TTIP: Wie Spiegel Online den gar nicht so mutigen Wahlkampf-Grünen auf den Leim ging
7. März 2014 | Patrick Schreiner
Am heutigen Freitag überraschte Spiegel Online seine Leserinnen und Leser mit der Nachricht, die Grünen hätten ein „vertrauliches Papier ins Netz gestellt“. Blöd nur, dass das Dokument schon längst bekannt ist. Ein Schelm, wer an Wahlkampf dabei denkt.
Das Dokument, um das es geht, ist das Mandat der Europäischen Kommission für die Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit den USA, datiert auf den 17. Juni 2013. Die Grünen haben, um dieses zu „leaken“, eigens eine Webseite eingerichtet: http://www.ttip-leak.eu/ Dort schreiben sie:
Erstes Leak des deutschsprachigen TTIP Mandats für die Geheimverhandlungen zwischen EU und USA
Auf sprachliche Feinheiten kommt es an: Tatsächlich nämlich veröffentlichen die Grünen hier erstmals die deutschsprachige Fassung des Dokuments, die englischsprachige hingegen ist schon seit Monaten bekannt. Ein Umstand, der allerdings bis zur Redaktion von Spiegel Online nicht vorgedrungen zu sein scheint. Dort schreibt man:
Drei grüne Europapolitiker haben ein vertrauliches Papier ins Netz gestellt. Darin sind die Leitlinien des EU-Rates für das geplante Freihandelsabkommen mit den USA aufgelistet. Kritiker hatten stets moniert, Brüssel verschweige wichtige Informationen - nun kann jeder die Details nachlesen. (…) Sven Giegold, Rebecca Harms und Ska Keller brechen damit ein Tabu. Allerdings wohlkalkuliert. Seit Monaten werfen Freihandels-Kritiker der EU-Kommission vor, grundlegende Informationen zu den Verhandlungen mit Washington über die "Transatlantic Trade and Investment Partnership" (TTIP) zu verheimlichen. Die drei Brüsseler Grünen-Spitzen ändern das nun - radikal.
EU-Handelskommissar Karel De Gucht wird auch weiterhin ruhig schlafen können: Es ist gewiss kein „Tabubruch“ und gewiss nicht „radikal“, ein Dokument zu veröffentlichen, dessen Inhalte im Detail längst bekannt sind. Auch braucht es für ein längst bekanntes Dokument keineswegs eine derart reißerische und aufgebauschte Webseite, wie sie sich die Grünen gebastelt haben. (Immerhin: Spiegel Online beschreibt durchaus anschaulich den reißerischen Charakter der grünen Leak-Seite.)
„Wohlkalkuliert“, um die Spiegel-Online-Vokabel zu gebrauchen, ist an dieser Angelegenheit wohl vor allem eines: der Nutzen im Europa-Wahlkampf.
Übrigens hat Zeit Online, nach Spiegel Online, den zweiten Bericht zu dieser Causa veröffentlicht. Dort wird immerhin eingeräumt, dass das Dokument in englischer Sprache längst veröffentlicht ist.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.