Dokumentation
Bernd Lucke: Ein gesellschaftliches Prinzip im Verfall
22. Oktober 2019 | Redaktion
Zu Beginn des Wintersemesters nimmt AfD-Gründer Bernd Lucke seine Lehrtätigkeit als VWL-Professor an der Universität Hamburg wieder auf. Dagegen regt sich Widerstand: Wir dokumentieren nachfolgend das leicht gekürzte Flugblatt einer studentischen Initiative, die Lucke und seine Ideologie nicht einfach hinnehmen möchte.
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Bernd Lucke: Ein gesellschaftliches Prinzip im Verfall
Bernd Lucke repräsentiert eine ökonomische Glaubenslehre an die heilige Kraft des Marktes und das deutsche Unternehmertum, sowie ein biedermeierliches Menschen- und preußisches Erziehungsbild.
Die Verbindung von klassischen Marktradikalen wie Bernd Lucke und autoritären Rechten in der AfD war und ist kein Zufall, sondern entspringt der gemeinsamen Anbetung von Auslese und Unterwerfung in Form von kulturell determiniertem Rassismus, Leistungsethos, Standortkonkurrenz, Gewerkschafts- und Demokratiefeindlichkeit sowie Autoritarismus. Außerdem braucht neoliberale Politik dringend ideologische Absicherung: »Die extreme Rechte unternimmt in ihren Programmen, Heimat und Nation mit radikalem Markt und ungehindertem Wettbewerb zu verbinden. Die soziale Sicherheit des Wohlfahrtsstaates soll durch das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Volks- und Kulturgemeinschaft ersetzt werden. Faschistische Gemeinschaftsideologie – wenngleich stark geläutert und sprachlich modernisiert – dient also dazu, die materielle Sicherheit durch überhöhte Geborgenheitsgefühle ersetzen zu wollen« (Schui 1997, S. 16).
Die Positionen eines Bernd Lucke sind der zugespitzte Ausdruck der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte. Damit repräsentiert er ein gesellschaftliches Prinzip, das zur tiefsten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs und zum Erstarken der extrem Rechten geführt hat. Um die aktuelle gesellschaftliche Großkrise zu überwinden, streiten wir in Gegnerschaft zum Prinzip Lucke für die Verwirklichung einer »Welt des Friedens und der Freiheit« (Schwur der befreiten KZ-Häftlinge von Buchenwald). Dazu braucht es emanzipatorische Sozialstaatlichkeit und eine Demokratisierung der Wirtschaft sowie dafür eingreifende Forschung und die Bildung mündiger Persönlichkeiten an den Hochschulen.
Dies hat Bernd Lucke seit jeher bekämpft, nicht erst mit der Gründung der AfD. Er trat aus Protest gegen Willy Brandts Entspannungspolitik der CDU bei, beteiligte sich als »Treuhand-Experte« an der Deindustrialisierung der DDR und initiierte 2005 – angesichts millionenfachen Protestes gegen Hartz IV – mit seinen Hamburger Kollegen Michael Funke und Thomas Straubhaar den »Hamburger Appell«. Dieses von über 250 deutschen VWL-Professor*innen unterzeichnete neoliberale Propaganda-Papier richtete sich explizit gegen die Stärkung gesamtwirtschaftlicher Nachfrage durch Lohnerhöhungen und staatliche Investitionen.
Keynes statt Hayek
So gefährdet die Politik mit der Schuldenbremse, dass die Universität ihrer Verantwortung, an einer ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung zu arbeiten, nachkommen kann. Damit schadet diese Politik allen. Im Unterschied dazu hatte Prof. Dr. Florian Schui […] aufgezeigt, dass gerade Phasen hoher Spitzen-, Vermögens- und Gewinnsteuern verbunden mit investiver sozialer Staatstätigkeit die gesellschaftliche bzw. die positive wirtschaftliche Entwicklung begünstigen. (Beschluss des Akademischen Senats der Universität Hamburg, 28. Juni 2018 in Auswertung des Dies Academicus)
Zur Verteidigung von Unternehmensinteressen schieben Lucke und Co. im Hamburger Appell die Schuld an der Krise den Arbeiter*innen zu: »Die unangenehme Wahrheit besteht deshalb darin, dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage nur durch niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden, also durch eine verstärkte Lohnspreizung, möglich sein wird. Eine Abfederung dieser Entwicklung ist durch verlängerte Arbeitszeiten, verminderten Urlaubsanspruch oder höhere Leistungsbereitschaft möglich.« Zur »Konsolidierung der Staatsfinanzen« seien »weitreichende Einschnitte in allen Bereichen der öffentlichen Ausgaben« nötig. Die Schuldenbremse lässt grüßen.
