellt auf dieser Grundlage 3,5 Milliarden Euro an Zuweisungen für die Kommunen bereit, wobei dieses Geld – so steht es in der vorgesehenen Änderung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes – explizit auch zur Finanzierung von Projekten in Öffentlich-Privater Partnerschaft (ÖPP) genutzt werden kann.
An konkreten Beispielen lässt sich zeigen, dass Investitionen auf Basis von ÖPP teurer ausfallen als konventionell durchgeführte öffentliche Investitionen, und dass erstere zudem oft auch erhebliche Qualitätsmängel aufweisen – eine große Zahl solcher Fälle wird in Werner Rügemers Standardwerk zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften (Titel: »‘Heuschrecken‘ im öffentlichen Raum«) und in dem jüngst erschienen Buch von Tim Engarnter (»Staat im Ausverkauf«) geschildert. Das deutschlandweit größte ÖPP-Projekt im Schulbereich schlägt gerade in Hessen im Landkreis Offenbach fehl: Nach einer Prüfung des Hessischen Rechnungshofs aus dem Jahr 2015 ist mit einer Kostensteigerung in Höhe von 367 Millionen Euro (47 Prozent) bis zum Jahr 2019 zu rechnen. Der Kreis geht aufgrund des Debakels finanziell in die Knie. Und wer weitere Beispiele für Mehrkosten von ÖPP beim Schulbau sucht, findet diese in unmittelbarer geographischer Nähe zum Kreis Offenbach: Auch in Frankfurt am Main sind mehrere Bauvorhaben entgegen den ursprünglichen Ankündigungen deutlich teurer gebaut worden. [2]
Fratzscher-Kommission empfiehlt ÖPP
Die schwache öffentliche Investitionstätigkeit war eines der zentralen Themen der vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Gabriel 2014 einberufenen Expertenkommission »Stärkung von Investitionen in Deutschland«, die nach ihrem Vorsitzenden Marcel Fratzscher auch oft kurz als Fratzscher-Kommission bezeichnet wird. Schon im Vorwort des Kommissionsberichts aus dem Jahr 2015 heißt es mit Blick auf die zu geringen staatlichen Investitionen: »Lösungen müssten daher über die bloße Reorganisation staatlichen Handelns hinausgehen. Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) könnten einen wesentlichen Beitrag zur Schließung der Investitionslücke leisten.« [3] Unter anderem wird die Schaffung einer öffentlichen Infrastrukturgesellschaft für Kommunen ins Spiel gebracht, die Gemeinden, kreisfreie Städte und Landkreise beraten soll. Außerdem seien neue Wege zur Mobilisierung von zusätzlicher privater Infrastrukturfinanzierung zu nutzen.
Zur Vertiefung dieser Idee hat das Wirtschaftsministerium ein Gutachten durch die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhauseCoopers (PwC) anfertigen lassen. Dieses regt ganz im Sinne der Fratzscher-Kommission die Gründung einer staatlichen Infrastrukturgesellschaft an, die gebündelte Investitionsprojekte (Straßen, Brücken, Kitas, Schulen und so weiter) ausschreiben und auf Basis eines Bieterwettbewerbs dann an einen »aktiven Investor« in Form von ÖPP vergeben solle. Letzterer müsse sowohl Eigenkapital als auch Management- und Steuerungskompetenzen in das Projekt einbringen. Der »aktive Investor« soll dann eine »übergeordnete Projektgesellschaft« gründen, an der sich auch staatliche Förderbanken und »passive Investoren« beteiligen können. Angesprochen werden sollen so kleinere institutionelle Investoren wie Pensionsfonds und berufsständische Versorgungswerke, die unter anderem wegen des aktuellen Niedrigzinsumfeldes neue Anlagemöglichkeiten suchen. Sie erhalten so laut PwC »die von ihnen seit längerer Zeit gewünschte Möglichkeit, Gelder in öffentliche Infrastruktur zu investieren und dabei eine attraktive Rendite zu erzielen« [4].
