AfD: Die Risse vertiefen
4. Dezember 2017 | Sebastian Friedrich
Nach ihrem unaufhaltsam scheinenden Aufstieg werden in den kommenden Jahren zwei Konflikte die AfD prägen. - Die AfD ist vorerst am Ziel. Mit 12,6 Prozent ist sie am 24. September in den Deutschen Bundestag eingezogen. Erstmals seit den 1950er Jahren ist dort wieder eine offen rechte Partei vertreten. Nach 1945 war die Rechte in Deutschland traditionell zerfasert: Rechtsliberale waren eher in der FDP zu finden, Deutschnationale und Rechtskonservative in der Union und Völkische, Neonazis und christliche Fundamentalist_innen blieben die meiste Zeit unorganisiert oder in Kleinstparteien isoliert. In der AfD finden nun all diese Gruppen ihren Platz. Gefährlich an der AfD ist daher vor allem ihre Funktion als »verbindende Partei«: Ihr könnte es gelingen, das rechte Lager in Deutschland langfristig zu vereinen.
Bisher ist die AfD eher eine Ansammlung rechter Strömungen als eine Partei, die an einem gemeinsamen gesellschaftlichen Projekt arbeitet. Der Konsolidierungsprozess verläuft alles andere als störungsfrei. Die Partei hat bisher aber noch jede Abspaltung überlebt - wahrscheinlich wird sie auch den Weggang der Gruppe um Frauke Petry überstehen. (siehe Kasten) Ideologisch gibt es, allen Streitigkeiten zum Trotz, Überschneidungen zwischen den Strömungen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist die Ungleichheit. Ob für das Kollektiv oder das Individuum, ob naturgewollt oder selbst erarbeitet - für alle lautet die Devise: Dass der Stärkere sich gegenüber dem Schwächeren durchsetzt, ist richtig.
Die Chefstrategen wissen um die brüchige Allianz und versuchen, die Partei zusammenzuhalten. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, Alexander Gauland, betont gern, dass die Partei nur als Ganzes, also mit all ihren Strömungen, funktioniere. Als Parteigründer Bernd Lucke vor seinem Austritt dem völkischen Flügel um Björn Höcke den Kampf ansagte, schlug Gauland sich auf Höckes Seite. Als Lucke weg war und die Partei ihren nationalliberalen Flügel zu verlieren drohte, unterstützte Gauland den Wirtschaftsliberalen Jörg Meuthen im Wahlkampf in Baden-Württemberg. In der Programmdebatte war es Gauland, der mit Blick auf bestimmte Wählergruppen die Forderung nach der Privatisierung der Arbeitslosenversicherung aus dem Entwurf strich. (1) Und im Frühjahr brachte er die moderat erscheinende Alice Weidel als Co-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl ins Spiel.
Nach dem Austritt Petrys suchen er und die Strategieabteilung der AfD den Kontakt zu denjenigen, die der AfD ein bürgerliches Image verpassen wollen. Die Mehrheit der Mitglieder scheint den Willen zur Einigung zu teilen. Das zeigt etwa die Wahl der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. Unter den fünf Gewählten befindet sich keiner, der eindeutig dem völkischen Lager um Höcke zuzuordnen wäre. Im Gegenteil: Mit Roland Hartwig und Leif-Erik Holm sind sogar zwei einsteige Petry-Vertraute an Bord.
