AfD: Fünf Thesen zum Umgang mit der AfD
14. Juli 2016 | Markus Krüsemann
Der gar nicht so plötzliche, dann aber doch fulminante Aufstieg der AfD hat die etablierten Parteien und weite Teile der Öffentlichkeit überrascht. Entsprechend aufgeregt und bisweilen orientierungs- und hilflos waren lange Zeit die Reaktionen aus der offiziellen Politik, den sozialen Bewegungen und den Medien. Mittlerweile zeichnet sich ein rationaleres Vorgehen ab, aber eine konsistente oder gar konzertierte Strategie, wie der AfD klug zu begegnen ist, ist (noch) nicht erkennbar. Mit folgenden fünf Thesen soll die Debatte vorangetrieben werden.
Ganz abgebrühte Zeitgenossen könnten jetzt vermutlich dazu raten, einfach mal abzuwarten, wie sich das Phänomen AfD von selbst erledigt, weil die Partei an ihrer Widersprüchlichkeit scheitern und sich selbst zerlegen wird. Auch wenn es immer mal wieder und in letzter Zeit sich häufende Anzeichen dafür gibt, allein auf eine List der Vernunft zu hoffen, könnte sich am Ende als fatal erweisen. Für alle anderen emanzipatorischen Kräfte stellt sich daher die Frage, wie man verlorenen politischen Boden wieder gut machen kann.
1) Der mediale Erregungsmodus muss durchbrochen werden.
Ein Stück weit ist die AfD zunächst auch ein von um Aufmerksamkeit buhlenden Medien aufgeblasener Popanz. Hier gehört dringend die Luft rausgelassen. Insoweit der Journalismus hierfür eine Mitschuld trägt, sollten sich die Medien nicht nur ihrer Verantwortung bewusst werden (wie oft so schön und wattebauschig gefloskelt wird), nein, die Macher aller Medienprodukte, die sich nicht zur Boulevardjournaille zählen lassen wollen, sollten endlich aufhören, in deren Berichtsmodus zu arbeiten. Auch wenn die Personaldecken überall fadenscheinig geworden sind: Skandalisierungen und inhaltsleere Strohfeuer ersetzen keine Recherchen und substanziellen Analysen.
Aber auch für alle anderen Akteure und Aktivist/innen sollte gelten, was Jens Berger bereits im April in einem Artikel auf den Nachdenkseiten gefordert hat: Eine konstruktive und unaufgeregte Debatte, die sich über ideologische Gräben hinwegsetzt, die sich auch nicht darin erschöpft, aus purem Reflex heraus das Gegenteil dessen, was die politische Rechte fordert, zum Ziel zu erheben. Dem ist zuzustimmen, und das hat nichts mit einer hier und da geforderten Gelassenheit zu tun, die angesichts der Ereignisse der letzten Monate absolut unangebracht ist. Die AfD und ihre Entwicklung müssen äußerst ernst genommen werden, und gerade deshalb verbieten sich nicht nur jedes Ignorieren und Verharmlosen, sondern auch unreflektierte Schnellschüsse. Steter Alarmismus ist nicht angebracht und wird auch schnell zu einem stumpfen Schwert.
Insofern ist es generell geboten, sich nicht an jedem Programmpunkt der AfD öffentlich abzuarbeiten, sich nicht bei jeder intellektuellen Flatulenz eines AfD-Menschen zu empören und automatisch das Gegenteil zu fordern. Ersteres spielt nur der AfD in die Hände, die sich über Aufmerksamkeit und Medienpräsenz freuen kann. Letzteres kann ebenfalls schnell nach hinten losgehen. Unausgegorene, bloß antithetische Alternativvorschläge werden bei den Menschen, die sich - zu Recht oder Unrecht – bedroht oder verunsichert fühlen, schlecht ankommen und sie in ihrer Politikverdrossenheit eher bestärken. Noch dazu befördern sie die in den Medien sowieso gern geschürten Vorurteile mangelnder Seriosität und Kompetenz, ja Naivität linker, emanzipatorischer Lösungskonzepte.
2) Parolen der AfD entlarven
Schaut man sich die mittlerweile vorliegenden Parteiprogramme an, so findet man über weite Strecken ein Sammelsurium ideologisch nicht konsistenter Forderungen, die im Ungefähren und oft im Parolenhaften verbleiben. Auch in Interviews offenbaren auf Parolen und Forderungen angesprochene AfD-Politiker/innen beim Nachhaken oft konfuse Vorstellungen oder Lösungsvorschläge.
