EU-Haushalt: Es drohen fatale Weichenstellungen
11. Oktober 2018 | Dominika Biegon, Christel Degen, Susanne Wixforth
Die Europäische Kommission hat Vorschläge für den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 vorgelegt. Es droht Ungemach: Mehr Geld soll in Militär und Grenzsicherung fließen. Das Soziale bleibt Nebensache. Und zur Förderung neoliberaler »Strukturreformen« werden altbekannte Pläne aus der Schublade geholt.
Mit zwei Rechtsaktentwürfen hat die Europäische Kommission Anfang Mai 2018 die Debatte über die EU-Budgetplanung der nächsten sieben Jahre eröffnet. In den Wochen darauf folgte eine Reihe von weiteren Legislativvorschlägen, in denen die Förderbedingungen und die Kriterien für die Mittelzuweisung für Maßnahmen in einzelnen Politikbereichen festgelegt wurden.
Drohende Kürzungen
Die Höhe des EU-Haushalts wird voraussichtlich unzureichend ausfallen. Durch den Austritt Großbritanniens verliert die EU einen wichtigen Nettozahler. Es ist bislang nicht klar, wie diese Lücke geschlossen werden soll. Die Europäische Kommission schlägt eine Erhöhung des Budgets von 1,03 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU-28 auf 1,11 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU-27 (!) vor. Dies entspricht wegen des Austritts Großbritanniens faktisch einer leichten Verringerung. Allerdings ist vollkommen offen, ob selbst dieser Kommissionsvorschlag sich überhaupt durchsetzt, denn einige Mitgliedstaaten wie Österreich und die Niederlande haben bereits signalisiert, dass sie nicht einverstanden sind und sich für stärkere Kürzungen einsetzen wollen. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Mitgliedstaaten meist auf ein niedrigeres Finanzvolumen einigen als von der Kommission vorgeschlagen. Damit droht ein völlig unzureichend ausgestatteter Haushalt.
Doppelte Aufrüstung – falsche Prioritäten
Mindestens genauso wichtig wie die Diskussion über die wünschenswerte Größe des EU-Haushalts ist aber die anvisierte Verteilung der Finanzmittel und die damit verbundene politische Prioritätensetzung. Im Vergleich zum letzten Budgetvorschlag plant die Kommission einige deutliche Verschiebungen. Vor allem bei den traditionellen und großen Ausgabenposten sind starke Mittelkürzungen vorgesehen. Die beiden Rubriken »Zusammenhalt und Werte« und »Natürliche Ressourcen und Umwelt« würden nach dem aktuell vorgelegten Vorschlag etwa 64 Prozent der Ausgaben ausmachen, während beide zusammen bisher etwa 73 Prozent des Gesamtbudgets dargestellt haben. Dahinter verbergen sich radikale Kürzungen in der Agrar- sowie in der Struktur- und Kohäsionspolitik. Die vorgesehenen Kürzungen bei den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds betragen durchschnittlich 10 Prozent, der Europäische Sozialfonds soll um 7 Prozent gekürzt werden. Beim Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL), der Direktzahlungen an die landwirtschaftlichen Betriebe vorsieht, sind Kürzungen von knapp über 7 Prozent vorgesehen. Beim Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER) schlägt die Kommission sogar vor, über 25 Prozent der Mittel zu streichen, beim Kohäsionsfonds sogar 45 Prozent.
Deutliche Mehrausgaben sind hingegen vor allem für die Bereiche Migration und Grenzschutz (plus 187 Prozent) vorgesehen. Dieses Politikfeld erfährt eine Aufwertung und bekommt im Mehrjährigen Finanzrahmen eine eigene Rubrik. Ferner ist eine Mittelaufstockung im Bereich Verteidigung geplant. Durch die geplante Gründung eines Verteidigungsfonds werden die Ausgaben in diesem Bereich fast verzwanzigfacht (wobei die EU eigentlich gar keine Militärausgaben tätigen darf, weshalb die Kommission diese als Förderung für Forschung oder für kleine und mittlere Unternehmen tarnt). Die europäische Außenpolitik wird damit noch militarisierter – und der Kontinent soll noch mehr zu einer Festung ausgebaut werden, um Flüchtlinge (spätestens) an den EU-Außengrenzen aufzuhalten. Eine Art doppelter Aufrüstung also: beim Militär und an den Grenzen. Dagegen dürfte der Anteil der Mittel, die in die Aufnahme und Integration von Migrantinnen und Migranten oder in die Bekämpfung von Fluchtursachen fließen soll, vergleichsweise gering ausfallen.
