Katar und die Fußball-WM: Arbeit ohne Rechte
6. Mai 2014 | Florian Schubert
Teils menschenverachtende Arbeitsbedingungen herrschen auf den Baustellen der Stadien für die Fußball-Weltmeisterschaft (WM) in Katar. Nach dem Willen des Weltfußballverbandes FIFA soll das größte Sportereignis auf diesem Globus 2022 in dem Wüstenstaat ausgetragen werden.
Südafrika, das Land richtete 2010 die WM aus, ist von der öffentlichen Kritik noch einigermaßen verschont worden. Zu groß war die Freude, dass der Staat das Turnier nur 16 Jahre nach dem Ende der Apartheid ausrichten und der Welt präsentieren konnte, wie viel er in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit bereits erreicht hatte. Nur am Rande berichteten die Medien über Zwangsumsiedlungen in Südafrika und die Proteste dagegen. Das Ergebnis: Die Kehrseite des Großereignisses ist in der Öffentlichkeit in Deutschland kaum wahrgenommen worden. Bekannter ist dagegen die Kampagne zur WM in Katar. Anfänglich machte sich die Kritik an der Hitze fest, die das Fußballspielen im Sommer erschweren würde. Die Stadien, das machten Experten deutlich, wiesen eine schlechte Ökobilanz aus, weil immense Kühlmaßnahmen notwendig seien, damit die Fußballspiele ausgetragen werden können.
Doch nachdem der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) eine breite Kampagne zu den sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen in dem kleinen Wüstenstaat gestartet hat, wird der Weltöffentlichkeit immer klarer, welche Fehlentscheidung die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) getroffen hat: Sie hat die Ausrichtung
der WM einem Staat übertragen, der sich durch fehlende Demokratie und inhumane Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auszeichnet. Deshalb lautet das Ziel des IGB-Vorstoßes: Neuvergabe der WM an ein anderes Land.
Es ist nicht das erste Mal, dass eine Fußball-WM in einem Staat stattfinden soll, dessen politisches System mit demokratischen Grundsätzen nichts am Hut hat. Erinnert sei an die WM 1978 in Argentinien, als die deutsche Nationalmannschaft in ihrem Quartier, einem Luftwaffenerholungsheim, zu allem Überfluss auch noch von Nazi-Flieger Hans-Ullrich Rudel besucht wurde. Viele dachten, dass solche „Entgleisungen“ bei der Vergabe der Turniere der Vergangenheit angehören. Aber weit
gefehlt.
Ohne Rechte
In Katar leben zwei Millionen Menschen. Jeden Monat sterben hier rund 20 bis 30 Arbeiter auf den Baustellen des Landes. Nach internen Berichten des IGB sogar bis zu 120! Für den Bau der Stadien und die Einrichtung der Infrastruktur für die Fußball-WM werden fast ausschließlich Arbeitsmigranten aus Südostasien eingesetzt. Sie stellen weit über 90 Prozent der gesamten Arbeitnehmerschaft in Katar. Das staatliche Arbeitsrecht gilt für sie nicht. Arbeitsmigranten besitzen in Katar keine soziale Absicherung, das Recht auf eine Krankenversicherung wird ihnen verwehrt. Das Gehalt wird laut IGB oft verspätet oder gar nicht ausgezahlt. Die Menschen arbeiten zwölf Stunden am Tag. Pausen während der Schicht gibt es nicht – auch wenn die Sonne bei Temperaturen von 50 Grad Celsius vom Himmel brennt. Mahlzeiten werden während der Arbeitszeit meist nicht ausgegeben. Zudem ist es häufig verboten, während der Arbeit zu trinken. Arbeits- und Gesundheitsschutz auf den Baustellen: Fehlanzeige. Wege- und Arbeitsunfälle sind an der Tagesordnung – oft auch tödliche. Untergebracht sind die Arbeiter in sogenannten Workerscamps. Hier hausen sie in überfüllten und dreckigen Barracken. Die Massenunterkünfte haben keinen Strom und miserable sanitäre Anlagen. Die Camps liegen weit außerhalb der Wohngebiete und der sozialen Infrastruktur.