Das Bundesfinanzministerium hat den Vorschlägen unter Rückgriff auf die ÖPP Deutschland AG schnell Taten folgen lassen. Diese Aktiengesellschaft wurde 2008 auf Initiative der Finanzindustrie gegründet – 57 Prozent der Anteile waren im Besitz des Staates, 43 Prozent im Besitz von rund 70 Firmen, darunter Unternehmen wie Bilfinger Berger und Hochtief Concessions AG. Laut Selbstdarstellung bestand der Geschäftszweck in der Öffnung des deutschen Marktes für ÖPP durch Beratung öffentlicher Auftraggeber – das Startkapital kam von der Bundesregierung, was einen Journalisten zu der Schlussfolgerung kommen ließ, damit finanziere die öffentliche Hand zum ersten Mal die Lobbyarbeit der Industrie selbst. Zum 1. Januar 2017 wurde die ÖPP Deutschland AG umbenannt in PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH, wobei letztere jetzt in den alleinigen Besitz der öffentlichen Hand übergegangen ist und die Arbeit der von der Fratzscher-Kommission vorgeschlagenen Infrastrukturgesellschaft für Kommunen übernimmt.
Fehlendes Personal als Vehikel zur Förderung von ÖPP
Ein weiterer Grund, warum in Zukunft vermutlich verstärkt auf ÖPP im Schulbereich zurückgegriffen werden wird, dürften Engpässe im personellen Bereich sein: So ist seit Anfang der 1990er Jahre die Zahl der mit Baufragen befassten Personen im Öffentlichen Dienst der Kommunen beträchtlich gesunken. Das unternehmernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft werben in einem gemeinsamen Gutachten ausgerechnet mit diesem Sachverhalt für ÖPP. Es ist mehr als entlarvend, dass eine neoliberal ausgerichtete Forschungseinrichtung wie das IW mit einem solchen Argument ÖPP propagiert: Das IW ist eine jener Institutionen, die sich in den vergangenen Dekaden vehement für eine ausgabenseitige Konsolidierung des Staates und eine Steuerpolitik, die auf eine Schonung reicher Haushalte und des Unternehmenssektors abzielt, eingesetzt haben. Diese Strategie war offensichtlich erfolgreich, so dass auf ihrer Basis nun eine weitere Bereicherung des Unternehmenssektors zu Lasten der Allgemeinheit propagiert werden kann.
Anmerkungen:
[1] KfW Research, KfW-Kommunalpanel 2017, Frankfurt 2017, ▸https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-KfW-Kommunalpanel/KfW-Kommunalpanel-2017.pdf.
[2] Herbert Storn/Ruth Storn, Public Privat Partnership. Teuer und demokratiefeindlich: Die GEW lehnt PPP ab, in: HLZ – Zeitschrift der GEW Hessen für Erziehung, Bildung Forschung 1/2 2016.
[3] »Stärkung von Investitionen in Deutschland - Expertenbericht Gesamtbericht«, 20. April 2015, ▸www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/I/investitionskongress-report-gesamtbericht-deutsch-barrierefrei.html ; zuletzt geprüft 26. Oktober 2017
[4] Gutachterliche Stellungnahme für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Rechtliche und institutionelle Voraussetzungen zur Einführung neuer Formen zur privaten Finanzierung öffentlicher Infrastrukturvorhaben unter Einbindung einer staatlichen Infrastrukturgesellschaft. Schlussbericht vom 27. Oktober 2016; erstellt von PricewaterhouseCoopers Legal AG; ▸www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/G/rechtliche-voraussetzungen-zur-einfuehrung-neuer-formen-zur-privaten-finanzierung-oeffentlicher-infrastrukturvorhaben.pdf?__blob=publicationFile&v=4; zuletzt geprüft 26. Oktober 2016
Zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften im Zusammenhang mit Schuldenbremse und Investitionsstau ist jüngst ein Buch erschienen, an dem der Autor mitgewirkt hat: ▸Kai Eicker-Wolf / Patrick Schreiner: Mit Tempo in die Privatisierung. Autobahnen, Schule, Rente – und was noch? PapyRossa 2017. | Dieser Artikel erschien in leicht abweichender Fassung zuerst in ▸Lunapark-Extra . Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.