Sieben gute Gründe für eine gerechtere Steuerpolitik
13. September 2013 | Patrick Schreiner
Seit Wochen und Monaten läuft die Propagandamaschine der neoliberalen und konservativen Medien heiß: FAZ, Welt, Bild und Co. scheinen fast schon zwanghaft belegen zu wollen, dass es keiner Steuererhöhungen bedürfe. Damit wenden sie sich offen gegen die Linke, die Grünen und die SPD, die sich in ihren Wahlprogrammen dafür aussprechen, hohe Gewinne, Einkommen und Vermögen künftig wieder stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Im Folgenden seien die sieben wichtigsten Gründe für höhere Steuern auf hohe Gewinne, Einkommen und Vermögen kurz und knapp zusammengefasst.
Denn entgegen der Propaganda – für höhere Steuern auf hohe Einkommen, Gewinne und Vermögen gibt es gute Gründe:
1. Die öffentlichen Haushalte leiden unter den zurückliegenden Steuersenkungen. Alleine durch die Steuersenkungen seit 1998 machen die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden in Deutschland Jahr für Jahr zwischen 30 und 55 Mrd. Euro Mindereinnahmen. Darin sind die Steuersenkungen unter der Regierung Kohl (also vor 1998) noch gar nicht berücksichtigt. All dies hat massiv zur Finanzmisere in Deutschland beigetragen.
2. Von den Steuersenkungen haben vor allem die Reichen und die Superreichen profitiert. Schon seit den 1970er Jahren ist die Tendenz eindeutig: Steuern, die vor allem Menschen mit mittleren und geringen Einkommen belasten, steigen an – Steuern auf hohe Einkommen, Gewinne und Vermögen hingegen wurden wieder und wieder gesenkt. Vergleicht man die Jahre 1992 und 2005, so zeigt sich: Die Steuerbelastung der reichsten 0,0001 Prozent ging um 27 Prozent zurück, die Steuerbelastung der reichsten knapp 50 Haushalte in Deutschland sogar um 34 Prozent. Die Steuerbelastung der reichsten zehn Prozent ist im Durchschnitt in etwa gleich geblieben, während die Belastung der unteren 90 Prozent angestiegen ist - und zwar vor allem im unteren und mittleren Bereich deutlich.
3. Steuerpolitik muss gegen Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen angehen. In Deutschland ist die Verteilung von Einkommen und Vermögen in den letzten Jahrzehnten immer ungleicher geworden - auch wegen der unter Punkt 2 beschriebenen Steuerpolitik. Hinzu kommt: Die Beschäftigten haben seit dem Jahr 2000 drastische Reallohnverluste erlitten, der Niedriglohnsektor hierzulande ist mittlerweile einer der größten in Europa, auf der anderen Seite sind schon seit den 1970er Jahren Kapitaleinkommen und Unternehmensgewinne geradezu explodiert. Ähnlich beim Vermögen: Hierzulande besaßen im Jahr 2007 die unteren 60 Prozent der Bevölkerung nur etwa 2,8 Prozent der Vermögen – die obersten zehn Prozent besaßen hingegen 61 Prozent der Vermögen, davon wurden alleine 23 Prozent der Vermögen durch das reichste Prozent der Bevölkerung besessen. Höhere Steuern auf hohe Einkommen, Gewinne und Vermögen können dazu beitragen, diese ungerechte Ungleichheit durch Umverteilung zumindest partiell zurückzuführen.
4. Die öffentlichen Haushalte haben keineswegs zu hohe Ausgaben, im Gegenteil. Deutschland beschäftigt heute weniger Menschen im öffentlichen Dienst als die allermeisten anderen Industriestaaten (nämlich nur etwa 14 Prozent der Beschäftigten – beispielsweise sind es in Norwegen fast 35 und in Großbritannien immerhin noch fast 20 Prozent). Deutschland hatte in den letzten Jahren vor der Krise zudem die geringsten Ausgabesteigerungen aller Industriestaaten (außer Japan), inflationsbereinigt gingen die öffentlichen Ausgaben hierzulande sogar zurück. Die geringen öffentlichen Ausgaben gefährden die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Institutionen und die Zukunft dieser Gesellschaft – und sie sind mitverantwortlich für den nachfolgenden fünften Punkt:
5. In Deutschland ist ein enormer Investitionsbedarf aufgelaufen, weil jahrzehntelang zu wenig investiert wurde. Beispiel Öffentlicher Personennahverkehr: Alleine bei den Ausgaben für kommunale ÖPNV-Infrastrukturinvestitionen dürfte sich der Investitionsrückstand 2011 auf knapp 100 Mrd. Euro belaufen haben. Dieser Rückstand wird voraussichtlich auch in der Zukunft nicht abgebaut werden. 76 Prozent der Gemeinden und 59 Prozent der Landkreise sehen sich nach eigener Aussage nicht in der Lage, die dafür notwendigen Investitionsausgaben zu tätigen. Beispiel Bildung: Um die Ausgaben für das Bildungswesen (Kitas, Schule, Hochschule, Weiterbildung) auf ein Niveau zu heben, das uns zu Recht von einer „Bildungsrepublik“ sprechen lassen würde, wären jährlich etwa 56 Mrd. Euro Mehrausgaben notwendig. Hinzu kommen einmalige Ausgaben von etwa 45 Mrd. Euro, um den Investitionsrückstand für Bildungsinfrastruktur zu beheben.
6. Die Schuldenbremse zwingt zu ausgeglichenen Haushalten. Auch wenn die Schuldenbremse ökonomisch falsch und fatal ist, und auch wenn sie besser (gemeinsam mit dem europäischen Fiskalpakt) wieder abgeschafft würde – sie ist vorerst Realität. Ohne deutliche Mehreinnahmen droht sie, noch mehr Ausgabenkürzungen zu provozieren, was die Krise in Europa, die Einschränkung der öffentlichen Handlungsfähigkeit, die soziale Ungleichheit und den Investitionsstau verschärfen würde.
7. In Deutschland sind Steuern auf Vermögen im Vergleich sehr niedrig. Sowohl verglichen mit anderen Industriestaaten als auch verglichen mit früheren Jahrzehnten besteht bei der Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften noch großer Spielraum nach oben. Noch 1990 betrug der Anteil von Vermögensteuern an den Gesamtsteuereinnahmen in Deutschland etwa 3,5 Prozent, heute sind es nur noch knapp über zwei Prozent. In den USA und Großbritannien beträgt er hingegen über zwölf, in Frankreich und der Schweiz knapp acht Prozent.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.