„Die Lebensbedingungen sind so unmenschlich, dass manche Arbeiter nur noch im Selbstmord einen Ausweg sehen“, sagt Tim Noonan, Pressechef des IGB. Bis heute hat Katar die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nicht ratifiziert. Genau das aber fordert der IGB.
Druck auf Baukonzerne
Über die miesen Arbeits- und Lebensbedingungen haben die Medien in den vergangenen Wochen und Monaten viel berichtet. Nicht zuletzt ein Erfolg auch des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der die Kampagne des IGB unterstützt. Das Engagement des DGB gegenüber dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) hat dazu geführt, dass Präsident Wolfgang Niersbach im November 2013 ein Treffen mit FIFA-Chef Joseph Blatter organisierte. Daraufhin hat sich die FIFA erstmals öffentlich kritisch zu den Arbeitsbedingungen in Katar geäußert. Ziel der Gewerkschaftsaktivitäten ist jetzt, Druck auf die internationalen Konzerne, die in Katar bauen, auszuüben.
Das Land hat weltweit Stiftungen gegründet. So will der Wüstenstaat international Einfluss gewinnen. Insbesondere im Bildungsbereich versucht Katar mit Hilfe der Quatarfoundation, seine Position zu stärken. Das Land plant für die Zeit nach dem Öl- und Gasboom. Dafür benötigt es ausgebildete Arbeiterinnen und Arbeiter. Katar weiß, dass Bildung nicht über Nacht entsteht und schießt massiv Geld in Kooperationen mit Hochschulen in anderen Staaten. Zudem lassen sich Kataris im Ausland ausbilden, damit sie später an den Universitäten des Landes lehren können. Aber auch die Schulbildung wird reformiert und den modernsten Standards angeglichen. Durch die weltweiten Kooperationen ist Katar mittlerweile einer der größten Mitspieler im weltweiten Bildungssektor geworden. „Education City Campus“ hat Kooperationen mit weltweit acht Universitäten aufgebaut. Daneben organisiert das Land seit 2009 das „World Innovation Summit for Education“. Dies ist einer der weltweit größten Kongresse, um über Schulbildung zu debattieren. Hier wird jährlich ein mit 500 000 Dollar dotierter Preis für Bildung vergeben.
Die internationale Gewerkschaftsfamilie geht mit der Katar-Kampagne neue Wege. Selten waren Kampagnen in den vergangenen Jahren so langfristig angelegt wie diese. Die Unterstützung für das Projekt ist enorm. Allein die Zahl der Gewerkschaftsverbände, die sich gemeinschaftlich an der Kampagne beteiligen, ist beeindruckend: Von der AFL-CIO in den USA über die Federation of Independent Trade Unions of Russia bis hin zum All-Chinesischen Gewerkschaftsbund sowie diversen europäischen Gewerkschaften.
Langer Atem
„Ob es zu der avisierten Neuvergabe des Turniers kommt, wenn sich in Katar nichts an den Arbeitsbedingungen ändert, ist noch nicht abzusehen. Das Engagement der Gewerkschaften soll darüber hinaus aber vor allem eine nachhaltige Verbesserung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bringen“, betont Noonan. Die WM bietet die Chance, Katar unter Druck zu setzen – zum Beispiel im Bildungsbereich: Hier können die Vereinten Nationen (UN) deutlich machen, dass eine weitere Zusammenarbeit so lange nicht gewünscht ist, wie sich die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter im Land nicht verändert.
Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift "E&W" der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Wir danken für die Genehmigung zur Übernahme des Textes. Er ist von der CC-Lizenz gemäß Impressum ausgeschlossen; das Zitieren und das Verlinken des Textes ist erlaubt, nicht aber das Vervielfältigen/Kopieren.
Florian Schubert ist aktiv in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.