AfD: Guter Wille und blinder Anti-Rassismus genügen nicht!
16. Juni 2016 | Sebastian Friedrich
Nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt vom 13. März ist klar: Die AfD wird so schnell nicht mehr verschwinden. Angesichts dieser düsteren Ausgangslage rufen immer mehr Linke - je nach politischer Tradition - nach Einheitsfront oder breiten Bündnissen.
Mehr als ein rechter Kulturkampf
Das, was momentan in der Debatte um Geflüchtete zum Vorschein kommt, ist Resultat eines Formierungsprozesses der vergangenen Jahrzehnte. Betrachtet man die weiteren Elemente des rechten Projekts, so wird deutlich: Die AfD steht im Zentrum und ist zugleich Ausdruck einer immer enger zusammenwachsenden Front. Sie reicht von Denkfabriken wie dem Institut für Staatspolitik (IfS), der Hayek-Gesellschaft, rechten Publikationsorganen wie Junge Freiheit und dem Compact Magazin über vermeintlich unabhängige Stichwortgeber_innen wie Thilo Sarrazin, Peter Sloterdijk und Eva Hermann bis zu einer rechten sozialen Bewegung auf der Straße. Die Rechten waren vorher schon da, die Debatten um Geflüchtete konnten sie nutzen, weil sich das Thema bestens um ihren zentralen ideologischen Hebel gruppieren lässt: den Kampf der Kulturen. Vom Standpunkt rechter Kulturkämpfer_innen aus gesehen gibt es auf gesellschaftspolitischer Ebene einigen Anlass zur Sorge. Sie wollen tendenziell in einer Gesellschaft wie in den 1950er Jahren leben, als der Schwulenparagraph noch galt, Frauen in der Ehe noch straffrei vergewaltigt wurden und Migrant_innen per se als Gäste galten. Dass die Merkel-CDU stärker auf das urbane, modernisierte, biomarktaffine, perfekt englischsprechende Bürgertum schielt, hat das wertkonservative Milieu weiter radikalisiert.
Doch ausschließlich mit den gesellschaftspolitischen Veränderungen wäre das Phänomen der rechten Formierung unzureichend erklärt. Wie jedes Hegemonieprojekt braucht auch das rechte eine Klassenbasis, auf dem es sich gründet. Die AfD unterscheidet sich da kaum von den meisten anderen rechten Projekten, die in den vergangenen Jahren in Europa entstanden sind: Die führenden Gruppen speisen sich aus reaktionären Teilen der Mittelschicht, dem Kleinbürgertum, »mittelständischen« Unternehmer_innen sowie Teilen der Arbeiterklasse.
Es geht den Kleinbürger_innen nicht nur um einen rechten Kulturkampf, sie lösen sich zunehmend aus dem Machtblock. Der neoliberale Kapitalismus ist für das Kleinbürgertum mehr und mehr zum Problem geworden. Die Angst vor sozialem und ökonomischem Abstieg kehrte auch bei jenen ein, die gut situiert sind und in der Reihenhaussiedlung wohnen. Während der gerne romantisierte rheinische Kapitalismus dank seines Aufstiegsversprechens integrierend wirkte, droht der Krisenkapitalismus allen mit Abstieg. Der optimistische Zukunftsblick wich einer rückwärtsgewandten Vergangenheitsfixierung. Der reaktionäre Teil der »abstiegsbedrohten Mittelschicht« erhält Unterstützung durch jene Kapitalfraktionen, denen der globalisierte Kapitalismus ebenfalls bedrohlich scheint: Unternehmen, die auf lokale und regionale Absatzmärkte setzen, die Euro, EU und TTIP eher fürchten und die sogar günstigem Humankapital aus Syrien skeptisch gegenüberstehen.
Bündnis mit Arbeiter_innen und Erwerbslosen
Das rechte Projekt der Kleinbürger_innen und des Mittelstands strebt ein Klassenbündnis mit der Arbeiterklasse an. Während die AfD zu Beginn vor allem Einkommensstarke und Selbständige ansprechen konnte, hat sich das Wählerklientel spätestens bei den jüngsten Landtagswahlen erweitert. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Sachsen-Anhalt war die AfD mit Abstand stärkste Partei bei Arbeiter_innen und Erwerbslosen – ein Novum für die Partei.
