Der Beweis für intelligentes Leben in der Profession der Wirtschaftswissenschaften
17. März 2015 | Dean Baker
Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Dean Baker über einen erstaunlichen Sinneswandel unter Mainstream-Ökonomen: Von manchem Allgemeinplatz, der ihnen bis dahin als unbestreitbarer Grundsatz für eine richtige Wirtschaftspolitik galt, sind sie in den letzten Jahren abgerückt.
Vor einiger Zeit ging Larry Summers, der frühere Finanzminister Bill Clintons und Top-Berater Barack Obamas, auf jene los, die behaupten, dass mehr Erziehung die richtige Antwort auf die Ungleichheitsprobleme der USA sei: "Das Kernproblem ist, dass es nicht genug Jobs gibt. Wenn du manchen Leuten hilfst, dann hilfst du ihnen zwar, einen Job zu bekommen, nur bekommt dann jemand anderes diesen Job eben nicht. Solange du nichts tust, was sich auf die Nachfrage nach Arbeit auswirkt, hilfst du den Leuten nur, ein Rennen um eine begrenzte Anzahl von Jobs zu gewinnen."
Er machte diese Anmerkungen im Rahmen einer Konferenz des von Robert Rubin finanzierten Hamilton Projekts, die an der Brookings Institution durchgeführt wurde. Wenn die Bedeutung dieser Anmerkungen nicht klar sein sollte: Die wirtschaftspolitisch wichtigste Figur des Mainstreams der Demokratischen Partei zerstörte damit eines der zentralen wirtschaftspolitischen Leitmotive der letzten zwei Jahrzehnte. Summers legte dar, dass die Probleme der Arbeitnehmerschaft – schlechte Beschäftigungsmöglichkeiten, stagnierende Löhne, wachsende Ungleichheit – durch bessere Bildung und höhere Qualifikationen der Arbeitskräfte eben gerade nicht angegangen würden. Das Problem sei vielmehr der allgemeine Zustand der Wirtschaft.
In der üblichen Erzählung tragen die Arbeitnehmer die Schuld an stagnierenden Löhnen. Der Schlüssel, um voran zu kommen, sei gute Bildung. In der Darstellung, die Summers in Brookings präsentiert hat, tragen hingegen jene Leute die Schuld, die Wirtschaftspolitik machen. Es sei deren Schuld, dass Arbeitnehmer nicht in der Lage sind, anständig bezahlte Jobs zu finden.
Summers reagiert damit auf empirische Befunde, die mit der üblichen Erzählung von Bildung nicht zu vereinbaren sind. Wie meine Freunde und Kollegen Larry Mishel, John Schmitt und Heidi Shierholz gezeigt haben, ist Ungleichheit nach 2000 weiter gewachsen – obwohl die Nachfrage nach Arbeitnehmern in hochqualifizierten Tätigkeiten nicht weiter zugenommen hat. Auch hat sich der Lohnvorteil von akademisch ausgebildeten Arbeitnehmern gegenüber jenen mit geringerem Bildungsabschluss kaum verändert, die Bezahlung eines typischen Hochschulabsolventen ist seit Beginn des neuen Jahrhunderts kaum gestiegen.
Angesichts dessen ignoriert, wer stagnierende Löhne auf einen Mangel an individueller Bildung zurückführt, schlicht die vorliegenden Daten. Da die Daten die Theorie nicht mehr stützen, passen manche Mainstream-Ökonomen nun ihre Positionen an.
Dies ist allerdings nicht das einzige Thema, bei dem Mainstream-Ökonomen ihre Haltung geändert haben. Es ist üblich geworden, dass Summers und andere prominente Ökonomen über das Problem der "säkularen Stagnation" sprechen, über die Überlegung also, dass die Wirtschaft über einen längeren Zeitraum an einem Nachfragemangel leiden könnte.
