Best of Steinbrück. Ein Rückblick in Zitaten
8. Oktober 2012 | Patrick Schreiner
Peer Steinbrück ist SPD-Kanzlerkandidat. Er gilt als Finanz- und Wirtschaftsfachmann, der mit deutlichen Worten klare und feste Positionen vertritt. Seine Kandidatur ist Anlass genug, Bilanz zu ziehen: Was sagt dieser Mann tatsächlich? Was denkt er? Wie konsequent bleibt er bei seinen Positionen? Wie glaubwürdig sind seine Aussagen?
Steinbrück zum Sozialstaat
Von Sozialabbau hält Steinbrück angeblich nicht viel, wenn man seinem folgendem Zitat glaubt:
Es hat in den vergangenen Jahren hierzulande im Zuge einer marktradikalen Aufstellung einen stark anti-etatistischen Reflex gegeben, der den Sozialstaat nur als Belastung gesehen hat und nicht als Kulturgut, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert. Das habe ich immer für abwegig gehalten. In der jüngsten Krise hat der Sozialstaat dazu beigetragen, dass breite Kreise der Bevölkerung von der schärfsten Rezession der Nachkriegszeit nicht in existentielle Nöte geschleudert wurden.
(Quelle: Interview mit Spiegel Online, 2010)
In früheren Jahren hatte er sich allerdings mehrfach sehr deutlich für Sozialabbau ausgesprochen, beispielsweise hier:
Die unpopuläre Botschaft lautet: Alle werden für Gesundheit, Rente und Pflege selbst mehr ausgeben müssen als die Generation meiner Eltern. Im Klartext: noch mehr Eigenvorsorge.
(Quelle: Studie der Hans-Böckler-Stiftung, das Zitat stammt aus dem Jahr 2007)
Als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen definierte er den Begriff "soziale Gerechtigkeit" entsprechend konsequent im Stile der Schröderschen Agenda 2010 als Politik für vermeintliche Leistungsträger/innen:
Der Staat hat die Aufgabe, für eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung zu sorgen. Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.
(Quelle: Namensbeitrag in der Wochenzeitung Die Zeit, November 2003)
Steinbrück zur Rente mit 67
Die Rente mit 67 wirkt für viele Menschen wie ein faktisches Rentenkürzungsprogramm, sie ist unsozial und volkswirtschaftlich unnötig, wie ich an anderer Stelle beschrieben habe. Steinbrück aber hält sie nach wie vor für sinnvoll und richtig:
Die Antwort auf den mathematischen Druck der Demographie kann nicht die ersatzlose Suspendierung der Rente mit 67 sein.
(Quelle: Zitatesammlung auf sueddeutsche.de)
Steinbrück zur Agenda 2010
Zur Agenda 2010 und dem Sozialabbau der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder äußert er sich bis heute positiv:
Die Reformpolitik hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass Deutschland im vergangenen Jahrzehnt wieder wettbewerbsfähig geworden ist. Ich bin überzeugt, dass die Agenda einmal als eine der größten politischen Leistungen der Nachkriegszeit in die Geschichtsbücher eingehen wird.
(Quelle: Interview mit Spiegel Online, 2010)
Und auch ganz aktuell forderte Steinbrück die Kritikerinnen und Kritiker in seiner Partei auf, zum Sozialabbau der rot-grünen Vergangenheit stolz und selbstbewusst zu stehen:
Etwas mehr Stolz, etwas mehr Selbstbewusstsein über das, was uns gelungen ist, täte dem öffentlichen Erscheinungsbild der SPD gut. [Damals ist] mehr richtig gemacht worden, als wir uns gelegentlich als Sozialdemokraten selber eingestehen.
(Quelle: Artikel auf Zeit Online, September 2012)
Diese Agenda-2010-Reformpolitik ist für Steinbrück aber nicht nur wirtschaftlich ein Erfolg, sondern hat in seinen Augen sogar für mehr Gerechtigkeit gesorgt:
Die in den vergangenen Jahren ergriffenen Maßnahmen waren nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht richtig, sie haben auch zu mehr Teilhabe und deshalb zu mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft geführt.
