Große Lücken bei der sozialen Absicherung Solo-Selbstständiger
27. April 2016 | Markus Krüsemann
Um die soziale Absicherung Solo-Selbstständiger steht es schlecht. Vielen droht mangels ausreichender Rentenvorsorge Altersarmut. Doch auch in den anderen Sozialversicherungszweigen zeigen sich Probleme, die letztlich nur mit einer tiefgreifenden Reform der sozialen Sicherungssysteme behoben werden können.
Für manchen mag es verlockend klingen: Statt abhängig beschäftigt zu arbeiten, lieber sein „eigener Chef“ sein. Das verspricht höhere Unabhängigkeit, Flexibilität und Entscheidungsfreiheit sowie die Chance auf einen durch hohe Gewinne erreichbaren besseren Lebensstandard. Die Kehrseite der Medaille bilden ein höheres Verdienstrisiko, oft erhebliche Mehrarbeit und eine geringere soziale Absicherung.
Die Risiken haben in den letzten Jahrzehnten immer weniger davon abgehalten, es angesichts des angespannten Arbeitsmarktes auf eigene Faust zu versuchen. Nicht zuletzt angestoßen durch die staatliche Förderung zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit zwischen 2003 und 2006 (Stichwort: Ich-AG) und die teilweise Abschaffung des Meisterzwangs 2004 (Novellierung der Handwerksordnung) stieg die Zahl der Solo-Selbstständigen von etwa 1,3 Millionen Anfang der 1990er Jahre bis 2012 auf annähernd 2,2 Millionen. Seitdem geht sie wieder leicht zurück. 2014 lag sie bei 2,05 Millionen.
Untersuchungen zur Einkommenssituation haben gezeigt, dass sich die Hoffnung auf große Gewinne eher selten erfüllt. Zwar kann ein Teil der Ein-Personen-Unternehmen durchaus weit höhere Einkommen als die große Mehrzahl der Erwerbstätigen für sich verbuchen, doch sehr viele kommen über nur geringe Einkünfte nicht hinaus, und etwa jeder dritte Solo-Selbstständige fällt sogar in den Niedrigeinkommensbereich. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Boom vor allem durch eine Zunahme von Kleingewerbetreibenden mit eher geringen Einkünften geprägt ist.
Versicherungsbeiträge zur sozialen Absicherung oft zu hoch
Wer als Kleinunternehmer nicht viel verdient, für den stellt die Frage der Absicherung sozialer Risiken wie Erkrankung, Berufsunfähigkeit und Existenzsicherung im Alter ein Problem dar. Vor allem die regelmäßige Entrichtung vergleichsweise hoher Beiträge zur Krankenversicherung überfordert nach einem Bericht des Handelsblatt viele Einzelselbstständige. Etwa 140.000 privat versicherte Solo-Selbstständige mit einem durchschnittlichen Einkommen von 10.000 Euro müssten 58 Prozent ihrer Einkünfte für den Krankenversicherungsschutz aufbringen. Wer in einer gesetzlichen Kasse versichert ist, müsse dafür 46,5 Prozent seiner Einkünfte aufbringen, so der Bericht.
Solo-Selbstständige, die die hohen Beiträge nicht oder nicht regelmäßig entrichten können, geraten in Zahlungsverzug und häufen nach und nach Beitragsschulden an. Immerhin ist es den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen seit Einführung der Versicherungspflicht nicht mehr möglich, Beitragsschuldnern zu kündigen. Doch wer privat krankenversichert ist, der landet im Notlagentarif, einer Art Grundsicherung, die nur die Behandlung unmittelbar lebensbedrohlicher Zustände abdeckt. Gesetzlich Krankenversicherte können trotz Beitragsschulden weiterhin alle Leistungen in Anspruch nehmen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch eine Ermäßigung der laufenden Beitragszahlung möglich.
Sicherungslücken bestehen aber auch im Hinblick auf die Alterssicherung. Bisher besteht nur für einige wenige Berufsgruppen (etwa Landwirte, Rechtsanwälte, Notare, Ärzte, Lehrer, Publizisten) eine Versicherungspflicht in der Rentenversicherung, allen anderen Solo-Selbstständigen ist es freigestellt, ob und wie sie für ihr Alter vorsorgen.
SPD Arbeitsgruppe denkt über Systemwechsel nach
Ausgerechnet die SPD, die im Zuge ihrer Arbeitsmarktreformen während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders die Menschen mit staatlichen Förderprogrammen in die Prekarität des Kleinunternehmertums gelockt hatte, sorgt sich jetzt um die Folgen. Eine von der SPD-Bundestagsfraktion eingesetzte Projektgruppe namens „#NeueZeiten – Arbeits- und Lebensmodelle im Wandel“ soll bis zum Sommer Vorschläge formulieren, wie eine bessere soziale Sicherung der Solo-Selbstständigen erreicht werden kann.
In ihrem Dialogpapier vom Februar 2016 zeigt sich die Arbeitsgruppe der grundlegenden Problematik (der Systemsplit in der sozialen Sicherung zwischen abhängig und selbstständig Erwerbstätigen) bewusst und fordert entsprechend den Einbezug aller Selbstständigen in die Sozialversicherung. Für die angestrebte Gleichbehandlung von Solo-Selbstständigen und abhängig Beschäftigten in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung müssen allerdings einige knifflige Detailfragen geklärt werden: Wie kann man das Problem schwankender Einkommen und Beitragszahlungen bei Einzelunternehmern in den Griff bekommen? Wie lässt sich das Problem des fehlenden Arbeitgeberbeitrags bei dieser Versichertengruppe ein spe lösen? Wie soll man mit gering verdienenden Solo-Selbstständigen verfahren, die die eigentlich erforderlichen Beiträge nicht aufbringen können?
Die ersten Antworten der Arbeitsgruppe darauf sind vielversprechend: Für den Zweig der Krankenversicherung fordert sie die Einführung einer Bürgerversicherung, was auf eine Zwangsmitgliedschaft aller Selbstständigen hinauslaufen würde. Für den Zweig der Rentenversicherung soll die Politik die Ausdehnung der Pflichtversicherung auf all jene Selbständigen, die bisher nicht in einem berufsständischen Versorgungswerk versichert sind, in Angriff nehmen. Man darf gespannt sein, inwieweit die vorgeschlagenen Reformoptionen bei der SPD-Führungsebene Gehör finden und welche konkreten Reformvorschläge anschließend daraus destilliert (und hoffentlich nicht verwässert) werden.
______________________________
Quellen:
Haun, D./ Jacobs, K. (2016): Die Krankenversicherung von Selbstständigen: Reformbedarf unübersehbar. In: Gesundheit und Gesellschaft Wissenschaft, 16. Jg., Nr. 1, S. 22-30.
SPD Bundestagsfraktion (2016): Für eine bessere soziale Absicherung von (Solo-) Selbständigen. Dialogpapier der Projektgruppe #NeueZeiten - Arbeits- und Lebensmodell im Wandel, Februar 2016.
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.