Realos versus Fundis
Und doch ist alles andere als sicher, dass der Einigungsprozess immer weiter fortschreitet. Einige Gemäßigtere erkennen, wie gut es der völkische Flügel versteht, sich zu organisieren und strategisch wichtige Positionen in der Partei zu besetzen. Kein Wunder: Viele von ihnen können auf Erfahrung in Parteien oder anderen politischen Organisationen zurückgreifen - und haben gute Berater. So geht die Gründung des »Flügels«, also des Sammelbecken der Völkischen in der AfD, auf die Gallionsfigur der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, zurück. (2)
Der völkische Flügel geht gestärkt aus der Bundestagswahl hervor. Erstens verschieben sich die Machtverhältnisse nach dem Abgang Petrys und Pretzells weiter nach rechts, zweitens ist der Rechtsaußen-Flügel in der Bundestagsfraktion stark vertreten. Und drittens sieht momentan alles danach aus, dass das Ausschlussverfahren gegen Höcke schon bald vom Tisch sein wird. Wohl auch deshalb versuchen die Gemäßigteren jetzt, sich stärker zu vernetzen. Sie haben innerhalb der Partei die Alternative Mitte gegründet. Ihnen gehe es um die Einheit der Partei und sie würden, wie es in einer Pressemitteilung vom Tag nach der Wahl heißt, für einen »moderaten Kurs streiten und sich insbesondere für einen ausgewogen zusammengesetzten neuen Bundesvorstand einsetzen«. (3)
Kontroverse Antworten auf die soziale Frage
Der Richtungsstreit zwischen Gemäßigteren und Völkischen vollzieht sich anhand der Konfliktlinie Realpolitik versus Fundamentalopposition. Die einen wollen vor allem mit Mitteln des Parlamentarismus agieren, die anderen sehen die AfD als Bewegungspartei und schielen in Richtung Identitäre Bewegung und Pegida. Es geht hier auch um wahlstrategische Abwägungen. Die Gemäßigteren erhoffen sich Unterstützung und Stimmen bürgerlicher Wähler_innen mit liberalen und konservativen Vorstellungen. Die Völkischen setzen dagegen auf Protest- und Nichtwähler_innen. Im Bundestagswahlkampf hat die AfD stark auf die letztere Wählergruppe fokussiert.
Die zweite große Streitfrage innerhalb der AfD ist die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Diese Konfliktlinie verläuft quer zum gemäßigten und zum völkischen Lager. So sieht sich der selbsternannte Arbeiterführer und ehemalige Sozialdemokrat Guido Reil aus dem Ruhrgebiet als Gemäßigter. Er macht sich für ein sozialeres Profil der AfD stark. Neben der Reilschen Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer gibt es noch einen Alternativen Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland, dem Höcke nahe steht. Auch innerhalb der intellektuellen Neuen Rechten wird gerade heftig über die soziale Frage diskutiert. (4)
Zwei Konzepte stehen sich gegenüber. Die wirtschaftsliberalen Rechten haben einen autoritär-liberalen Ordnungsstaat im Sinn. (5) Die Idee: Der Staat soll dem Markt die Wirtschaft überlassen, Sozialpolitik auf ein Minimum reduzieren und sich auf seine eigentliche Kernaufgabe konzentrieren, nämlich Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten - bzw. die Eigentumsverhältnisse zu schützen. Ferdinand Lassalle nannte ein solches Konzept einst treffend »Nachtwächterstaat«: Der Staat hält sich zurück, schaut regelmäßig, ob alles noch an seinem rechten Ort ist, und greift mit harter Hand ein, wenn Gefahr im Verzug ist. Dem stehen Konzepte gegenüber, die sich positiv auf den Sozialstaat beziehen und ihn - nur für Deutsche, versteht sich - ausbauen wollen.
In der Tat: Die AfD gibt sich zunehmend sozialer. So ist die Partei mittlerweile nicht nur für den Mindestlohn, sondern kritisiert auch Leiharbeitsfirmen. Allerdings verfolgt sie zugleich eine wirtschaftsliberale Agenda und möchte selbst von sozialdemokratischer Umverteilung nichts wissen. (6) Punkten kann die AfD bei Arbeiter_innen trotzdem. Zwar sind nur etwa ein Viertel aller AfD-Wähler_innen Erwerbslose, Arbeiterinnen oder Arbeiter (7), aber ihr Anteil steigt. So war die AfD bei den Bundestagswahlen - nach sozialen Milieus sortiert - in den sogenannten prekären Milieus stärkste Partei. (8) Das gibt jenen in der AfD Auftrieb, die sich für einen national-sozialen Kurs stark machen.
Statt darauf zu hoffen, dass sich die Partei von selbst zerlegt, ist es sinnvoller, an den inneren Widersprüchen des rechten Projekts anzuknüpfen und die Risse innerhalb der AfD zu vertiefen. Das hieße zum einen: versuchen, die AfD weniger an den Themen zu stellen, bei denen sich die Strömungen einig sind. Geht es etwa um innere Sicherheit und Einwanderung, herrscht weitgehend Konsens unter den Parteimitgliedern. Wer aber mit Guido Reil und Beatrix von Storch über Sinn und Unsinn des Sozialstaats diskutieren müsste, würde schnell feststellen, dass beide Welten trennen.