Zu den wenigen positiven Verschiebungen der Prioritäten gehören die Bereiche Jugend und Klima. Die Mittel für das Erasmus-Programm, das die Mobilität von Studierenden in Europa fördert, werden fast verdoppelt. Auch das Programm für Umwelt und Klimapolitik (LIFE), aus dem Maßnahmen zur Förderung von Energieeffizienz und sauberer Energie unterstützt werden sollen, wird um 35 Prozent erhöht und damit deutlich gestärkt.
Insgesamt ist also festzuhalten: Politische Maßnahmen aus dem Bereichen Sicherheit und Rüstung, Verteidigung und Sicherung der Außengrenzen, Asylpolitik und Klimaschutz werden finanziell gestärkt, während die europäische Struktur- und Kohäsionspolitik und die Agrarpolitik (und hier insbesondere die zweite Säule) zukünftig mit weniger Finanzmittel auskommen müssen. Geschwächt werden also gerade die Ausgabenposten, die einen Umverteilungseffekt haben. Gerade die Umverteilung von Mitteln an ökonomisch schwächere Länder im Rahmen der Struktur- und Kohäsionspolitik ist aber notwendig, um zu große Abweichungen in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu vermeiden und Lebensstandards in den wirtschaftlich schwächeren Ländern auf ein angemessenes Niveau zu bringen. Die Struktur- und Kohäsionspolitik bildet dabei die wichtigste Investitionspolitik der Europäischen Union. Im EU-weiten Durchschnitt liegt der Anteil der Struktur- und Kohäsionsmittel an den gesamtwirtschaftlichen Investitionen bei 8,5 Prozent. In einigen Staaten (Polen, Portugal, Kroatien, Litauen) liegt er aber sogar bei über 60 Prozent. Kürzungen bei den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (Kohäsionsfonds) hätten somit tiefgreifende Auswirkungen auf das Wohlergehen der EU-Bürgerinnen und Bürger.
Troika für alle – die Förderung neoliberaler »Reformen«
Zudem will die Europäische Kommission an mehreren Stellen den Druck auf die Mitgliedstaaten erhöhen, die von ihr empfohlenen »Strukturreformen« umzusetzen. Schon lange ist die geringe Umsetzung der Haushalts- und wirtschaftspolitischen Empfehlungen durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission ein Dorn im Auge. Nun will sie gleich an vier Stellschrauben drehen, um die EU-Staaten auf Kurs zu bringen:
Erstens sollen die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds noch stärker als bisher als ein Instrument der wirtschaftspolitischen Steuerung eingesetzt werden. Die Auszahlung von Finanzmitteln aus den ESI-Fonds soll davon abhängig gemacht werden, ob die Mitgliedstaaten die – meist neoliberalen – EU-Vorgaben in der Haushalts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik erfüllen.
Derzeit wird die Zuteilung der EU-Mittel aus den Struktur- und Investitionsfonds vor allem nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Regionen in Verhältnis zum EU-Durchschnitt bestimmt. Damit werden diejenigen Länder und Regionen besonders begünstigt, die vor besonderen sozioökonomischen Herausforderungen stehen. Neben dem BIP-Kriterium sollen zukünftig weitere Indikatoren wie Jugendarbeitslosigkeit, Migration, Klimabedrohungen und ein niedriges Bildungsniveau bei der Mittelzuweisung eine Rolle spielen. Dies ist sinnvoll, weil damit sichergestellt wird, dass mehr Ressourcen in weniger entwickelte Regionen fließen, aber gleichzeitig auch diejenigen Regionen gefördert werden, die vom Strukturwandel besonders betroffen sind. Auch die besondere Unterstützung von Ländern und Regionen, die überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aufnehmen, ist vor dem Hintergrund der migrationspolitischen Diskussionen in Europa sicherlich sinnvoll.
Nicht sinnvoll ist jedoch, dass zukünftig ein Teil der Kohäsionsmittel zweckgebunden dafür verwendet werden soll, die »Strukturreformen« des Europäischen Semesters umzusetzen. So schlägt die Kommission beispielweise vor, dass die Mitgliedsstaaten künftig einen »angemessenen« Beitrag ihres ESF-Plus-Budgets für die identifizierten Herausforderungen in den länderspezifischen Empfehlungen einsetzen – also für die Umsetzung neoliberaler »Strukturreformen«. Dies würde nicht nur den europäischen Mehrwert der Kohäsionspolitik deutlich schmälern, sondern auch Liberalisierungen, Deregulierungen und Haushaltskürzungen befördern.
