Die zahnlose Leiharbeitsnovelle ist in Kraft getreten
3. April 2017 | Markus Krüsemann
Seit dem ersten April gilt das überarbeitete Regelwerk des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Die Reform verspricht "Equal Pay" in der Leiharbeit nach neun Monaten und eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. Leiharbeitsbeschäftigte werden davon nichts zu spüren bekommen, denn das Gesetz ist leider kein Aprilscherz, sondern eine dreiste Mogelpackung.
Nach langem Hin und Her ist vor zwei Tagen das Gesetz zur Änderung der Arbeitnehmerüberlassung in Kraft getreten. Die Große Koalition meint, damit die ausufernde Leiharbeit wieder stärker regulieren, auf ihre Kernfunktion zurückführen und Missbrauch unterbinden zu können. Die oft zu lesenden Standard-Pressesprüche dazu lauten, der Gesetzgeber habe der Leiharbeitsbranche striktere Regulierungen auferlegt, weshalb diese nun schwereren Zeiten entgegengehe. Die Beschäftigten dagegen würden fortan bessergestellt und vor Missbrauch geschützt. Verwiesen wird dabei auf zwei zentrale Neureglungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Zum Einen müsse bei der Arbeitnehmerüberlassung künftig jedem Leiharbeitenden nach neun Monaten das gleiche Entgelt gezahlt werden wie der vergleichbaren Stammbelegschaft (Equal Pay). Zum Anderen werde die Überlassungshöchstdauer auf 18 Monate begrenzt.
Offensichtlich hat die Politik der Leiharbeit Grenzen gezogen, dieser Eindruck wird wohl in der allgemeinen Wahrnehmung der Reform hängenbleiben. Nur wer genauer hinschaut, wird erkennen, dass die Regierung auf der Karte der Arbeitnehmerüberlassungspraxis die Grenzlinien eher in einer Art Niemandsland eingezeichnet hat, dort, wo sie dem eingespielten Verfahren nur ganz selten in die Quere kommen werden. Gerade die beiden genannten Eckpunkte der Reform zeigen dies anschaulich.
Eckpunkt 1: Gleicher Lohn nach neun Monaten - wirkungslos
Nach neun Monaten gilt Equal Pay? Was zunächst nach klarer Kante klingt, erweist sich in der Praxis und dank der möglichen Schlupflöcher als Pseudoschwelle. Faktisch trifft die Begrenzung sowieso nur die wenigen Fälle einer länger andauernden Arbeitnehmerüberlassung. Von allen im ersten Halbjahr 2016 beendeten Arbeitsverhältnissen mit einem Verleihunternehmen dauerten 72 Prozent weniger als neun Monate. Die reine Einsatzzeit bei den Entleihbetrieben ist damit nicht einmal erfasst, sie kann durchaus kürzer sein.
Hinzu kommt, dass die Beschäftigungsdauer bis zum Eintritt von Equal Pay durch tarifvertragliche Regelungen (Tarifverträge mit stufenweise sich erhöhenden Branchenzuschlägen) bis auf 15 Monate ausgedehnt werden kann. Diese Ausnahmeoption ist nicht auf tarifgebundene Entleihbetriebe beschränkt, denn nicht tarifgebundene Entleiher können die Anwendung solcher tarifvertraglichen Regelungen durch arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln vereinbaren.
Und es kommt noch besser: Kürzere Einsätze eines Leiharbeitsbeschäftigten summieren sich nur dann auf, wenn zwischen den einzelnen Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen. Bei Unterbrechungen von mehr als drei Monaten verfallen die „angesammelten“ Verleihzeiten und der erneut eingestellte Leiharbeitsbeschäftigte fängt wieder bei Null an.
Den Entleihbetrieben dürfte es nicht schwer fallen, die neuen Auflagen ins Leere laufen zu lassen. Es reicht schon, die Einsatzzeiten unter neun Monaten zu halten. Sollte die Leihkraft eine dauerhaft anfallende Arbeit billig bewältigt haben, so bieten sich zur Aufrechterhaltung der Kontinuität Rotationspools an. In solchen Fällen werden LeiharbeiterInnen zwischen Entleihern nach spätestens neun Monaten ausgetauscht. Der ursprüngliche Beschäftigte kann dann nach drei Monaten wieder an den alten Einsatzort zurückgeholt werden. Im einfachsten Fall spielt ein Verleihunternehmen Pingpong, indem es zwei Leihkräfte fristgerecht wechselnd in zwei Entleihbetrieben einsetzt.
