Teilzeitarbeit legte 2016 wieder überproportional zu
9. März 2017 | Markus Krüsemann
Der Beschäftigungsaufbau in Deutschland ging 2016 weiter. Und wieder ist es die Zahl der Teilzeitbeschäftigten, die besonders stark gestiegen ist. Die Teilzeitquote erreichte damit einen neuen Rekordwert. Mit ein Grund dafür, dass trotz mehr Vollzeitjobs die atypische Beschäftigung weiterhin auf hohem Niveau stagniert.
Seit über zwanzig Jahren lässt sich ein starkes und stetiges Anwachsen der Teilzeitbeschäftigung feststellen. Offenbar scheint eine Beschäftigung zu reduzierter Stundenzahl für immer mehr ArbeitnehmerInnen eine Alternative oder auch die einzige Lösung zu sein, Erwerbstätigkeit und private Lebensgestaltung besser vereinbaren zu können. Nicht selten wird eine Teilzeitbeschäftigung aufgrund von familiären Verpflichtungen gewählt. Dies ist meist dann der Fall, wenn die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen der Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung im Wege steht. Spätestens hier greifen weiterhin die traditionellen Erwerbs- und Arbeitszeitmuster, denn es sind ganz überwiegend Frauen, die ihre beruflichen Ambitionen zurückschrauben, wenn es um Familienbelange geht. Im Jahr 2015 jedenfalls waren fast 81 Prozent aller Teilzeitstellen von Frauen besetzt.
Beschäftigungsaufbau dank Teilzeitboom
Lange Zeit war der Boom bei den (sozialversicherungspflichtigen) Teilzeitjobs sogar für den Großteil des Beschäftigungsaufbaus in Deutschland verantwortlich, da die Vollzeitbeschäftigung zwischen 1994 und 2006 nahezu stetig zurückging und erst in den letzten Jahren im Zuge einer anziehenden Arbeitskräftenachfrage wieder leicht zulegen konnte. Dessen ungeachtet blieb Teilzeitarbeit aber auch in den vergangen Jahren auf klarem Wachstumskurs. Nach einem eher verhaltenen Anstieg im Jahr 2015 hat sich die Teilzeitbeschäftigung 2016 wieder deutlicher ausgeweitet, das belegen aktuelle Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Für 2016 weist das IAB 15,33 Millionen ArbeitnehmerInnen mit Teilzeitjob aus, das sind über 300.000 mehr als 2015, was einem Plus von 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht und einen neuen historischen Höchststand markiert.
ArbeitnehmerInnen in Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung (in Tausend)
Quelle: IAB-Arbeitszeitrechnung auf Datenbasis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR)
Im Rahmen von insgesamt steigenden Erwerbstätigenzahlen ist es weiterhin die Teilzeitarbeit, die überproportional zulegt. So kommt es, dass trotz eines zeitgleichen Wachstums bei den Vollzeitstellen die Teilzeitquote (Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen ArbeitnehmerInnen) weiter gestiegen ist. Sie lag 2016 bei einem neuen Rekordwert von 39,0 Prozent. Zur Jahrtausendwende hatte die Quote noch bei etwa 30 Prozent, 1991 sogar nur bei 17,9 Prozent gelegen. Nicht mehr gestiegen ist lediglich die durchschnittliche vereinbarte Wochenarbeitszeit. Bei den Teilzeitkräften lag sie 2016 bei 16,38 Stunden (2015: 16,45 Std./Wo.).
Letzteres weist bereits darauf hin, dass Teilzeitarbeit nicht per se die Lösung aller Schwierigkeiten in Sachen Work-Life-Balance sein kann, sondern neue Probleme aufwirft. Eine Beschäftigung mit reduzierter Stundenzahl ermöglicht für sich allein oft kein existenzsicherndes Auskommen mehr. Damit wächst zugleich die Gefahr der Altersarmut, weil mit Teilzeitjobs auch nach vielen Versicherungsjahren keine eigenständige Alterssicherung erreicht werden kann. Hinzu kommen empirische Belege dafür, dass Teilzeitbeschäftigte nicht nur bei Aufstiegschancen und Weiterbildungsforderung oft schlechter gestellt werden als Vollzeitbeschäftigte, sondern auch bei der Bezahlung.
Beosnders problematisch wird es dann, wenn eine Teilzeitarbeit nicht freiwillig, sondern mangels Alternativen ausgeübt wird. Laut einer Studie des IAB vom Februar 2015 mussten sich 18,7 Prozent der teilzeitbeschäftigten Männer resp. 14,7 Prozent der Frauen 2014 mit einem Teilzeitjob begnügen, weil sie vergeblich nach einer Vollzeitstelle gesucht hatten. Spätestens hier wird deutlich, warum die Teilzeitbeschäftigung auch weiterhin mit Fug und Recht zu den atypischen Beschäftigungsformen gezählt werden kann.
Plus an Vollzeitjobs kann atypische Beschäftigung nicht zurückdrängen
Im Zuge der positiven Wirtschaftsentwicklung ist auch die Zahl der vollzeitbeschäftigten ArbeitnehmerInnen 2016 angestiegen, und das zum sechsten Mal in Folge. Das klingt beeindruckend, doch lag die Jahreswachstumsrate nur bei knapp 1,1 Prozent - und das ist kein Ausreißer nach unten: Abgesehen von 2012 (+ 1,3%) lagen die Wachstumsraten zwischen 2011 und 2015 immer (und teilweise deutlich) unter ein Prozent. Das ist zu wenig, um eine Trendwende am Arbeitsmarkt herbeizuführen. Die wäre aber dringend nötig, denn bei der Vollzeitbeschäftigung wird aktuell gerade mal das Niveau von 2003 wieder erreicht.
Anfang der 1990er Jahre lag die Zahl der Vollzeitbeschäftigten noch bei 28 Millionen und mehr. Danach ist sie stetig zurückgegangen, woran auch die Agenda 2010 einen maßgeblichen Anteil hatte. Die von ihr beförderte Zunahme an atypischer Beschäftigung und prekären Jobs auf Kosten der regulären Beschäftigung hat ein eigenständiges und verfestigtes Segment am Arbeitsmarkt entstehen lassen. Das moderate Plus an Vollzeitjobs der letzten Jahre hat daran nichts geändert, denn es beruht auf einem generellen Beschäftigungszuwachs, nicht aber darauf, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse wieder in reguläre Jobs umgewandelt worden wären.
Nein, die sind gekommen, um zu bleiben, und jeder gesetzgeberische Versuch, sie zurückzudrängen (aktuelles Beispiel: das Rückkehrrecht auf Vollzeit), trifft bei der Arbeitgeberseite auf massive Gegenwehr. Offenbar mit Erfolg: Die atypische Beschäftigung stagniert seit Jahren auf hohem Niveau. Ohne eine grundlegende Umverteilung der vorhandenen bzw. der gesellschaftlich notwendigen Arbeit - etwa durch Einführung einer existenzsichernden 30-Stunden-Woche - wird sich daran nichts ändern.
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.