Interview
Claudia Mävers: »Mit dem Privatwagen durch das Forst-Revier«
4. Oktober 2018 | Kai Eicker-Wolf, Helena Müller
Ein Interview mit Claudia Mävers über die Arbeitsbedingungen in der Forstwirtschaft am Beispiel Hessens. Mävers ist Mitglied der Industriegewerkschaft BAU und Vorsitzende der Landesvertretung der Beamtinnen/Beamten und Angestellten in Forst und Naturschutz, Hessen.
Wie hat sich die Organisation des Forstbereichs in den vergangenen 25 Jahren in Hessen gewandelt? Wie ist der Bereich im Vergleich zu anderen Bundesländern organisiert?
Mävers: Vor 25 Jahren waren wir über den Daumen gepeilt ungefähr viermal so viele Forstwirte, und doppelt so viele Beamte. Gerade Forstwirte, also die manuell arbeitenden Beschäftigten, sind massiv abgebaut worden. Das liegt unter anderem daran, dass deutlich mehr Maschinen eingesetzt werden. Und die Forstämter und jeweiligen Forstreviere sind um ein Vielfaches vergrößert worden. Mein eigenes Revier war vor 25 Jahren etwa 700 Hektar groß, heute sind es 1.700 Hektar und geplant sind 2.200 Hektar bis spätestens 2025. Hessen-Forst ist ein Landesbetrieb; die Rechtsform für den Landeswald ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. Es gibt zum Beispiel Anstalten öffentlichen Rechts, und es gibt Forstverwaltungen mit einem Teil des Betriebs und einem Teil der Hoheitsverwaltung wie in Bayern. Was aus uns in der nächsten Zeit wird, weiß so recht keiner. Wir schauen alle wie das Kaninchen auf die Schlange auf den Termin am 12. Juni 2018, dann wird ein Kartellrechtsurteil gefällt. Das wird klären, ob der Holzverkauf in der jetzigen Form weiter möglich sein wird. Und es wird geklärt, ob die staatlichen Försterinnen und Förster wie bisher für den kommunalen und den privaten Wald Dienstleistungen anbieten dürfen. Wenn das Urteil negativ ausfällt, dann sind alle bisherigen Organisationsstrukturen obsolet. Auch wenn nur der Holzverkauf in der jetzigen Form als unzulässig eingestuft wird, werden die Forstamtsstrukturen sicherlich geändert werden. [Red.: Dieses Urteil ist inzwischen gefällt worden. Es wurde wider Erwarten nur entschieden, dass aus formalen Gründen das Kartellamt dem Land Baden-Württemberg keine zusätzlichen Auflagen machen durfte. Es wurde keine Entscheidung in der Sache gefällt, es wurde auch nicht auf die Frage eingegangen, ob nun die weiteren Dienstleistungen zulässig sind oder nicht.] Wir haben in Hessen rund ein Drittel Staatswald, ein Drittel kommunalen Wald und ein Drittel privaten Wald. Im Moment verwertet Hessen-Forst als eine Art Monopolanbieter das Holz aus dem Kommunalwald, aus dem privaten Wald und natürlich auch aus dem Staatswald. Es können entsprechende Dienstleistungsverträge abgeschlossen werden, was die meisten Kommunen und auch die meisten privaten Waldbesitzer machen. Dadurch können für das Holz aus hessischen Wäldern natürlich bessere Preise erzielt werden. Hinter der Kartellrechtsklage steht die Sägewerkindustrie. Es gab diesbezüglich schon ein negatives Urteil einer unteren Instanz in Baden-Württemberg wegen einer ähnlichen Konstellation wie in Hessen.
Welche wirtschaftlichen Vorgaben gibt es denn für Hessen-Forst etwa im Bereich der Holzverwertung?
