Wie politische Eliten die Konzentration von Macht und Reichtum verstärken
15. März 2018 | Uwe Wötzel
Empörend sind prekäre Arbeitsbedingungen mit niedrigen Löhnen und befristeten Verträgen, Arbeitshetze und arbeitsbedingte Erkrankungen, Lebensbedingungen mit Altersarmut, Wohnungsnot, Pflegenotstand und Lehrermangel in Deutschland und anderswo. Millionen Menschen leben und arbeiten ohne Perspektive der Besserung. Jedes siebte Kind ist auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Inakzeptabel sind die extrem ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in den globalen Lieferketten der Konsumgüterindustrie. Wie konnte es so weit kommen, wie hängt das mit der Konzentration von Macht zusammen und was ist zu tun?
Ein neues globales Modell des Kapitalismus
In den letzten Jahrzehnten wurde ein neues globales Modell des Kapitalismus etabliert. Deregulierung von Arbeitsmärkten, Senkung von Löhnen in unteren und mittleren Einkommensgruppen, extreme Vermögenszuwächse bei MilliardärInnen bei gleichzeitigen Steuersenkungen, Abbau des Sozialstaates, Liberalisierungen der Finanzmärkte, Privatisierungen öffentlicher Dienste und Steuerunterbietungswettbewerb für Kapitalerträge. Unternehmen markieren die Eckpunkte neoliberaler Politik, nicht nur in Deutschland. Die bereits 1947 begonnene und seit den 1970er Jahren beschleunigte Politik der Senkung von Zöllen und anderen Handelsbarrieren führte bei gleichzeitiger Missachtung globaler Sozialstandards zur heute herrschenden Form der Globalisierung. Eines der wichtigsten Resultate der Beseitigung von Marktschranken ist die globale Lohnkonkurrenz. Und dieses ausbeuterische Konkurrenzprinzip wirkt besonders brutal in den Ländern, in denen durch Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung von Menschen oder ▸Unterdrückung von Gewerkschaftsrechten der Reichtum der InvestorInnen vermehrt wird. Zahlreiche Berichte der Vereinten Nationen, der Internationalen Arbeitsorganisation und des Internationalen Gewerkschaftsbundes zeigen schon seit Jahren, dass der Neoliberalismus mit der Deregulierung der Märkte nicht mehr, sondern weniger individuelle Freiheiten, Wachstum und Wohlstand für alle schaffen kann.
Das neue globale Modell des Kapitalismus macht transnationale Konzerne so mächtig wie nie zuvor. Konzerne können heute ArbeitnehmerInnen stärker gegeneinander ausspielen, zum Beispiel durch Standortverlagerungen. Konzerne verlangen niedrige Steuersätze, hohe Investitionszuschüsse, eine leistungsstarke Infrastruktur und qualifizierte Arbeitskräfte zu billigen Löhnen, am liebsten in Sonderwirtschaftszonen ohne Gewerkschaften und Auflagen. Konzernmacht durchdringt so heute nahezu alle Bereiche des Lebens von Milliarden Menschen. Treiber und Nutznießer der politökonomischen Prozesse der Globalisierung sind machtvolle transnational agierende InvestorInnen, denen es in den letzten Jahrzehnten erfolgreich gelang, die Hegemonie in den politischen Diskursen zur Optimierung von Kapitalverwertungsbedingungen zu formen.
Den ökonomischen Erfolg dieser Machtverschiebungen zeigen auch die Berichte von Oxfam anlässlich der jährlichen Treffen des privaten Weltwirtschaftsforums in Davos. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung besitzt über die Hälfte des globalen Vermögens – mehr als die übrigen 99 Prozent zusammengenommen. Während Arbeitslöhne nur um zwei Prozent stiegen, wuchs das Vermögen der Milliardäre, es sind fast nur Männer, im letzten Jahrzehnt durchschnittlich um 13 Prozent jährlich. Es gewinnen die superreichen Investoren. Sie profitieren nicht nur von der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und anderer natürlicher Ressourcen, sondern zusätzlich von Privilegien in der Steuerpolitik und von sogenannten Steueroasen.
