AfD: Zurück ins 19. Jahrhundert – auch in der Bildungspolitik
30. Juni 2016 | Christian Begass, Josef Kraft
In vielen medialen Kontexten wird, wenn es um die AfD geht, allzu häufig und ausschließlich vom Rassismus gesprochen. Allerdings bringt es wenig, die AfD lediglich als rassistische Partei abzustempeln und in Debatten entsprechende Programmpunkte zu diskutieren. Um zu verdeutlichen, dass die Partei keine Alternative für die Mehrheit der Bevölkerung ist, sondern lediglich eine kleine Elite vertritt, muss in der Debatte herausgestellt werden, dass die AfD extrem-kapitalistisch, gewerkschaftsfeindlich, anti-sozialstaatlich, rückschrittlich-familienorientiert, damit einhergehend frauenfeindlich und in Teilen fundamental christlich-religiös ist. Und reaktionär ist auch ihre Bildungspolitik, die einer partizipativen und demokratischen Schule entgegensteht und zu einer defizitären Demokratie beiträgt.
Der christlich-religiöse Fundamentalismus, der bei der AfD mit einer islamfeindlichen Positionierung einhergeht, findet sich auch in bildungspolitischen Positionen im Grundsatzprogramm. So lehnt die AfD dort »Sonderrechte für muslimische Schüler ab« und fordert deren »Teilnahme am Sportunterricht und an Klassenfahrten ohne Ausnahme«. Da gemäß Grundgesetz alle Menschen gleich vor dem Gesetz sind, sind Sonderrechte grundsätzlich abzulehnen. Die Forderung darf jedoch nicht auf einzelne politische und religiöse Gruppen beschränkt werden. Wenn erzkonservative Christen Sexualaufklärung mit Verweis auf ihre religiösen Gefühle ablehnen, darf diesem Sonderrecht ebenso wenig stattgegeben werden. Des Weiteren heißt es im Grundsatzprogramm, dass »muslimische Schüler und ihre Eltern weibliche Lehrkräfte als Vertreter unserer Werte und unserer staatlichen Ordnung uneingeschränkt zu akzeptieren« haben. Diese Forderung ist eine Verhöhnung von Lehrerinnen, und dadurch auch Frauen im Allgemeinen, seitens einer Partei, die ansonsten einen anti-emanzipatorischen und teilweise frauenfeindlichen Kurs fährt, sprich die Gleichberechtigung von Mann und Frau zurückdrehen möchte. In dem Zitat werden Frauen nicht in ihrer Funktion als Lehrerin anerkannt, sondern müssen lediglich als Stellvertretung für die gegenwärtige Rechtsordnung herhalten. Der emanzipatorische Schein ist somit nichts weiter als Fassade. Davon abgesehen stellt sich die Frage, inwiefern die angebliche Respektlosigkeit muslimischer Schüler und gegebenenfalls Schülerinnen im Schulalltag eine nennenswerte Rolle im Vergleich zu anderen Schülerinnen und Schülern spielt.
Die AfD behauptet in ihrem Grundsatzprogramm zudem, dass sie sich »dem Humboldt’schen Bildungsideal verpflichtet« fühle. Dabei sind zwei Aspekte entscheidend. Erstens sollte aus einer progressiven Perspektive Wilhelm von Humboldt und damit einhergehend dieses Bildungsideal nicht unkritisch gesehen werden. Schließlich gehörte Humboldt nicht der Arbeitnehmerschaft an, und er vertrat diese auch nicht, sondern er kam aus einer reichen Aufsteigerfamilie, was sich in seiner Politik durchaus wiederspiegelte. Unter seiner Federführung entstand zum Beispiel das dreigliedrige Schulsystem, das bis heute – da immer noch nicht überwunden – der Reproduktion der Eliten dient. Hier ist die AfD d’accord mit Humboldt.