Es gehört zu den Mühen der Ebene, immer wieder die Luft aus den AfD-Sprechblasen der Frontmänner und -frauen zu lassen, ihre Falschaussagen zu entlarven, die Substanzlosigkeit ihrer populistischen Forderungen und die Unsinnigkeit und Wirkungslosigkeit ihrer politischen Konzepte nachzuweisen, um so die politische Inkompetenz der Partei sichtbar werden zu lassen. Wie oben erläutert geht es nicht darum, sich immer wieder an den empörungsträchtigen Zielsetzungen abzuarbeiten, vielmehr müssen die Marschrichtung und die damit verbundenen Konsequenzen von vermeintlich harmlosen programmatischen Zielen in einzelnen Politikfeldern sachlich und fundiert offengelegt werden.
So notwendig diese Aufklärung ist, sie ist nicht hinreichend, denn niemand sollte sich falschen Hoffnungen hingeben, dass man allein im Diskurs und mit den guten und richtigen Argumenten AfD-Wähler/innen und -Sympathisierende zurückgewinnen kann. Wie bei Parteien leider üblich, so wissen auch die allerwenigstens AfD-Anhänger über die Parteiprogrammatik Bescheid. Wirkungsmächtig ist hier eher das über die Parolen transportierte Image, das bei ihnen die fremdenfeindlichen und nationalistischen Saiten im schon vorhandenen autoritären Weltbild zum Klingen bringt.
3) Autoritär strukturierte Ethnozentristen zurückgewinnen
Wer die AfD entzaubern will, der sollte sich also von vorneherein auch darüber im Klaren sein, dass er nur einen Teil der aktuellen Wählerschaft überzeugen und „bekehren“ wird können. Der fremdenfeindliche Nationalismus, der staatlich und öffentlich gern verdrängte Rechtsextremismus, sie haben einen harten Kern an Protagonisten, der weder belehr- noch bekehrbar ist (zu ihnen zählen auch Mitglieder und Funktionsträger der AfD). Eine Auseinandersetzung mit ihnen bringt wie bei hartnäckigen Faschisten und deren Sympathisanten nichts und verschleißt nur die Kräfte.
Falsch wäre es aber auch einfach das gesamte Wählerpotenzial der AfD in die rechte Ecke zu stellen. Zwischen den (wenigen) argumentativ Erreichbaren und der Gruppe der überzeugten Faschisten sowie der längst in rechte Milieus Abgedrifteten existiert eine große Wählerklientel, die zurückgewonnen werden kann. Auf diese diffuse und inhomogenen Gruppe, man könnte sie mit Wolfgang Kraushaar als autoritär strukturierte Ethnozentristen bezeichnen, Menschen, die sich einer bevorrechtigten Gruppe zurechnen, indem sie sich in ethnischer, religiöser und kultureller Hinsicht gegen andere, gegen Fremde abgrenzen, gilt es sich zu konzentrieren.
Sehr viele von ihnen, die heute AfD-Positionen zustimmen und meinen, von der AfD besser repräsentiert zu werden, die glauben, bei der Partei eine neue Heimat finden zu können, sich aber noch nicht häuslich eingerichtet haben, viele von ihnen gehörten lange Zeit zur Wählerschaft der SPD und auch der Linkspartei. Wenn beide Parteien sie wieder an sich zu binden vermögen (und zwar bald, bevor sie zu Stammwählern werden), dann wäre viel gewonnen. Das funktioniert natürlich nicht, indem man wie die Konservativen AfD-Parolen in einer Light-Version des Rechtspopulismus übernimmt, sondern nur mit klugen linken Gegenkonzepten, die eine glaubhafte und attraktive Perspektive eröffnen.
4) Solange der neofaschistische Flügel in der AfD eine Randexistenz in der Partei führt, sind Verbote und Verhinderungen der falsche Weg.
Auch wenn die AfD bereits klar gesagt hat, dass sie ein anderes Deutschland will - noch ist unklar, wessen Vorstellungen über den Weg dahin und das Ziel sich in der Partei durchsetzen werden. Solange die neofaschistische Parteiströmung nicht die Oberhand gewinnt (und das muss aufmerksam beobachtet werden), muss in erster Linie die politische Auseinandersetzung gesucht werden.
