Der Erdogan-Versteher
18. Mai 2016 | Thorsten Wolff
Der Leiter des Auslandbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Türkei, Colin Dürkop, hat Verständnis für das autokratische Gebahren des türkischen Präsidenten Recep Erdogan. In einem Interview mit Deutschlandradio Kultur rechtfertigte er sowohl dessen faktische Ausschaltung der Opposition als auch dessen Streben nach einem Präsidialsystem. Der Fall ruft Erinnerungen wach an Äußerungen einer anderen bürgerlichen politischen Stiftung in einem früheren Fall.
Die wesentlichen Inhalte und Aussagen des Interviews hat die Redaktion auf ihrer Webseite gut zusammengefasst, aber auch das Original zum Nachhören findet sich dort.
Worum geht es? Die Parlamentsfraktion der türkischen Regierungspartei AKP beabsichtigt, die Immunität von 138 (!) Abgeordneten aufheben zu lassen, damit strafrechtlich gegen sie ermittelt werden kann. Betroffen ist davon insbesondere die linke HDP (50 ihrer 59 Abgeordneten droht die Aufhebung der Immunität). Vorwurf: Sie hätten sich nicht vom Terrorismus distanziert. Die Partei hatte immer wieder mit kritischen Äußerungen zu den staatlichen Aggressionen im Kurdengebiet wie auch zum autokratischen Kurs des Präsidenten Stellung bezogen. Wie die Interviewerin richtig mutmaßt, dürfte ein weiterer Beweggrund für Erdogans Vorgehen sein, dass dieser durch ein Scheitern der HDP bei den nächsten Parlamentswahlen wohl wieder eine über eine absolute Mehrheit verfügen würde. (Die Auseinandersetzungen im türkischen Parlament finden zudem nur wenige Tage nach dem Skandalurteil gegen zwei Journalisten statt, die wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Sie hatten über türkisch-staatliche Waffenlieferungen an islamistische Terroristen im syrisch-türkischen Grenzgebiet berichtet. Erdogan persönlich hatte daraufhin Strafanzeige gestellt.)
Colin Dürkop von der Konrad-Adenauer-Stiftung hat für das Vorgehen Erdogans gegen die Opposition gleichwohl Verständnis:
Ich denke, dass das harte Vorgehen gegen die HDP vor allem unter dem laufenden Anti-Terror-Kampf zu sehen ist. Denn die HDP gilt ja als sehr PKK-nah, teilweise auch als von der PKK kontrolliert. Und die HDP hat sich auch nicht explizit gegen den Terror ausgesprochen.
Dass dieses Vorgehen einen weiteren Schritt hin zu einem autoritären Präsidialsystem darstellt, findet Dürkop gleichfalls unproblematisch. Ganz im Gegenteil begrüßt er es sogar:
Nun, er [Erdogan] muss sehen, dass er zu seinem Ziel kommt. Alles wird diesem Oberziel untergeordnet, nämlich der Einführung des Präsidialsystems. Aber wenn man sich auch einmal anschaut, wie nach den Juniwahlen im letzten Jahr eine Uneinigkeit herrschte auch unter der Opposition, die hatten ja damals 60 Prozent der Stimmen gehabt auch im Parlament, aber waren nicht einmal fähig, einen gemeinsamen Parlamentspräsidentskandidaten aufzustellen. Insofern wird, ja, können sie sagen, es sicherlich ein Durchmarsch sein zur Erlangung dieses Präsidialystems in der Türkei, um auch Wegzukommen von der unguten Erfahrung in den 80er und 90er Jahren mit den chaotischen Koalitionsregierungen dieser Zeit. […] Bei einem Präsidialsystem haben Sie dann einen Ansprechpartner, und es wird dann keine Spannungen und keine Reibereien mehr geben zwischen dem Staatspräsidenten und dem Regierungschef.
Diese Rechtfertigung des Vorgehens des türkischen Präsidenten durch den Büroleiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung überrascht. Schließlich wird dieser auch in Teilen der CDU kritisch gesehen. Im aktuellen Fall hat unter anderem auch der CDU-Abgeordnete Elmar Brok eine Petition des Europaparlaments unterzeichnet, die Erdogans Vorgehen verurteilt. Sie trägt den Titel "Die Opposition zum Schweigen zu bringen, ist nicht der richtige Weg zur Lösung von Problemen".
Zugleich erinnern Dürkops Äußerungen an einen früheren Fall, nämlich an die Position der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung zum Staatsstreich in Honduras 2009. Damals hatte ein Bündnis aus Wirtschaftseliten und Militär den linken Präsidenten Manuel Zelaya gestürzt. Der damalige Büroleiter der Stiftung in dem mittelamerikanischen Land, Christian Lüth (heute AfD), sowie der Stiftungs-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt hatten das Vorgehen der Putschisten daraufhin nachdrücklich verteidigt – gegen alle Kritik und entgegen der Einschätzung quasi aller demokratischen Regierungen, die sich dazu geäußert hatten.
Thorsten Wolff ist freier Journalist.