„Echte Männer hängen nicht am Jobcenter ab“ - Gangsta-Rap und Neoliberalismus
23. September 2015 | Tobias Ernsing
Neoliberale Ideologie ist auch über Politik und Wirtschaft hinaus weit verbreitet. Sie findet sich längst auch im Alltag und in der Popkultur. Dies zeigt der folgende Artikel am Beispiel des Gangsta-Rap – genauer: an Songtexten der deutschsprachigen Rapper Bushido, Sido und Kollegah. Dort finden sich nicht wenige Passagen, in denen etwa Selbstoptimierung gefordert, die eigene "Leistung" gefeiert und Arbeitslose schlechtgemacht werden.
Subjektivierung im Neoliberalismus
Die meisten gegenwärtigen Wirtschaftsordnungen der westlichen Staaten beruhen auf den Prinzipien des Neoliberalismus. Diese lassen sich nicht nur in der Wirtschafts- und Sozialpolitik wiederfinden, sondern sind auch im menschlichen Alltag und in populärer Kultur fest verankert. Der Neoliberalismus ist zur Basis von Lebensstilen aufgestiegen, er ist anerkannt und angesagt und somit subtiler und standhafter als andere gesellschafts- oder wirtschaftspolitische Ideologien.
Durch ihn kommt es zu einer Generalisierung des Wettbewerbs in allen Bereichen des gesellschaftlichen Miteinanders. Boltanski und Chiapello zeigen auf, dass im Neoliberalismus "der Wert jedes Einzelnen in hohem Maße variabel ist und man sich jeden Tag auf das Neue bewähren muss“ (Boltanski/Chiapello, 2003: 367). So wird (sich) ständig gefragt, ob das, was man gerade tut, sinnvoll ist – oder man in der Zeit, die einem zur Verfügung steht, die eigenen Ressourcen nicht besser entfalten könnte. Weiter wird (sich) gefragt, wie man den eigenen Erfolg, die Anerkennung anderer sowie das gesellschaftliche Ansehen steigern oder wie man sich im Konkurrenzkampf von anderen abheben kann. Der Gedanke der Selbstoptimierung ist ein Kernelement der neoliberalen Ideologie. Daher ist es nicht verwunderlich, dass neoliberales Denken auch Einzug in den Alltag der Menschen erhalten hat. Ein neoliberales Subjekt soll „marktkonform, wettbewerbsfähig, selbstdiszipliniert, anpassungsbereit, flexibel, egoistisch, aktiv und unternehmerisch“ (Schreiner, 2015: 26) sein. Diese "neoliberale Moral", wie Schreiner es bezeichnet, führt dazu, dass Menschen sich permanent selbst thematisieren, selbst optimieren und sich selbst darstellen müssen. Das geschieht einerseits aus innerer Überzeugung und andererseits aus Angst vor sozialer Nicht-Anerkennung und Ausgrenzung. Somit prägt die neoliberale Moral das Denken, Fühlen, das Sein und Wollen der Menschen (vgl. ebd.: 32).
Gangsta-Rap
Die oben skizzierte neoliberale Moral ist auch in der Hip Hop-Kultur zu beobachten. Sie ist etwas so Alltägliches, dass sie sich auch in der populärsten Jugendmusik, dem Gangsta-Rap, wiederfinden lässt. Bei der Textanalyse von insgesamt 10 Alben (jeweils drei Soloalben der Künstler Bushido, Sido und Kollegah plus ein Kollaborationsalbum von Bushido und Sido) ist bei allen drei Rappern zu beobachten, dass in ihren Songtexten Individualismus eine sehr große Rolle einnimmt. Der Verweis darauf, dass sie für ihren Erfolg selbstverantwortlich seien und diesen ohne Fremdeinwirkung erreicht hätten, zieht sich wie ein roter Faden durch die jeweiligen Alben. War es bei früheren Rap-Acts noch normal, ihren Vorbildern sowie ihren DJ_anes Respekt entgegenzubringen, treten die neuen neoliberalen Künstler als „Ich-AGs“ auf.
