Das verlorene Jahrzehnt – die (neue) Debatte um die Schuldenbremse
9. Mai 2019 | Klemens Himpele
Die Debatte über die Schuldenbremse wird endlich geführt – das Argument, dass man diese auf Grund geänderter Bedingungen nun angehen müsse, ist aber falsch. Die Schuldenbremse war ökonomisch nie zu begründen und immer ein politisches Projekt.
Kooperativer Föderalismus
Bis zur Großen Finanzreform des Jahres 1969 orientierte sich das Staatsschuldenrecht in Deutschland (West) an Artikel 87 der Weimarer Reichsverfassung – die Kreditaufnahme war zur Finanzierung von Staatsausgaben nicht zulässig (hierzu und zum Folgenden: Eicker-Wolf/Himpele 2011). Mit der Großen Finanzreform des Jahres 1969 wurden Kredite neben den Steuereinnahmen zu einem regulären Instrument zur Finanzierung von Staatsaufgaben, namentlich der Investitionen. Sinnigerweise hatte sich die Haushaltspolitik am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht zu orientieren – eine Zielsetzung, die heute kaum noch eine Rolle spielt (ein ausgeglichener Außenhandelssaldo etwa wird seit Jahren nicht einmal mehr eingefordert). Damit war letztlich auch eine aktive Konjunkturpolitik gefragt.
Die Kreditaufnahme des Staates war dabei investitionsgebunden, die »Goldene Regel« schrieb vor, dass Schulden nur in Höhe staatlicher Investitionen aufgenommen werden durften. Einer jeden Neuverschuldung stand daher immer ein Zugang an Vermögenswerten gegenüber. Erst diese Regelung ermöglichte den Ausbau öffentlicher Infrastruktur in den 1970er Jahren. Gemeinsam mit den ebenfalls 1969 im Grundgesetz verankerten Gemeinschaftsaufgaben (von Bund und Ländern) wurde so die politische und ökonomische Grundlage für den Ausbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates gelegt. Münch und Meerwaldt (2002) nennen dies »das herausragende Beispiel für den kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland.«
Nur durch die Bundesstaatsreformen des Jahres 1969 war die Bildungsreform der 1970er Jahre (beispielsweise Hochschulausbau, BAföG) möglich; die Große Finanzreform mit den Gemeinschaftsaufgaben ist das zentral politische Instrument für die Durchsetzung einer öffentlichen Investitionspolitik.
Wettbewerbsföderalismus
Mit den beiden Föderalismusreformen 2006 und 2009 wurde der Grundbestand des kooperativen Föderalismus beendet und es begann ein verlorenes Jahrzehnt für die Bundesrepublik Deutschland.
Durch die Übertragung der Kompetenzen im Bildungsbereich an die Länder wurden gemeinsame politische Projekte erschwert (es beginnt die Zeit der Umgehungsstrategien über diverse Pakte im Hochschulbereich) und faktische Blockadeoptionen geschaffen. Andererseits wurde die »Goldene Regel« (die bereits durch die Maastricht-Kriterien eingeschränkt war) außer Kraft gesetzt.
»Die Revision der Finanzreform von 1969 durch die Föderalismusreform I (Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben im Bildungs- und Hochschulbereich) und die Föderalismusreform II (Abschaffung der «Goldenen Regel», Einführung der Schuldenbremse) ist somit als Bruch mit den rechtlichen Prinzipien der Finanzverfassung anzusehen, die den Ausbau des Wohlfahrtsstaats und erhebliche Investitionen in Infrastrukturen und öffentliche Bildung ermöglicht haben« (Eicker-Wolf/Himpele 2011).
Neue Zeiten?
Heute argumentieren zahlreiche Ökonomen gegen die Schuldenbremse: Jens Südekum etwa oder Michael Hüther. Andere – wie Gustav Horn – waren schon 2009 skeptisch. Wieder andere – wie Lars Feld – betonen, dass die Schuldenbremse so bleiben solle, wie sie ist. Feld argumentiert im Kern mit einem Misstrauen gegen die Politik. Wieder andere, wie Clemens Fuest, fordern eine Debatte über sinnvolle Alternativen, da die alte Regelung wohl auch schwer umzusetzen war, da unklar ist, was als Investitionen gewertet werden soll.
In dieser Debatte geht unter, dass die Schuldenbremse nicht ökonomisch gerechtfertigt werden kann. Sie folgt im Kern einer moralischen Argumentation, dass Schulden per se schlecht seien, was ökonomisch schlicht nicht stimmt. Wenn der Nutzen der Verschuldung (Wirtschaftswachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen, funktionierende Infrastruktur) größer ist als die Kosten (Zinsen), dann sind Schulden sinnvoll. Wenn durch Investitionen Sachwerte geschaffen werden, dann verliere ich noch nicht einmal Vermögen, sondern ich tausche Barwerte gegen Sachwerte. Ich habe zwar Schulden, aber dafür eine Universität.
Verlorenes Jahrzehnt
Während man die Föderalismusreform I mit dem Kooperationsverbot – was für ein Irrsinn, das Verbot von Kooperationen! – teilweise durch Pakte umgeht – oft zu Lasten der Beschäftigten, weil befristet – kommt die Debatte um die Schuldenbremse auch deshalb auf, weil es ein allgemeines Gefühl gibt, dass die Infrastruktur in Deutschland verrottet – Stichwort: Leverkusener Autobahnbrücke. Das wird aber teilweise in Abrede gestellt und generell wird behauptet, es gäbe bisher keine wirklichen Effekte der Schuldenbremse (kleiner Hinweis: Schon das Sparpaket 2010 – »Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken« – wurde mit der Schuldenbremse begründet).
Man kann als Hinweis vielleicht eine Europäische Umfrage (Eurostat) von 2015 zu Rate ziehen (neuere Daten liegen leider nicht vor): Während in den 28 einbezogenen deutschen Städten 80,5 Prozent der Menschen sehr zufrieden oder zufrieden waren mit öffentlichen Räumen in der Stadt, wie etwa Märkte, Plätze, Fußgängerzonen, so waren es in Österreich (Wien, Graz) 88,5 Prozent. Mit dem Zustand der Straßen und Gebäude in der Umgebung waren in Deutschland 61,8 Prozent zufrieden; in Österreich 87 Prozent. Das könnte ein Hinweis sein.
Literatur
Eicker-Wolf, Kai / Himpele, Klemens (2011): Die Schuldenbremse als politisches Projek, in: PROKLA, Heft 163, 41. Jg. 2011, Nr. 2, 195-212
Münch, Ursula; Meerwaldt, Kerstin (2002): Politikverflechtung im kooperativen Föderalismus, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Informationen zur politischen Bildung (Heft 275), Bonn.
Bei diesem Artikel handelt es sich in Teilen um eine Ãœberarbeitung des angegebenen Artikels von Eicker-Wolf/Himpele 2011.
Klemens Himpele ist Volkswirt, er lebt und arbeitet in Wien.