Viele Linke waren angesichts dieser Ergebnisse schockiert, versprachen doch die Wahlprogramme abseits der Slogans auf den Plakaten vor allem Steuererleichterungen für die Kapitalseite. Wie bei allen gesellschaftlichen Gruppen sind auch bei Arbeiter_innen und Erwerbslosen strukturkonservative bis rassistische Einstellungen vorhanden. Erschwerend hinzu kommt: Der Rassismus der weißen Arbeiterklasse kann sich auf eine materielle Basis stützen. So geht etwa die Spaltung der Belegschaften nicht spurlos an den noch einigermaßen gesicherten Fraktionen vorbei.
Diejenigen Arbeiter_innen, die noch über relativ hohe Löhne verfügen und denen die Mitbestimmung im Betrieb nicht gänzlich entzogen wurde, sehen die Bedrohung alltäglich in ihrem Umfeld – bei den Gruppen, auf die die Risiken verlagert wurden: Werkvertragler_innen, Zuliefer_innen, Leiharbeiter_innen. Sie schauen auf die Kolleg_innen neben sich, die die gleiche Arbeit verrichten, aber letztliche nur die Hälfte des Lohns verdienen. Sie hören allerorts von Rationalisierungen, Fusionen und Outsourcing. Auch bei Arbeiter_innen gilt: Nicht mehr die Verbesserung der Situation ist die Perspektive, sondern der drohende Verlust. Die institutionalisierte Angriffsposition der (Industrie-) Gewerkschaften wich entsprechend der Verteidigung des Bestehenden.
Doch die AfD kann nicht nur bei der »Arbeiteraristokratie« punkten, sondern auch bei Deklassierten. Auch hier gibt es eine materielle Basis: Die Unterklasse ist von den sozialen Verwerfungen der vergangenen Jahre am stärksten betroffen. Der Ausbau des Niedriglohnsektors, Liberalisierungen für Leiharbeitsfirmen und europäische Regelungen wie Arbeitnehmerfreizügigkeit und Entsendungen verstärkten den Druck, auch die Konkurrenz zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen wird sich aufgrund der sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen verschärfen – von der Konkurrenzsituation auf dem Wohnungsmarkt mal ganz abgesehen. Sicher wird der erhöhte Druck die unteren Fraktionen der Arbeiterklasse als erste treffen.
Hier zeigt sich, dass sich der Erfolg der AfD nicht nur über eine Spaltung der bürgerlichen Rechten erklären lässt. Dass sich das rechte Projekt auch auf Teile der Arbeiterklasse stützen kann, ist auch Resultat einer Abkehr der Sozialdemokratie von sozialdemokratischer Politik, schließlich gehen Hartz IV, Ausbau des Niedriglohnsektors und Steuererleichterungen für die Kapitalseite auf das rotgrüne Konto – von der neoliberalen Europapolitik der Sozialdemokratie ganz zu Schweigen.
Das ist auch dem rechten Flügel der AfD nicht entgangen. Bei den Wahlkämpfen war zu beobachten, dass in den Arbeitersiedlungen vor allem Plakate hingen, die soziale Themen ins Zentrum stellten, in bürgerlichen Gegenden ging es viel stärker um Innere Sicherheit, Familie und Geflüchtete. Alexander Gauland, der heimliche Parteivorsitzende, spricht sich seit Monaten für den Beibehalt des Mindestlohns aus. Er und seine Gefolgsleute Björn Höcke und André Poggenborg werden nicht müde zu betonen, dass es ihnen um die kleinen Leute geht. Mit dem Klassenbündnis aus Kleinbürgertum und weißer Arbeiterklasse hat die AfD mehr denn je das Zeug dazu, ein deutscher Front National (FN) zu werden.
Dessen Erfolg bei vergangenen Wahlen gründet sich vor allem darauf, dass es gelang, neben seinem Kernklientel – gutverdienendes konservatives Bürgertum im Süden – die (weißen) Frustrierten im deindustrialisierten Norden Frankreichs anzusprechen. Der FN geriert sich als letzter Verteidiger des Sozialstaats, doch – wie auch bei der AfD – ergreifen Marine Le Pen und Co. im Zweifel Partei für die auf regionale und lokale Absatzmärkte setzenden Kapitalfraktionen. Man sollte deshalb nicht den Fehler machen, die Rhetorik der Parteirechten mit der tatsächlichen Programmatik zu verwechseln. Die AfD steht im Kern für eine autoritär-protektionistische Variante des Neoliberalismus, die Teile der Arbeiterklasse einbindet und Deklassierten ein paar Brotkrümel zugesteht.
