Die AfD bei der Bundestagswahl 2013 – Determinanten und Erklärungen ihres Wahlerfolgs
15. Dezember 2015 | Tobias Frank
Wie konnte es zu dem überraschenden Wahlerfolg der AfD bei der Bundestagswahl 2013 kommen? Während aktuelle empirische Analysen der Wahlforschung nach individuellen Faktoren suchen, die die Wähler/innen in ihrer Wahlentscheidung beeinflusst haben können, habe ich in meiner Forschungsarbeit untersucht, ob in den Wahlkreisen vorfindbare sozialstrukturelle Faktoren die Wahlentscheidung pro AfD begünstigen und wenn ja, welche dies am stärksten tun.
Bei der letzten Bundestagswahl zeigte sich das deutsche Parteiensystem durchaus lebendig, obwohl Angela Merkel die Wahl zu einer reinen Personenwahl gemacht hatte. Neben dem beinahe sensationellen Scheitern der FDP an der 5 %-Sperrklausel und dem damit einhergehenden Verlust des Regierungsauftrags war die zweite große Überraschung das starke Abschneiden der Alternative für Deutschland (AfD). Nach gerade einmal sechsmonatiger Gründungsphase erhielt sie aus dem Stand 4,7 Prozent der Stimmen und scheiterte damit nur knapp an einer parlamentarischen Repräsentation. In meiner Arbeit habe ich den Wahlerfolg der viel diskutierten Partei aufgegriffen und mit Hilfe sozialstruktureller sowie sozioökonomischer Determinanten auf Ebene der Wahlkreise analysiert und erklärt.
Sozioökonomische Determinanten stellen hier Faktoren dar, die die soziale und ökonomische Struktur eines Wahlkreises beschreiben und sich üblicherweise auf Statistiken gründen, die Auskunft über formale Bildung und Schulabschluss, Ausbildung und Studium, Beruf und Einkommen, den Wohnort und Eigentumsverhältnisse sowie Liquidität und Kreditwürdigkeit der Bevölkerung geben. Mit der Sozialstruktur ist in dieser Analyse eine sozialstatistische Definition gemeint, wonach Alter, Bildung, Einkommen etc. unter diesen Begriff fallen. Außer diesen beiden Komplexen wurden auch die Wahlergebnisse der NPD und der Republikaner bei den Bundestagwahlen 2005 und 2009 zusammengefasst und in die Analyse einbezogen. Mit diesem Schritt sollte geklärt werden, ob die AfD in den gleichen Wählerstrukturen erfolgreich war wie die beiden genannten rechten Parteien.
Die AfD im Kontext des Rechtspopulismus
Die Partei hat nach der Abspaltung von Bernd Lucke und seiner Partei Alfa einen starken Rechtsruck erfahren. Ursprünglich als Elitenpartei gegründet, übt die AfD eine generelle Kritik an der Regierung und bestehenden politischen Parteien. Ihr Hauptanliegen besteht in einer Korrektur der Euro-Politik der Bundesregierung, der stärkeren Durchsetzung nationaler Interessen sowie starker Zuwendung zu Bürgern deutscher Herkunft. Bei öffentlichen Auftritten der (ehemaligen) Führungsriege um Bernd Lucke, Frauke Petry und Konrad Adam sowie auf Wahlkampfplakaten setzt die AfD auf rechtspopulistische Äußerungen, die sie von bestehenden Parteien abgrenzen sollen. Dabei ist Rechtspopulismus als eine Mobilisierungsstrategie zu verstehen, in deren Zentrum es steht, Stimmungen gegenüber Schwächeren zu erzeugen, um dann über erzielte Wahlerfolge mittels demokratisch erworbener Macht die Gesellschaft autoritär umzubauen. Auch die Presse und Öffentlichkeit haben die AfD schnell als rechtspopulistische Protestpartei charakterisiert.
Bewusstseinskrise der Bevölkerung als Erfolgsgarant der AfD?
Jüngere (europäische) Erfolge der neuen rechtspopulistischen Parteien können auch als Ausdruck einer tief verankerten Bewusstseinskrise von Teilen der Bevölkerung verstanden werden. Verbunden damit ist ein fehlendes Vertrauen in die Fähigkeit demokratischer Politik, die Wählerinnen und Wähler wirklich zu repräsentieren. Stellen sich darüber hinaus Gefühle der Überforderung ein, so gehen sie mit der Sehnsucht nach vermeintlich bekannten abendländischen Wert- und Normvorstellungen einher. Rechtspopulismus kann daher in erster Linie als ein Protestphänomen und als erhoffte Alternative zur Individualisierung verstanden werden, die mit gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen einhergeht.