Mävers: Die zentrale Vorgabe für Hessen-Forst ist mindestens die schwarze Null, noch besser natürlich möglichst hohe Einnahmen, damit auch Geld an den Landeshaushalt abgeführt werden kann. In den vergangenen Jahren waren das 10 Millionen Euro pro Jahr. Der Landesbetrieb macht dann eine entsprechende Planung auf Basis der zehnjährigen Waldinventur mit der Nachhaltigkeitskontrolle als Rahmen. Und dieser Rahmen wird dann versucht auszuschöpfen. Ziel sind möglichst hohe Holzpreise und das Abernten von möglichst dickem Holz; das bringt mehr Gewinn. Hier werden Forstämter benachteiligt, in denen von der Natur aus eher dünne Hölzer vorkommen. Natur und Wirt- schaftlichkeit – das passt leider nicht immer zusammen. Es werden von Hessen-Forst möglichst preisgünstige Unternehmer mit der Holzernte beauftragt. Im Übrigen ist die Holzvermarktung nicht übermäßig gewinnträchtig, weil sie sehr personalintensiv ist. Viel mehr Geld bringt die Bewirtschaftung von Liegenschaften, das sind beispielsweise Flächen für Windkraftanlagen im Wald und die Vermarktung von Ökopunkten. Ökopunkte sind Leistungen für den Naturschutz, zum Beispiel die Wiederherstellung eines natürlichen Bachlaufes, die monetär bewertet werden. Diese Ökopunkte kann man dann handeln. Sie werden von jedem benötigt, der ein Stückchen Natur zerstört. Wenn z.B. eine Autobahn gebaut wird, braucht man eine Menge Ökopunkte, um den entstandenen Schaden an anderer Stelle auszugleichen. Bei der Jagd etwa legen wir eine Menge Geld drauf. Die Wildschäden machen einen enormen Schaden und die Bejagung kostet eben auch viel Arbeitszeit.
Das heißt also, die Holzverwertung bringt gar nicht übermäßig viel Geld ein?
Mävers: So ist es. Das Holz spielt für das Ziel »schwarze Null« so gut wie keine Rolle. Deshalb sind wir auch der Meinung, dass wir wirklich nicht den letzten Festmeter aus dem hessischen Wald rausquetschen müssen, wir sollten mit der Natur eigentlich viel schonender umgehen. Auch die Unternehmen müssen wir nicht bis zum Letzten drücken. Wir haben ein Vergabesystem, in dem wir Unternehmerleistungen vergeben, das eigentlich gegen die guten Sitten verstößt. Es werden nur etwa 20 bis 30 Euro pro Stunde an die Unternehmen bezahlt, obwohl diese mit spezialisierten Fachkräften arbeiten müssen. Da bleibt für den Mitarbeiter kaum etwas übrig. Mit Sicherheit wird da der Mindestlohn unterschritten. Mit dem Geld, das die Unternehmer für das Holzfällen bekommen, müssen sie ja alles abdecken: neben dem Lohn noch Versicherung, Steuern, die Fahrzeuge, die Weiterbildung, den Sprit, die Arbeitswerkzeuge usw. Und wir reden hier über Facharbeiter, die so schlecht bezahlt werden. Die sind gut ausbildet und machen körperlich harte Arbeit. Diese Preispolitik wird als Argument genutzt, dass man keine eigenen Leute finanzieren kann, weil es dann zwei- bis dreimal so teuer ist. Ein Forstwirt kostet pro Stunde etwa 55 bis 60 Euro.
Greift denn da nicht eigentlich das Hessische Vergabe- und Tariftreuegesetz?
Mävers: Eigentlich ja, aber es gibt keine vernünftigen Überwachungsmöglichkeiten. Auf dem Papier stimmt ja erst einmal alles. Wir sind angehalten, den günstigsten Anbieter zu wählen und die Anbieter machen ja alle so günstige Angebote. Genau wie im Baubereich wird im Wald auch mit Subunternehmern etwa aus Osteuropa gearbeitet, die ihre Leute dann hierherschicken. Notwendig wäre deshalb eine externe Kontrolle.
Ist denn in den letzten Jahren eigentlich mehr Arbeit extern vergeben worden?