Kein Anlass zu Einheitsfront und breiten Bündnissen
Das rechte Projekt – mit der AfD im Zentrum – hat sich herausgelöst aus dem herrschenden Machtblock, deren verbliebener Teil diejenigen Parteien sind, mit denen einige Linke jetzt gerne zusammenarbeiten wollen. SPD und Grüne (und CDU/CSU sowieso) sind Teil des Machtblocks, der gesellschaftspolitisch einigermaßen fortschrittlich ist, sozioökonomisch aber auf Konkurrenz setzt, den Interessen des exportorientierten Kapitals Vorrang einräumt, die »Standortbedingungen« auf Kosten der Angestellten verbessert und zugleich schillernde Diversity-Programme auflegt. Der ideale parteienförmige Ausdruck des »weltoffenen« Neoliberalismus war die rotgrüne Bundesregierung 1998 bis 2005. Sie kombinierte ein auf kultureller Ebene einigermaßen linkes Programm mit einem wirtschafts- und sozialpolitisch stramm rechten, neoliberalen Kurs: Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts und die Einführung der Lebenspartnerschaft wurden kombiniert mit einem im Sinne der Kapitalinteressen radikalen Umbau des Sozialstaats. Auch die auf Rotgrün folgenden Regierungen haben im Kern diesen Kurs fortgeführt.
Viele Linke suchen nun ein Bündnis mit den (vermeintlich) linken Teilen der etablierten Parteien, etwa in der Aktion „Aufstehen gegen Rassismus“. Eine solche Strategie wäre in zwei Fällen gerechtfertigt: wenn eine Machtübernahme des rechten Projekts quasi vor der Tür stünde oder wenn man eine Aussicht hätte, dank dieses Bündnisses dem Machtblock Risse zuzufügen.
Ersteres steht nicht an: Das rechte Projekt hat gerade weder Aussicht eine Mehrheit der Gesellschaft noch führende Kapitalfraktionen und Medien einzubinden. BDI und BILD und haben keinen Bock auf AfD. Die Chancen für ein rechtes Hegemonieprojekt, das auch das exportorientierte Kapital bindet, haben sich sogar verschlechtert, seitdem Hans-Olaf Henkel, Bernd Lucke und Joachim Starbatty die Partei verlassen haben.
Auch die Aussicht, »Spielräume« innerhalb des in die Krise geratenen Machtblocks nutzen zu können, sind mehr als begrenzt. Nicht nur ist die radikale Linke zu schwach, um innerhalb des Blocks eine starke eigenständige Position einnehmen zu können. Schlimmer noch: Es fehlt an jedem strategischen Anknüpfungspunkt. Grüne und SPD sind gegen die rechte »Alternative«, weil sie eine andere Form von Kapitalismus und Nationalismus befürworten. Das rechte Projekt kämpft für eine autoritär-protektionistische Variante des Neoliberalismus gegen diejenigen, die für der einen weltoffenen, globalisierten Neoliberalismus sind. Es geht der Mehrheit bei SPD und Grünen wohl noch nicht einmal um ein tatsächlich sozialdemokratisches Gegenprojekt zum Etablierten. Aus Sigmar Gabriel und Co. werden in diesem Leben wohl keine Bernie Sanders oder Jeremy Corbyns mehr.
Eine sinnvolle linke Strategie gegen die rechte Formierung muss beiden Varianten des Neoliberalismus etwas entgegen setzen – und sich nicht mit einer Seite gemein machen.
Dieser Artikel erschien in einer längeren Fassung und unter anderem Titel zuerst in ak 615. Wir danken für die Genehmigung zur Übernahme des Textes.
Der Text gehört zu einer kleinen Artikel-Reihe, mit der wir bis zur Sommerpause die "Alternative für Deutschland" aus verschiedenen Perspektiven thematisieren. Wir wollen damit Denkanstöße geben und zur Auseinandersetzung aufrufen. Zugleich laden wir unsere Leserinnen und Leser ein, sich mit weiteren Artikeln zu beteiligen oder sich mit Kommentaren in die Diskussion einzubringen. Der nächste Beitrag erscheint am 23. Juni und fragt nach der Rolle von Ressentiments und Neoliberalismus in rechtspopulistischer Programmatik.
Sebastian Friedrich ist Journalist und Publizist aus Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsdiskurse, Neue Rechte, AfD, Kritische Soziale Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Als @formelfriedrich twittert er regelmäßig. Seine Homepage: sebastian-friedrich.net.