Dokumentation
Aufruf: Gegen Jens Weidmann als neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank!
4. April 2018 | Redaktion
Union und SPD wollen nach Presseberichten den Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann zum neuen Chef der Europäischen Zentralbank machen. Damit würde ein neoliberaler Hardliner zum mächtigsten Geldpolitiker des Kontinents. Wir dokumentieren einen Aufruf gegen die Ernennung Weidmanns - mit Möglichkeit zum Unterschreiben.
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Gegen Jens Weidmann als neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank! Für ein transparentes Besetzungsverfahren der EZB und eine Währungsunion als Grundstein eines solidarischen Europa
Im Februar 2018 geht durch die Presse, dass Bundesbankpräsident Jens Weidmann als Nachfolger des derzeitigen EZB-Präsidenten Mario Draghi eingesetzt werden soll – und dies mit Unterstützung der SPD. Wir rufen alle, die Reformen der Europäischen Währungsunion im Sinne ökonomischer Stabilität, des Zusammenwachsens der Mitgliedsländer und sozialer Solidarität erreichen wollen, dazu auf, sich öffentlich und deutlich gegen die Berufung von Jens Weidmann und für ein offenes und transparentes Berufungsverfahren auszusprechen.
Die europäische Krisenpolitik zeigt eine verheerende Bilanz: Massenarbeitslosigkeit, Verarmung, Deregulierung von Arbeitsverhältnissen, Schwächung von Tarifverträgen und Gewerkschaften, Abbau des öffentlichen Sektors in vielen Ländern. Auch wenn die Rolle der EZB als Teil der »Troika« in den sog. »Programmländern« höchst problematisch war, hat sie einen entscheidenden Beitrag für die Beendigung der Krise geleistet, als Mario Draghi im Herbst 2012 seine »Whatever it takes«-Ankündigung machte. Die entschlossenen geldpolitischen Maßnahmen seitdem haben die viel zu spät einsetzende Erholung erst möglich gemacht. Ohne diese Entscheidungen wäre die gemeinsame Währung ohne Zweifel implodiert, mit massiven ökonomischen und sozialen Folgen. Größter Bremsschuh für diese Politik war im EZB-Rat die Deutsche Bundesbank, vertreten durch Jens Weidmann. Im Rat der EZB hat er keinen Versuch unterlassen, die für die Rettung der Eurozone nötigen Maßnahmen zu verschleppen und zu schwächen, wenn sie denn nicht zu verhindern waren.
Bei der nächsten wirtschaftlichen Krise würden unter der EZB-Präsidentschaft Jens Weidmanns erhebliche Zweifel bestehen, ob entschlossen und schnell geldpolitische Gegenmaßnahmen ergriffen würden. Wahrscheinlicher ist der Fingerzeig auf die krisengeschüttelten Länder, sie sollen den Gürtel enger schnallen und »ihre Hausaufgaben machen«. Allein diese Tatsache, ‚eingepreist‘ von den Finanzmärkten, würde die Eurozone unstabiler machen und die Finanzierung der Staatshaushalte erschweren. Sinnvolle, ja notwendige Reformen des Euroraums würden erschwert.
Sollte Deutschland, ausgerechnet mit Hilfe der SPD, Jens Weidmann in den Sessel des EZB-Präsidenten heben, markiert das für die gerade der Krise entronnenen Mitgliedsländer einen schweren Rückschlag. Die geldpolitische Ausrichtung von Jens Weidmann steht für ein rückwärtsgewandtes Europa der Austerität. Mit ihm an der Spitze der EZB würden die Spielräume für fortschrittliche Reformen und von EU und Währungsunion und für fortschrittliche Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik in den Mitgliedstaaten beeinträchtigt und eingeengt.
Wir streiten für ein europäisches Deutschland und ein soziales Europa, und in diesem Sinne für eine Geldpolitik, die Auf- und Ausbau von Beschäftigung fördert. Wir unterstützen den von Thomas Piketty und anderen prominenten Ökonomen lancierten Appell, die Personalentscheidungen der EZB nach transparenten Kriterien, mit Beteiligung des Europäischen Parlaments und der Öffentlichkeit und nicht im Geklüngel der Regierungschefs zu treffen.
