Rechtspopulismus in Europa - Gründe und Hintergründe
29. April 2014 | Patrick Schreiner
Droht Europa nach rechts zu rutschen? Nicht nur aktuelle Umfragen im Vorfeld der Europawahlen legen diese Befürchtung nahe. Schon in den letzten Jahren hatten Rechtspopulist/inn/en und extrem Rechte in verschiedenen Ländern unseres Kontinents beachtliche Wahlerfolge errungen.
Einige Beispiele: In Griechenland zog 2012 mit der "Goldenen Morgenröte" eine offen neonazistische Partei gleich zweimal ins nationale Parlament ein. Im ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen erreichte Marine Le Pen, Kandidatin des Front National (FN), 17,9 Prozent der Stimmen, dies war das beste jemals erzielte Ergebnis eines FN-Präsidentschaftskandidaten. Bei den französischen Parlamentswahlen im gleichen Jahr legte die Partei um über 9 Prozent zu und erreichte 13,6 Prozent. Bei den Nationalratswahlen in Österreich erhielten 2013 die rechte FPÖ und das populistische Team Stronach um den Unternehmer Frank Stronach zusammen über 26 Prozent der Stimmen. In Ungarn lässt die Regierungspartei FIDESZ seit Jahren eine deutliche Abgrenzung gegenüber der extrem rechten Jobbik vermissen, die 2010 mit 16,7 Prozent ins Parlament eingezogen war. Und auch in mehreren skandinavischen Ländern konnten die Rechten wiederholt – teilweise deutliche – Wahlerfolge erringen.
Sieht man sich aktuelle Wahlumfragen wie auch die Ergebnisse zurückliegender Wahlen an, so fällt auf: Ein allgemeines Muster gibt es nicht. Rechtspopulistische und extrem rechte Parteien finden sowohl in Westeuropa als auch in Osteuropa Zulauf. Sie sind in nordeuropäischen Ländern wie auch in südeuropäischen Ländern zunehmend stark. Es gibt sie in Mitgliedstaaten des Euroraums wie auch in EU-Staaten außerhalb dessen, es gibt sie in wirtschaftlich starken Ländern ebenso wie in Krisenländern.
Gering ist die Zahl der Länder, in denen die Rechten auf gesamtstaatlicher Ebene bislang nicht punkten konnten. Mit dem Scheitern der selbsternannten „Alternative für Deutschland“ („AfD“) bei der Bundestagswahl 2013 blieb Deutschland eines dieser Länder. Mit der bevorstehenden Europawahl könnte sich das ändern: Nicht nur, weil hier die Fünf-Prozent-Hürde nicht gilt, und auch nicht nur, weil die „AfD“ bei Umfragen gut dasteht, sondern auch, weil (nicht nur in Deutschland) die Europawahl oft genutzt wird, um „die da oben“ abzustrafen. Ein Umstand, der möglicherweise gerade in Krisenzeiten besonders zum Tragen kommt.
Die Krise und die Rechte
Tatsächlich ist der derzeitige Aufschwung des Rechtspopulismus in Europa von der Finanz- und Wirtschaftskrise und ihrer autoritären und unsozialen Bearbeitung nicht zu trennen. Die zunehmende Prekarisierung und Verelendung weiter Teile der Bevölkerung in vielen Ländern führt zu einer erhöhten Anfälligkeit für entsprechende Ideologien. Wer um die eigene Existenz fürchtet, geht offenbar schnell(er) jenen auf den Leim, die einfache Erklärungen und Lösungen auf Kosten von Minderheiten anbieten. Eine Entschuldigung für rechtes Denken kann dies zwar nicht sein, verschließen sollte man die Augen vor diesem Zusammenhang allerdings auch nicht.
Verelendung stellt gleichwohl nur einen von mehreren Faktoren dar, auf den sich der aktuelle Aufschwung des Rechtspopulismus in Europa stützt. Ein weiterer ist das bisweilen fragwürdige Argumentieren von Medien, nicht-rechten Parteien und Regierungen. So ist der politische Diskurs beispielsweise in vielen Ländern, die bisher vergleichsweise glimpflich durch die Krise gekommen sind, von einer großen Überheblichkeit angesichts der eigenen wirtschaftlichen „Erfolge“ geprägt. Neben Österreich, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern ist auch Deutschland dieser Gruppe zuzuordnen. Die (oft genug grundlose) Überzeugung, „es“ richtig gemacht zu haben, führt dann rasch zu nationalistischen und ausgrenzenden Schuldzuweisungen an jene Länder, die in veritablen Krisen stecken. Spätestens wenn in politischen Diskussionen zusätzlich die Angst geschürt wird, für andere Länder „zahlen“ zu müssen und „von denen“ übervorteilt zu werden, können Rechtspopulisten unmittelbar an diese Argumentation anknüpfen.