Gleichzeitig widerspricht sie jenem humanistischen Teil des Ideals, das besagt, dass Bildung nicht mit der Berufsausbildung vermischt werden solle. Die AfD sieht Bildung nämlich als Mittel zum wirtschaftlichen Zweck, sie steht somit in der Tradition einer neoliberalen Vermarktwirtschaftlichung der Bildung: »Speziell nach dem Bachelor-Abschluss ist die Qualifikation der Absolventen für den Arbeitsmarkt häufig nicht zufriedenstellend.« Eine Kritik am derzeitigen Bachelor-Master-System ist berechtigt, jedoch sollten aus emanzipatorischer Perspektive dabei Aspekte wie eine beschränkte individuelle Studienplanung oder die Klausurenflut  im Fokus stehen, sollten Freiheit und Ungezwungenheit für wissenschaftliche Bildung gefordert werden, anstatt eine mangelnde Verwertbarkeit der Abschlüsse am Arbeitsmarkt anzuprangern. Das Humboldt’sche Bildungsideal jedenfalls sieht die Aufgabe der Bildung und somit des Studiums nicht in der zufriedenstellenden Qualifikation für den Arbeitsmarkt. Auch die Forderung der AfD, »berufsbezogene Studienfächer zu stärken«, zeigt: Eine grundsätzlich »zweckfreie Menschenbildung«[1] muss hier der sogenannten »Employability« (etwa: Beschäftigungsfähigkeit) weichen. Wenn sich die AfD auf Humboldt bezieht, scheint somit erstgenanntes, elitenförderndes Bildungsverständnis im Vordergrund zu stehen. Eine humanistische Bildung muss hingegen einer neoliberalen Denkweise weichen, was schließlich zu jenem Problem führt, das die AfD folgendermaßen beschreibt:
»Die Anforderungen an Studenten dürfen sich keinesfalls dem gesunkenen Niveau anpassen, sondern müssen sich an den international höchsten Standards ausrichten. Die AfD fordert deshalb leistungs- und eignungsbezogene Auswahlverfahren für verschiedene Hochschultypen. Es gilt ‚Qualität vor Quantität’.«
Die Forderung der AfD nach »leistungs- und eignungsbezogenen Auswahlverfahren für verschiedene Hochschultypen« hat wenig mit der von ihnen beschriebenen Angst vor einem gesunkenen Niveau gemein, sondern folgt eher dem Versuch, eine mehrgliedrige und sozial ungerechte Bildungslandschaft zu erhalten. Auch die Formel »Qualität vor Quantität« ist nichts anderes als der Versuch, sozial und finanziell schlechter gestellte Studierende von den Hochschulen fernzuhalten. Hohe Zugangsbeschränkungen für einzelne Hochschulen bzw. für einzelne Studiengänge haben nicht die Folge, dass das Niveau innerhalb der Studiengänge steigt, sondern vielmehr, dass sozial und finanziell schwächere Personen kein Studium aufnehmen können. Kinder aus wohlhabenderen und besser gebildeten Elternhäusern hingegen können im Bedarfsfall frühzeitig auf entsprechende Unterstützung (z. B. Nachhilfe) zurückgreifen und erhalten so bessere Chancen für das weitere Schul- und Berufsleben. Selbst denjenigen, die trotz aller Vorteile im Bildungssystem scheitern, bleiben nicht selten weitere Möglichkeiten. Dabei ist der Gang ins Ausland nur eines von vielen Beispielen. So ist es zum Beispiel heute schon beliebt, ein Medizinstudium im osteuropäischen Ausland aufzunehmen, auch wenn dies pro Semester 6.000 Euro kostet.
Aus diesen Gründen sollte es nicht höhere Anforderungen, wie zum Beispiel NCs, geben, sondern eine durchfinanzierte Bildung für alle. Bund und Länder müssen mehr Geld zur Verfügung stellen, um dies zu gewährleisten. So kann sowohl der steigenden Zahl von Studierenden als auch einer qualitativ hochwertigen Lehre Rechnung getragen werden. Die Formel »Qualität vor Quantität« sollte nicht exkludierend angewandt werden, sondern zur Forderung führen, dass die Hochschulen wieder genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Hierzu gehört auch die Entprekarisierung der Beschäftigten.