Mävers: Ja, aber genau beziffern kann ich es nicht. 30 bis 40 Prozent der eigentlichen Waldarbeit werden mit eigenen Mitarbeitern von Hessen-Forst gemacht und 60 bis 70 Prozent von Unternehmern. Das ist aber nicht starr. Wir hatten durch den letzten Sturm wieder viel Windwurf im Wald, dann kommen mehr Unternehmen zum Einsatz. In anderen Jahren sind es weniger. Das ist dann auch Grundlage unserer Vorwürfe an die Politik. Selbst in ‚Normaljahren‘ schaffen wir nicht mehr 50 Prozent unserer zu erbringenden Leistung mit eigenem Personal abzudecken. Dadurch sind wir unflexibel. Wir haben viel zu wenige Leute und dies hat Folgen für die Qualität des Waldes. Durch den aktuellen Windwurf bleiben trotz verstärktem Unternehmereinsatz Bäume liegen. Wir werden dadurch ein Käferproblem bekommen, weil wir die jetzt umgefallenen Fichten nicht rechtzeitig einsammeln können. Die Käfer vermehren sich dann überproportional und wir bekommen in der Folgezeit auch Schwierigkeiten mit den stehenden Bäumen, die absterben werden. Probleme aufgrund von zu wenig Personal haben wir auch mit der Pflege der Infrastruktur, mit den Waldwegen.
Das verblüfft mich jetzt. Das heißt, es gibt wie bei Straßen und öffentlichen Gebäuden auch einen Verfall der Infrastruktur im Wald?
Mävers: Ja. Infrastrukturprobleme sind im Wald seit 20 Jahren sichtbar. Ich würde das als »Sparwegebau« bezeichnen. Wir haben Budgets für die Forstämter, und können damit die Hauptwege in Stand halten, während für die anderen Wege nichts übrigbleibt. Wenn wir dann Wetterereignisse mit Starkregen haben, dann können uns Wege inklusive Unterbau weggeschwemmt werden. Ich musste zuletzt zwei Wege sperren, weil da regelrechte Krater entstanden sind.
Gibt es so etwas wie eine Evaluierung des Investitionsstaus bezüglich der Waldinfrastruktur, also der Wege?
Mävers: Nein, da wird dezentrales Flickwerk betrieben. Wahrscheinlich will die Politik das auch gar nicht wissen. Zur Frage nach der Investition in die Infrastruktur passt vielleicht auch, dass die Ausstattung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter absolut dürftig ist. Das gilt insbesondere für die Forstwirte. Es gibt fast keine betrieblichen Fahrzeuge. Das heißt ein Forstwirt beziehungsweise eine Forstwirtin muss das private Auto mit in den Wald nehmen, um Motorsägen usw. zu transportieren, und das gegebenenfalls auch auf dem privaten Anhänger. Auch Motorsägen werden zum Beispiel nicht gestellt, nur für das Benzin für die Motorsägen gibt es eine Aufwandsentschädigung. Das ist so, als müssten Polizisten ihre Privatwagen als Polizeiauto nutzen oder als müssten Lehrkräfte die Schultafel anschaffen.
Wie sieht es denn mit der Nachwuchsplanung und der Nachwuchsgewinnung aus?
Mävers: Insgesamt ist es so, dass sich die Beschäftigungsbereiche unterscheiden. Für Försterinnen und Förster sind in Deutschland zu wenig Ausbildungsstellen vorhanden, und alle Bundesländer reißen sich um den Nachwuchs. Die Ausbildung hier in Hessen gilt als sehr gut. Aus dem ganzen Bundesgebiet kommen viele Leute nach Hessen und machen hier ihre Anwärterzeit, danach werden sie in Hessen aber nicht verbeamtet, sondern bei Hessen-Forst angestellt, wenn sie in der Laufbahnprüfung eine gute Note bekommen. Die Kolleginnen und Kollegen bleiben dann auch oft nach der Prüfung noch ein bis zwei Jahre hier, aber viele wandern dann ab. So verlieren wir ca. ein Drittel unserer Nachwuchskräfte wieder. Das Land steckt also viel Geld in die Ausbildung, um den eigentlich vereinbarten Ausbildungskorridor zu erfüllen, die ausgebildeten Försterinnen und Förster wechseln dann aber oft in andere Bundesländer. Das liegt an der geringen Attraktivität des Arbeitsplatzes in Hessen. Das Land Hessen verbeamtet nicht mehr, während andere Bundesländer wieder anfangen zu verbeamten. Oder es gibt Zulagen oder einen Dienstwagen, den Försterinnen und Förster in Hessen eben auch nicht automatisch gestellt bekommen. Bei den Forstwirten zeichnet sich mit Blick auf den vereinbarten Einstellungskorridor bisher noch kein Loch ab – aber wir betreiben wie beschrieben auch viel Outsourcing, indem wir Aufträge an Unternehmen vergeben. Eigentlich müssten wir viel mehr Forstwirte einstellen.