In eine ähnliche Richtung wirken nationalistische und ausgrenzende Diskurse auch jenseits wirtschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Wenn demokratische Parteien und Regierungen in Frankreich und Italien mit Vorurteilen gegen Roma punkten wollen, rollen Sie dem Front National und der Lega Nord argumentativ den roten Teppich aus. Wenn in Griechenland Regierungen massiv gegen Flüchtlinge vorgehen, braucht sich niemand zu wundern, wenn die neonazistische „Goldene Morgenröte“ ideologisch und rhetorisch daran anknüpfen kann. Und wenn in Deutschland gegen angebliche „Armutszuwanderung“ und angeblichen „Sozialtourismus“ gehetzt wird oder wenn bestimmte Immigrant/inn/en als „unnütz“ gebrandmarkt werden, so profitiert davon die „Alternative für Deutschland“.
Ideologische Hintergründe
Es ist einigermaßen schwer, den Rechtspopulismus gegenüber der extremen Rechten auf der einen Seite und gegenüber Konservatismus und Liberalismus auf der anderen Seite abzugrenzen. So ist beispielsweise die Frage keineswegs einfach zu beantworten, ob der französische Front National noch rechtspopulistisch oder schon extrem rechts ist; die ungarische FIDESZ weist rechtspopulistische, aber auch (rechts-) konservative Elemente auf. Doch selbst wenn die Grenzen fließend sind, so lassen sich Merkmale ausmachen, die es zumindest näherungsweise ermöglichen, eine rechtspopulistische Partei als solche zu bestimmen:
- Rechtspopulisten beanspruchen, „den“ Willen „des Volkes“ gegenüber traditionellen Parteien, Eliten, Medien und Institutionen in Stellung zu bringen. Dabei vertreten sie einen strikten Dualismus zwischen unten und oben, der allerdings keineswegs auf egalitären Ideen beruht. Vielmehr ist die Vorstellung, dass Menschen ungleich (im Sinne von ungleichwertig) seien, zentraler Bestandteil rechtspopulistischen Denkens. Dies sei an zwei Beispielen verdeutlicht: (1) Interessengegensätze etwa zwischen Kapital und Arbeit haben in diesem Dualismus keinen Raum, sie werden in der Vorstellung eines einheitlichen und einigen „Volkes“ ausgeblendet – folgerichtig gehören auch Gewerkschaften (mit ihrer egalitären Programmatik) zu den „Eliten“, zum „System“, und damit zu den Feindbildern des Rechtspopulismus. (2) Die für den Rechtspopulismus typischen Attacken auf einen vermeintlichen Zwang zur „Political Correctness“ zielen auf das angebliche Recht, Menschen mit bestimmten (in den Augen der Rechtspopulisten unerwünschten) Eigenschaften sprachlich und politisch abwerten zu dürfen – ein angebliches Recht „des Volkes“, das von „denen da oben“ unterdrückt werde.
- Das zweite Beispiel deutet schon an, dass das „Volk“, für das die Rechtspopulisten zu sprechen beanspruchen, nur einen Bruchteil der Menschen eines Landes darstellt. Der Rechtspopulismus ist (unter anderem) nationalistisch, rassistisch, unsozial und homophob. Dies führt dazu, dass eine große Zahl an Menschen schlicht nicht zu dem „Volk“ der Rechtspopulisten gehören und gehören sollen: Ausgegrenzt werden beispielsweise Menschen mit der falschen Herkunft, Religion oder Hautfarbe wie auch nicht-heterosexuelle Menschen, sehr oft auch Menschen ohne Arbeit und arme Menschen.
