Rezension
Fit für die Katastrophe?
12. Dezember 2017 | Lea Nagel
Das Konzept der Resilienz ist heute in aller Munde – egal ob in Pädagogik, Psychotherapie, in Bezug auf Umweltkatastrophen, Terroranschläge oder Entwicklungszusammenarbeit. Es bezeichnet zumeist eine Art persönliche Widerstandskraft gegenüber äußeren Widrigkeiten oder einer Anpassung an die bestehenden krisenhaften Verhältnisse.
Auch das 163 Seiten „dicke“ Büchlein „Fit für die Katastrophe“ setzt sich mit dem Themenkomplex „Resilienz“ auseinander. Das Buch vereint die Ergebnisse des Stiftungssymposiums „Dem Elend standhalten?“ des Vereins medico international über den Resilienzdiskurs in Politik und Entwicklungshilfe, das im Jahr 2015 abgehalten wurde. Dort vorgetragene und diskutierte Referate wurden zusammengetragen und bilden die Grundlage vieler Beiträge des Sammelbands, die im Folgenden von mir rezensiert werden.
Der gemeinnützige Verein medico international versucht durch sozialmedizinische Entwicklungsprojekte das Recht auf Gesundheit zu verwirklichen und setzt sich zu diesem Zweck seit fast 50 Jahren für die Beseitigung struktureller Ursachen von Armut und Ausgrenzung ein. Den Artikeln ist die Auffassung gemein, dass der aktuelle Resilienzdiskurs ebendiese strukturellen Ursachen verschleiert und damit gewissermaßen zementiert, wie bereits in der Einleitung des Sammelbands deutlich wird.
So merken Anne Jung und Usche Merk von medico international an, dass es in den letzten Jahren zu einer Ausweitung des Resilienzbegriffs und einer Verschiebung des Gleichgewichts zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und individueller Verantwortung gekommen ist. Durch die zunehmende Konzentration auf die Widerstandskraft des Individuums geraten die gesellschaftlichen Bedingungen mehr und mehr aus dem Blickfeld. Der Fokus liegt allein auf dem Individuum (7). Diesem kommt im Sinne des „neuen“ Resilienzdiskurses die Aufgabe zu, sich in einer risikoreichen Welt, in der Unberechenbarkeit und Katastrophen alltägliche Normalität sind, zurechtzufinden. Die Frage nach den gesellschaftlichen und politischen Ursachen für Klimawandel, Migrationsbewegungen, psychische Erkrankungen, usw. wird durch den Fokus auf das Individuum und seine Widerstandsfähigkeit verschleiert. Die Verantwortung wird im Sinne des Neoliberalismus gewissermaßen auf das Individuum übertragen und der Status Quo gesichert. Aus der Perspektive der Autorinnen und Autoren, die vornehmlich einen sozialwissenschaftlichen Hintergrund vorweisen, wird auf diese Weise die Ursachenbekämpfung erschwert bzw. verhindert.
Da es sich bei den meisten Beiträgen des Sammelbands um verschriftlichte Vorträge handelt, sind sie sprachlich relativ einfach geschrieben und mit vielen Beispielen versehen, was sie leicht nachvollziehbar und angenehm zu lesen macht. Thomas Gebauer, der Geschäftsführer von medico international, exemplifiziert beispielsweise in dem Artikel „Fit für die Katastrophe“ (13-22) seine Kritik am Resilienzdiskurs an der Situation israelischer Kinder, die in der Schule lernen, sich von Gewalt nicht überraschen zu lassen. Sie sollen ihre Angst durch Atemübungen und positive Gedanken kontrollieren. Die Reflexion über eine politische Lösung der Konflikte im Nahen Osten ist hingegen nicht Teil des Lehrplans (20).
Inhaltlich wird die Kritik am aktuellen Resilienzdiskurs in der Pädagogik (von Freyberg: 23-34), der Psychotherapie (Ottomeyer/Redemann: 35-56), im Bereich der Umwelt und Ökologie (Methmann/Oels: 57-84, Hummel: 109-124) und in Bezug auf Migration (Methmann/Oels: 57-84, Bourbeau: 85- 108) und Entwicklungszusammenarbeit (Merk: 125-150) sehr deutlich und schlüssig präsentiert. Die Autor_innen stützen sich dabei auch auf andere Forschungen in diesem Bereich, gehen diskursanalytisch vor und ziehen auch eigene Beobachtungen und Erfahrungen aus der Praxis als Grundlage der Überlegungen heran. In dem Beitrag von Methmann und Oels wird beispielsweise anhand einer Literaturanalyse nachgezeichnet, wie von den Auswirkungen des Klimawandels Betroffene diskursiv von vulnerablen Objekten, denen politisch durch die Bekämpfung des Klimawandels geholfen werden muss, zu resilienten Subjekten, die es schaffen, selbstständig mit den Widrigkeiten des Klimawandels umzugehen, konstruiert werden (57-84). Philippe Bourbeau hingegen arbeitet diskursanalytisch und zeigt am Beispiel Frankreichs, wie Migration „mithilfe“ des Resilienzdiskurses medial und von Seiten der Politik zum Risiko für nationale Sicherheit und Identität konstruiert wird (85-108).
Während manche Autor_innen das Konzept der Resilienz völlig ablehnen, erwähnen andere auch seine Stärken, nämlich den Fokus auf die Fähigkeiten und die Kreativität der Menschen, mahnen aber, es kritisch zu verwenden und die gesellschaftlichen Bedingungen nicht außer Acht zu lassen. Der Sammelband endet mit einem Appell, der Resilienz Widerstand zu leisten. Neocleous ruft dazu auf, sich gegen die dem aktuellen Resilienzdiskurs inhärente Naturalisierung ungerechter und krankmachender gesellschaftlicher Umstände zur Wehr zu setzen und fordert dazu auf, politisch aktiv zu werden und gegen gesellschaftliche Missstände anzukämpfen (151-164).
Obwohl die Beiträge den Resilienzdiskurs in verschiedenen gesellschaftlichen Sphären behandeln, ist die Hauptargumentation in den meisten Beiträgen identisch, was zu einer abnehmenden Aufmerksamkeit gegen Ende des Sammelbandes führen könnte. Insgesamt hält das Buch aber, was es verspricht, nämlich einen kritischen Blick auf den Resilienzdiskurs zu werfen. Es könnte insbesondere für Menschen, die im Sozialbereich oder in entwicklungspolitischen Projekten arbeiten und die realen Auswirkungen des Resilienzdiskurses in ihrem beruflichen Umfeld zu spüren bekommen, interessante theoretische Hintergründe liefern.
Bibliografische Angaben
medico international (Hg.) (2017): Fit für die Katastrophe? Kritische Anmerkungen zum Resilienzdiskurs im aktuellen Krisenmanagement. Gießen: Psychosozial-Verlag. ISBN-13: 978-3-8379-2670-5. 166 Seiten. 19,90 Euro.
Dieser Artikel erschien zuerst am 06.11.2017 auf dem ▸Blog des Soziologiemagazins . Wir danken für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung. Dieser Text ist von der CC-Lizenz gemäß Impressum ausgeschlossen; das Zitieren und das Verlinken des Textes ist erlaubt, nicht aber das Vervielfältigen/Kopieren.
Lea Nagel hat ein Studium der Kultur- und Sozialanthropologie (MA) sowie DaF/DaZ an der Universität Wien absolviert. Zur Zeit arbeitet sie in Wien als Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache (DaZ).