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Der Aufruf kann hier unterzeichnet werden: ▸http://www.europa-neu-begruenden.de/wer-wird-neuer-praesident-der-europaeischen-zentralbank
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ErstunterzeichnerInnen:
- Nacho Álvarez, Professor für angewandte Wirtschaftswissenschaft an der Universidad Autónoma de Madrid
- Lars Andersen, Geschäftsführer Wirtschaftsrat der Arbeiterwegung (ECLM), Kopenhagen
- Jörg Bibow, Professor der Volkswirtschaft am Skidmore College
- André Bleicher, Professor für allgemeine BWL, strategisches Management und Organisation in der Fakultät Betriebswirtschaft der Hochschule Biberach
- Gerd Bosbach, Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz, Standort Remagen
- Eberhard Brucker, Vorsitzender AK Ökonomie der SPD München
- Giovanni Dosi, Professor der Volkswirtschaft und Institutsleiter an der Scuola Superiore Sant’Anna, Pisa
- Franziska Drohsel, ehem. Bundesvorsitzende der Jusos, Berlin
- Georg Feigl, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik an der Arbeiterkammer Wien
- Alexander Fischer, Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Berlin
- Stefan Grönebaum, Wirtschaftsministerium NRW, Düsseldorf
- Hansjörg Herr, em. Professor für Supranationale Wirtschaftsintegration, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
- Rudolf Hickel, em. Hochschullehrer für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen
- Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei des Freistaates Thüringen
- Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter für DIE LINKE, Aachen
- Ralf Krämer, Gewerkschaftssekretär, Berlin
- Michael Krätke, Professor für Politische Ökonomie an der Lancaster University
- Marc Lavoie, Professor der Volkswirtschaft an der Universität Ottawa, Kanada
- Klaus Lederer, Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa des Landes Berlin
- Steffen Lehndorff, Arbeitsmarktforscher am Institut für Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen
- Henning Lenz, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Rechnungswesen und Controlling an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
- Markus Marterbauer, Abteilungsleiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien Martina Michels, Europaabgeordnete für DIE LINKE, Berlin
- Joan Muysken, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Maastricht
- Oliver Nachtwey, Professor für Sozialstrukturanalyse an der Universität Basel
- Torsten Niechoj, Professor für Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft, Hochschule Rhein-Waal, Kleve
- Mario Pianta, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Urbino Carlo Bo
- Jan Priewe, em. Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
- Ralf Ptak, Wirtschaftswissenschaftlicher Referent, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche, Hamburg
- Alexander Recht, Ökonom und Lehrer, Köln
- Thomas Sauer, Professor am Fachbereich Wirtschaft der Ernst-Abbe-Hochschule Jena
- Malcolm Sawyer, Professor em. für Volkswirtschaft an der Leeds University Business School
- Werner Schieder, ehem. MdL und MdB, SPD, Weiden
- Helmut Scholz, Europaabgeordneter für DIE LINKE, Brüssel/Berlin
- Patrick Schreiner, Gewerkschaftssekretär, Hannover
- Sotiria Theodoropoulou, Europäisches Gewerkschaftsinstitut (ETUI), Brüssel
- Axel Troost, Ökonom und ehem. Bundestagsabgeordneter für DIE LINKE, Leipzig
- Jorge Uxó, Associate Professor der Volkswirtschaft, Universität Castilla
- Michael Wendl, Ökonom und Gewerkschaftssekretär a.D., München
- Alban Werner, Politikwissenschaftler, Aachen
- Andrew Watt, Referatsleiter Europäische Wirtschaftspolitik, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
- Gabi Zimmer, Fraktionsvorsitzende GUE/NGL im Europäischen Parlament, Brüssel
- Karl Georg Zinn, em. Professor für Volkswirtschaftslehre an der RWTH Aachen