Für Erleichterung über das Wahlergebnis in den Niederlanden gibt es keinen Grund
27. März 2017 | Sebastian Friedrich
Gerade nochmal gut gegangen - so lautet der Tenor aus Politik und Medien nach den Parlamentswahlen in den Niederlanden. Nach Brexit und Trump haben Rechte endlich mal einen Dämpfer erfahren. Im Vorfeld war viel zu lesen von den »Schicksalswahlen«, vom Prüfstein für die anstehenden Wahlen in Frankreich und in Deutschland. So blickte die Welt - oder zumindest Europa - am 15. März gebannt auf die Niederlande: Würde Geert Wilders gewinnen, gar Ministerpräsident werden, ja, könnte es vielleicht sogar zu einem Nexit kommen, einem Ausstieg der Niederlande aus der EU, oder würde es dem weltoffenen Europa gelingen, den blonden Rechten zu besiegen?
Kollektive Erleichterung dann, als die ersten Prognosen kamen und sich abzeichnete, dass es nichts würde mit der Machtübernahme durch Wilders. Seine Ein-Mann-Partei für die Freiheit (PVV) landete mit etwa 13 Prozent auf Platz zwei. Es schien, als sei vielen Menschen in Europa - von weltoffen bis etabliert-konservativ, von links bis neoliberal - einträchtig ein Stein vom Herzen gefallen. Es besteht allerdings kein Grund zur Beruhigung - zumindest aus linker Sicht.
Einer der Gewinner ist Geert Wilders
Zu Hochzeiten der Diskussion um Geflüchtete und Asyl lag Wilders in Umfragen noch haushoch in Führung. Doch während der letzten Wahlkampfwochen zeichnete sich ab, dass die PVV nicht die stärkste Fraktion im Parlament stellen dürfte. Sowohl ein Nexit, ein Ausstieg der Niederlande aus der EU, als auch ein Ministerpräsident Wilders waren außerdem mehr als unwahrscheinlich, da alle Parteien jegliche Zusammenarbeit vehement ablehnten. Nun gilt Wilders als Wahlverlierer. Das ist zumindest eine gewagte Analyse, konnte die PVV im Vergleich zu den vergangenen Wahlen 2012 etwa drei Prozent zulegen. Angesichts der gestiegenen Wahlbeteiligung und der immer hemmungsloseren rassistischen Aussagen Wilders ist das durchaus bemerkenswert - zumal Wilders außer via Twitter kaum Wahlkampf gemacht hat.
Beunruhigend ist auch der starke Wind von rechts. Nicht nur Wilders ist für dieses gesellschaftliche Klima verantwortlich. Stärkste Partei wurde trotz Verlusten die Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) des Ministerpräsidenten Mark Rutte. Dieser hatte in den Tagen vor den Wahlen durch die diplomatischen Verstimmungen mit der Türkei für Aufsehen gesorgt.
Rutte erklärte der Regierung in Ankara, Wahlkampfauftritte zum anstehenden Referendum seien nicht erwünscht. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavusoglu wollte dennoch in den Niederlanden für ein Ja bei der Volksabstimmung werben, erhielt aber keine Landeerlaubnis. Die Polizei stoppte den Dienstwagen der türkischen Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya und brachte sie zurück zur deutsch-niederländischen Grenze, sie sei eine »unerwünschte Ausländerin«. Es ist unwahrscheinlich, dass Rutte ähnlich gehandelt hätte, wenn er sich nicht im Wahlkampfmodus befunden hätte.
Rutte als Wilders light
Durch sein entschiedenes Vorgehen gelang es Rutte, Wilders den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er konnte sich als Hardliner präsentieren, der der türkischen Regierung zeigt, wo der Hammer hängt. Die diplomatische Krise nutzt beiden Seiten: Rutte konnte sich auf den letzten Metern entscheidend von seinem ärgsten Verfolger Wilders absetzen, und Erdogan erhofft sich durch seine scharfe Außenabgrenzung eine Stärkung im Inneren und Ja-Stimmen beim Referendum.