Wer die AfD darüber hinaus bekämpfen will, mag und soll sich ihr auf vielfältige Weise in den Weg stellen, aber nicht im Wortsinne: Straßenkämpfe und Sabotageaktionen, ob unter Berufung auf zivilen Ungehorsam oder nicht, gehören nicht dazu. Versuche, Parteitage, Politikerauftritte und Demonstrationen gewaltsam zu sprengen, sind auch taktisch unklug. Von solchen Provokationen und den darauf medial verbreiteten Skandalisierungen profitiert die Partei, die je selbst geschickt das Mittel der Provokation einsetzt, um Sympathisanten zu gewinnen, gleich mehrfach. Sie erhält weitere Medienpräsenz, kann sich als Hort von bedrohten Demokraten präsentieren bzw. maskieren und dabei auch noch in eine Art Märtyrerrolle schlüpfen. Linker Politik wird so ein schlechter Dienst erwiesen.
5) Das Thema Migration aktiv, ja offensiv angehen
Migration in den unterschiedlichsten Formen und aus den unterschiedlichsten Gründen bleibt auch in Zukunft, was es schon seit Jahren ist: ein vordringliches politisches Handlungsfeld, für dass alle europäischen Gesellschaften vernünftige und dauerhafte Lösungen entwickeln müssen. Nicht nur in Deutschland, das lange davon träumte, kein Einwanderungsland zu sein, hat man dieses Politikfeld wider besseres Wissen viel zu lange vernachlässigt, ja bewusst ignoriert.
Im Endeffekt steht die Politik jetzt der aktuellen, eigentlich aber absehbaren Flüchtlingsproblematik konzept- und ratlos gegenüber. Schlimmer noch: Durch jahrelanges Nichtbefassen mit dem Thema Einwanderung hat man eine Art Vakuum geschaffen, in das die AfD bereitwillig eingedrungen ist. Wer eine wichtiges, ja thematisch brisantes Politikfeld unbesetzt lässt, in der Hoffnung, es damit klein halten zu können, der braucht sich nicht wundern, dass es von Populisten besetzt wird. Genau dies ist im Bereich der Flüchtlingspolitik geschehen. Solange die AfD hier ihr Süppchen am Kochen halten kann, werden ihre Umfragewerte hoch bleiben.
Um zu verhindern, dass die AfD das Thema Migration noch weiter für sich ausschlachtet, müsste die Politik in die Offensive gehen. Auch wenn eine Lösung der Flüchtlingsproblematik als die derzeit dringendste Aufgabe erscheint, so sollten darüber hinaus auch weitere die Einwanderungsthematik betreffende Aspekte gleich mit in den Blick genommen werden. Im Idealfall würde Politik hierbei unter Einbindung der Zivilgesellschaft Lösungen entwickeln und in politische Konzepte gießen. Ob die Große Koalition und die anderen bürgerlichen Parteien dazu überhaupt noch in der Lage sind, darf allerdings massiv bezweifelt werden.
Protagonisten einer linken, emanzipatorischen Politik stehen hier ebenfalls vor großen Herausforderungen. Sie müssen auch für die Skeptiker attraktive und gleichermaßen tragfähige Alternativkonzepte entwickeln. Nur wenn es am Ende gelingt, Migration als etwas Vorteilhaftes auf die politische Agenda zu setzen, eine positive Perspektive zu entwerfen und in der öffentlichen Meinung zu verankern, besteht die Chance, dass solche Konzepte zumindest tendenziell mehrheitsfähig werden. Und es wird nur solchen Konzepten gelingen, von denen auch die Abgehängten, die Benachteiligten und die Abstiegsbedrohten überzeugt sind, dass sich damit ihre eigenen Lebenslagen verbessern werden.
In der derzeitigen Situation wird eine Veränderung zum Positiven aber wohl kaum durch das "Prêt à porter"-Angebot einer fertigen programmatisch-inhaltlichen Alternative eingeleitet werden können. Linke Politik sollte auf den Prozess setzen, auf Suchprozesse und Diskussionen, die, medial vermittelt, in breiten Teilen der Bevölkerung dann auf Interesse stoßen, wenn sie darin ihre eigenen Fragen, Unsicherheiten und Befürchtungen wiederfinden. Das ist die Voraussetzung, um überhaupt eine positive Vision von Migration vermitteln zu können.
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.