Biontech wünscht und bekommt Steuergeschenk – dank SPD und Grünen
16. Dezember 2021 | Patrick Schreiner
Wie andere Pharmahersteller auch, profitiert Biontech von öffentlichen Subventionen in beträchtlicher Höhe. Umgekehrt zeigt sich das Unternehmen bei seinen Gewerbesteuer-Zahlungen aber offenbar knauserig.
Laut ▸Oberhessischer Presse (OP) ist der Pharmakonzern Biontech an die Stadt Marburg herangetreten, »um die Möglichkeit einer niedrigeren Gewerbesteuer zu besprechen«. Und die zeigt sich offen: SPD, Grüne und SPD-Oberbürgermeister Thomas Spies wollen den Hebesatz in der Kommune nun - für alle gewerbesteuerpflichtigen Unternehmen - von 400 auf 357 Punkte senken. Damit ist Marburg nicht alleine. Auch die Kommunen an den anderen Biontech-Standorten haben Ihre Gewerbesteuer-Hebesätze gesenkt (Mainz, Oberbürgermeister: SPD) oder beabsichtigen, dies zu tun (Idar-Oberstein, Oberbürgermeister: CDU).
Fast alle Marburger Parteien befürworten die laut OP von Biontech gewünschte Senkung des Gewerbesteuer-Hebesatzes. Lediglich Die Linke schert aus, sieht sich als Teil der Stadtregierung allerdings vor dem Problem, dass an der Gewerbesteuer-Frage die Mitte-Links-Koalition und damit zahlreiche von der Partei durchgesetzte Vorhaben platzen könnten.
Bei der Grünen-Fraktion heißt es:
Wir sehen dies als eine Stärkung des Standorts und eine Unterstützung der Gewerbetreibenden, insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen sowie des lokalen Einzelhandels und der Gastronomie – gerade angesichts der Corona-Pandemie.
Auch andere Marburger Befürworter einer niedrigeren Gewerbesteuer behaupten regelmäßig, dass davon gerade auch kleinere, mittlere und Corona-betroffene Firmen profitierten. So laut OP vom 16. Dezember auch die örtliche IHK, die als staatliche Zwangsinstitution doch eigentlich ▸allgemeinpolitische Zurückhaltung zeigen sollte. Das Argument von den Vorteilen für kleinere, mittlere und Corona-betroffene Unternehmen ist Augenwischerei, denn Gewerbesteuer bezahlen vorrangig große Unternehmen – und auch nur die, die überhaupt Profite machen. Gerade die »kleinen und mittleren Unternehmen« und die, die von der Corona-Pandemie besonders negativ betroffen sind, profitieren daher am wenigsten von einer niedrigeren Gewerbesteuer.
Das ficht allerdings auch die SPD nicht an, ihre Marburger Fraktion schreibt:
Die Marburger SPD-Fraktion hält die vorgeschlagene Senkung des Hebesatzes der Gewerbesteuer für vertretbar und befürwortet sie.
Und mehr noch:
Nicht zuletzt erwarten wir auch, dass zusätzliche, qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze hier vor Ort entstehen. Dies macht deutlich, dass gute Ausgangsbedingungen für die Unternehmen auch für Arbeitnehmer*innen und die Stadtgesellschaft von Vorteil sind.
Zu glauben, dass möglichst »gute Ausgangsbedingungen für die Unternehmen« am Ende ▸für alle von Nutzen seien , ist eigentlich Wirtschaftspolitik nach Art von CDU und FDP (aber spätestens seit Gerhard Schröders »Angebotspolitik von links« auch ▸in der SPD tief verankert). Und tatsächlich können sich Biontech, IHK und SPD mit der Marburger CDU über einen weiteren Befürworter niedrigerer Gewerbesteuern freuen. Parteichef Dirk Bamberger bewies in seiner Begründung zwar größeres poetisches Geschick als die SPD, sagte ▸im Kern aber das Gleiche:
Die Kuh, die man so gerne melkt, muss man auch füttern, hegen und pflegen.
Der Marburger DGB-Vorsitzende Pit Metz verwies in einer Rede auf einer Demonstration gegen das Gewerbesteuer-Geschenk darauf, dass Bauer und Bäuerin nur so dächten, wenn Ihnen die Kuh auch gehöre. Das ist sicher richtig, und es ist nicht das einzige, was die CDU hier unterschlägt: Denn tatsächlich wurde und wird diese »Kuh« (wie auch viele andere) in großem Umfang gefüttert, gehegt und gepflegt.
