SPD sieht in EU-US-Freihandelsabkommen mögliche Vorteile für Arbeitnehmer/innen
14. Mai 2014 | Patrick Schreiner
Die SPD hat in einem Flugblatt Position zum drohenden EU-US-Freihandelsabkommen TTIP bezogen. Darin nennt sie fünf Punkte, die dafür sprechen sollen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch TTIP profitieren könnten. Kein einziger der fünf Punkte kann überzeugen.
Während Linke und Grüne dankenswerterweise deutlich Position gegen TTIP beziehen, tut sich die SPD mit einer kritischen Positionierung nach wie vor schwer. Obgleich kritische Stimmen aus der Partei nicht zu überhören sind und sich insbesondere an der Parteibasis Unmut breit macht, halten führende Politiker/innen der Partei daran fest, „Chancen und Probleme“ prüfen zu wollen.
Die SPD-Abgeordneten im Europaparlament haben nun ein Positionspapier „Befürchtungen ernst nehmen – Möglichkeiten ausloten“ veröffentlicht, in welchem sie diese Position erneut bekräftigen und fünf Gründe nennen, weshalb Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus SPD-Sicht von TTIP profitieren könnten („Chancen für Arbeitsplätze und Arbeitnehmerrechte“). Die Publikation soll wohl nicht zuletzt Argumente für den Europa-Wahlkampf liefern. Im Folgenden seien diese fünf Punkte zitiert und beurteilt. Dabei beschränke ich mich auf arbeitsrelevante Aspekte, auf kritische Anmerkungen beispielsweise aus demokratietheoretischer oder Verbrauchersicht verzichte ich:
1. Die USA sind der größte ausländische Absatzmarkt für europäische und deutsche Produkte. Der Abbau von Zöllen würde deutliche Kosteneinsparungen mit sich bringen.
Zölle spielen im transatlantischen Handel heute so gut wie keine Rolle mehr. Selbst wenn es für einzelne Produktgruppen noch nennenswerte Zölle gibt, dürfte deren Abbau für den transatlantischen Handel insgesamt kaum noch belebende Wirkung haben.
Hiervon einmal abgesehen, sollte die angebotstheoretische Behauptung, dass Kostenersparnisse der Unternehmen zu neuen Arbeitsplätzen oder zu Vorteilen für Arbeitnehmer/innen führen, zehn Jahre nach der Agenda 2010 gerade von Sozialdemokrat/inn/en kritisch hinterfragt werden. Skeptisch machen sollte ferner folgender Umstand: Schon bei früheren Freihandelsverträgen wurde seitens der Befürworter/innen mit der angeblichen Schaffung von Arbeitsplätzen argumentiert. Doch nicht nur bei den beiden prominentesten Freihandelszonen – der nordamerikanischen NAFTA und dem europäischen Binnenmarkt – sind die versprochenen neuen Arbeitsplätze ausgeblieben.
Und ob es den Arbeitsrechten in Europa zum Vorteil gereicht, wenn europäische Arbeitnehmer/innen und Unternehmen einer noch direkteren Konkurrenz durch einen Wirtschaftsstandort mit deutlich schlechteren Arbeitsrechten ausgesetzt werden – auch das kann des Weiteren getrost bezweifelt werden. (Details hierzu folgen unten.)
2. Die Abschaffung von bestehenden US-Handelshemmnissen für europäische Produkte und Dienstleister und der verbesserte Zugang zum US-Markt für Öffentliche Beschaffung können neue Absatzmärkte für EU-Unternehmen schaffen.
Aber: Umgekehrt wird der europäische Markt für US-Unternehmen geöffnet. Was in den USA dann an Marktanteilen gewonnen wird, kann in Europa umgekehrt genauso wieder an US-Unternehmen verloren gehen – oder sogar noch mehr. Außenhandel ist ein Nullsummenspiel, sofern man nicht davon ausgeht, dass größere Märkte und stärkerer Handel auch das Wachstum treiben. Die wachstumstreibenden Effekte von TTIP aber sind mehr als bescheiden, wie selbst die Studien zeigen, die von der EU-Kommission in Auftrag gegeben wurden (wenn es solche Effekte überhaupt gibt).
Und noch eine Anmerkung zum „Zugang zum US-Markt für Öffentliche Beschaffung“: Dass es ein Fortschritt sein soll, wenn deutsche, spanische oder polnische Bauunternehmen öffentliche Schulen in Kentucky oder Seattle bauen oder ein Bauunternehmen aus New Mexiko eine Autobahn in Italien errichtet, das kann weder aus ökonomischer noch aus ökologischer noch aus sozialer Perspektive einleuchten.
3. Durch Vereinbarungen zu technischen Standards können doppelte Zulassungsverfahren und aufwändige Einfuhrformalitäten vermieden werden, wodurch vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) unnötige Kosten einsparen würden.
Einmal mehr gilt: Die angebotstheoretische Behauptung, dass Kostenersparnisse der Unternehmen zu neuen Arbeitsplätzen führen, sollte gerade von Sozialdemokrat/inn/en kritisch hinterfragt werden. (Von der Gefahr, dass mit „Vereinbarungen zu technischen Standards“ quasi durch die Hintertür durchaus Standards gesenkt werden können, einmal abgesehen.)
Nicht einleuchten kann zudem, dass insbesondere "KMUs" unnötige Kosten einsparen können sollen. So ist die Exportorientierung großer Unternehmen sehr viel ausgeprägter als die mittlerer oder gar kleiner Unternehmen. Der Kioskbesitzer um die Ecke hat von TTIP ebensowenig zu erwarten wie die Alleinerziehende mit Nagelstudio oder der Handwerksbetrieb mit drei Angestellten. Von Freihandel profitieren exportorientierte Unternehmen, und das sind vorwiegend große Firmen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass auch die "KMUs" selbst sich vom Freihandelsabkommen offenbar nichts versprechen.
4. TTIP bietet die Möglichkeit, die Arbeitnehmerrechte in den USA zu stärken. Dafür sollte TTIP die USA dazu verpflichten, die grundlegenden ILO-Standards zu ratifizieren und umzusetzen.
Wie ich an anderer Stelle ausführlich begründet habe, hilft eine Orientierung an den ILO-Kernarbeitsnormen nicht im Mindesten. Fragwürdig sind solche Argumentationen aber vor allem auch, weil die vorrangige Problematik von TTIP und Freihandelsabkommen nicht in der Unterschiedlichkeit von Schutzstandards gründet, sondern in den Intentionen und Effekten solcher Abkommen schlechthin. Wenn Märkte geöffnet, Kapitalbeweglichkeit erhöht, öffentliche Beschaffung liberalisiert und öffentliche Dienstleistungen für private Anbieter zugänglich gemacht werden, dann geraten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verschiedener Länder in unmittelbare und verschärfte Konkurrenz zueinander. Nichts anderes ist „Globalisierung“, und nichts anderes verfolgen neoliberale Freihandelsfreund/inn/en seit 40 Jahren. Und nun will man diese Liberalisierungen durch TTIP fortsetzen und ausweiten. Der Druck auf soziale Standards und auf Arbeitsstandards war schon in der Vergangenheit ein wesentlicher Effekt solcher Abkommen, er ist es noch und würde sich durch TTIP erhöhen. Und das völlig unabhängig davon, wer irgendwelche ILO-Kernarbeitsnormen unterschrieben hat und wer mit welchen Schutzniveaus in einen „gemeinsamen Markt“ hineingeht.
5. In einer globalisierten Wirtschaft können mit dem Abkommen weltweit Regeln und hohe Standards gesetzt und unser europäisches Sozialmodell verankert werden.
Das ist eine inhaltlich richtige Aussage – nur dass genau die hier erhobene Forderung einheitlicher hoher Sozialstandards nicht im Mindesten Teil der TTIP-Verhandlungen ist. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in diesem Zusammenhang in seiner TTIP-Stellungnahme als Mindestbedingung für ein solches Abkommen zu Recht Folgendes notiert:
Ein Ziel des Abkommens mit den USA muss es aus Sicht der Gewerkschaften sein, überall für eine Verbesserung des Schutzes von Arbeitnehmerrechten zu sorgen. Das heißt auch, überall Standards für Arbeitnehmerrechte, die industriellen Beziehungen und die Mitbestimmungsrechte zu etablieren, die mindestens dem höchsten Niveau entsprechen, das bislang in einem Land erreicht wurde. Es bedarf einer expliziten Klausel im Abkommen, die einen Abbau von Arbeitnehmerrechten und Sozialstandards verbietet und den jeweils höchsten erreichten Standard absichert.
Das bedeutet: Alle beteiligten Länder müssen ausnahmslos mindestens die Standards für Arbeitnehmerrechte, industrielle Beziehungen und Mitbestimmung desjenigen Landes übernehmen, das hinsichtlich des jeweiligen Standards das höchste Niveau erreicht hat. Und dieses Niveau ist insofern abzusichern, als ein Abbau von Arbeitnehmerrechten und Sozialstandards für alle Zeiten verboten wird. Unter diesen, und nur unter diesen Bedingungen wäre TTIP akzeptabel, ja sogar ein Fortschritt. Allerdings würde das Kapital die Lust auf TTIP dann gewiss rasch verlieren. Und deshalb spricht in Brüssel und Washington niemand hierüber.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.