Von alldem aber will die AfD nichts wissen. Sie will vielmehr wirtschaftsfreundliche Politik universell im Bildungssystem manifestieren und bereits in den Schulen aussieben, exkludieren anstatt inkludieren:
»Ständig sinkende Anforderungen haben dazu geführt, dass Schüler nicht mehr die Grundkenntnisse besitzen, die in der Berufsausbildung oder im Studium benötigt werden. Ebenfalls fehlt es an der erforderlichen Allgemeinbildung, die zur verantwortungsvollen Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten notwendig ist. Es ist falsch, Eltern und Jugendlichen einzureden, nur derjenige Bildungsweg sei erfolgreich, der zu einer Hochschule führe. Ein gegliedertes Schulsystem muss die Begabungen und Stärken von Schülern erkennen und fördern.«
Die marktradikale AfD beachtet hierbei nicht, dass es Spitzen in der Wirtschaft sind, die Bildung nutzen, um Menschen schneller am Arbeitsmarkt ausbeuten zu können. Dies zeigt sich aktuell zum Beispiel bei der Forderung nach einer Kurzausbildung für Geflüchtete. Es drückt sich aber ebenso in der Forderung nach zweijährigen Berufsausbildungen aus. Dies zeigt, dass es gerade die Arbeitgeberseite ist, die Ausbildung und somit Bildung verkürzt und verschlechtert. Auch beim verkürzten Abitur (G8) waren Arbeitgeber der Motor. Wer (allgemeine) Bildung im Sinne der neoliberalen Marktwirtschaft gestalten möchte, darf sich nicht wundern, wenn Grundkenntnisse und Allgemeinbildung verloren gehen. Noch schwieriger umzusetzen wird eine demokratische Bewusstseinsbildung, wenn der Einfluss der Arbeitgeberseite – die schließlich auch innerbetrieblichen Beteiligungsprozesse eher skeptisch gegenübersteht – auf die Bildung dominiert.
Aber auch der direkte Einfluss der Wirtschaft auf das Bildungssystem, die Schulen und vor allem Berufsschulen ist derartig groß, dass die Kritik der Partei stets eine Kritik der eigenen Klientel und Förderer sein müsste. Anders findet es sich im Grundsatzprogramm, wo neben der Forderung verkürzter Bildungszeiten, auch eine ökonomische Bildung im Sinne der Wirtschaftseliten vor der demokratischen Bewusstseinsbildung steht.
Einfluss auf Schulbuchverlage und Unterrichtsmaterialien sind sicherlich nur die Spitze des Eisberges. Schulen fungieren mehr und mehr als »Dienstleister der Wirtschaft«, sprich der Einfluss der Wirtschaft steigt, hierzu gehört die Forderung nach einem eigenständigen Fach Wirtschaft[2], das in einigen Bundesländern bereits Praxis ist. 87,5 Prozent der 15-Jährigen besuchen mittlerweile eine Schule, an der Wirtschaft und Industrie Einfluss auf die Lehrinhalte ausüben. Fachausbildung für bestimmte Zwecke und ideologischer Kampf verhindern Allgemeinbildung – nicht Gesamtschulen und die Durchlässigkeit im Bildungssystem. In dieser Frage positioniert sich die marktextremistische AfD nicht, sie bleibt sich somit ihrer neoliberalen Haltung treu.
Hingegen wendet sie sich gegen politische Indoktrination im Klassenzimmer:
»Das Klassenzimmer darf kein Ort der politischen Indoktrination sein. An deutschen Schulen wird oft nicht die Bildung einer eigenen Meinung gefördert, sondern die unkritische Übernahme ideologischer Vorgaben.[3] Ziel der schulischen Bildung muss jedoch der eigenverantwortlich denkende Bürger sein.«
Dem wäre zuzustimmen, wenn die ebenso politische Indoktrination der gerade erwähnten Wirtschaftsinteressen gemeint wäre. Tatsächlich aber meint die AfD jene Organisationen, die sich für Demokratie, Antirassismus und Frieden einsetzen und gerne von AfD, Pegida & Co. als „linksversiffte Gutmenschen“, „Alt-68er“ und so weiter beschimpft werden. So reagiert die AfD-Bayern auf einen Bericht der GEW, in der die »Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD« der Amadeu-Antonio-Stiftung vorgestellt werden, wie folgt:
»Vielleicht sollte mal geprüft werden, inwiefern man nicht dieser Stasi-Stiftung die Gemeinnützigkeit aberkennen lassen könnte.«
Und ebenso unsachlich schreibt ein AfD-Anhänger:
»Mein Sohn wählt auch unsere tolle Partei,auf [sic] Klassenfahrt wurde eine Stunde auf ihn Eingeredet [sic] ,wie Scheiße [sic] unsere Partei ist,wundert [sic] ja nicht bei unseren Linksversifften [sic] Bildungssystem.«
Zur politischen Indoktrination gehört die Bundeswehr in Schulen, so jedenfalls das Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg:
»Jugendoffiziere der Bundeswehr informieren über die Streitkräfte. Das sollen sie weiterhin und ohne Beschränkung an Baden-Württemberger Schulen tun dürfen«.