(Quelle: Bundestagsrede, September 2008, Plenarprotokoll 16/174)
Mit dem vorsichtigen Ansatz eines Politikwechsels der Nach-Schröder-SPD konnte sich Steinbrück nicht anfreunden (und kann es bis heute nicht):
Wir dürfen nicht hinter die Agenda 2010 zurückfallen, und wir wollen nicht wieder Türen öffnen für eine Frühverrentung älterer Arbeitnehmer. Und wir müssen auch von den Menschen etwas einfordern. Wichtiger als Menschen in der Arbeitslosigkeit zu finanzieren, ist es, ihre Aktivierung für den Arbeitsmarkt zu unterstützen.
(Quelle: Interview in der Bild-Zeitung, 2007)
Steinbrücks Einschätzung zu Intensität und Wahrscheinlichkeit einer Krise (2008)
Der damalige Finanzminister Steinbrück äußerte sich im September 2008 wie folgt zur Gefahr einer drastischen Wirtschaftskrise in Europa - wohlgemerkt brach 2009, im Jahr nach dieser Äußerung, in Deutschland die Wirtschaft dann um den historischen Wert von 5,1 Prozent ein, die Eurokrise begann weniger als zwei Jahre später:
Ich bekomme immer mehr Stimmen aus dem Ausland, die letzte übrigens vor gut 24 Stunden von Jean-Claude Juncker, die alle dem Motto folgen, Europa sei nicht in gleichem Maße von der aktuellen Finanzkrise betroffen wie die USA, das europäische Finanzsystem sei stabiler aufgestellt, man habe hier diese Risikogeschäfte nicht in vergleichbarem Maße mitvollzogen und es werde deshalb in der Euro-Zone keine Rezession geben. Vielfach sind sie auch mit einem deutlichen Lob an die Bundesregierung, was mich freut, verbunden, da wir in den letzten Jahren zur Glaubwürdigkeit des Maastrichter Stabilitäts- und Wachstumspaktes beigetragen haben. Ich könnte das fortsetzen, indem ich einschlägige Äußerungen vonseiten des IWF, der OECD und anderer Organisationen zitierte. All diese Stimmen kommen offenbar in unserer eigenen innenpolitischen Bauchspiegelung überhaupt nicht vor. Ich frage mich doch, ob nicht gelegentlich manche der Protagonisten im Ausland, die unsere Entwicklung begleiten, einen etwas realistischeren Blick haben als wir.
(Quelle: Bundestagsrede, September 2008, Plenarprotokoll 16/177)
Auch kurze Zeit später spielte er die Gefahr eines wirtschaftlichen Einbruchs herunter:
Die USA – darauf lege ich gesteigerten Wert – sind der Ursprung der Krise, und sie sind der Schwerpunkt der Krise. Es ist nicht Europa, und es ist nicht die Bundesrepublik Deutschland.
(Quelle: Bundestagsrede, September 2008, Plenarprotokoll 16/179)
Doch die Krise kam dennoch mit brutaler Heftigkeit - was Steinbrück dann immer schon gewusst haben wollte:
Ja, die Bundesrepublik Deutschland ist in einer Rezession. Es wäre nicht mehr eine zutreffende Feststellung, zu sagen, dass wir in einer Stagnation sind. Dass die Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mitgeschüttelt wird, ist kein Wunder. Denn ein Land, das 40 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in Im- und Exportbeziehungen verdient, das weltweit so vernetzt ist, wird an der weltweiten Entwicklung kaum vorbeigehen können.
(Quelle: Bundestagsrede, November 2008, Plenarprotokoll 16/188)
Steinbrück in der Debatte um Konjunkturpakete (2008/09)
Ab Mitte des Jahres 2008 wurden in Politik und Medien die Forderungen nach einem Eingreifen des Staates in Form von Konjunkturpaketen immer lauter. Davon aber wollte der damalige Bundesfinanzminister Steinbrück mit drastischen Worten nichts wissen:
Steuerentlastungen oder Ausgabenprogramme auf Pump sind ein sehr vergiftetes Geschenk.