Die fortschreitende internationale Integration der europäischen Gesellschaften und Volkswirtschaften, Entwicklungen im Zuge der Post-Industrialisierung und das Erstarken post-materialistischer Werte und Policy-Orientierungen verliefen dabei parallel zum aufkommenden Erfolg rechtspopulistischer Parteien. Viele Forscher betonen, dass die neuen rechtspopulistischen Parteien Europas, ähnlich wie die alten Parteien des rechten politischen Flügels, Unterstützung von Gruppen erhalten, die als Verlierer aus genannten Modernisierungsprozessen hervorgehen. Der Sozialwissenschaftler Stefan Hradil beschreibt diesen Prozess mit dem Begriff des „sozialen Wandels“.
Der Fokus meiner Arbeit liegt auf der Makroebene, auf der bestimmte Determinanten hinsichtlich potentieller Effekte auf das Wahlergebnis der AfD bei der Bundestagswahl 2013 untersucht werden sollen. Es herrscht dabei wissenschaftlicher Konsens im Feld der Wahlanalyse, dass ein Zusammenhang zwischen dem Wählerverhalten eines Gebietes und der dort anzutreffenden Sozialstruktur vorhanden ist. Neue Forschungen haben gezeigt, dass diese Annahme noch immer Aktualität aufweist.
Die theoretische Erklärung des Wahlerfolgs
Aus der einschlägigen Literatur lassen sich vier theoretische Perspektiven ableiten, die diese Arbeit geleitet haben:
- 1. Der sozialstrukturelle Ansatz, wonach Personen immer in einen objektiven demographischen Kontext eingebunden sind. Dieser Kontext wiederum beinhaltet verschiedene Indikatoren, die Einflüsse auf das Wahlverhalten darstellen, wie den ökonomischen Status, den Wohnort, die Konfession, den Beruf und das Alter eines Individuums, die seine Wahlentscheidung beeinflussen.
- 2. Der Schichtenansatz, der besagt, dass vor allem die unteren Schichten am wenigsten tolerant sind. Dies bezieht sich vor allem auf Fremdenfeindlichkeit. Dabei gelte die Feststellung, dass sich eine niedrige Bildung in weniger Toleranz gegenüber Andersdenkenden manifestiert, eine Unterstützung gemäßigter Politik damit sehr unwahrscheinlich wird und betroffene Personen damit leicht beeinflussbar sind.
- 3. Die ökonomische Theorie, die auf dem Rational-Choice-Ansatz aufbaut und die Beteiligung an Wahlen und die Stimmabgabe für eine bestimmte Partei als Ergebnis individueller Kosten-Nutzen-Kalküle erklärbar ist. Der Nutzen muss also die jeweiligen Kosten übersteigen, damit ein Individuum sich beispielsweise dafür entscheidet, zur Wahl zu gehen oder einer bestimmten Partei seine Stimme zu geben. Die politische Funktion von Wahlen ist das Auswählen einer Regierung, daher sei ein Verhalten rational, das auf dieses Ziel ausgerichtet ist.
- 4. Der Ansatz der Modernisierungsverlierer, wonach Mechanismen bei der Wahlentscheidung vorhanden sind, die mit dem Begriff der Deprivation bezeichnet werden. Definiert ist sie als Oberbegriff, der die Mechanismen des allgemeinen Mangels an etwas bzw. des wahrgenommenen oder tatsächlichen Entzugs von etwas Erwünschtem beschreibt und sich in mehrere Faktoren aufgliedert, die alle Aufschluss über die soziale Lage einer Person geben und sich in Unzufriedenheit niederschlagen. In der wissenschaftlichen Literatur wird dies als class dealignment bezeichnet. Es beschreibt die fehlende soziale und politische Zuwendung als Auslöser der politischen Unzufriedenheit.
Anhand daraus abgeleiteter Hypothesen wurde eine empirische Überprüfung der sozioökonomischen und sozialstrukturellen Variablen mittels multivariater Regressionen möglich. Beim Vergleich der Modelle, in denen die Perspektiven einzeln und in Kombinationen getestet wurden, zeigte das Modell, das nur die Perspektive des sozialstrukturellen Ansatzes enthält, die stärkste Erklärungskraft für das Wahlergebnis der AfD.