Grundsätzlich ist der Forderung zuzustimmen, dass Schulen kein Ort der politischen Indoktrination sein dürfen und die Schülerinnen und Schülern zu kritisch denkenden Menschen zu befähigen sind. Allerdings hat die AfD wohl ein etwas anderes Verständnis von politischer Indoktrination. Immerhin fordern sie selbst, dass die schulische und akademische Bildung auf berufliche Verwertung ausgerichtet werden soll. Dies widerspricht deutlich der Forderung nach einer kritischen Auseinandersetzung mit Themen und somit dem Ziel von eigenständig denkenden Menschen. Es spiegelt aber durchaus die momentane Situation in Schulen wieder: Schon heute wird nämlich unter dem Vorwand der Nicht-Indoktrination (Stichwort: Beutelsbacher Konsens) eine kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Themen verhindert; bestimmte Sichtweisen werden als allgemeingültig stehen gelassen. Besonders ist dies bei Themen im Bereich Wirtschaft zu sehen. Hier werden, sowohl an Schulen als auch an Hochschulen, neoliberale Sichtweisen als allgemeingültige Wahrheiten gelehrt, während kritische Sichtweisen wenig bis keinen Raum erhalten. Die auslesende und im Sinne einer kapitalistischen und hierarchischen Gesellschaftsform reproduzierende Schule ist hier ein verlängerter Arm der Kapitalinteressen. Sie setzt frühzeitig an, soziale Kämpfe zu verhindern. In dieser Tradition findet sich die AfD wieder.
Auch Gesamtschulen und Sekundarschulen sind der AfD ein Dorn im Auge, schadeten diese doch angeblich der Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft. Die »nach unten nivellierende Einheitsschule« führe zu einem Qualitätsverlust und bedrohe somit die Zukunftsfähigkeit junger Menschen und somit die Konkurrenzfähigkeit »unserer« Wirtschaft. Daher fordert die Partei
»uneingeschränkt das Leistungsprinzip. Schüler haben ein Recht darauf, in einem nach oben und unten durchlässigen Schulsystem Erfolge und Niederlagen zu erfahren.«
Auch hier ordnet die Partei Bildung als Mittel zum Zweck der Ökonomie unter. Das kapitalistische Leistungsprinzip wird zum obersten Ideal, es dient im Positiven und Negativen als Maßstab für die Rechtfertigung gesellschaftlicher Anerkennung, manifestiert soziale Ungleichheit und steht somit konträr zum Solidaritätsprinzip, in dessen Rahmen die Stärkeren die Schwächeren zum Wohle der Allgemeinheit mitnehmen. Genau dies ist das Ziel des Modells der Gesamt- und Sekundarschule. Dabei geht es der AfD nicht um einen angeblichen Qualitätsverlust, sondern um die Aufrechterhaltung eines Auslesesystems, dass ineffektiv, undurchlässig und somit ungerecht ist. Hier spiegelt sich ein fragwürdiges Verständnis von Gerechtigkeit wieder: Denn wer mehr hat und mehr gilt, hat entsprechend dieser Annahme mehr geleistet. Dabei berufen sich gerne die Personen auf das Leistungsprinzip, die von sozialer Ungleichheit profitieren.
Wie rückwärtsgewandt die Bildungspolitik der AfD ist, zeigt auch die Forderung nach einer Militarisierung der Schule: Leistung, Ordnung, Disziplin könnten die Stichpunkte sein, fordert die AfD doch:
»Leistungsbereitschaft und Disziplin sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Wissensvermittlung. [...] Das entsprechende Verhalten der Schüler kann nur durchgesetzt werden, wenn den Lehrern die dazu geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen und deren Durchsetzung nicht ständig hinterfragt wird. Schulverweigerung, Null-Bock-Mentalität, Disziplinlosigkeit, Mobbing und Gewalt in der Schule sind nicht zu tolerieren und unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten angemessen zu ahnden.«
Die Forderung nach Disziplin reiht sich ein in die des Leistungsprinzips im Sinne der besitzenden Kräfte, geht es doch bei ihrem Lob der Disziplin um ein Lob zum Gehorsam. Vernunft, Denken und Logik werden den Schülerinnen und Schülern damit per se abgesprochen. Diskussion, Argumentation und Entscheidungsbefugnisse werden den Schülerinnen und Schülern sowie ihren Eltern aberkannt. Eine radikale Unterordnung unter ein kapitalistisches Schulsystem scheint die Traumvorstellung der AfD zu sein. Wie diese Law-and-order-Mentalität in der Praxis aussehen könnte, zeigt eine Verlautbarung im sozialen Netzwerk Facebook von Volker Olenciak (AfD-Landtagsabgeordneter Sachsen-Anhalt), der ein Video, in dem ein Lehrer einen Stock zur Züchtigung einsetzte, folgendermaßen kommentierte:
»Sieht hart aus, aber ermöglicht in Zukunft sicher ein [sic] erträglichen Schulalltag. PS [sic]: intelligenten Schülern passiert das nicht jeden Tag.«
Im Programm heißt es weiter:
»Die zunehmende Übernahme der Erziehungsaufgabe durch staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen, die Umsetzung des ‚Gender-Mainstreaming’-Projekts und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit.«
Mit anderen Worten: zurück in die Debatten der 1970er Jahre. »Familie als wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit« ist lediglich eine Verschleierung der Idee, dass gesellschaftlichen Gruppen mit weniger Einkommen und längeren sowie unflexibleren Arbeitszeiten gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten genommen werden sollen. Diese Menschen profitieren von Ganztagsbetreuungen, da häufig die Zeit für persönliche Unterstützung der Kinder oder das Geld für finanzielle Betreuung (Nachhilfe) fehlen. Darüber hinaus zeigt sich diese Position in der Ansicht zur Familie und deren Erziehungsaufgabe: »Die Erziehung
der Schüler [...] ist in erster Linie Aufgabe der Eltern.« Dies ist eine typische Forderung des konservativen Bildungsbürgertums, die nichts anders besagt, als dass der Geldbeutel der Eltern über die Chancen der Kinder entscheidet.
Ähnlich gelagert ist die Ablehnung der Gleichheit der Geschlechter. Forderungen wie die nach Beendigung des »Gender-Mainstream-Projekts« zielen lediglich darauf ab, die Fortschritte bei der Gleichstellung von Mann und Frau zurückzudrehen und eine patriarchale Gesellschaftsordnung wiederzubeleben. In der Positionierung der AfD zur dualen Ausbildung zeigt sich diese bildungsbürgerliche Perspektive sowie die Verquickung in die Wirtschaft noch einmal deutlich:
»Die duale Ausbildung in Unternehmen und staatlichen Berufsschulen ist ein Erfolgsmodell. Jedoch gefährden das Streben nach immer höheren Abiturienten- und Akademikerquoten sowie unzureichende Kenntnisse von Haupt- und Realschulabsolventen den Nachwuchs in den Ausbildungsberufen. Zahlreiche Lehrstellen können aus Mangel an ausreichend qualifizierten Bewerbern nicht besetzt werden. Berufliche Fach- und Meisterschulen müssen als tragende Säulen der beruflichen Bildung und des lebenslangen Lernens erhalten und gestärkt werden.«
Die AfD verkennt, dass das Bildungsniveau nicht gesunken ist (vermutlich wissen Jugendliche aufgrund der ständigen Verfügbarkeit von digitalen Informationen sogar mehr als vor 50 Jahren), sondern die Anforderungen der Arbeitgeber größer und teilweise berufsfremder geworden sind. Dies beweist unter anderem die PISA-Studie, die Deutschland in den vergangenen 15 Jahren spürbare Verbesserungen bescheinigt. Der Vorwurf der „Ausbildungsunreife“ sollte daher in Richtung einiger Arbeitgeber gerichtet werden: Wenn Arbeitgeber Schulausbildung und betriebliche Ausbildung kürzen wollen, gleichzeitig aber über angeblich mangelnde Qualität der Bewerberinnen und Bewerber sowie Fachkräftemangel jammern, ist dies nichts Anderes als schizophren. Zudem sind die Arbeitsbedingungen sowie die Bezahlung gerade jener Ausbildungsberufe besonders schlecht, die über den Mangel an Bewerberinnen und Bewerbern klagen.[4] Dass die AfD als Partei der Wirtschaftsinteressen in dieselbe Kerbe schlägt, darf da nicht verwundern.
Die gewünschte Zweiklassengesellschaft zeigt sich auch in Forderungen wie der Wiedereinführung von Pädagogischen Hochschulen für das Grund-, Haupt- und Realschullehramt. Dies bedeutet nichts anderes als die Herabsetzung der Lehrkräfte an eben jenen Schulen, aber auch der Schulformen selbst. Denn im Umkehrschluss bedeutet diese Wiedereinführung, dass das Gymnasiallehramt als einziges Lehramt an einer »Regeluniversität« erlernt werden kann. Sollte die AfD hoffen, die Qualität der Ausbildung mit der flächendeckenden Wiedereinführung von Pädagogischen Hochschulen zu steigern, dann sollte die Frage gestellt werden, warum dort keine Lehrkräfte für das Gymnasium ausgebildet werden sollen. So bleibt nur der Schluss, dass das Gymnasium als Reproduktionseinheit der gesellschaftlichen Elite verankert und dessen besondere Stellung gegenüber allen anderen Schulen manifestiert werden soll.