Eckpunkt 2: Überlassungshöchstdauer 18 Monate - wirkungslos
Kein Leiharbeitsverhältnis darf länger als 18 Monate dauern? Auch hier wird nur eine imaginäre Haltelinie gezogen, die durch im selben Gesetzentwurf enthaltene Ausnahmeregelungen praktisch ad absurdum geführt wird. Hinzu kommt, dass wie schon im Fall des Equal Pay die wenigsten Einsätze überhaupt so lange dauern. Im ersten Halbjahr 2016 betraf dies höchstens 15 Prozent aller Fälle von Leiharbeitsbeschäftigung.
Das erste Schlupfloch eröffnet sich auch hier wieder durch die Zulassung abweichender tarifvertraglicher Regelungen. Dort, wo Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche andere Vereinbarungen zur Laufzeit treffen, ist gesetzlich nicht einmal eine Höchstgrenze vorgesehen. Und weil die zeitliche Überlassungsgrenze nicht an die Aufgabe bzw. den Arbeitsplatz, sondern an den einzelnen Leiharbeitsbeschäftigten geknüpft ist, bewirken die neuen gesetzlichen Regelungen dank dieser zweiten Hintertür das Gegenteil dessen, was sie verkünden: Seit heute ist es wieder ganz legal möglich, einen Arbeitsplatz dauerhaft mit (wechselnden) LeiharbeitnehmerInnen zu besetzen.
Mit Bezug auf die EU-Leiharbeitsrichtlinie, wonach Leiharbeit grundsätzlich nur "vorübergehend" erfolgen dürfe, hatte die deutsche Rechtsprechung bisher dazu tendiert, Leiharbeit bei dauerhaftem Beschäftigungsbedarf zu untersagen. Nachdem obiger Grundsatz bereits auf EU-Ebene in Zweifel gezogen wurde, ist nun endgültig der Weg frei für die Dauerleihe, bei der zur Wahrung des vorübergehenden Charakters allerdings noch ein Ablaufdatum der Überlassung vereinbart werden muss. Das ist kein echtes Hindernis, denn, sind sich die Vertragsparteien einig, können sie die Frist beliebig dehnen.
Nicht zuletzt wurden auch hier für nicht tarifgebundene Entleihbetriebe fürsorgliche „Vorkehrungen“ getroffen. Diese können durch Bezugnahme auf abweichende Tarifverträge in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung die Überlassungshöchstdauer (pro Leihkraft) auf bis zu 24 Monate ausdehnen. Natürlich gilt auch für sie: Das AÜG verbietet nicht den Austausch von LeiharbeiterInnen auf demselben Arbeitsplatz.
Für alle Fälle, in denen selbst diese scheunentorgroßen Schlupflöcher nicht reichen, bieten sich auch hier die oben erwähnten Maßnahmen als probate Mittel an, das ganze Regelwerk auszuhebeln. Entleihbetriebe könnten also einfach die Einsatzzeiten ausreichend kurz halten oder auf das Instrument Rotationspool zurückgreifen.
Eine dreiste Mogelpackung
Wie sich zeigt, werden regulierende Einschnitte überwiegend nur vorgegaukelt. In den wichtigsten Eckpunkten ist die Novelle nichts anderes als eine dreiste Mogelpackung. Für LeiharbeitnehmerInnen ergeben sich aus der AÜG-Reform keine Verbesserungen. Die Zahl der in solchen prekären Arbeitsverhältnissen Beschäftigten wird durch die neuen Regelungen wohl kaum reduziert werden. Auch eine bessere Bezahlung ist in weite Ferne gerückt. Zudem laden die Klauseln zu weiterem Missbrauch geradezu ein.
Die betroffenen Entleihbetriebe jedenfalls werden kreative Lösungen bereits in der Schublade liegen haben. Gut möglich, dass dann häufiger auch auf andere Lohndumpingmodelle wie die Vergabe von Dienst- oder Werkverträgen zurückgegriffen wird. Die Bereitschaft jedenfalls, Leihkräfte irgendwann gleich zu entlohnen oder sie fest einzustellen, ist gering.
Eine Online-Umfrage einer Hamburger Unternehmensberatung unter 1.000 Entleihern mit mehr als 56.000 LeiharbeitnehmerInnen will in Erfahrung gebracht haben, dass 13 Prozent der befragten Unternehmen, die Leiharbeitskräfte einsetzen, bereit seien, Equal Pay zu zahlen. Die anderen wollen stattdessen die Einsatzzeiten entsprechend kürzen. Auch zeigten sich in der Umfrage weniger als elf Prozent der Entleiher gewillt, LeiharbeitnehmerInnen nach 18 Monaten zu übernehmen. Warum sollten sie auch? Es wäre also naiv, zu glauben, das reformierte Leiharbeitsgesetz werde die Übernahmequote in Stammarbeitsverhältnisse erhöhen.
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.