"Alles Erforderliche tun" - Anmerkungen zu Draghis Euro-Versprechen
26. Juli 2012 | Patrick Schreiner
Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, wurde in der Presse heute mit der Äußerung zitiert, die EZB werde "alles Erforderliche tun, um den Euro zu erhalten." Allgemein wurde dieses Statement als Zusage verstanden, die EZB werde ihr Ankaufprogramm für Staatsanleihen wieder aufnehmen, wenn dies nötig sei. Sofort sanken die in den letzten Tagen stark gestiegenen Renditen auf spanische Staatsanleihen deutlich. Und sofort stiegen die Wertpapierkurse an den Börsen. Dies sind Geschehnisse, die in zweierlei Hinsicht nachdenklich machen sollten: Erstens, offenbar reagieren Börsen und Finanzmärkte anders, als die herrschende Politik sich dies vorstellt. Zweitens, wieder einmal muss die EZB einspringen, weil die Krisenbekämpfung à la Bundeskanzlerin versagt.
Wenn man Angela Merkel & Co. glaubt, dann gelten für die Krisenbekämpfung zwei Grundsätze:
- Erstens, Krisenbekämpfung ist erfolgreich, wenn sie "Vertrauen" an den Finanzmärkten schafft.
- Zweitens, "Vertrauen" an den Finanzmärkten schafft eine Finanzpolitik, die auf Ausgabenkürzungen und ausgeglichene Haushalte setzt.
Nun wird in den Krisenstaaten Südeuropas seit Jahren gekürzt, dass die Schwarte kracht. Die Zahlen und Daten sind eindeutig: Diese Politik führt geradezu notwendig in die wirtschaftliche Rezession und treibt die Staatsverschuldung noch weiter nach oben. Angesichts dieser Tatsache kann es nicht überraschen, dass etwa die Rating-Agenturen die Ratings auf Staatsanleihen europäischer Staaten wieder und wieder senken. Zuletzt waren gar Deutschland und mehrere seiner Bundesländer betroffen. Da mag Horst Seehofer so viel kürzen und so viel jammern wie er will: Es ist rational nachvollziehbar und geradezu zwingend, dass die bevorstehende Rezession in Europa, durch Austeritätspolitik provoziert, auch die Aussichten Deutschlands und Bayerns verschlechtert.
Nicht "OBWOHL die Staatsregierung spart und Schulden tilgt, senkt die Ratingagentur Moody's den Bonitätsausblick des Freistaats", wie die Süddeutsche Zeitung behauptet, sondern WEIL sie dies tut - gemeinsam mit allen anderen Regierungen in Deutschland und Europa. Und aus dem gleichen Grund verlangen Investoren von Italien und Spanien horrende, letztlich nicht bezahlbare Zinsen. Das Handeln der Ratingagenturen ist dabei ebenso rational wie das individuelle Verhalten der Finanzmarktakteure, auch wenn dies den neoliberalen Ideologien einer Merkel und eines Seehofer widerspricht.
Der Versuch, "Vertrauen" an den Finanzmärkten herbeizukürzen, ist also erneut gescheitert. Wieder einmal muss die EZB einspringen, noch immer allerdings kann sie dies wegen ihres beschränkten Mandats nur mit halber Kraft. (Die EZB darf Staatsanleihen nicht direkt bei den Staaten kaufen, sprich diesen nicht direkt Geld leihen, sondern nur vermittelt über die so genannten Sekundärmärkte - und selbst dies ist umstritten.) Und wieder einmal ist es der EZB schon alleine durch die Ankündigung, notfalls zu intervenieren, gelungen, Panik an den Börsen zu vermeiden.
Es wäre zu wünschen, dass das Mandat der EZB endlich erweitert wird. Sie bräuchte ein Mandat, wie es beispielsweise auch die Notenbanken der USA, Großbritanniens oder Japans haben. Wenn die EZB als "Lender of last resort" Staaten direkt finanzieren könnte und dies im Notfall auch tun würde, so könnten diese nicht mehr Pleite gehen. Schließlich kann die EZB theoretisch unbegrenzt Geld verleihen. Wenn Staaten aber nicht mehr Pleite gehen können, so gibt es keinen Grund für Finanzmarktakteure mehr, ihnen kein Geld zu leihen. Genau dieser Effekt ist mit Draghis Äußerung heute eingetreten, wenn auch zeitlich und quantitativ begrenzt aufgrund des beschränkten Mandats der EZB.
Dies hat bei genauerem Hinsehen nun aber gerade nichts mit "Vertrauen" zu tun, sondern stellt vielmehr einen notwendigen Schritt zur Entmachtung der Finanzmärkte dar: Würde die EZB konsequent deutlich machen, dass sie im Notfall Staaten direkt finanziert, so wäre nicht nur Schluss mit der Spekulation auf Staatspleiten, sondern auch mit hohen Strafzinsen auf die Anleihen vermeintlich gefährdeter Staaten. Finanzmarktakteure und Rating-Agenturen würden dann nicht mehr über das Wohl und Wehe von Staaten entscheiden können.
Merkel und ihrem Stellvertreter bei der EZB, gemeint ist Bundesbankchef Jens Weidmann, ist dies zutiefst zuwider. Sie glauben nach wie vor an die Rationalität der Finanzmärkte, deren "Vertrauen" durch eine angeblich vernünftige Kürzungspolitik zu gewinnen wäre. Und sie glauben nach wie vor daran, dass freie Finanzmärkte eine adäquate und risikogerechte Finanzierung von Staaten sicherstellen können. Vor der inhärenten Irrationalität dieser Märkte verschließen sie ebenso die Augen wie vor der Tatsache, dass Staaten in einen Teufelskreis aus wirtschaftlicher Misere und finanzpolitischer Misere geraten können, aus dem es ab einem bestimmten Punkt schlicht kein Entrinnen mehr gibt. Das gilt ganz besonders für Staaten, die Mitglied einer Währungsunion sind. Dies ist ein Teufelskreis, aus dem dann nur noch eine Zentralbank als "Lender of last resort" heraushelfen kann.
Es ist gut, dass Weidmann im EZB-Rat mit seinen Positionen längst isoliert ist - auch das hat Draghis Äußerung gezeigt. Schön wäre, man könnte von Merkel im Europäischen Rat das Gleiche sagen.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.