Dokumentation
Aufruf: Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!
22. März 2022 | Redaktion
Zahlreiche Politikerinnen, Künstler, Gewerkschafterinnen und Wissenschaftler sprechen sich in einem öffentlichen Appell gegen die geplante Aufrüstung in Deutschland aus. Wir dokumentieren nachfolgend den Aufruf, der unterzeichnet werden kann.
Der Aufruf kann hier unterzeichnet werden: ▸https://derappell.de/
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Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!
Am 24. Februar überfiel Russland unter Präsident Wladimir Putin die Ukraine. Schon jetzt hat dieser Krieg Tausende Opfer gefordert und HundertÂtausende die Heimat gekostet.
Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Putin trägt die volle Verantwortung für die Toten und die Menschen auf der Flucht. Putins Begründungen für den Krieg sind Lügen und Propaganda. Wir machen uns große Sorgen über die Zukunft von Frieden und Sicherheit in Europa und der Welt. Diese Angst verbindet uns mit den HundertÂtausenden Menschen, die nach Beginn des Krieges allein in Köln, Berlin, München, Frankfurt, Hamburg und Hunderten anderen Städten auf die Straße gingen und dort ihrer Empörung über Putins Krieg, ihre Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, ihrer Angst vor einer weiteren Eskalation und ihrem Wunsch nach Frieden und Sicherheit Ausdruck verliehen. Mit ihnen gemeinsam haben wir gegen Putins Krieg und für Frieden demonstriert.
Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie KampfÂflugÂzeugen und bewaffnungsÂfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren MilitärÂblöcken ist sinnlos.
Diese Demonstrationen waren die größten FriedensÂdemonstrationen seit den Protesten gegen den Irakkrieg im Jahr 2003. Noch am selben Tag, an dem in Berlin die Menschen gegen den Krieg auf die Straße gingen, präsentierte die Bundesregierung mit Unterstützung der CDU/CSU ein MaßnahmenÂpaket, das die größte Aufrüstung Deutschlands seit Ende des Zweiten Weltkriegs vorsieht. Eine massive Hochrüstung der Bundeswehr hilft den Menschen in der Ukraine nicht. Die neu anzuschaffenden Waffen werden die Ukrainer:innen in ihrem Kampf und Recht auf Selbstverteidigung nicht unterstützen. Schon jetzt übersteigen die »VerteidigungsÂausgaben« aller 30 NATO-Staaten die russischen um fast das Zwanzigfache. Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren MilitärÂblöcken ist sinnlos. Die NATO-Länder und auch Deutschland haben schon vor 2014, das heißt lange bevor es den UkraineÂkonflikt gab, begonnen, ihre RüstungsÂausgaben deutlich zu steigern. Teile der HochrüstungsÂpläne finden sich schon im KoalitionsÂvertrag, weit vor den ersten Warnungen vor einer bevorstehenden russischen Invasion. Dieser Krieg und die fürchterlichen Bilder der Toten und Zerstörungen in der Ukraine können jedoch eine radikale Kursänderung in der deutschen Außenpolitik und die höchste Steigerung der deutschen RüstungsÂausgaben seit dem Zweiten Weltkrieg – gar durch eine GrundgesetzÂänderung – nicht rechtfertigen.
Eine solche Wende der deutschen Außenpolitik um 180 Grad, mit entsprechend dramatischen Folgen auch für die Innenpolitik – für den Sozialstaat, für Liberalität und MitmenschÂlichkeit – ganz ohne breite gesellschaftliche Debatte, ohne parlamentarische, ja sogar ganz ohne innerÂparteiliche Debatte zu beschließen, wäre ein demokratiepolitischer Skandal.
Zusätzlich zu den bisherigen 49 Milliarden RüstungsÂausgaben im Haushalt 2022 sollen noch in diesem Jahr 100 Milliarden als Sondervermögen eingestellt werden, das der Bundeswehr über mehrere Jahre zur Verfügung stehen soll. Diese Summe entspricht den Ausgaben mehrerer Bundesministerien, darunter so wichtige Ressorts wie Gesundheit (16,03 Mrd.), Bildung und Forschung (19,36 Mrd.), Innen, Bau und Heimat (18,52 Mrd.), Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12,16 Mrd.), Wirtschaft und Energie (9,81 Mrd.), Umwelt (2,7 Mrd.), Zusammenarbeit und Entwicklung (10,8 Mrd.) sowie Ernährung und LandÂwirtschaft (6,98 Mrd.). Zukünftig sollen dann dauerhaft 2% des BruttoÂinlandsÂprodukts für Rüstung ausgeben werden. Damit würden diese Ausgaben auf deutlich über 70 Milliarden Euro jährlich steigen. Gleichzeitig will die BundesÂregierung an der »SchuldenÂbremse« festhalten, was langfristig die Frage unserer demokratischen Prioritäten aufwirft und die Gefahr massiver Kürzungen im sozialen, im kulturellen, im öffentlichen Bereich mit sich bringt. Diese politische Weichenstellung zusätzlich mit einer GrundgesetzÂverankerung auch für zukünftige Regierungen verpflichtend zu machen, lehnen wir im Namen der Demokratie ab. Nicht Hochrüstung, sondern Sicherheit und soziale Gerechtigkeit sind Auftrag des Grundgesetzes.
Die auf JahrÂzehnte geplante HochÂrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht und macht unsere Welt nicht friedÂlicher und nicht sicherer.
Wir fordern statt Entscheidungen, die quasi über Nacht und im kleinsten Kreis getroffen werden, die breite demokratische Diskussion über ein umfassendes SicherheitsÂkonzept, das die Sicherheit vor militärischen Angriffen genauso einschließt wie pandemische und ökologische Aspekte und dem das Konzept der Einheit von Sicherheit und gemeinsamer Entwicklung zugrunde liegt.
Wir sind konfrontiert mit Krieg und unendlichem Leid, mit Flucht, mit Armut und sozialer Unsicherheit, mit einer globalen Pandemie, die aufgezeigt hat, wie unsere Gesundheitssysteme auf Kante genäht sind, mit einer öffentlichen Infrastruktur, deren jahrzehnteÂlange Vernachlässigung uns heute teuer zu stehen kommt, einer Kulturszene, die auf dem Zahnfleisch geht, und mit einer KlimaÂkatastrophe, die genauso wenig vor StaatsÂgrenzen Halt macht und immense Investitionen in ZukunftsÂtechnologien und soziale Abfederung erforderlich macht. Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer. Wir können sie uns im Namen der Zukunft nicht leisten.
Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner sind unter anderem: Hartmut Rosa, Stephan Lessenich, Margot Käßmann, Gabriele Schmidt, Hans-Jürgen Urban, Jürgen Peters, Annelie Buntenbach, Max Uthoff, Corinna Harfouch, Katja Riemann, Annette Frier, Bela B., Sebastian Krumbiegel, Konstantin Wecker.