Perspektiven einer Gegenstrategie
Zudem ließe sich anhand der Sozialpolitik zeigen, wie stark sich das wirtschaftsliberale Programm von der sozialen Rhetorik in Wahlkampfzeiten unterscheidet. Mit Blick auf die große Gruppe der normalerweise nicht wählenden Armen in Deutschland, die die AfD teilweise mobilisieren konnte, dürfte es nicht schaden, immer wieder auf die unsozialen Ziele der Partei hinzuweisen. Denn selbst der weiße männliche Hartz-IV-Bezieher hätte bei der AfD wenig zu lachen. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik ist das Thema mit dem größten Spaltpotenzial quer durch die Strömungen und Basisverbände.
Zum zweiten bietet es sich an, die Gräben zwischen den Realos und den Fundis zu vertiefen, statt ihnen dabei behilflich zu sein, Brücken zueinander zu bauen. Gerade jetzt, da sich die Gemäßigteren in der AfD zu Wort melden, betonen AfD-Kritiker_innen häufig, diese seien ja auch nicht viel besser als die Völkischen. Es ist zweitrangig, ob dem so ist. Strategisch sinnvoller wäre es, die Differenz der beiden Flügel zu unterstreichen. Sicher, der gemäßigte Flügel hat mit vielem, was von rechtsaußen kommt, keine Probleme. Und häufig sind es auch eher taktische Überlegungen, bei denen die Flügel unterschiedliche Auffassungen haben. Aber: Bei den eher gemäßigten Mitgliedern, besonders an der Basis, rumort es gewaltig. Wer sich dort dieser Tage an der Basis umhört, bekommt häufiger Sätze zu hören wie: »Wenn Höcke und seine Leute die Überhand gewinnen, bin ich weg«. Einige dürften das ernst meinen.
Sollte sich tatsächlich das Höcke-Lager durchsetzen und sollten immer mehr Gemäßigte der AfD den Rücken kehren, wird das der Partei Stimmen kosten. Am rechten Rand dürfte die AfD ihr Potenzial weitgehend ausgeschöpft haben. Die verbliebenen rechten Parteien erhalten kaum noch Stimmen, seitdem die AfD so stark ist. Auf der anderen Seite blicken vor allem jene, die vorher Parteien links der AfD gewählt haben, mit Sorge auf die Rechtsentwicklung. Man darf nicht unterschätzen: Knapp die Hälfte der AfD-Wählerschaft sagt, die Partei grenze sich zu wenig nach rechts ab.
Wenn es den Gegenkräften in Politik, Medien und Öffentlichkeit gelänge, die Risse zwischen den gemäßigteren Mitgliedern und dem völkischen Flügel sowie die zwischen National-Sozialen und den Neoliberalen zu vertiefen, könnte der Einigungsprozess ins Stocken geraten, ja vielleicht sogar noch aufgehalten werden.
Anmerkungen:
- 1) Sebastian Friedrich: Die AfD. Analysen, Hintergründe, Kontroversen. Berlin 2017, Seite 120f.
- 2) Melanie Amann: Angst für Deutschland. Die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert. München 2018, Seite 147f.
- 3) Pressemitteilung Alternative Mitte Bayern, Sachsen Anhalt, Thüringen vom 25. September 2017.
- 4) Siehe den Beitrag von Michael Barthel in dieser ak-Ausgabe, Seite 22.
- 5) Siehe Dimitrios Kisoudis: Was nun? Vom Sozialstaat zum Ordnungsstaat. Waltrop, Berlin 2017.
- 6) Markus Krüsemann und Patrick Schreiner: Ein Blick ins Wahlprogramm: Die AfD ist keine Partei für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In: annotazioni.de, 14. Juni 2017.
- 7) Oskar Niedermayer und Jürgen Hofrichter: Die Wählerschaft der AfD: Wer ist sie, woher kommt sie und wie weit rechts steht sie? In: ZParl Zeitschrift für Parlamentsfragen 47 (2016) Heft 2, Seite 267-285.
- 8) Robert Vehrkamp und Klaudia Wegschaider: Populäre Wahlen. Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017. Gütersloh 2017, Seite 52f.
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Sebastian Friedrich ist Journalist und Publizist aus Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsdiskurse, Neue Rechte, AfD, Kritische Soziale Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Als @formelfriedrich twittert er regelmäßig. Seine Homepage: sebastian-friedrich.net.