Zudem besteht die Kommission – zweitens – weiterhin auf sogenannten »makroökonomischen Konditionalitäten«: Strukturfonds- und Kohäsionsmittel sollen gekürzt werden können, wenn die Mitgliedstaaten die haushaltspolitischen und makroökonomischen EU-Vorgaben nicht einhalten. Die Möglichkeit dazu besteht schon in der aktuellen Förderperiode – die Kommission hat bislang aber noch nicht davon Gebrauch gemacht. Sie will das Prinzip auch in der nächsten Förderperiode bei der Verwaltung der Struktur- und Investitionsfonds verankern und es steht zu befürchten, dass sie von diesem Sanktionsinstrument zukünftig Gebrauch machen wird, wenn die Mitgliedstaaten sich weiterhin der neoliberalen Reformpolitik der EU widersetzen. Damit holt die Kommission erneut Pläne einer »Troika für alle« aus der Schublade.
Doch damit nicht genug: Ein neues »Reformumsetzungsinstrument« soll die dritte Stellschraube sein, an der die Kommission drehen möchte, um die Umsetzung von Strukturreformen in ihrem Sinne zu erzwingen. Mit diesem Instrument wird eine neue Budgetlinie zur »Stabilisierung« der Wirtschafts- und Währungsunion geschaffen. Ziel ist es, Mitgliedstaaten einen Anreiz zu bieten, um die im Rahmen des Europäischen Semesters von der Kommission empfohlenen »Strukturreformen« umzusetzen. Bislang sind die länderspezifischen Empfehlungen weitestgehend unverbindlich, sie werden von den Mitgliedstaaten in einem für die Kommission entsprechend unbefriedigenden Maße umgesetzt. Zum Glück, muss man aus ökonomischer Sicht sagen – was die Kommission natürlich anders sieht: Für sie bedroht der »Reformunwille« der Mitgliedstaaten die wirtschaftliche Stabilität der Währungsunion. Deshalb will sie einen finanziellen Anreiz in Aussicht stellen, um mögliche politische Blockaden auf nationaler Ebene zu überwinden.
Bei diesem Vorschlag handelt es sich faktisch um einen Versuch der Kommission, den 2012/2013 gescheiterten Pakt für Wettbewerbsfähigkeit wiederzubeleben. Mit einem finanziellen Anreizsystem sollten damals in Form von vertraglichen Vereinbarungen neoliberale »Strukturreformen« unter anderem im Bereich der Lohnentwicklung, des Arbeitsmarktes, des Rentensystems und des öffentlichen Dienstes schmackhaft gemacht werden. Dabei ist davon auszugehen, dass die jetzt dafür vorgesehenen 22 Mrd. Euro durch Einsparungen im Bereich der Struktur- und Kohäsionsfonds finanziert werden. Das Motto also auch hier: weniger Geld für territorialen und sozialen Zusammenhalt – mehr Geld für neoliberale »Strukturreformen«.
Die vierte neue Stellschraube ist die sogenannte »Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion«. Sie soll ein weiteres neues Haushaltsinstrument zur Stabilisierung der Währungsunion sein. Ziel ist es, die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten bei großen wirtschaftlichen Schocks zu stabilisieren. Da öffentliche Investitionen eine wichtige makroökonomische Stabilisierungsfunktion haben und bei wirtschaftlichen Abschwüngen besonders schnell einbrechen, schlägt die Kommission vor, dass das neu zu schaffenden Haushaltsinstrument zur Stabilisierung der Währungsunion sich auf die Förderung von öffentlichen Investitionen konzentriert. An und für sich ist dies eine richtige, wirtschaftspolitisch vernünftige Idee. Und es ist zugleich ein Eingeständnis, dass die Haushalts- und Investitionskürzungen der Vergangenheit falsch und unangemessen waren, weil sie die Krise noch verschärften.