In der Studie ▸»The Network of Global Corporate Control« zur Struktur des Kontrollnetzwerks transnationaler Konzerne hat eine Forschungsgruppe der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich festgestellt, dass die kapitalistische Weltwirtschaft von einer Kerngruppe von 147 Firmen kontrolliert wird, bei denen es sich im Kern um die großen globalen Player der Finanzdienstleitungsunternehmen handelt. Riesige Vermögen werden heute in gigantischen Schattenbanken wie BlackRock gebündelt. BlackRock kontrolliert als dominanter Anteilseigner die Geschäftspolitik von Konzernen der Rüstungsindustrie, des Wohnungsmarktes, der Finanzdienstleister, der IT-Branche, der Lebensmittelkonzerne usw. sowie die Bedingungen in den jeweiligen Lieferketten. Maximale Profite bestimmen die Strategien der Global Player.
Eine Balance der Macht zwischen Kapital und Arbeit hat es in der Geschichte des Kapitalismus nicht gegeben. Gewerkschaften und Arbeiterbewegung gelang es nur bedingt, gegen die Übermacht des Kapitals demokratische Rechte, sozialpolitische Forderungen und Lohnforderungen durchzusetzen. Die gegenwärtige Verstärkung der Machtasymmetrie zum Nutzen des Kapitals ist das Resultat vielschichtiger politischer Prozesse. Neoliberale Netzwerke haben in den letzten 70 Jahren sehr starke Spuren in Politik und Wissenschaft hinterlassen. Ein Indikator ist nach wie vor die sehr starke Dominanz neoliberaler ÖkonomInnen in auf den Lehrstühlen der Fakultäten nahezu aller Universitäten. Über diese sehr einflussreichen Netzwerke wurden Generationen von PolitikberaterInnen, JournalistInnen, Partei- und Verbandsangehörige ideologisch geprägt und mit wichtigen Positionen ausgestattet. Gegenpole wie etwa die Netzwerke für plurale Ökonomik sind noch zu schwach..
Ein weiterer Indikator ist der unterschiedliche Zugang zu politischer Macht. Immer wieder dringen Beispiele an die Öffentlichkeit, wie VertreterInnen von Lobbyorganisationen und Verbänden des Kapitals gleich ganze Gesetzentwürfe schreiben. Und eine Teilstudie zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat ergeben, dass die Interessen der breiten Massen bei politischen Entscheidungen weitaus weniger berücksichtigt werden als die Interessen des Kapitals. Wenig verwunderlich, haben diese empirisch gesicherten Feststellungen keinen Eingang in die endgültige Fassung des Berichts gefunden.
Die ideologischen Netzwerke zur Sicherung der Kapital- und Konzernmacht
Einen besonderen Platz unter den globalen neoliberalen Netzwerken hat die 1947 gegründete Mont Pèlerin Society (MPS) . Sie ist ein Zusammenschluss von 500 einflussreichen ÖkonomInnen, PublizistInnen, GesellschaftstheoretikerInnen und ranghohen PolitikerInnen in mehr als 70 Think-Tanks weltweit. Ihr Ziel ist die Durchsetzung neoliberaler Hegemonie. Ein MPS-Mitglied mit großem politischen Einfluss in Deutschland ist Lars Feld. Er ist seit 2003 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums und gehört seit 2011 dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesregierung an.
Zu den einflussreichen Lobby- und PR-Agenturen des Kapitals zählt die deutsche Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) . Dieser von den Unternehmerverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanzierte Verein will erreichen, dass Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und das Bildungswesen noch stärker an den Bedürfnissen von Unternehmen ausgerichtet werden. Mit dreistelligen Millionen-Beträgen finanzieren Unternehmerverbände regelmäßige Plakat- und Anzeigenkampagnen, um ihre Botschaften in den Köpfen der Menschen dauerhaft zu verankern. Privatisierung, Abbau des Sozialstaates, Abbau des Kündigungsschutzes, Steuersenkungen und Anhebung des Renteneintrittsalters und Werbung gegen Mindestlöhne sind Ziele der INSM.