Wird es aufgrund des demografischen Wandels denn Auswirkungen geben?
Mävers: Ja und zwar massiv. Es werden ab 2019 ungefähr 60 bis 70 Förster jährlich in Pension gehen; man muss wissen: in Hessen haben wir insgesamt 440 Förstereien.
CDU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN haben im Koalitionsvertrag eine schrittweise Zertifizierung des Hessischen Staatswaldes auf Basis des Forest-Stewartship-Council-Standards (FSC) vereinbart. Wieweit ist da die Umsetzung und wie bewertest Du das?
Mävers: Das FSC-Label ist aus Sicht der IG BAU wirklich gut und sinnvoll. Zertifizierte Dritte schauen von außen auf die Waldbewirtschaftung. Es wird geprüft, ob alle Gesetze, Verordnungen und sonstige Regelungen zu Unfallschutz, Nachhaltigkeit usw. eingehalten werden. Das Label hat drei Aspekte, die beachtet werden müssen: ökologische, wirtschaftliche und soziale. Das heißt es wird die Nachhaltigkeit untersucht, also ob Naturschutzgesetze eingehalten werden, ob tote Bäume stehen, ob wir Gewässer naturnah gestalten, ob wir den Boden schützen usw. Ferner wird auf die Wirtschaftsplanung und die Erwirtschaftung von Erträgen geschaut, ob wir den Rohstoff Holz nicht vergammeln lassen usw. Und die soziale Seite ist für uns als Gewerkschaften natürlich besonders wichtig: Da wird nachgeschaut, ob der Mindestlohn im Rahmen der Auftragsvergabe gezahlt wird, ob es eine angemessene Personalplanung gibt oder ob Unfallverhütungsvorschriften eingehalten werden. Was in der Öffentlichkeit strittig ist, ist die Stilllegung des Waldes. Da geht es um zehn Prozent, was aus Sicht des Naturschutzes sinnvoll ist. Dabei muss man wissen, dass schon jetzt acht Prozent des hessischen Waldes stillgelegt sind, das heißt es geht lediglich um weitere zwei Prozent. Bis zur Wahl wird die FSC-Zertifizierung für alle Forstämter durchgeführt sein. Das haben die GRÜNEN gegen die CDU durchgesetzt. Positiv erwähnen möchte ich auch das erste hessische Waldforum. Das war ein Forum, das mit allen Interessenvertretungen der Gesellschaft die neuen Grundsätze für die Waldbewirtschaftung im hessischen Staatswald formuliert hat. Auch das geht auf Initiative der GRÜNEN zurück. Das Forum hat viermal getagt und der erarbeitete Kriterienkatalog ist voll in die entsprechende Richtlinie für den Staatswald übernommen worden. Das war ein mustergültig demokratisches Verfahren!
Es handelt sich um ein gekürztes und leicht überarbeitetes Interview aus dem Buch: Liv Dizinger/ Kai Eicker-Wolf/ Michael Rudolph (Hg.): ▸Verlässlich gestaltet - Perspektiven eröffnet? Bilanz und Ausblick der Landespolitik in Hessen. Büchner-Verlag, Marburg 2018.
Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.
Helena Müller ist Politikwissenschaftlerin und als Gewerkschaftssekretärin beim DGB-Bezirk Hessen-Thüringen zuständig für Bildung und Gleichstellung.