Aktuelle empirische Analysen der Wahlforschung haben bisher versucht, den Wahlerfolg der AfD mit Individualdaten zu erklären. Sie konzentrieren sich auf die Nachfrageseite des Wahlerfolgs. Sie rücken den Fokus auf die Analyse der Unzufriedenheit der Wähler, die durch Arbeitslosigkeit sowie Folgen der Globalisierung und Modernisierungsprozesse entsteht. So können zwar individuelle Faktoren, die den Wähler in seiner Wahlentscheidung beeinflussen, analysiert werden, sozialstrukturelle Determinanten größerer Analyseeinheiten (wie hier die Wahlkreise) werden dabei aber nicht oder nur am Rande in Betracht gezogen. Diese Lücke versucht diese Arbeit zu schließen. So konnten Zusammenhänge zwischen sozialstrukturellen Determinanten und der offiziellen Stimmverteilung der Alternative für Deutschland erklärt werden.
Was machte die AfD bei der Bundestagswahl 2013 so stark?
In der empirischen Überprüfung der theoretischen Perspektiven konnte schließlich gezeigt werden, dass die AfD besonders in denjenigen Wahlkreisen erfolgreich war, in denen der Anteil an Ausländern, der Anteil der Stimmen der NPD und Republikaner bei der Bundestagswahl 2005 und der Anteil an Absolventen mit einem Hauptschulabschluss besonders hoch war. Bei den Ergebnissen und deren Interpretation handelt es sich um Korrelationen, also wechselseitige Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Merkmalen, die nicht mit kausalen Zusammenhängen zu verwechseln sind. Kausale Zusammenhänge sind nur auf der individuellen Ebene, etwa bei einer Wählerbefragung, möglich. Der objektive demographische Kontext eines Wahlkreises beeinflusst also das Wahlergebnis der AfD. Die „politisierte Sozialstruktur“ (Pappi 1986) wirkt nach wie vor fort, wie besonders eindrucksvoll der Effekt des zusammengefassten Wahlergebnisses von NPD und Republikanern bei der Bundestagswahl 2005 bewiesen hat. Hier zeigt sich, dass die ideologische Verortung der AfD im Rechtspopulismus sich auch in den manifestierten Wählerstrukturen niederschlägt.
Die Diffamierung und Diskreditierung Asylsuchender durch die AfD und das Schüren von Verlustängsten haben in Wahlkreisen, in denen viele Ausländer leben und in denen die NPD und die Republikaner vormals erfolgreich waren, vordergründig Resonanz gefunden. Der standardisierte Koeffizient hat den Wert 0.667; also nimmt das Wahlergebnis der AfD durchschnittlich um 0.667 Prozentpunkte zu, wenn das Wahlergebnis der NPD und REP 2005 um eine Standardabweichung zunimmt. Dass der Anteil von Personen mit Hauptschulabschluss zusätzlich einen signifikanten Effekt auf das Wahlergebnis hat, bestätigt die These, dass ein geringer Bildungsstand positive Einstellungen gegenüber rechtspopulistischen Parteien begünstigt. (Signifikant bedeutet in der Statistik, dass ein Ergebnis nicht durch Zufall zustande gekommen ist, sondern durch präzise Analysen.) Das Ergebnis verbessert sich in dem Fall um 0.114 Prozentpunkte, wenn der Anteil an Personen mit Hauptschulabschluss um eine Standardabweichung zunimmt. Erhöht sich der Anteil ausländischer Mitbürger in einem Wahlkreis um eine Standardabweichung, so ist das Wahlergebnis der AfD in diesem Wahlkreis durchschnittlich um 0.369 Prozentpunkte höher. Ebenfalls wurde in der Analyse mit der Armutsgefährdungsquote und dem verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte je Einwohner im jeweiligen Wahlkreis gearbeitet. Diese hielten den strengen Regeln der Regressionsanalyse jedoch nicht stand, so dass ihr Effekt auf das Wahlergebnis der AfD nicht mit statistischer Sicherheit interpretiert werden konnte.
Die AfD ist eine Partei, die im Parteienspektrum und politisch-ideologisch rechts der CDU/CSU einzuordnen ist und mit ihrer rechtspopulistischen Agenda besonders dort erfolgreich war, wo auch schon die NPD und die Republikaner erfolgreich waren. Außerdem wird ihr Wahlergebnis vom steigenden Ausländeranteil und vom Anteil der Absolventen mit Hauptschulabschluss begünstigt. Ihr Wahlerfolg lässt sich mit dem sozialstrukturellen Ansatz theoretisch erklären und empirisch beweisen.
Tobias Frank hat an der Ruhr-Universität Bochum Sozialwissenschaft (B.A.) und an der Universität Duisburg-Essen Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung (M.A.) studiert. Für seine Abschlussarbeit hat er nach möglichen Ursachen für den Wahlerfolg der AfD geforscht. Die Studie wurde mit dem Preis des Instituts für Politikwissenschaft ausgezeichnet und ist kürzlich im Tectum Verlag (ISBN 978-3-8288-3675-4) erschienen.