(Quelle: Bundestagsrede, September 2008, Plenarprotokoll 16/174)
Ähnlich - noch deutlicher - äußerte sich Steinbrück auch kurze Zeit später:
In meinen Augen standen klassische Konjunkturprogramme daher nicht auf der Tagesordnung. Mit der Gießkanne übers Land zu gehen, hätte im Ergebnis viel Geld verbrannt, und der Schuldenstand für nachfolgende Generationen wäre noch größer geworden.
(Quelle: Bundestagsrede, September 2008, Plenarprotokoll 16/185. Das Plenarprotokoll vermerkt Beifall der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, SPD)
Und noch im Dezember 2008:
Seit ich mit Konjunkturprogrammen zu tun habe, also seit dem Ende der siebziger Jahre, haben sie nie den erhofften realen Effekt gehabt.
(Quelle: Artikel in Zeit Online, zitierter Zeitpunkt: Dezember 2008)
Ein Konjunkturpaket wurde kurze Zeit später dennoch - und richtigerweise - beschlossen, und danach sogar noch ein zweites. Beide kamen nicht zuletzt auf Druck von Steinbrücks eigener Partei zustande. Was Steinbrück lange massiv abgelehnt hatte, forderte er schließlich mit dem folgenden beispielhaften Zitat selbst voller Pathos vom Bundesrat ein, nämlich die Zustimmung zum Konjunkturpaket II:
Meine Damen und Herren, soweit ich Ihre Beiträge habe interpretieren können und dürfen, bin ich sehr dankbar, dass sich eine Mehrheit im Bundesrat für das Konjunkturpaket II abzeichnet. Ich halte das, auch mit Blick auf die Außenwirkungen, für notwendig. Es besteht die Notwendigkeit, die Maßnahmen so schnell wie möglich „zum Fliegen“ zu bringen und damit das zu erreichen, was uns gemeinsam [...] bewegen muss, nämlich in dieser ausgesprochen problematischen Zeit das zu tun, was der Staat mit seinen Mitteln tun kann, um die derzeitigen Auswirkungen der Rezession abzufedern und dieses Land in eine bessere Zukunft zu führen.
(Quelle: Bundesratsrede, Februar 2009, Bundesratsprotokoll 855)
Steinbrück zu den Ursachen der Finanzkrise
Wiederholt äußerte sich Steinbrück zu den Ursachen der Krise. Dabei gab er, neben einigen durchaus richtigen Argumenten und Einschätzungen, ab und an auch eine in mehrerer Hinsicht fragwürdige Argumentation zum Besten. Sie passte zu seiner Grundstrategie, die vor allem zu Beginn der Krise darin zu bestehen schien, die USA als Hauptschuldige zu identifizieren und damit vom eigenen Zutun zur Krise abzulenken. Um das nachfolgende Zitat einzuordnen, sollte man wissen, dass diese Argumentation üblicherweise von Konservativen und Liberalen vorgebracht wird, wenn sie vom Versagen der marktradikalen Politik der Vergangenheit ablenken wollen:
Wenn viele darauf hinweisen, dass insbesondere in den USA, aber auch bei uns ein maßgeblicher Grund dieses Hineinpumpen von Liquidität gewesen ist, kreditfinanziert, und zwar nicht nur in Richtung der staatlichen Ausgaben, sondern bei vielen auch in Richtung der privaten Verbraucher – anders ist die Situation in den USA, wo es eine negative Sparquote von minus 0,5 bis 1 Prozent gibt, überhaupt nicht zu erklären –, warum sollen wir dann diesen Fehler aufgrund von manchen Empfehlungen der wissenschaftlichen Expertise leichtfüßig wiederholen?
(Quelle: Bundestagsrede, November 2008, Plenarprotokoll 16/191)
Steinbrück zur Deregulierung der Wirtschaft
Steinbrück sprach sich vor der Krise sehr deutlich und nachdrücklich für eine Deregulierung der Wirtschaft aus - wie etwa in folgender Rede, gehalten 2006 auf einer Konferenz von Finanzmarktakteuren:
Obwohl wir mit unseren Reformanstrengungen noch keineswegs am Ende sind, zeigen sich doch erste gute Ergebnisse. Nicht zuletzt ist Deutschland heute eine der am meisten deregulierten Wirtschaften in Europa.