An anderer Stelle des Parteiprogramms heißt es:
»Eine Absenkung der schulischen und beruflichen Anforderungen aus Gründen einer vermeintlich besseren Integration darf es nicht geben.«
Wie in jedem anderen Feld der Schule gibt es auch bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung und der Integration von Migrantinnen und Migranten Schwierigkeiten. Es bedarf sicherlich noch einiger Anstrengungen, bis Inklusion und Integration wirklich wie gewünscht funktionieren. Jedoch entlarvt sich auch hier die AfD wieder als Vertreterin der oberen Schichten und der Interessen der Wirtschaft – anstatt die Chancen für die betroffenen Menschen herauszustellen und zu zeigen, dass auch die Mitschülerinnen und Mitschüler profitieren können. Anstelle mehr Geld für die Schulen und Unterstützung für die Lehrkräfte zu fordern, will die AfD einmal mehr bestimmte Bevölkerungsgruppen faktisch von Bildung und Chancen ausschließen.
Auftrag von Bildung muss die Herausbildung selbstständig denkender, ihre gesellschaftliche Umwelt kritisch reflektierender Menschen sein. Eine solche Schule braucht Lebensweltorientierung und eine feste Verankerung in der gesamten Gesellschaft. Einseitige Einflussnahme steht dem entgegen. Das Problem des Bildungssystems sind dabei nicht – wie die AfD behauptet – die Gesamtschulen und die Durchlässigkeit, sondern eine permanente Unterfinanzierung, die zugleich Einfallstor für Kooperationen mit finanzstarken Unternehmen ist. Trotz einiger guter Reformen im Bildungswesen ist die Abhängigkeit des Bildungserfolges von Kindern weiterhin vom sozialen Status, Bildungsniveau und Einkommen des Elternhaues abhängig. Die AfD will diesen Zustand nicht nur verfestigen, sondern das Rad zurückdrehen, um eine Eliten-Selbstreproduktion wiederherzustellen.
Gleicher Zugang zur Bildung ist jedoch eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, individuelles Wohlergehen und soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Die Vererbung von Bildung schadet einem Großteil der Gesellschaft, auch einem Großteil der Menschen, die in der AfD eine Alternative zu sehen glauben.
Die überforderten Länder und Kommunen dürfen nicht alleine gelassen werden. Sie benötigen finanzielle Unterstützung des Bundes, um Verbesserungen im Bildungssystem sowie moderne, sanierte Schulen bereitstellen zu können. Bedarfsgerechte Ausstattung an Schulbedarf für alle Kinder, ein Recht auf Ausbildung, Lehrmittelfreiheit sind nur einige Stichworte, die vorwärtsgewandt sind und im Gegensatz zu den Forderungen der AfD zur wirklichen Verbesserung der Bildung aller Menschen beitragen können. Eine Demokratisierung von Schulen und Hochschulen ist notwendig, nicht deren Militarisierung und Ökonomisierung. Die AfD ist entsprechend keine Alternative, sondern der Rückwärtsgang in der Bildungspolitik.
[1] Fremdinteressenungebundene Allgemeinbildung mit dem Ziel, die Menschen zur Mündigkeit und Freiheit zu bilden. Ziel einer progressiven Bildungspolitik müsste eine demokratische Bewusstseinsbildung im Rahmen des Lernprozesses sein.
[2] Dies kann sicherlich auch als Gegenmodell zur oder sogar Angriff auf die nach 1945 etablierte politische Bildung in der Schule – mit dem Ziel einer demokratischen Bewusstseinsbildung – betrachtet werden.
[3] Auch diese Position kann als Angriff auf die politische Bildung in der Schule betrachtet werden.
[4] Siehe hierzu die Ausbildungsreporte der DGB-Jugend.
Christian Begass ist Sozialwissenschaftler, hauptamtlicher Gewerkschafter und Mitverfasser des Buches „Der Aufstand des Abendlandes. AfD, Pegida & Co.“
Josef Kraft ist Student der Anglistik und der Sozialwissenschaften an der Universität Siegen. Er ist Mitverfasser des Buches „Der Aufstand des Abendlandes. AfD, Pegida & Co.“