- Für die ▸Entwicklung von Impfstoffen gegen SARS-CoV2 erhielten die Hersteller weltweit fast 6 Mrd. US-Dollar. Dabei waren die Regierungen der USA und Deutschlands ▸nach Angaben des Zentrums für Globale Gesundheit in Genf mit 2,2 bzw. 1,5 Mrd. US-Dollar die mit Abstand größten Geldgeber. Ãœber 98 Prozent der Mittel kamen aus öffentlichen Kassen, wobei der tatsächliche Wert etwas niedriger liegen dürfte, da die privaten Investitionen der Pharmafirmen in der Genfer Statistik wohl nicht vollständig erfasst sind. Zu den fast 6 Mrd. US-Dollar kamen noch über 51 Mrd. US-Dollar, die den Herstellern über frühzeitige, gut dotierte Garantie-Abnahmeverträge zur Verfügung gestellt wurden.
- Allein Biontech hat alleine von der Bundesregierung 375 Millionen Euro für die Entwicklung seines Impfstoffes erhalten. Weltweit ist Biontech der drittgrößte Profiteur der eben genannten öffentlichen Subventionen für Forschung und Entwicklung an einem Corona-Impfstoff und der mit Abstand größte Profiteur von Garantie-Abnahmeverträgen, die ebenfalls aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, so die Genfer Zahlen.
- Nicht zuletzt erzielen die Impfstoffhersteller – auch Biontech – den allergrößten Teil ihrer Impfstoff-Umsätze durch den Verkauf an öffentliche Stellen (zumeist Regierungen). Die Preissetzung ist dabei hochgradig intransparent. Mit Ausnahme von AstraZeneca, die für den Zeitraum der Pandemie ▸auf Non-Profit-Basis produzieren, dürften alle Hersteller monopolartige Extraprofite verzeichnen. Dafür sprechen nicht zuletzt ▸die deutlichen Preisunterschiede zwischen AstraZeneca und den anderen.
Nun mag es für diese Freigiebigkeit der öffentlichen Kassen angesichts der Dramatik der Pandemie und angesichts des gesundheitspolitischen Handlungsdrucks gute Gründe geben. Dass binnen kürzester Zeit wirksame Impfstoffe zur Verfügung standen, war und ist ein Segen. Es zeigt zugleich, wie gut und schnell die ganz wesentlich auch auf öffentlichen Universitäten und staatlichen Geldern beruhende medizinische Forschung und Entwicklung (F&E) im globalen Maßstab und unter Einbindung privater Unternehmen funktioniert.
All das ändert aber nichts an dem Umstand, dass sich Biontech und Co. in jeder Hinsicht zu einem extrem großen Teil aus Steuermitteln finanzieren – seien es Subventionen für F&E, seien es Umsatzerlöse. Und es ändert nichts daran, dass Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ihnen dabei beträchtliche Teile des unternehmerischen Risikos abnahmen (das ja üblicherweise zur Rechtfertigung von Profiten angeführt wird).
Dem wollen Marburg, Mainz und Idar-Oberstein nun weitere Steuergeschenke hinterherwerfen. Profitieren werden die milliardenschweren Anteilseignerinnen und Anteilseigner. Das ist unnötig und unsozial. Und es ist auch finanzpolitisch fatal: SPD und Grüne treiben mit ihrem Beschluss, den Marburger Hebesatz der Gewerbesteuer auf Wunsch eines großen Steuerzahlers zu senken, den Steuerwettbewerb zwischen den Kommunen um möglichst niedrige Gewerbesteuern weiter voran. Und das, obwohl sie den Steuerwettbewerb zumindest auf internationaler Ebene bekämpfen wollen. Jedenfalls schrieb die SPD in ihrem Programm zur Bundestagswahl:
Global agierende Konzerne müssen sich an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. Dafür muss der weltweite Dumpingsteuerwettbewerb um die niedrigsten Unternehmenssteuern beendet werden.
Es soll in den Augen der Sozialdemokratie also offenbar national gut sein, was sie international für schlecht hält.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.