Doping in Politik und Gesellschaft
23. Juli 2014 | Sebastian Friedrich
Blöd gelaufen für Michael Hartmann − als Politiker mit Drogen erwischt zu werden, ist unbequem. Bequem zurücklehnen können sich jetzt alle Moralapostel, die nicht erwischt wurden. Sie reagieren mit selbstgerechter Empörung, manchmal mit Mitleid, Grundsätzliches aber hinterfragen sie nicht. Das würde nämlich bedeuten, über den Zusammenhang zwischen Drogen und dem aktuellen flexiblen Kapitalismus nachzudenken. Ein Blick auf die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Doping zeigt, dass es sich um ein Massenphänomen handelt.
Doch was ist Doping überhaupt? Zunächst bezeichnet Doping die Anwendung verbotener Substanzen zur Leistungssteigerung. Thematisiert wird Doping gesellschaftlich zuvorderst im Sport, allerdings wird, wenngleich weniger häufig berücksichtigt, auch in der Arbeitswelt fleißig gedopt. Und wie wir jetzt wissen: in der Politik.
Stets gerät bei einem aufgedeckten Dopingfall der Sportler oder dessen Umfeld ins Blickfeld. Der hinter den SportlerInnen und den nächsten Vertrauten stehende Markt, auf dem fortwährend Höchstleistungen erwartet werden, wird indessen selten berücksichtigt. Entsprechende Doppelmoral zeigte sich vor einigen Jahren eindringlich, als die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender aus der Live-Berichterstattung zur Tour de France ausstiegen. Als ob sie vom systematischen Doping beim Vorzeigerennstall Team Telekom nichts mitbekommen und von den resultierenden Leistungen nicht auch profitiert hätten, positionieren sich die Öffentlich-Rechtlichen seitdem als Vorreiter im Kampf gegen Doping.
Die Überschneidungen zwischen Sportdoping und Alltags- und Arbeitsdoping, wie ihn Erich Vogt in einem Beitrag im DGB-Debattenmagazin "Gegenblende" vor einigen Monaten deutlich machte, wird in den Mainstream-Medien überaus selten thematisiert. Dabei erfreuen sich etwa unter Studierenden „study drugs“ wie Ritalin zunehmender Beliebtheit. Eine Studie der Universität Bielefeld ergab, dass von 3000 zufällig ausgewählten Studierenden etwa 40 Prozent in den vorausgegangenen sechs Monaten mindestens einmal zu Hirndoping gegriffen haben. Etwa ein Viertel der Studierenden sogar mehr als dreimal.
Über solcherlei Doping wird zwar zuweilen berichtet, aber nahezu ausnahmslos bei Studierenden, Freelancern oder Führungskräften verortet. Dabei geht die Einnahme zur vorrübergehenden Leistungssteigerung etwa bei Reinigungskräften oder im Pflegebereich völlig unter. Für viele ist Doping ein Mittel, um den gestiegenen Anforderungen im Zuge von Rationalisierungsmaßnahmen gerecht zu werden oder um genügend Kraft zu haben, notwendige Nebenjobs machen zu können.
Während im Sport Dopingtests an der Tagesordnung sind, wird Arbeitsdoping nicht kontrolliert. Im Gegenteil: Wer besonders viel leistet, gerne unbezahlte Überstunden macht oder schneller als andere arbeitet, gilt als vorbildlich und fleißig. Das in der Sportsoziologie bekannte Goldman-Dilemma belegt, dass etwa die Hälfte der HochleistungsportlerInnen für eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen sogar dann Doping nehmen würden, wenn ihnen aufgrund der Dopingeinnahme binnen fünf Jahren der Tod droht. Ganz so hoch dürfte die Opferbereitschaft in der Arbeitswelt freilich noch nicht sein. In der Politik vermutlich auch nicht. Was die Sache nicht besser macht.
Zum Weiterlesen
- James Connor, Jules Woolf, Jason Mazanov (2013). Would they dope? Revisiting the Goldman dilemma. British Journal of Sports Medicine 47 (11), S. 697–700.
- Sebastian Sattler, Carsten Sauer, Guido Mehlkop, Peter Graeff (2013): The Rationale for Consuming Cognitive Enhancement Drugs in University Students and Teachers. PLOS ONE 8 (7), Online: http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0068821.
- Erich Vogt (2014): Die Dopinggesellschaft. In: Gegenblende Nr. 36 (März/April 2014), Online: http://www.gegenblende.de/++co++c207560e-add5-11e3-9880-52540066f352.
Der Artikel basiert im Kern auf dem Beitrag „Doping“, der im Rahmen der in der Monatszeitung "analyse und kritik" regelmäßig erscheinenden Kolumne „Lexikon der Leistungsgesellschaft“ in Ausgabe 594 erschien. (http://www.akweb.de/ak_s/ak594/index.htm)
Sebastian Friedrich ist Journalist und Publizist aus Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsdiskurse, Neue Rechte, AfD, Kritische Soziale Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Als @formelfriedrich twittert er regelmäßig. Seine Homepage: sebastian-friedrich.net.