Du Justin Bieber, bei mir klingeln die Kassen wieder. King of Kings, weil ich keinen von euch Spasten feature. Ich bin Einzelgänger. (Bu14So1)
Das sogenannte "Featuren" bedeutet, dass Künstler zusammenarbeiten, um gemeinsam ein Lied oder ein Album zu produzieren. Dieses ist im Hip Hop eine sehr beliebte Methode, um anderen Künstlern Respekt und Anerkennung zu zollen. Der Verweis von Bushido, dieses nicht zu machen, zeigt seinen individuellen Charakter, welchen er mit der Selbstbeschreibung als Einzelgänger weiter stützt. Die drei Künstler führen aus, dass sie ihren Erfolg nur sich selbst zu verdanken hätten, und kritisieren gesellschaftliche Solidarität dahingehend, dass sie einem persönlich im Wettbewerb eher schade als nütze. Man müsse stattdessen unternehmerisch und egoistisch denken, um die durch den Markt hervorgebrachte Verteilung zu seiner eigenen Gunst zu verbessern.
Des Weiteren erzählen sie Geschichten vom so genannten "amerikanischen Traum": Sie behaupten, dass sie es von ganz „unten“ nach ganz „oben“ „geschafft“ hätten und propagieren förmlich, dass jede_r es genauso „schaffen“ könne wie sie, wenn man sich nur genügend anstrenge und sich optimiere, sei es im beruflichen, im alltäglichen oder im körperlichen Bereich. Sowohl bei Bushido als auch bei Sido wird Leistungsgerechtigkeit behauptet und propagiert. Sie distanzieren sich in ihren älteren Songs von privilegierten Gruppen der Gesellschaft, da sie es im Gegensatz zu „denen“ alleine von ganz „unten“ nach ganz „oben“ geschafft und somit wahre Leistung gezeigt hätten. Auffällig dabei ist, dass nur beschrieben wird, dass sie aus der Unterschicht kommen, aber nie Erklärungsansätze oder gar Lösungsstrategien für die ungerechte Verteilung in der Gesellschaft benannt werden. Auf Diskriminierungsverhältnisse wie etwa Rassismus oder Klassenverhältnisse wird nicht eingegangen. Die Gangsta-Rapper gehen von Chancengleichheit aus und bedienen das neoliberale Leistungsprinzip.
Ich kann nur hoffen du bist hart im Nehmen, denn es ist ein harter steiniger Weg bis zum Garten Eden. Von nichts kommt nichts, ohne Fleiß kein Preis, was soll schon passieren, wenn du den ganzen Tag daheim bleibst? (Si08So22)
Das führt zu argumentativen Schwierigkeiten: Chancengleichheit würde bedeuten, dass es beispielsweise keinen strukturellen Rassismus auf dem Arbeitsmarkt gibt. Den gibt es allerdings durchaus, und er wird „durch die Individualisierung des Sozialen mit Bezügen auf 'Leistungsgerechtigkeit' verschleiert und kann von den Einzelnen folglich schwer erkannt werden" (Friedrich/Haupt, 2012: 20). So werden Solidaritäten und Widerstände gegen strukturellen Rassismus auf dem Arbeitsmarkt erschwert.
Das Stilelement im Gangsta-Rap, die eigene Geschichte aufzuzeigen und damit zu signalisieren, wie man es von „unten“ nach „oben“ geschafft habe, ist für Kollegah schwieriger zu bewerkstelligen als für die anderen beiden Künstler. Es wird deutlich, dass er sich dafür rechtfertigt, studiert zu haben und im Bildungsbürgertum beheimatet gewesen zu sein. Er kann, anders als Bushido und Sido, nicht mit "Leistungsgerechtigkeit" argumentieren.
Denn mein Leben dreht sich heut´ um Chartplätze, Kies und Fame. Während sie noch heut die gleichen Gras-Packets dealen gehen. Ich lass´ mich nicht runterziehen deswegen, sondern push´ mein Business auf unterschiedlichen Ebenen. Das ist G-Rap, ich kille sie, scheiß auf Realness, ich chille nie. Auch wenn Studium für dich heißt: keine Street Credibility. Denn ich will nie mehr zurück und nutze jede Chance. (Ko14So1)
Neben der Individualität und der propagierten Chancengleichheit werden auch Auflösungstendenzen einer gesellschaftlichen Solidarität beschrieben. Diese verstehen die Rapper aber nicht als Verlust oder als problematische gesellschaftliche Entsolidarisierung, sondern vielmehr als Gewinn von Autonomie und Selbstbestimmung. So zeigen Kollegah sowie Bushido in ihren Texten auf, dass sie keine Steuern an den Staat zahlen wollen, da sie der Meinung seien, sie hätten ihr Geld alleine verdient, weshalb ihnen auch alles alleine zustehe (vgl. Bu14So1, Ko14So16). Bushido rappt beispielsweise:
Ich bin alles, wovor Deutschland Paranoia hat, Multimillionär, Gangster gebe keine Steuern ab. (Bu14So1)
Die Einsicht, dass Steuern für eine solidarische „kapitalistische“ Gemeinschaft notwendig sind und dass gerade wohlhabende Bürger_innen mehr Steuern zahlen sollten, damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinanderklafft, ist bei den Künstlern nicht gegeben. „Wer das Recht auf Eigentum für unantastbar und jede am Markt herbeigeführte Verteilung von Einkommen und Vermögen für gerecht hält, der wird die Besteuerung von Einkommen und Vermögen ablehnen“ (Schreiner, 2015:19). Dieses war und ist neoliberale Politik und klang genauso auch schon bei Hayek, einem der wichtigsten Verfechter des Neoliberalismus. Ihm galt das Zahlen von Steuern als ein willkürlicher Zwang, der individueller Freiheit entgegenstehe (vgl. Richter, 2006: 87).
Im Gangsta-Rap dürfen angebliche Versager_innen nicht fehlen, da ein elementarer Bestandteil dieser Musik das Batteln mit heftigen Punchlines ist. Insbesondere Arbeitslose werden immer wieder als Versager_innen stigmatisiert. Hierbei ist besonders die zeitliche Dimension der Texte von Sido und Bushido interessant. Identifizieren sie sich in ihren früheren Werken teilweise mit den unteren Klassen, so lassen sich solche Bezugspunkte in den neuen Alben nicht wiederfinden. Des Weiteren ist es auffällig, dass auch die Diffamierungen von Arbeitslosen bei den beiden Künstlern ausnahmslos in den neueren Alben vorzufinden sind (vgl. Bu11So3, Bu14S06, Bu14So9, Si13So8, Ko11So8, Ko14So5). Bushido degradiert beispielsweise Männer, die ALG II beziehen, mit der Behauptung, „echte Männer hängen nicht am Jobcenter ab“ (Bu14So9). In einem Interview sagte Sido zu seinem Song „Arbeit“ von 2013: „Wenn jemand arbeiten will, kann er das auch“ (neon, zitiert bei Rolling Stone, 2013).
Arbeitslosigkeit wird hier nicht strukturell, sondern individuell erklärt; sie wird mit individuellen Merkmalen verbunden und begründet. Somit wird die Arbeitslosigkeit aus dem gesamtgesellschaftlichen Kontext gerissen. Das Individuum wird dafür verantwortlich gemacht, wenn es keine Arbeit findet. Dies wird noch deutlicher, wenn Sido behauptet: „Aber von allen Arbeitslosen, die wir haben, ist der größte Teil einfach zu faul“ (ebd.). Die Aussagen entsprechen neoliberalen Denkweisen, wie sie etwa auch in den sogenannten „Faulheitsdebatten“ präsent sind. Die Essenz dessen ist, dass, wer wegen nicht zureichendem Leistungswillen keine Arbeit finde, seine Armut selbst verschuldet habe und daher keine gesellschaftliche Unterstützung verdiene. Schuldzuweisungen der Faulheit wie auch der Qualifikationsdefizite sind stark präsent im neoliberalen Leistungsprinzip.
In puncto Selbstoptimierung gilt auch der Körper als Statussymbol fitter und leistungsorientierter Menschen. Gerade Kollegah beschreibt in seinen Texten und in seinem Fitness-Programm mit dem Namen „Bosstransformation“ nach neoliberaler Logik, dass der Körper als etwas gilt, was geformt werden solle (vgl. Ko11So8, Ko14So9, Ko14So14 u.a.). Die Diskurse um die körperliche Verfassung eines Menschen sind eng verknüpft mit den Gedanken der Selbstoptimierung. So werden eine gesunde Ernährung sowie eine gesunde Lebensführung proklamiert. Körperliche Fitness und ein gepflegtes Aussehen sind längst wesentliche Bestandteile des neoliberalen Leistungsprinzips. Die körperliche Leistungsfähigkeit zählt heutzutage als eine Grundvoraussetzung für den Verkauf der eigenen Arbeitskraft. Das Alter, die körperliche Verfassung, die Gesundheit oder die Attraktivität in Arbeitszusammenhängen sind immer bedeutender und entscheiden oft über die Verteilung von Ressourcen (vgl. Degele/Winker, 2011: 20). So liegt es aus neoliberaler Sicht in der individuellen Verantwortung, den eigenen Körper zu optimieren und sich selbst fit zu halten – um die Erfolgschancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und sozial aufzusteigen.
Alle drei Rapper legen zusätzlich darauf Wert, ihren Marktnutzen darzustellen. Das Protzen mit gesellschaftlich anerkannten Statussymbolen soll aufzeigen, dass sie erfolgreich sind, etwas erreicht haben. Es dient zugleich der Abgrenzung von Konkurrent_innen auf dem Markt.
Du hast Geldprobleme? Suchst besorgt nach Halt? Ich hab' auch Geldprobleme, mein Tresor platzt bald. (Ko14So15)
Der Konsum soll die Unterschiede zu anderen Menschen aufzeigen. Er dient hierbei nicht nur als Abgrenzung von unteren Klassen, sondern als Abgrenzung zu jedem einzelnen Menschen. Um nicht ausgesondert zu werden, soll aufgezeigt werden, dass man etwas Besonderes ist. Der Gangsta-Rap boomt, da braucht es ein besonderes Image, um sich gegen die vielen Konkurrent_innen durchzusetzen. Pierre Bourdieu hat schon in den 1970ern darauf aufmerksam gemacht, dass Konsum vor allem auch dazu dient, Unterschiede zu anderen Menschen aufzuzeigen (Bourdieu, 1987). Sprach Bourdieu damals noch von der Abgrenzung von unteren Klassen, ist es im neoliberalen Zeitalter gerade die Abgrenzung jedes einzelnen Menschen von anderen, auch und gerade innerhalb der eigenen Klasse, Berufsgruppe, Freundeskreis oder Familie.
Gangsta-Rap stabilisiert Herrschaft
Die ewig beschriebene, angebliche Chancengleichheit auf dem Markt, die alle drei Künstler behaupten und die Sido speziell mit Selbstoptimierungsgedanken und Leistung festigt, erweist sich in der neoliberalen Ideologie als sehr problematisch, denn Leistung führt nicht automatisch zu Erfolg und andersherum setzt Erfolg nicht unbedingt Leistung voraus. Wichtig ist lediglich, ob das Ergebnis marktwirtschaftlich ertragreich ist. Chancengleichheit ist auch insofern nicht gegeben, als die Ausgangsbedingungen der Menschen am Markt unterschiedlich sind. So müssen viele Menschen, um die gleichen Chancen auf Wohlstand zu haben, mehr leisten als andere. Diese Diskrepanz zwischen Erfolg und Leistung hat in allen neoliberalen Gesellschaften zugenommen. Auf der einen Seite steigt das Einkommen und Vermögen ins Unermessliche, und auf der anderen Seite wächst der Niedriglohnsektor immer weiter.
Des Weiteren würde Chancengleichheit bedeuten, dass die neoliberale Leistungsgesellschaft keine Diskriminierungen, wie Rassismus, Klassismus, Heteronormativismus oder Bodyismus kennt. Dass dem nicht so ist, zeigen beispielsweise die Untersuchungen von Gomolla und Radtke zu institutionellen Diskriminierungen (vgl. Gomolla/Radtke, 2007: 20). Das Leistungsprinzip ist keineswegs frei von Herrschaftsverhältnissen. Diese regulieren den Erfolg bzw. Nichterfolg auf dem Arbeitsmarkt. Über Klassismen und Bodyismen werden Menschen dazu aufgerufen, ihren Bildungsstatus sowie ihren Körper zu optimieren, um den Leistungsansprüchen in der Gesellschaft zu entsprechen. Über Rassismen und Heteronormativismen werden Menschen aufgrund vermeintlicher naturalisierter Merkmale aus dem Wettkampf um prestigeträchtige Jobs strukturell ausgeschlossen. So bestimmt die soziale Herkunft sowie das Geschlecht eines Menschen nach wie vor den Lebensweg. Die neoliberale Ideologie blendet des Weiteren aus, dass "es" nicht alle „schaffen“ können und dass zu „Gewinner_innen“ auch „Verlierer_innen“ gehören. Jedoch ändert dies nichts an der politischen Wirksamkeit des neoliberalen Denkens.
Das Individualisieren und Moralisieren der sozialen Frage hat den aus neoliberaler Sicht erwünschten politischen Effekt, dass Marktprinzipien und kapitalistische Gesellschaft als gerecht und angemessen erscheinen. (Schreiner, 2015: 43).
Indem man Eigenverantwortung propagiert und Armut sowie Arbeitslosigkeit den Betroffenen selbst zuschreibt, werden Markt und Gesellschaft vor Kritik geschützt und Menschen dazu animiert, sich dem Marktgeschehen anzupassen. Des Weiteren wird der Glaube daran, dass es alle schaffen können, als Legitimationsansatz verwendet – er vermittelt ein Gefühl von Gerechtigkeit. Zum einen liefert er eine Rechtfertigung dafür, warum es Gewinner_innen und Verlierer_innen gibt, zum anderen werden dadurch soziale Probleme und Ungerechtigkeiten personalisiert (vgl. ebd. 51). Hieran sind dann wiederum politische Debatten anschlussfähig, wie etwa die Faulheitsdebatten, in denen Arbeitslosigkeit als selbst verschuldet beschrieben und Sozialhilfeempfänger_innen als Schmarotzer_innen deklariert werden. In diesen Debatten reiht sich auch, wie weiter oben ausgeführt, Sido  mit seinem Song „Arbeit“ ein, vor allem aber mit seinen Interviews, in denen er Arbeitslose als faul tituliert.
Abschließend kann gesagt werden, dass in geradezu penetranter Art und Weise neoliberale Ideologie in den Texten des Untersuchungsmaterials reproduziert wird. Die Künstler zeigen mehr unbewusst als bewusst, wie die neoliberale Ideologie sich in den „gesunden Menschenverstand“ eingeprägt hat. Sie inszenieren sich als neoliberale Subjekte, die „marktkonform, wettbewerbsfähig, selbstdiszipliniert, anpassungsbereit, flexibel, egoistisch, aktiv und unternehmerisch“ (ebd.) sind und entsprechend handeln. In ihren Texten zeigen sie sich als Menschen, die sich gerne selbst thematisieren, sich selbst optimieren sowie selbst darstellen. So können die Texte der Künstler als herrschaftsstabilisierend angesehen werden. Sie propagieren eine neoliberale Moral,  gesellschaftskritische Momente hingegen sind so gut wie nie vorzufinden.
Diese neoliberalen Tendenzen in der Hip Hop-Kultur stehen konträr zur Entstehungsphase dieser Jugendkultur Ende der 1970er Jahre in New York. Hip Hop konnte damals noch als ein deutlicher Gegenpol zur neoliberalen Wende begriffen werden. Die Bewohner_innen von Stadteilen wie Harlem oder der Bronx waren stark betroffen von der neoliberalen Politik und galten als Verlierer_innen der wiederhergestellten Klassenmacht der oberen Elite (vgl. Harvey, 2007). Die damit einhergehende Marginalisierung der Bewohner_innen der ärmeren Stadtteile leistete einen elementaren Beitrag zur Entstehung der Hip Hop-Kultur.
Eine delinquente und kritische Jugendkultur hat sich damals also gegen die Zustände der neoliberalen Politik gestellt, heutzutage aber reproduziert sie eben diese neoliberale Ideologie. Auch wenn dieser Umstand interessant ist, so ist er gleichwohl nicht weiter verwunderlich. Jede Jugendkultur, die das Potenzial aufweist, als eine Art kulturindustrielles Produkt vermarktet zu werden, wird in Zeiten der Kommerzialisierung und Globalisierung auch vermarktet. Dabei spielt es keine Rolle, welche radikalen Verweigerungshaltungen eine Musikrichtung besitzt oder welche ursprünglichen Werte sie einst aufwies. So kann festgehalten werden, dass sich Hip Hop nicht von anderen kulturindustriellen Produkten zu unterscheiden scheint, auch wenn diese Jugendkultur eine gewisse Sonderstellung in Form einer ermächtigenden Repräsentationsform marginalisierter Jugendlicher innehat (vgl. Böß, 2009: 117).
Literaturverzeichnis
- Boltanski, Luc/ Chiapello, Eve (2003): Der neue Geist des Kapitalismus. UVK, Konstanz.
- Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M.
- Böß, Raphael (2009): Step into a world. HipHop zwischen Marginalität und Mitte. Unrast Verlag, Münster.
- Degele, Nina/ Winker, Gabriele (2011): „Leistung muss sich wieder lohnen" Zur intersektionalen Analyse kultureller Symbole. In: Knüttel, Katharina/ Seeliger, Martina (Hg.): Intersektionalität und Kulturindustrie: zum Verhältnis sozialer Kategorien und kultureller Repräsentationen. Transcript Verlag, Bielefeld.
- Friedrich, Sebastian/ Haupt, Selma (2012): Die Leistung der Leistung. Wie LeistungsgerechÂtigkeit Rassismus verdeckt. In: ZAG Antirassistische Zeitschrift Nr. 60/2012.
- Gomolla, Mechthild/ Radtke, Frank-Ola (2007): Institutionelle Diskriminierung: Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. VS-Verlag, Wiesbaden.
- Harvey, David (2007): Kleine Geschichte des Neoliberalismus. Rotpunktverlag, Zürich.
- Richter, Edelbert (2006): Freiheit. In: ABC zum Neoliberalismus. Von „Agenda 2010“ bis „Zumutbarkeit“. Hg.: Urban, Hans-Jürgen. VSA Verlag, Hamburg.
- Rolling Stone (2013): Sido: 'Der größte Teil der Arbeitslosen ist einfach zu faul'. In einem Interview urteilt Sido über Arbeitslose: "Wenn jemand arbeiten will, kann er das auch“. http://www.rollingstone.de/news/meldungen/article508994/sido-der-groesste-teil-der-arbeitslosen-ist-einfach-zu-faul.html, Zugriff am 03.01.15.
- Schreiner, Patrick (2015): Unterwerfung als Freiheit. Leben im Neoliberalismus. PapyRossa Verlag, Köln.
Untersuchungsmaterial
- Bushido (2011): Jenseits von Gut und Böse.
- Bushido/Sido (2011): 23.
- Bushido (2012): AMYF.
- Bushido (2014): Sonny Black.
- Kollegah (2008): Kollegah.
- Kollegah (2011): Bossaura.
- Kollegah (2014): King.
- Sido (2008): Ich und meine Maske.
- Sido (2009): Aggro Berlin.
- Sido (2013): 30-11-80.
Tobias Ernsing Tobias Ernsing ist Sozialpädagoge in Hamburg, Autor des Buches "Ich kann schlafen, wenn ich tot bin - work hard, stack checks. Neoliberalismus im populären deutschsprachigen Gangsta-Rap", macht selbst Musik und setzt sich mit Jugendkulturen auseinander.