Freihandel: Standards geraten unter Druck
26. Mai 2016 | Patrick Schreiner
Freihandelsabkommen wie "TTIP" oder "TISA" senken Standards nicht? An dieser Behauptung sind Zweifel angebracht. Um Löhne und Arbeitsbedingungen unter Druck zu setzen, genügt es, die Konkurrenz zwischen Ländern und Unternehmen zu intensivieren. Und genau das ist Ziel der Freihandelsabkommen.
In den 1990er Jahren hat die damalige CDU/CSU-FDP-Bundesregierung unter Helmut Kohl zahlreiche „Reformen“ durchgeführt. Man hat beispielsweise ein neues Arbeitszeitgesetz beschlossen, zahlreiche Sozialleistungen gekürzt und Steuern für Unternehmen gesenkt. Ab 1998 verfolgte die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder ähnliche Strategien: Die „Lohnnebenkosten“ und Steuern wurden weiter gesenkt, Arbeit billiger und flexibler gemacht.
All dies bedeutete nichts anderes als die Senkung von Standards. Und all dies diente letztlich einem Ziel: Die Unternehmen in Deutschland „wettbewerbsfähiger“ zu machen. „Globalisierung“ und „Standort Deutschland“ waren dafür die Stichworte – und sie sind es bis heute für die Politik von Brüssel bis Bad Bevensen.
All das hat viel mit Freihandel zu tun. Aktuell strebt die Europäische Union im Auftrag ihrer Mitgliedstaaten mehrere Freihandelsabkommen an, darunter mit den USA („TTIP“), mit Kanada („CETA“) sowie ein Dienstleistungsabkommen mit zahlreichen Staaten („TISA“). Ziel solcher Abkommen ist es, den Handel zwischen den beteiligten Ländern auszubauen. Sie stehen damit in der Tradition vergangener Freihandelsabkommen, durch die der globale Handel seit Jahrzehnten liberalisiert und intensiviert wurde. „Globalisierung“ ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde politisch gemacht.
Wenn nun aber der Handel zwischen verschiedenen Ländern und Regionen zunimmt, dann nimmt auch die Konkurrenz zwischen diesen Ländern und Regionen zu. Konkurrenz verschärft sich. Niedrigere Löhne, niedrigere Unternehmenssteuern und flexiblere Arbeitsbedingungen werden zum „Standortvorteil“. Es entstehen politische Anreize und Anlässe, Löhne sowie Steuern zu senken und den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren – all das auf Kosten der abhängig Beschäftigten.
Trotzdem versichern Freihandels-BefürworterInnen, man werde Standards nicht senken. Wie sie allerdings verhindern wollen, dass Staaten Billig-Strategien verfolgen, um sich in der verschärften Konkurrenz Vorteile zu verschaffen, sagen sie nicht. Sie verweisen allenfalls auf „Mindeststandards“. Die aber helfen nicht im Geringsten. Sie schützen höhere Standards nicht.
Die Gewerkschaften haben wiederholt gute Vorschläge zum Schutz von Standards gemacht. So heißt es im Beschluss des DGB-Bundeskongresses 2014 zu TTIP:
Ziel muss [...] sein, eine Annäherung von Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherstandards auf dem jeweils höchsten Niveau zu erreichen, um einen Dumpingwettbewerb auszuschließen.
Es gilt also, Standortkonkurrenz durch verbindliche Höchststandards auszuschalten. Oder mit anderen Worten: Es gilt Bedingungen zu schaffen, in denen es für „Reformpolitik“ à la Kohl und Schröder keinen Anreiz und keinen Anlass mehr gibt.
Der Artikel erschien zuerst in den Maizeitungen 2016 der nördlichen DGB-Regionen des DGB-Bezirks Niedersachsen - Bremen - Sachsen-Anhalt.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.