Bundesregierung macht Langzeiterwerbslose zur Lohnkonkurrenz
20. Juni 2018 | Patrick Schreiner
Schon seit Ende Mai liegt ein Referentenentwurf zu einem Förderprogramm der Bundesregierung für Langzeiterwerbslose vor. Ein Blick hinein zeigt: Schwarz-Rot lässt alle Maßnahmen fallen, die reguläre Arbeitsmärkte vor subventionierter Lohnkonkurrenz schützen.
Im Koalitionsvertrag hatten CDU/CSU und SPD angekündigt, dass man vier Milliarden Euro in ein Programm zur Förderung von Langzeiterwerbslosen stecken wolle. Damit macht man zwar nicht einmal die Kürzungen der letzten Jahre wett, das Vorhaben an sich aber ist sinnvoll: Es ist besser, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit. So führten Lars Niggemeyer und Martin Künkler zu diesem Thema ▸jüngst auf Blickpunkt WiSo aus:
Langzeitarbeitslosigkeit ist und bleibt ein strukturelles, vorrangig ökonomisch verursachtes Problem. Der Markt kann dieses Problem zurzeit nicht lösen. Hier kommt aktuell noch die große Integrationsherausforderung der Flüchtlinge hinzu. Vor diesem Hintergrund muss eine neue Initiative zur Schaffung von guter öffentlich geförderter Beschäftigung entwickelt werden. Sie kann soziale Teilhabe ermöglichen, aus Armut herausführen und ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung von Langzeiterwerbslosigkeit sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen für geringqualifizierte Zuwanderer sein. Sie kann zugleich jenseits und ergänzend zu bestehenden Beschäftigungsverhältnissen in vielen Bereichen gesellschaftliche Bedarfe aufgreifen.
Nun soll es also für bestimmte Erwerbslose nach dem Willen der Bundesregierung Zuschüsse zum Lohn geben. Wer jemanden einstellt, der binnen der letzten sieben Jahre länger als sechs Jahre Hartz IV bezogen hat, bekommt dessen Lohn (einschließlich aller anfallenden Sozialbeiträge) für 24 Monate zu 100 Prozent erstattet. In jedem weiteren Jahr wird dieser Zuschuss um 10 Prozentpunkte gekürzt, die maximale Förderdauer beträgt fünf Jahre. Es wird angenommen, dass es für diese Menschen faktisch keine Perspektive am ersten Arbeitsmarkt mehr gibt. Wer jemanden einstellt, der seit mindestens zwei Jahren erwerbslos ist, erhält für 24 Monate einen Zuschuss zu dessen Arbeitsentgelt. Im ersten Jahr beträgt dieser Zuschuss 75 Prozent, im zweiten Jahr 50 Prozent. Das Arbeitsverhältnis muss nach Auslaufen der Förderung mindestens sechs weitere Monate fortbestehen.
So sinnvoll es ist, Arbeit zu fördern, so problematisch kann sich dies im Detail gestalten. Denn geförderte Arbeit läuft stets Gefahr, in Konkurrenz zu regulärer Arbeit zu treten. Dies lässt sich allerdings durch entsprechende Regulierungen verhindern:
- Man kann die Förderung auf Beschäftigungsverhältnisse beschränken, die tariflich entlohnt werden.
- Man kann vorschreiben, dass die geförderte Arbeit im öffentlichen Interesse sein muss.
- Man kann vorschreiben, dass die geförderte Arbeit zusätzlich sein muss – sie also bestehende oder notwendige (reguläre) Beschäftigungsverhältnisse nicht verdrängen darf.
- Man kann vorschreiben, dass die geförderte Arbeit wettbewerbsneutral sein muss – sie also nicht in Konkurrenz zu bestehenden, ungeförderten Beschäftigten bzw. Unternehmen treten darf.
- Man kann vorschreiben, dass nur öffentliche oder gemeinnützige Arbeitgeber geförderte Beschäftigungsverhältnisse unterhalten können – nicht aber die Privatwirtschaft.
Schon im Koalitionsvertrag deuteten Union und SPD an, dass man wenig gewillt ist, die genannten Regulierungen zu berücksichtigen:
Die Teilhabe am Arbeitsmarkt erfolgt dabei sowohl auf dem ersten Arbeitsmarkt als auch auf dem sozialen Arbeitsmarkt z. B. durch Lohnkostenzuschüsse. Das schließt Arbeitgeber der freien Wirtschaft, gemeinnützige Einrichtungen und Kommunen ein. Bei den sozialversicherungspflichtig bezuschussten Arbeitsverhältnissen im sozialen Arbeitsmarkt orientiert sich der Zuschuss am Mindestlohn.