(Rede auf der Euro-Money-Conference, 2006)
Nach Ausbruch der Finanzkrise kritisierte Steinbrück dann aber plötzlich die marktgläubigen "Laissez-Faire"-Deregulierer:
Die Argumentation der Laisser-faire-Vertreter war genauso falsch wie gefährlich: Lasst den Markt mal machen; er ist am effizientesten, wenn sich der Staat heraushält und auf Regulierungen vollständig verzichtet.
(Quelle: Bundestagsrede, September 2008, Plenarprotokoll 16/179)
Als Objekt seiner Kritik sah Steinbrück in diesem Zusammenhang auch die FDP an - und tat damit erneut so, als ob er nicht selbst für Deregulierung eingetreten wäre und diese mit durchgesetzt hätte:
Der allerletzte Konzeuge für eine analytische Aufarbeitung dieser Krise und die allerletzte Instanz, um uns zu raten, wie wir über Leitplanken und über Verkehrsregeln aus dieser Krise herauskommen, ist nun wirklich die FDP. Ich kenne keine andere politische Kraft, die die Monstranz der entfesselten Märkte in der Nachzeit von Reagan und Thatcher so hoch gehalten hat wie diese FDP. Ich kenne keine Partei und keine Fraktion, die die dröhnenste Predigten einer Markttheologie gehalten haben wie ihre Partei. [...] Sie lenken davon ab, dass ihre Markttheologie gescheitert ist."
(Quelle: Bundestagsrede, 2009)
Steinbrück zur Regulierung der Finanzmärkte
Die Regulierung der Finanzmärkte stellt in gewisser Weise das Herzstück einer Regulierung der Wirtschaft insgesamt dar. Steinbrück allerdings wollte vor der Krise von einer Regulierung der Finanzmärkte, genau wie von der Regulierung der Wirtschaft insgesamt, nichts wissen. Er sprach sich selbst darüber hinaus jede Kompetenz ab, diese Regulierung überhaupt vornehmen zu können:
Also wenn im Jahr 2006 jemand Devisenbewirtschaftung, Kapitalverkehrskontrollen und höhere Körperschaftsteuern einführen will, dem kann ich in der Argumentation leider nicht mehr helfen. Geht nicht mehr. Funktioniert nicht. So wie jemand auch meint, ich könnte die Finanzmärkte regulieren. Ich kann die Finanzmärkte nicht regulieren.
(Rede auf dem Juso-Bundeskongress, 2006)
Folgerichtig sprach sich Steinbrück vor der Krise auch gegen eine Regulierung der besonders gefährlichen Hedge-Fonds aus:
Eine direkte gesetzliche Regulierung der global agierenden Hedgefonds ist international nicht durchsetzbar [...] Eine direkte Regulierung der Hedgefonds ist allerdings auch nicht unbedingt zwingend, wenn sich der indirekte aufsichtsrechtliche Ansatz bewährt, der auf Marktdisziplin baut und beim Risikomanagement der regulierten Geschäftspartner der Hedgefonds ansetzt.“
(Quelle: Studie der Hans-Böckler-Stiftung, das Zitat stammt aus dem Jahr 2007)
Zur Re-Regulierung der Finanzmärkte äußerte sich Steinbrück nach Ausbruch der Finanzkrise mit deutlichen Worten allerdings schon wieder gänzlich anders, er verweist auf große Fortschritte, die die damalige Große Koalition mit ihm als Finanzminister bei der Regulierung der Finanzmärkte angeblich erreicht hat:
Wir wollten verhindern, dass sich eine solche Krise wiederholt. Und anders als manche Oppositionspolitiker einlassen, lässt es sich belegen, was uns in diesen letzten 12 Monaten an Regulierungsmaßnahmen und an Umsetzung des Prinzips "Kein Finanzmarktprodukt, kein Finanzmarktteilnehmer und kein Finanzmarkt soll mehr ohne Aufsicht und ohne Regulierung sein" gelungen ist.
(Quelle: Bundestagsrede, 2009)
In der Opposition wiederum ging ihm diese Regulierung der Finanzmärkte allerdings schon nicht mehr weit genug:
Was mir fehlt, ist [...] eine effektivere Finanzmarktregulierung.