Dementgegen muss der gesellschaftlich erarbeitete Reichtum auch allen zugutekommen- Für gute Arbeit, soziale Sicherheit und ökonomische Vernunft. In der VWL bedeutet das vor allem ein Ende der neoklassischen Monokultur. Schluss mit Hayek, her mit Keynes und Marx. Für eine (mindestens) Plurale Ökonomik!
Bildung mündiger Persönlichkeiten statt Erziehung zur Unterwerfung
Ziel universitärer Lehre ist es, Bildung durch Wissenschaft zu ermöglichen. Das schließt die Aufgabe ein, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Studierenden hohe wissenschaftliche Kompetenz erwerben, ihre Fähigkeiten selbsttätig entfalten und sich als mündige Mitglieder der Gesellschaft weiterentwickeln können, die bereit und in der Lage sind, an deren sozial und ökologisch nachhaltiger, demokratischer und friedlicher Gestaltung maßgeblich mitzuwirken und für ihre Zukunftsfähigkeit Verantwortung zu übernehmen. (Leitbild universitärer Lehre der Uni Hamburg)
Lucke hingegen, der Bildung und Ausbildung lediglich als »wichtige Standortfaktoren« begreift, meint im Hamburger Appell, dass Defizite an Hochschulen nicht mit »verbesserter Mittelausstattung im Bildungswesen« behoben werden können. Es werde übersehen, »dass große Fortschritte allein durch vermehrten Ansporn zu Fleiß, Wissbegier und strenger Leistungsorientierung erzielt werden könnten«.
Mit dem aggressiven Menschenbild wird uns eingeredet, allen gehe es nur um den eigenen Vorteil und Konkurrenz steigere die Produktivität. Weil die Natur des Menschen aber seine Gesellschaftlichkeit ist, wird diese uns im Studium mit großem Aufwand auszutreiben versucht. Mit Einführung und Verknappung von Masterplätzen, Prüfungsmarathon und Modulfristen folgt das Bachelor-Master-System dem Prinzip der Konkurrenz. Im Interesse von Unternehmen soll das Studium ausschließlich dazu dienen, hochqualifizierte Lohnabhängige zu schaffen. Im VWL-Studium bedeutet das u.a. das Verbannen von Keynes, Marx und Co., quasi keine Gestaltungsfreiheit (Luckes Makro-Vorlesung ist ein alternativloser Pflichtkurs) und eine Top-Down-»Lernkultur«.
In Gegnerschaft zur Arbeitsmarktorientierung muss es im Studium darum gehen, sich kooperativ den gesellschaftlichen Problemen zu widmen und zu ihrer theoretisch-praktischen Lösung beizutragen.
Antifaschismus, nicht totaler Markt!
Nie wieder sollen Bildung und Wissenschaft aus Neid, Konkurrenz und Vorurteilen, aus Gleichgültigkeit, Ressentiment und Opportunitätsdenken mitverantwortlich werden an Ausgrenzung, Verfolgung, Mord und Krieg. Frieden, Gerechtigkeit und Humanität sollen Reflexion, Diskurs und gesellschaftliche Praxis der Universität nachhaltig orientieren. Weltoffenheit, Inklusion und Demokratie sollen ihre Kultur prägen. Wir erinnern, für ein besseres Leben. (Beschluss des Akademischen Senats der UHH zum Erinnern an die Reichspogromnacht, 13.10.2016)
Aufklärung über die neoliberalen Mythen als kollektive Selbstbefreiung, Solidarisierung statt Spaltung und Vereinzelung sowie der Kampf für den Ausbau von Sozialstaatlichkeit (auch als Austrocknung des Nährbodens der Rechten) sind die Alternative zum »Prinzip Lucke«. Luckes Rückkehr an die Uni Hamburg sollten wir also zum Anlass nehmen, unser progressives Engagement für eine Hochschule der Nachhaltigkeit auszubauen, der neoliberalen Politik (»Schuldenbremse«) den Todesstoß zu versetzen und die Verfasste Studierendenschaft als Ganzes wieder als gesellschaftliche Akteurin zu rekonstruieren.
Die Initiative lädt alle Interessierten ein zu einem Koordinierungstreffen der Aktivitäten gegen das »Prinzip Lucke«. Ein Treffen findet am Dienstag, den 29. Oktober 2019, um 18.15 Uhr im übergreifenden Fachschaftsbüro »Syntagma« (Von-Melle-Park 5, neben HasPa-Café) statt. | Der vollständige Originaltext erschien auf der Seite des ▸Fachschaftsrates Sozialökonomie.