Eine Beschränkung auf öffentliche oder gemeinnützige Arbeitgeber sollte es also ausdrücklich nicht geben. Und die Einhaltung des Mindestlohns wird man bei Weitem nicht als ausreichend ansehen können, um Lohnkonkurrenz zu verhindern. Genauso wenig wie die vorgesehene Sozialversicherungspflicht.
Mit dem Referentenentwurf ließen Union und SPD nun aber die Katze aus dem Sack:
Die Kriterien Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse sind keine Fördervoraussetzung.
Damit ist klar: Die Bundesregierung macht Langzeiterwerbslose zur Lohnkonkurrenz für reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Das gilt umso mehr, als von Tarifbindung im Gesetzentwurf nicht die Rede ist. Und selbst die Sozialversicherungspflicht soll es für die Gruppe der Geförderten mit mehr als sechs Jahren Erwerbslosigkeit nur eingeschränkt geben – für sie (und ihre Arbeitgeber) entfällt die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung. Damit ist faktisch ein fataler großer Schritt hin zur Förderung von Lohnkonkurrenz gemacht.
Die erwartbaren Auswirkungen dessen seien nachfolgend an zwei Beispielen erläutert. Im öffentlichen Dienst, etwa in der kommunalen Grünpflege oder Gebäudereinigung, können die Kommunen tarifliche, reguläre Stellen durch geförderte Langzeiterwerbslose ersetzen. Die Städte und Gemeinden erhalten dann – anders als bisher – einen nennenswerten Teil der Lohnkosten vom Bund ersetzt. Die bisher Beschäftigten haben das Nachsehen, sie werden arbeitslos. (In einer gemäßigten Variante werden »nur« freiwerdende Stellen nicht mehr regulär, sondern durch Langzeiterwerbslose besetzt.) Nach Auslaufen der Förderung kann die geförderte Person durch eine andere ersetzt werden – ein Drehtüreffekt stellt sich ein.
In der Privatwirtschaft funktioniert das Beschriebene genauso, hier kann sich darüber hinaus sogar ein gänzlich neues Geschäftsmodell etablieren: Die Anstellung geförderter Langzeiterwerbsloser für wenig Geld, um diese beispielsweise im Garten- und Landschaftsbau, im Bauhandwerk oder beim Einräumen von Supermarktregalen einzusetzen. Dort bisher tätige Unternehmen und Beschäftigte werden durch niedrigere Angebotspreise (dank niedrigerer, weil subventionierter Lohnkosten) verdrängt, das bisher schon niedrige Lohnniveau in betroffenen Branchen gerät noch weiter unter Druck. Der schon erwähnte Drehtüreffekt ist auch hier zu erwarten.
Die Alternative wäre, sinnvolle, aber eben zusätzliche Beschäftigung für Langzeiterwerbslose zu schaffen, die regulär entlohnte Arbeit nicht verdrängen darf und die im öffentlichen Interesse ist. Genau das aber beabsichtigt die Bundesregierung gerade nicht. Ihr Modell entspricht damit weitgehend dem so genannten »Kombilohn«, den die Gewerkschaften seit langer Zeit ablehnen. Diese verweisen darauf, dass staatliche Lohnsubventionen (ganz gleich, ob an Arbeitgeber oder Beschäftigte ausbezahlt) den Niedriglohnsektor ausweiten, Tariflöhne unter Druck setzen, Menschen in Beschäftigung unterhalb ihrer eigenen Qualifikation drängen und hohe und teure Mitnahmeeffekte zur Folge haben.
Dass laut Gesetzentwurf in den Jobcentern vor Ort bei der Vergabe von Fördermitteln »insbesondere die örtlichen Beiräte der Jobcenter im Rahmen ihres gesetzlichen Beratungsauftrags […] beteiligt werden« sollen, in denen auch die Gewerkschaften vertreten sind, ändert daran nichts. Denn weder sollen diese Beiräte ein Vetorecht haben, noch sind ihnen zur qualitativen Beurteilung eines Fördervorhabens die Kriterien der Tarifbindung, der Zusätzlichkeit, der Wettbewerbsneutralität oder des öffentlichen Interesses vorgegeben.
Dabei könnten solche Beiräte durchaus genau diese wichtige Rolle spielen: Ihnen bzw. entsprechend zuständigen Unterausschüssen (mit Vertreterinnen und Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden) könnte die Aufgabe übertragen werden, Fördervorhaben auf die Einhaltung entsprechender Kriterien zum Schutz des regulären Arbeitsmarktes zu überprüfen. Dazu bräuchte es aber eben diese Kriterien, von denen CDU/CSU und SPD nichts wissen wollen.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.