Arbeitsproduktivität und Einkommen: Arbeitnehmer/innen verlieren seit Jahrzehnten
26. Februar 2014 | Patrick Schreiner
Die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde in Deutschland wächst seit Jahrzehnten beständig an. Pro Arbeitsstunde werden damit immer mehr Waren und Dienstleistungen produziert. Die abhängig Beschäftigten selbst aber profitieren davon nur unterdurchschnittlich: Ihr inflationsbereinigter Stundenlohn wächst weit weniger stark als ihre Produktivität. Kapital- und Gewinneinkommen hingegen profitieren.
Durch immer effizientere Technologien und durch eine zunehmend bessere Ausbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden die Erwerbstätigen in Deutschland immer produktiver. Seit 1991 ist ihre Produktivität je Erwerbstätigenstunde um über 36 Prozent angestiegen. Ihr inflationsbereiniger (realer) Stundenlohn allerdings wuchs im genannten Zeitraum nur um knapp 16 Prozent. Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde sowie das reale Arbeitnehmereinkommen je Arbeitsstunde im wiedervereinigten Deutschland seit 1991:
Abbildung 1: Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde und Reales Arbeitnehmereinkommen je Arbeitsstunde 1991-2012 in Deutschland, verkettet, 1991=100. Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnung und Darstellung.
Fast im gesamten hier abgebildeten Zeitraum wachsen die Arbeitnehmereinkommen langsamer als die Produktivität (dies gilt in ähnlicher Weise auch für die USA, wie Josh Bivens in einem Artikel hier darstellt.). Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer produzieren also immer mehr, werden aber an dieser Mehrproduktion nur in geringem Umfang beteiligt. Es fällt auf, dass etwa ab dem Jahr 2003, verstärkt aber ab 2005 der reale Stundenlohn für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sogar rückläufig ist – zunächst verhalten, dann sehr deutlich. Dies dürfte neben der lang anhaltenden Konjunkturschwäche in jener Zeit auch auf die so genannte "Agenda 2010" bzw. die Hartz-Gesetzgebung der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) zurückzuführen sein. Erst die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2009 kehrte diese rückläufige Entwicklung bei den Arbeitnehmer-Stundenlöhnen um. Dies ist allerdings zumindest für 2009 nur ein statistisches Phänomen, zurückzuführen auf die krisenbedingt deutliche Reduktion der Arbeitsstunden. Ihr steht spiegelbildlich ein Einbruch der Arbeitsproduktivität im gleichen Jahr gegenüber. Und ab 2010 öffnet sich die Schere zwischen Arbeitsproduktivität und Arbeitseinkommen erneut.
Insgesamt zeigt sich, dass die Arbeitsproduktivität sehr viel schneller wächst als der reale Arbeitnehmer-Stundenlohn. Diese Entwicklung ist keineswegs neu. Wie die folgende Abbildung zeigt, wuchs auch schon vor 1991 die Arbeitsproduktivität deutlich schneller als das reale Arbeitnehmereinkommen je Stunde:
Abbildung 2: Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde und Reales Arbeitnehmereinkommen je Arbeitsstunde 1970-1990 in Deutschland, verkettet, 1970=100. Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnung und Darstellung.
Es fällt auf, dass sowohl die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde als auch das reale Arbeitnehmereinkommen je Arbeitsstunde insgesamt deutlich stärker wachsen als oben in Abbildung 1. Des Weiteren zeigt Abbildung 2, dass beide Werte insbesondere ab Ende der 1970er / Anfang der 1980er Jahre auseinanderfallen, während sie sich zuvor noch halbwegs parallel entwickelt hatten (mit einem ersten Einbruch Mitte der 1970er Jahre allerdings). Dies ist ziemlich genau der Zeitraum, in dem sich in Deutschland und weltweit eine angebotsorientierte, neoliberale Wirtschaftspolitik durchsetzte. Ab jener Zeit begann man, die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften systematisch zu schwächen, Löhne zu drücken und eine wachsende soziale Ungleichheit hinzunehmen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland seit mindestens den frühen 1970er Jahren (tatsächlich natürlich auch schon in den Jahrzehnten davor) immer produktiver werden, von dieser wachsenden Arbeitsproduktivität aber nur unzureichend profitieren. Die wachsende soziale Ungleichheit – sowohl bei Einkommen als auch bei Vermögen – ist im Kern auf diesen Umstand zurückzuführen.
Wie die folgende Abbildung 3 zeigt, führt das unzureichende Wachstum der Löhne unmittelbar zu einem Rückgang der Lohnquote und damit spiegelbildlich zu einer Zunahme der Kapital- und Gewinneinkommen (und zwar keineswegs nur in Deutschland):
Abbildung 3: Bereinigte Lohnquote 1975-2011 – Deutschland, Frankreich, Japan. Managementgehälter nicht herausgerechnet. Quelle: AMECO-Datenbank, eigene Darstellung.
(Methodische Anmerkung: Aufgrund der deutschen Wiedervereinigung sowie diverser Revisionen der Statistik ab 1991 sind die Daten für Arbeitsproduktivität und Arbeitnehmer-Stundenlöhnen vor und nach 1990/1991 nur bedingt vergleichbar. Das ist der Grund dafür, dass ich sie auf zwei Abbildungen - 1 und 2 - aufgeteilt habe.)
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.