Faktencheck: Falsche Zahlen und irreführende Berichterstattung zum Migrationshintergrund von Arbeitslosen
21. November 2019 | Lena Becher
Die Bild berichtet, dass die Hälfte der Arbeitslosen einen Migrationshintergrund hat und immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund arbeitslos sind. Doch diese Beobachtung ist falsch, wie ein genauer Blick in die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) verrät.
Die Arbeitslosigkeit von Migranten ist nicht zuletzt seit der verstärkten Fluchtmigration in den Jahren 2015 und 2016 zu einem hitzig debattierten Thema geworden. Auch in der medialen Berichterstattung erzeugt dieser Themenkomplex immer wieder große Resonanz. Zuletzt versuchte sich die Bild am 18. November 2019 unter der Schlagzeile »Jeder zweite Arbeitslose hat Migrationshintergrund« an einer Betrachtung der Thematik und griff dabei auf das Statistik-Angebot der Bundesagentur für Arbeit (BA) zurück.
These 1: Die Hälfte der Arbeitslosen hat einen Migrationshintergrund
Der Bild-Artikel öffnet mit der These, dass jeder zweite Arbeitslose im Deutschland einen Migrationshintergrund habe. Allerdings ist diese Interpretation der BA-Statistik nicht zutreffend. Aus der BA-Veröffentlichung zu Migrationshintergrund von Arbeitslosen und Erwerbsfähigen im Hartz-IV-Bezug geht nämlich hervor, dass im Juni 2019 nicht für die Hälfte, sondern lediglich für rund ein Drittel (37,5 Prozent) der Arbeitslosen ein Migrationshintergrund erfasst wurde.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung O-Ton Arbeitsmarkt.
Den im Bild-Artikel genannten Wert von 52,7 Prozent im Hartz-IV-System und 36,7 Prozent im System der Arbeitslosenversicherung erreicht man rechnerisch nur, wenn man außer Acht lässt, dass nicht für alle Arbeitslosen Angaben zum Migrationshintergrund vorliegen. So handelt es sich bei der Angabe zum Migrationshintergrund um eine freiwillige Angabe, die seit 2011 von den Behörden erfragt werden kann – aber nicht muss.
These 2: Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist zunehmend von Migration geprägt
Dieser Umstand wird in der Berichterstattung nicht berücksichtigt. Die Bild gelangt nämlich zu folgendem Schluss: »Die Zuwanderung prägt immer stärker die Arbeitslosigkeit in Deutschland!«. Sie bezieht sich dabei auf den deutlich gewachsenen Anteil von Arbeitslosen mit Migrationshintergrund an allen Arbeitslosen: Dieser lag im Juni 2014 bei 27,7 Prozent und im Juni 2019 bei 37,5 Prozent – ein Zuwachs um zehn Prozentpunkte.
Betrachtet man jedoch die absolute Anzahl von Arbeitslosen mit Migrationshintergrund, wirkt hier der Zuwachs um sechs Prozent von Juni 2014 bis Juni 2019 weniger dramatisch und wurde zusätzlich durch zwei Entwicklungen maßgeblich beeinflusst: Erstens hat die Fluchtmigration zu einem Anstieg der Bevölkerung in Deutschland mit Migrationshintergrund und somit auch der Zahl der Arbeitslosen mit Migrationshintergrund geführt. Zweitens bewirkte die gute Arbeitsmarktentwicklung in den letzten Jahren einen Rückgang der Arbeitslosigkeit insgesamt gepaart mit kräftigen Beschäftigungszuwächsen, von denen im Übrigen auch Personen mit Migrationshintergrund nicht ausgenommen waren.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung O-Ton Arbeitsmarkt.
Zusätzlich muss die Erfassung des Migrationshintergrunds von Arbeitslosen händisch von den Mitarbeitenden in den Arbeitsagenturen und Jobcentern vorgenommen werden. Deshalb unterliegt die statistische Erfassung einer zeitlichen Verzögerung. In den letzten fünf Jahren liegen anteilig von immer mehr Arbeitslosen Angaben zum Migrationshintergrund vor. Im Juni 2019 war der Migrationshintergrund von knapp 80 Prozent der Arbeitslosen bekannt, während es im Juni 2014 noch 75 Prozent waren.
Mit der gesteigerten statistischen Erfassung ist wiederum ein Anstieg der Zahl der Arbeitslosen mit Migrationshintergrund verbunden. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass für Personen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit auch häufiger der offensichtlich vorhandene Migrationshintergrund erfasst wird. Auf diesen Umstand weist die BA auch in ihren methodischen Hinweisen zu der Statistik hin.
These 3: Die Hälfte der Hartz-IV-Bezieher hat Migrationshintergrund
Zuletzt kann auch die Aussage, dass die Hälfte der »Hartz-IV-Bezieher« Migrationshintergrund hat, anhand der BA-Zahlen nicht bestätigt werden. Zitiert werden nämlich lediglich die Zahlen der arbeitslosen Leistungsberechtigten im Hartz-IV-System. Im Juni 2019 lebten in Deutschland rund 5,5 Millionen Menschen mit einem Hartz-IV-Anspruch. Von Ihnen waren aber nur rund 3,9 Millionen erwerbsfähig und nur knapp 1,5 Millionen waren auch offiziell arbeitslos. Von diesen offiziell Arbeitslosen im SGB II hatten laut BA-Erhebung rund 600.000 einen Migrationshintergrund – das entspricht rund elf Prozent und nicht der Hälfte der 5,5 Millionen Hartz-IV-Beziehenden.
Quelle: Bundesagentur für Arbeit, Darstellung O-Ton Arbeitsmarkt.
Abschließend muss noch darauf hingewiesen werden, dass es sich bei Personen mit Migrationshintergrund nicht zwingend um Ausländer, also Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit handelt. Migrationshintergrund liegt zwar auch dann vor, wenn die befragte Person keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, aber auch dann, wenn eine Person oder mindestens eines ihrer Elternteile außerhalb des deutschen Staatsgebiets geboren wurde und nach 1949 eingewandert ist. Im Juni 2019 hatten von den in der BA-Statistik erfassten 831.000 Arbeitslosen mit Migrationshintergrund mit knapp 250.000 fast jeder Dritte die deutsche Staatsangehörigkeit.
Zum Weiterlesen:
Bundesagentur für Arbeit, Eckwerte der Grundsicherung SGB II – Deutschland, West/Ost, Länder und Jobcenter (Zeitreihe Monatszahlen ab 2007), Oktober 2019, Tabelle 3.3.
Bundesagentur für Arbeit, Migrationshintergrund nach § 281 Abs. 2 SGB III – Deutschland, Länder und Kreise (Monatszahlen), Juni 2014 – Juni 2019.
Der Artikel erschien zuerst auf ▸O-Ton Arbeitsmarkt. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung. | Korrektur 26.11.: Bei der Berechnung des Anteils der Hartz-IV-Beziehenden mit Migrationshintergrund war ein Fehler unterlaufen. Statt der zunächst angegebenen 20 Prozent sind es nur elf. Wir haben diesen Fehler korrigiert.
Lena Becher ist Politikwissenschaftlerin und forscht zu den Themen Arbeitslosigkeit und Grundsicherung.