(Quelle: Interview mit dem Handelsblatt, 2012)
Oder an anderer Stelle:
Die entscheidende Frage ist nicht beantwortet: Wer hat den Primat - die Politik oder die Finanzindustrie?
(Quelle: Interview mit Spiegel Online, 2010)
Asmussen, Steinbrücks Ministerium und die Verbriefungen
Zugegeben, die folgenden Zitate stammen nicht von Peer Steinbrück. Sie entstammen vielmehr einem Aufsatz, den der damalige Steinbrück-Adlatus Jörg Asmussen 2006 in der "Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen" verfasst hat. Asmussen war Ministerialdirektor unter Steinbrück im Bundesfinanzministerium, später wurde er unter ihm Staatssekretär, inzwischen ist Asmussen Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Sein Text trägt den Titel "Verbriefungen aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums". Es darf als sicher gelten, dass ein solcher Text nicht erscheint, sofern er nicht von höchster Stelle abgenickt wird (zumal er Asmussens Karriere offenbar mindestens nicht geschadet hat).
Thema des Artikels sind die so genannten Verbriefungen von Krediten sowie die Bemühungen der Bundesregierung, entsprechende Wertpapiere als Finanzmarkt-Innovationen zu fördern. Verbriefungen, wie beispielsweise Asset Backed Securities, gelten zu Recht als eine der wesentlichen Ursachen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise.
Einführend schrieb Asmussen:
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat das Bundesfinanzministerium (BMF) in der Vergangenheit viele Initiativen ergriffen und an vielen Stellen den Kapitalmarkt modernisiert. Dabei war uns stets wichtig, dass sich auch der Markt für Asset Backed Securities (ABS) in Deutschland stärker als bislang entwickelt.
Er berichtet vom Entwurf einer Deregulierungs-Agenda durch eine Unternehmensberatung:
Im Frühsommer 2003 wurde die Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group (BCG) beauftragt, ein Gutachten über die „Optimalen staatlichen Rahmenbedingungen für einen Kreditrisikomarkt/Verbriefungsmarkt für Kreditforderungen und -risiken in Deutschland“ zu erstellen. Das Gutachten wurde im Spätherbst 2003 der Öffentlichkeit vorgestellt und enthielt einen Katalog von konkreten Empfehlungen und Lösungsvorschläge zur Förderung des deutschen Verbriefungsmarktes. [...] Die Umsetzung dieser umfassenden Agenda ist natürlich noch im Fluss, jedoch ist sich das BMF ihrer Bedeutung durchaus bewusst.
Und fasst abschließend zusammen - verbunden mit der versteckten Bitte um Verständnis der Finanzmarktakteure für etwaige, politisch bedingte Verzögerungen:
Das BMF verändert – soweit erforderlich und machbar – die Rahmenbedingungen für den deutschen Verbriefungsmarkt Stück für Stück. Wir beobachten die Märkte intensiv, stehen im engen Dialog mit den Marktakteuren, registrieren Veränderungen und justieren, wenn notwendig, um die Weichen für die bestmögliche Marktentwicklung frühzeitig zu stellen. Es geht dabei um schwierige Fragen und wir benötigen für die einzelnen Schritte einen breiten Konsens und Verständnis bei den politischen Akteuren. Entscheidend sind aber der Wille zur Veränderung und die notwendige Hartnäckigkeit, wenn es um deren Umsetzung geht.
Steinbrück und die Banken
Zu einem Zeitpunkt, an dem Befürchtungen einer bevorstehenden Finanz- und Bankenkrise in Europa - als Folge der Situation in den USA - schon längst mehr als Gerüchte waren, vertraute Steinbrück den Bänkern noch voll und ganz:
Ich glaube, dass die Beteiligten die Situation im Griff haben.
(Quelle: Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 2007)
Nach der Krise allerdings machte Steinbrück sich über die Bänker lustig, die nun den Staat brauchten, vorher aber nichts vom Staat wissen wollten:
Frage: Die staatlichen Garantien haben viele Institute vor dem Untergang bewahrt. Haben sich die Banker in jenen Tagen eigentlich mal bei Ihnen bedankt?