Schnittmengen haben MPS und INSM mit der »Stiftung Marktwirtschaft«. Unter dem Schlagwort »Mehr Mut zum Markt« berät die Stiftung über Publikationen, Studien und parteiische ExpertInnen-Runden EntscheidungsträgerInnen in Politik und Wirtschaft sowie MultiplikatorInnen in Medien und Publizistik. Ihre Forderungen nach Deregulierung des Arbeitsmarktes, einer stärkeren privaten Vorsorge bei Rente, Pflege und Krankenversicherung, einer Senkung der Unternehmenssteuern, einer Wiedereinführung von Studiengebühren und der Ablehnung eines Mindestlohns entsprechen weitgehend den Positionen der Arbeitgeberverbände.
Eine Organisation zur Förderung von marktextremistischen Ideen ist die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft. Sie wurde 1998 gegründet, um im Sinne des neoliberalen Ökonomen und Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek zu wirken. Bei der Koordination neoliberaler Thinktanks und Strukturen in Deutschland spielt sie eine nicht unwesentliche Rolle. Ein großer Teil des wirtschaftsliberalen Flügels der Gesellschaft trat 2015 aus Protest gegen die wachsende Nähe vieler Mitglieder zur Alternative für Deutschland (AfD) aus.
Die Bertelsmann Stiftung gehört zu den einflussreichsten neoliberalen »Denkfabriken« im Land. Wirkmächtig propagiert sie die Privatisierung von staatlichen Bereichen und die Wettbewerbsideologie auf allen Ebenen. Die Stiftung ist zugleich Haupteigentümerin des Medienkonzerns Bertelsmann SE. Die Bertelsmann Stiftung war im Hintergrund prägend an der Ausweitung des Niedriglohnsektors, der Agenda 2010 mit Hartz IV beteiligt.
Der 1949 gegründete Bund der Steuerzahler gilt in der Öffentlichkeit als Schutzpatron aller SteuerzahlerInnen. Durch eine erfolgreiche Medienarbeit (»Schwarzbuch«, »Steuerzahlergedenktag«, »Schuldenuhr«) und vermeintlich wissenschaftlich untermauerte Positionen wird der Steuerzahlerbund in Politik und Öffentlichkeit als ▸neutraler und seriöser finanzpolitischer Akteur wahrgenommen. Schon die Zusammensetzung der Mitgliedschaft sollte allerdings stutzig machen. Etwa 60 Prozent der Mitglieder sind Unternehmen oder gewerbliche Mittelständler, etwa 15 Prozent sind Freiberufliche. Die restlichen Mitglieder sind überwiegend leitende Angestellte. Vertreten werden entsprechend die Interessen der mittelständischen Wirtschaft und der Gutverdienenden.
Alternativen stärken
Wir müssen die kritischen Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Formen von Macht, Herrschaft und Ausbeutung in Produktion und Gesellschaft zusammenführen. Einem gesteuerten autoritären Staat, einer neoliberal formierten Gesellschaft und einer Fassadendemokratie müssen wir uns entgegenstellen. Wir müssen aufklären, ermutigen und solidarisch handeln, um soziale Sicherheit und eine lebenswerte Umwelt für alle Menschen durchzusetzen. Dazu brauchen wir starke Gewerkschaften und starke soziale Bewegungen.
Ein Lobbyregister-Gesetz sowie strengere Regeln für Parteispenden und Sponsoring aus Unternehmen und ihren Verbänden sind nur allererste Schritte, um den Einfluss der Konzerne und ihrer InvestorInnen zu begrenzen. Doch während sich Schwarz-Gelb-Grün in ihren Sondierungen auf ein Lobbyregister verständigten, sucht man es in den Groko-Dokumenten ▸leider vergeblich.
Dieser Artikel erschien in einer früheren Fassung zuerst in ▸Rundbrief Forum & Entwicklung 4 (2017). Wir danken für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.
Uwe Wötzel (geboren 1956 in Hannover) ist Jurist und hauptamtlicher Gewerkschafter. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählt die Regulierung der Unternehmensverantwortung, er ist Mitbegründer des CorA-Netzwerks für Unternehmensverantwortung.