Diese Position wurde unter Ökonomen noch vor weniger als einem Jahrzehnt regelmäßig lächerlich gemacht. Die übliche Sichtweise war, dass eine Wirtschaft nur kurzfristig – während einer Rezession – unter einem Nachfragemangel leiden könne, Rezessionen aber sich selbst wieder ins Lot brächten. Eine Wirtschaft würde rasch wieder auf ein Produktionsniveau hochspringen, das zu Vollbeschäftigung führt; ein Mangel an Nachfrage sei also kein Grund zur Sorge. Ein Schlüssel, um mehr zu produzieren, sei es vielmehr, die Angebotsseite der Wirtschaft in Ordnung zu bringen. Heute aber erkennt selbst die Forschungsabteilung des Internationalen Währungsfonds (IWF) das Problem der unzureichenden Nachfrage an – wenngleich die IWF-Ökonomen, die Länderprogramme entwerfen, diese Nachricht noch nicht erhalten zu haben scheinen.
Ökonomen schätzen heute auch den Freihandel sehr viel kritischer ein. Es wird heute breit anerkannt, dass das Handelsmodell der letzten drei Jahrzehnte die Löhne weiter Teile der Arbeitnehmerschaft gesenkt hat. Und prominente Ökonomen wie Joe Stiglitz und Jeffrey Sachs haben offen vor den negativen Effekten von Freihandelsabkommen wie der "Transpazifischen Partnerschaft" gewarnt.
Längst verblichen ist auch der Glanz eines immer größeren Finanzsektors mit immer komplexeren Finanzinstrumenten. Eine jüngere Veröffentlichung der Bank für internationalen Zahlungsausgleich zeigt, dass ein aufgeblähter Finanzsektor ein Hemmschuh für das Wachstum ist. Und Simon Johnson, der frühere Chefökonom des IWF, ist ein rastloser Kritiker der "Too-big-to-fail-Banken" sowie der Politik, die diese unterstützt.
Hinter jeder dieser Veränderungen steht eine Abkehr von Sichtweisen, die noch vor weniger als zwei Jahrzehnten die absolute Orthodoxie bildeten. In den 1990er Jahren galten jene Positionen als schlicht falsch, für die heute Personen wie Summers, Krugman, Stiglitz und Sachs eintreten, und die Leute, die sie äußerten, galten als nicht ernst zu nehmen. Sie galten als Unwissende, die moderne Ökonomie nicht verstünden.
Das neue Denken in der Profession der Ökonomie stellt einen bemerkenswerten Bruch mit der Vergangenheit dar. Es sollte in gleicher Weise eingeordnet werden wie die Versuche von Papst Franziskus, die Katholische Kirche mit der modernen Welt in Einklang zu bringen. Aber genau wie Franziskus mit Hardlinern kämpfen muss, ist die Orthodoxie auch in den Wirtschaftswissenschaften stark verwurzelt.
Viele Spitzenökonomen beharren nach wie vor darauf, dass Arbeitslosigkeit durch unzureichende Nachfrage kein Problem sei. Sie äußern sich weiterhin besorgt über Haushaltsdefizite, als ob die Wirtschaft in irgendeiner Weise besser dastehen würde, wenn wir die jährlichen öffentlichen Ausgaben um 500 Milliarden Dollar (entspricht 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) kürzen würden, um den Haushalt auszugleichen. Und die US-Notenbank Federal Reserve schickt sich an, die Zinssätze zu erhöhen, als ob eine höhere Inflation ein Problem wäre, das uns in naher Zukunft beschäftigen sollte. Und die meisten Ökonomen argumentieren nach wie vor, dass jedes Handelsabkommen eine gute Sache sei, wenn die Politiker ihn nur einen "Freihandels-"Vertrag nennen.
Aber jene von uns, die eine progressive ökonomische Programmatik voranbringen wollen, müssen die Öffnung anerkennen, die innerhalb der Profession stattgefunden hat. Es gibt keinen Mainstream-Konsens mehr für eine schlechte Wirtschaftspolitik, die von unten nach oben umverteilt. Das ist ein echter Fortschritt.
Dieser Artikel erschien zuerst im Real World Economics Review Blog. Wir danken Dean Baker für die Genehmigung zur Übernahme und Übersetzung des Textes. Er ist von der CC-Lizenz gemäß Impressum ausgeschlossen; das Zitieren und das Verlinken des Textes ist erlaubt, nicht aber das Vervielfältigen/Kopieren. Übersetzung: Patrick Schreiner.
Dean Baker ist ein US-amerikanischer Volkswirt und Publizist. Mit Mark Weisbrot betreibt er das Center for Economic and Policy Research (CEPR).