Allerdings: Anspruchsberechtigt sollen erneut nur diejenigen Mitgliedstaaten sein, die die Beschlüsse und Empfehlungen im Rahmen der haushaltspolitischen und makroökonomischen Überwachung in den beiden Jahren vor Antragstellung eingehalten haben. Diese massive Einschränkung mindert nicht nur die Effektivität dieses Instruments, sondern führt auch dazu, dass die Verbindlichkeit der neoliberalen haushaltspolitischen Vorgaben mit all ihren fatalen Auswirkungen erhöht wird. Wenn das Ziel der Investitionsstabilisierungsfunktion die Abfederung wirtschaftlicher Schocks ist, sollten daher alle Mitgliedstaaten in wirtschaftlichen Krisensituationen Zugang zu dem Instrument bekommen.
Hinter diesen vier Vorhaben steht der Versuch der Kommission, ein weiteres Druckmittel aufzubauen, um eine stärkere Befolgung der fragwürdigen fiskal- und wirtschaftspolitischen EU-Vorgaben zu erzwingen. Und das, obwohl die entsprechende Politik der letzten Jahre zu Sozialabbau geführt und die wirtschaftliche Erholung nach der Wirtschafts- und Finanzkrise massiv erschwert hat.
Private Rendite – die Förderung Öffentlich-Privater Partnerschaften
Das Thema Investitionen ist noch in einem weiteren Punkt von Relevanz. Die Europäische Kommission schlägt vor, den »Europäischen Fonds für Strategische Investitionen« (EFSI) auch in der zukünftigen Förderperiode fortzuführen. Der EFSI wurde 2016 ins Leben gerufen, um der Investitionsschwäche in Europa zu begegnen. Dies war und ist eine im Prinzip richtige Idee. Allerdings mobilisiert der EFSI derzeit private Finanzmittel mithilfe öffentlicher Garantien. Die Europäische Kommission und die Europäische Investitionsbank stellen dabei 21 Mrd. EUR an Garantien zur Absicherung privater Investitionsprojekte bereit. So sollen bis Ende 2020 Projekte mit einem Investitionsvolumen bis zu 500 Mrd. EUR angeregt werden. Dieses Prinzip der Bereitstellung kleinerer Garantiesummen aus dem EU-Haushalt zur Hebelung größerer Investitionssummen an den Finanzmärkten und mittels Ko-Investoren nennt die Kommission »doing more with less«. Sie erhofft sich mittels stärkerer Verlagerung von EU-Mitteln auf Finanzinstrumente (wie den EFSI) nationale Haushalte sowie den europäischen Haushalt nicht belasten zu müssen und trotzdem Investitionsprojekte in den Mitgliedsländern fördern zu können.
Im neuen Kommissionsvorschlag wird – aufbauend auf dem EFSI – ein Investmentfonds namens »InvestEU« vorgeschlagen, der alle bestehenden Finanzinstrumente zusammenfassen und mit relativ begrenzten öffentlichen Geldern erhebliche private Mittel für (auch öffentliche) Investitionen erschließen soll. Genau in der Verknüpfung von privaten Geldern und öffentlichen Investitionen liegt allerdings das Problem dieser Form der Investitionsförderung. Denn wie schon bisher, handelt es auch dabei auch zukünftig faktisch um die Förderung von Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP). Solche ÖPPs sind in dreierlei Hinsicht abzulehnen: Im Falle des Scheiterns dieser Projekte trägt die öffentliche Hand das Risiko, und das nicht zu knapp. ÖPP sind ferner teurer, intransparenter und undemokratischer als eine klassische Beschaffung durch die öffentliche Hand. Zudem wird die öffentliche Daseinsvorsorge durch ÖPP zunehmend unter Druck gesetzt, sie muss Renditen für private Investitionen erwirtschaften. Dass ÖPP in den meisten (wenn nicht allen) Fällen ineffiziente, fragwürdige Beschaffungsmodelle sind, haben sowohl deutsche Rechnungshöfe als auch der Europäische Rechnungshof wiederholt nachgewiesen. Eine Verstetigung und Ausweitung der ÖPP-Praxis droht allerdings dennoch, wenn durch den neuen Finanzrahmen verstärkt Anreize gesetzt werden, im öffentlichen Aufgabenbereich nicht mehr öffentliche Haushaltsmittel, sondern private Investitionsmittel heranzuziehen.
Der Artikel beruht auf einer Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die in voller Länge hier abgerufen werden kann: ▸http://www.dgb.de/-/2nH
Dominika Biegon ist Referatsleiterin für europäische und internationale Wirtschaftspolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Christel Degen ist Referatsleiterin für Strukturpolitik/KMU/Aufbau Ost beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Susanne Wixforth ist Referatsleiterin in der Abteilung europäische und internationale Gewerkschaftspolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes.