TTIP: Welche Standards wollen sie eigentlich setzen?
29. April 2015 | Patrick Schreiner
Eine immer wiederkehrende Formulierung der Freihandels-BefürworterInnen ist jene von den hohen Standards, die man mit TTIP und ähnlichen Abkommen setzen wolle. Denn wenn "wir" das nicht tun, dann setzten in Zukunft "die Chinesen" (niedrigere) Standards. Darin sind sich die Freihandels-FreundInnen einig. Fragt sich nur: Welche Standards sind da eigentlich gemeint? Diesbezüglich herrscht offenbar keine Einigkeit mehr.
Der US-Handelsbeauftragte Michael Froman will angeblich Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards mit dem EU-US-Freihandelsabkommen TTIP voranbringen, so behauptete er jedenfalls gegenüber der Tagesschau:
Mit einem Freihandelsabkommen könnten wir Standards setzen, gegenüber Drittländern und der ganzen Welt: bei Arbeitnehmerrechten, Umweltstandards oder dem Schutz des geistigen Eigentums.
Mit dieser Aussage steht er nicht alleine, auch der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel äußerte sich entsprechend:
Es geht also letztlich darum, ob wir versuchen, gute Standards zu setzen oder uns an schlechtere anpassen müssen.
Wie aus dem eben verlinkten Bericht weiter hervorgeht, meint auch Gabriel hier soziale und ökologische Standards. Und auch laut Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zielt TTIP nach eigener Aussage darauf, solche Standards zu setzen:
Außerdem gibt [ein Freihandelsabkommen] uns die Möglichkeit, Standards zu setzen, im Verbraucherschutz, im Umweltschutz, im sozialen Bereich.
Nun kann man allerdings getrost bezweifeln, dass es bei Freihandelsabkommen wie TTIP darum geht, hohe soziale oder ökologische Standards zu setzen. Das ist ein Mythos, und gewiss nicht der einzige. In Freihandelsabkommen verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten nicht, ihre sozialen oder ökologischen Standards auf hohem oder gar höchstem Niveau einander anzugleichen. Im Gegenteil dürfte längst bekannt sein, dass Standards durch solche Abkommen unter Druck geraten, unter anderem aufgrund der zunehmenden Konkurrenz. (Nicht zuletzt heißen diese Verträge ja durchaus passend Freihandelsabkommen und nicht Fairhandelsabkommen.)
Und tatsächlich scheinen sich die Freihandels-BefürworterInnen nicht einig zu sein, welche Standards es denn eigentlich sind, die sie hochhalten wollen. Jedenfalls weicht der liberale Wirtschaftswissenschaftler und "Botschafter" der neoliberalen und arbeitgeberfinanzierten "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", Karl-Heinz Paqué, in einem interessanten Punkt von den obigen Zitaten ab, wenn er in einem jüngeren Beitrag schreibt:
Denn wenn der Westen heute nicht neue Standards im Welthandel setzt, werden es andere tun. Schwellenländer wie China oder Indien werden bald mächtige Spieler sein. Mit Blick auf die Integration der Weltwirtschaft und den Kampf gegen Armut ist das eine positive Entwicklung. Ohne ein Gegengewicht wie TTIP würde sie aber auch bedeuten, dass Länder mit eher staatskapitalistischen Strukturen und wenig gefestigter liberaler Tradition die Welthandelsordnung beeinflussen.
Darum geht es bei TTIP und Co. wohl tatsächlich: Regeln des internationalen Handels sollen nicht von Ländern gesetzt werden, die "staatskapitalistische Strukturen" aufweisen und denen eine "liberale Tradition" eher fehlt. Denn, so wäre zu schlussfolgern, dann könnten diese Regeln ja weniger freihändlerisch und weniger günstig für das Kapital ausfallen. Immerhin ehrlich.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.