Steinbrück: Dankbarkeit gab es nicht, höchstens Anerkennung. Vor allem für unser Finanzmarktstabilisierungsgesetz, das die Institutschefs in einer Art ordnungspolitischer Selbstverleugnung begrüßt haben. Denn es waren dieselben Bankvorstände, die sich vor der Krise den Staat am liebsten Seemeilen vom Hals halten wollten.
(Quelle: Interview mit Spiegel Online, 2010)
Steinbrück zur Bankenrettung
Von einem Gesetz zur Bankenrettung in Deutschland wollte der damalige Finanzminister Peer Steinbrück lange nichts wissen. Noch nach der Rettung der Bank IKB verkündete er im Bundestag:
Deshalb und weil die Verhältnisse bei uns andere sind, ist ein ähnliches Programm in Deutschland oder Europa weder notwendig noch sinnvoll. Nach wie vor ist wahr: Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem!
(Quelle: Verschiedene Medien zitierten Steinbrück entsprechend, zum Beispiel in dieser Dokumentation im Handelsblatt; auch der BayernLB-Untersuchungsausschuss führt das Zitat in seinem Bericht als als Bestandteil einer Zeugenaussage auf, allerdings etwas abgewandelt. September 2008)
Drei Wochen und eine Bankenrettung später (Hypo Real Estate, deren Krise sich allerdings noch Jahre hinzog) stimmte der Bundestag dann doch über ein Bankenrettungsgesetz ab - verantwortet, beworben und vorgestellt vom damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Es musste schnell gehen:
Auch ich möchte mit einem Dank an alle Fraktionen dafür beginnen, dass wir dieses Gesetz zur Stabilisierung der Finanzmärkte quasi in einem Sprint auf den Weg bringen können. [...] Es geht nicht darum – das sage ich vor allen Dingen allen Bürgerinnen und Bürgern, die uns zuhören oder zuschauen können –, dass es Gratifikationen für den Bankensektor geben soll oder dass Bankmanager vor dem Ruin bewahrt werden sollen, sondern es geht in Deutschland und anderswo um stabile, funktionierende Finanzmärkte.
(Quelle: Bundestagsrede, Oktober 2008, Plenarprotokoll 16-182)
Angesichts der vielen Mrd. Euro Steuergelder, die schon bis dahin für Bankenrettungen ausgegeben wurden, wirkte es wenig konsequent, als Steinbrück Monate später erneut verkündete:
Für die toxischen Wertpapiere müssen die Banken selbst eine Lösung finden, das kann der Staat nicht leisten.
(Quelle: Artikel in Zeit Online, zitierter Zeitpunkt: April 2009)
... nur um dann erneut umzukippen. Kurz danach gab es nämlich erneut eine staatliche Garantie für die Banken im Umfang von - diesmal - 500 Mrd. Euro. Steinbrück dazu:
Die Banken kriegen Schwimmwesten, damit die über Wasser bleiben.
(Quelle: Artikel in Zeit Online, zitierter Zeitpunkt: Mai 2009)
Steinbrück zur Steuerpolitik allgemein
Eine niedrige Staatsquote und Steuerquote gelten Steinbrück als erstrebenswert - Bürger (gewiss meint er auch Bürgerinnen) haben sich entsprechend mit einem geringeren Niveau öffentlicher Leistungen zu bescheiden:
Die Staatsquote ist bereits gesunken. Unsere Steuerquote ist niedrig, auch im internationalen Vergleich. Und die Ansprüche der Bürger müssen sich danach richten, was der Staat verteilen kann.
(Quelle: Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, 2005. Immerhin spricht er sich im gleichen Interview auch für eine höhere Besteuerung von Vermögen aus.)
In gewisser Weise als Begründung für Steinbrücks Haltung gegen höhere Steuern kann die Mär verstanden werden, dass die Steuern in Deutschland besonders von den Menschen mit hohen Einkommen geleistet würden. (Näheres zu dieser unzutreffenden Behauptung habe ich in einem früheren Artikel ausgeführt.) Steinbrück gab entsprechend im Bundestag zum Besten:
25 Prozent der Steuerzahler, also diejenigen mit einem Einkommen im oberen Bereich, zahlen über 80 Prozent der Steuern in Deutschland.