- Zumindest in ihrer offiziellen Programmatik erheben Rechtspopulisten allerdings nicht den Anspruch, dass das eigene Land bzw. das eigene „Volk“ besser oder höherwertiger sei als andere Länder bzw. „Völker“. Gefordert wird vielmehr – etwa unter dem Schlagwort eines „Europa der Vaterländer“ – ein Nebeneinander formal gleicher Nationen mit voneinander abgegrenzten Bevölkerungen und „Kulturen“. Hier gibt es eine deutliche Schnittmenge zwischen dem Rechtspopulismus und der so genannten „Neuen Rechten“. Es ist gleichwohl hinzuzufügen, dass die politische Praxis des Rechtspopulismus oft genug anders aussieht, sprich sehr wohl von der Abwertung anderer Länder und ihrer Bevölkerungen geprägt ist.
- Rechtspopulistische Parteien verstehen sich weniger als Parteien denn als soziale Bewegungen. Folgerichtig tragen sie auch nur selten den Begriff der „Partei“ im Parteinamen. Ihr Selbstverständnis als Bewegung korrespondiert direkt mit der Idee, „das Volk“ gegen die Eliten in Stellung zu bringen.
- Charismatische Führungsfiguren (wie etwa Marine Le Pen / Front National, Geert Wilders / Partij voor de Vrijheid oder einst Jörg Haider / FPÖ) spielen für rechtspopulistische Parteien eine zentrale Rolle. Ideologisch gelten sie ihnen als eine Art Sprachrohr, das den Willen „des Volkes“ gegenüber den Eliten zum Ausdruck bringt. Dahinter steht allerdings nicht die Idee politisch-demokratischer Repräsentation, sondern die Vorstellung einer plebiszitären Verkörperung eines einheitlichen und geschlossenen „Volkswillens“. Für Identität und Zusammenhalt der Partei sind diese Führungsfiguren von enormer Bedeutung.
- Rechtspopulisten verstehen sich – trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber etablierten Parteien, Organisationen und Institutionen und trotz ihrer undemokratischen inneren Struktur – als demokratischer Bestandteil der Mehrheitsgesellschaft. Sie akzeptieren überdies das Gewaltmonopol des Staates und lehnen folgerichtig Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzungen ab.
Was tun gegen rechts?
Die beste Medizin gegen rechts ist eine Politik, die konsequent auf Menschlichkeit, Solidarität und sozialen Ausgleich setzt – eine Politik, die blind ist gegenüber Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientierung. Wer hingegen meint, Menschen, Länder und Gesellschaften zueinander in Konkurrenz setzen zu müssen, und wer meint, Vorteile auf Kosten Schwächerer erlangen zu können, der wird Misstrauen, Hass und Ausgrenzung provozieren.
Im Kampf gegen Rechtspopulismus und gegen extrem Rechte kann die Bedeutung von antifaschistischer und antirassistischer Bildungsarbeit kaum überschätzt werden. Dafür braucht es entsprechende finanzielle Mittel und inhaltliche Konzepte sowohl in der Jugendarbeit als auch in der Erwachsenenbildung. Sozialwissenschaftliche Forschung zu rechtem und rassistischem Gedankengut liefert wichtige Erkenntnisse, mit denen pädagogisch wie auch politisch gegen rechts gearbeitet werden kann.
Die beste Bildungsarbeit und die beste Sozialforschung müssen allerdings wirkungslos bleiben, solange ausgrenzendes Denken Bestandteil der politischen Diskurse auch demokratischer Medien, Parteien, Organisationen und Regierungen ist und bleibt.
Lesetipps und Quellenangaben
- Phillip Becher (2013): Rechtspopulismus. Köln: PapyRossa.
- Sebastian Friedrich / Patrick Schreiner (Hg., 2013): Nation – Ausgrenzung – Krise. Kritische Perspektiven auf Europa. Münster: edition assemblage.
- Alexander Häusler (2013): Die „Alternative für Deutschland“ – eine neue rechtspopulistische Partei? Materialien und Deutungen zur vertiefenden Auseinandersetzung. http://www.boell-nrw.de/downloads/AFD_Studie_FORENA_HBS_NRW.pdf.
- Thomas Konicz (2013): Neoliberaler Extremismus. Wie die neoliberale Hegemonie die Formierung der europäischen Neuen Rechten befördert. http://www.gegenblende.de/-/Xvn.
- Nora Langenbacher, Britta Schellenberg (Hg., 2011): Europa auf dem „rechten“ Weg? Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa. http://library.fes.de/pdf-files/do/08337.pdf.
Dieser Text erschien zuerst als Flugblatt "Vision Europa" der Friedrich-Ebert-Stiftung Niedersachsen. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.