(Quelle: Bundestagsrede, September 2008, Plenarprotokoll 16/177)
Steinbrück zur Abgeltungssteuer
2009 führte der damalige Bundesfinanzminister Steinbrück die so genannte Abgeltungssteuer ein. Während vorher Kapitaleinkünfte (Zinsen, Dividenden usw.) mit dem persönlichen Einkommensteuersatz belegt wurden, wurde diese Besteuerung nun auf höchstens 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag begrenzt. Vor dieser Absenkung trat Steinbrück nachdrücklich für diese kapitalfreundliche Maßnahme ein:
25 Prozent Steuern auf einen Betrag von x sind besser als 42 Prozent auf gar nix.
(Quelle: Zitiert in vielen Artikeln, beispielsweise in einem Artikel im Handelsblatt, 2006)
Nach der Absenkung der Kapital(einkünfte)besteuerung durch die Abgeltungssteuer hingegen will er diese plötzlich wieder abschaffen bzw. die Steuersätze anheben:
Frage: Deutschland zählt ja inzwischen mit der Abgeltungsteuer bei der Kapitalertragsteuer eher zu den Niedrigsteuerländern. Soll dieser Vorteil wieder aufgegeben werden?
Steinbrück: Die Kapitalbesteuerung ist sensationell niedrig im internationalen Bereich, gemessen am Durchschnitt der EU. Und sie schafft ein zunehmendes Missverhältnis zwischen der Besteuerung von Kapital und Arbeit.
(Quelle: Interview mit dem Handelsblatt, 2012)
Steinbrück zur Mehrwertsteuer
Vor der Wahl 2005 äußerte sich Steinbrück kritisch zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer, da diese vor allem Handel und Handwerk treffe und die Binnennachfrage schwäche:
Die Binnennachfrage schwächelt vor allem bei Handel und Handwerk, und die sind einer höheren Mehrwertsteuer am stärksten ausgesetzt.
(Quelle: Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit, 2005.)
Nach der Wahl 2005 hingegen trat er plötzlich doch für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ein. Ergänzend anzumerken ist, dass die im folgenden Zitat erwähnte Einkommensteuersenkung vor allem "Besserverdienenden" nutzte, während die Mehrwertsteuererhöhung vor allem kleine und mittlere Einkommen stärker belastete:
Es war ein Versäumnis der Steuerreform 2000/2001, daß man nicht parallel zur Senkung der Einkommensteuer die Mehrwertsteuer erhöht hat. [...] Das war ein Versäumnis der rot-grünen Koalition. Wir hätten die Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer damals schon flankieren müssen mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die damalige Steuererleichterung hatte ein Volumen von 60 Milliarden Euro. Das hat Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen, die nicht zu verkraften waren. Was damals versäumt wurde, müssen wir heute nachholen.
(Quelle: Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 2006)
Steinbrück - zum Schluss
Steinbrück über sich selbst:
[...] wenigstens steht er zu dem, was er für richtig hält.
(Quelle: Zitiert in vielen Artikeln, beispielsweise in einem Artikel der schweizerischen Weltwoche, 2009, die Äußerung selbst ist undatiert.)
Was schreiben andere?
Hier stelle ich abschließend einige jüngst erschienenen Artikel zusammen, die sich ausführlicher der Frage widmen, was von dem "Finanzexperten" Peer Steinbrück zu halten ist:
- Wird Peer Steinbrück der neue Kanzlerkandidat der SPD? - Eine schöne Auflistung von Ereignissen und Entscheidungen.
- Seekrank unter Deck - Kursorischer Überblick über Steinbrücks Politik von Jens Berger in der taz.
- Wird Steinbrück etwa vom Saulus zum Paulus? Nicht doch! - Ein Vergleich der früheren Bankenpolitik Peer Steinbrücks mit seinen aktuellen Forderungen.
- Aus dem Versager Steinbrück wird auch weiterhin der erfolgreiche Retter gemacht - ein schon etwas älterer Text von Albrecht Müller.
- Der Kandidat täuscht - eine aktuellere Analyse von Albrecht Müller in der taz.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.