Doch nicht nur in seinem Vorgehen in Sachen Türkei präsentierte sich Rutte als Wilders light. Schon vor der Krise mit der Türkei war er stets darum bemüht, keinen Zweifel an seiner harten Hand beim Thema Integration aufkommen zu lassen. Ein Coup war ein offener Brief Ruttes an die niederländische Bevölkerung. Das ganzseitige Schreiben erschien gleichzeitig in den acht wichtigsten Tageszeitungen des Landes. Darauf ist Rutte mit ernstem Gesichtsausdruck abgebildet, außerdem ein langer Text, in dem zu lesen ist: »Wir fühlen ein wachsendes Unbehagen, wenn Menschen unsere Freiheit missbrauchen, während sie doch gerade für diese Freiheit in unser Land gekommen sind. Menschen, die sich nicht anpassen wollen, die über unsere Sitten herziehen und unsere Werte ablehnen. Die Homosexuelle belästigen, die Frauen in kurzen Röcken ausbuhen und ganz gewöhnliche Niederländer als Rassisten beschimpfen. Ich verstehe sehr gut, dass Menschen denken: Wenn du unser Land so sehr ablehnst, dann ist es mir lieber, dass du weggehst. Das Gefühl habe ich nämlich auch. Verhalte dich normal oder geh weg.«
Damit drückte Rutte dem Wahlkampf seinen Stempel auf: Eine der großen Fragen in den vergangenen Wochen in den Niederlanden war, was denn als normal gilt. Der Begriff blieb weitgehend leer, allerdings - und das ist das eigentliche Problem - hat Rutte »normal« unweigerlich mit der Herkunft verbunden. Der Effekt der Debatte: »Unnormal« können eigentlich nur Eingewanderte sein. Es gab allerdings auch Kritik an Ruttes durchsichtigem Manöver.
Linke haben nichts zu melden
Linke Kräfte hatten in der Polarisierung Rutte gegen Wilders das Nachsehen und konnten dieser auch inhaltlich kaum etwas entgegensetzen. Im Gegenteil: Zusammen genommen haben linke, linksliberale und nominell sozialdemokratische Parteien verloren. Am krassesten: der Einbruch der Partei der Arbeit (PvdA), die im Vergleich zur vergangenen Wahl fast 20 Prozentpunkte einbüßte - und nur knappe sechs Prozent der Stimmen erhielt. Dass sie sich nun an der Grenze zur Bedeutungslosigkeit befindet, hat nicht zuletzt mit ihrer unsozialen Sparpolitik in der Koalition mit der VVD zu tun, wollte sie doch in der Regierung für sozialen Ausgleich sorgen. Die PvdA ähnelt ihren sozialdemokratischen Schwesterparteien in Europa. Sie hat nicht nur massive Sozialkürzungen mit vorangetrieben, auch war sie vorne mit dabei, als es darum ging, während der Eurokrise ihre sozialdemokratischen Freund_innen aus Griechenland zu erpressen. Gleichzeitig ließ sich die PvdA nicht lumpen, für die Verteidigung der »niederländische Werte« zu kämpfen. Der PvdA-Parteiführer, Vizepremier und Sozialminister Lodewijk Asscher, regte Ende 2016 an, dass alle Asylsuchenden sich schriftlich zu den niederländischen Werten bekennen müssen: »Ich erkläre hiermit, dass ich von den Werten und Spielregeln der niederländischen Gesellschaft Kenntnis genommen habe und dass ich gerne dabei helfe, diese zu verbreiten.« Wer diese und andere Sätze nicht unterschreibt, müsste dann ein Bußgeld zahlen.
Links der PvdA gibt es zwar einige Parteien, doch diese sind fragmentiert - und haben sich inhaltlich der politischen Mitte angenähert. Die Sozialistische Partei (SP) konzentriert sich auf die Lücke, die die PvdA in der Wirtschafts- und Sozialpolitik hinterlassen hat. Daneben äußert sie sich nur zaghaft kritisch zum erstarkten Nationalismus und Rassismus. Die linksliberale Partei GrünLinks (GL), die 1990 u.a. aus der Kommunistischen Partei entstanden ist, richtete ihre Wahlkampagne auf die Verteidigung von Migrantenrechten aus, kombinierte das aber mit einer deutlich sozialeren Agenda als in den Jahren zuvor. SP und GL landeten jeweils bei etwa neun Prozent.
Was in den Niederlanden zu beobachten war, droht Linken bei den kommenden Wahlkämpfen auch anderswo: Bei der Polarisierung von bösen Rechten gegen den guten Rest ist es schwer, mit linken Inhalten zu punkten, die linke Klassenpolitik mit explizitem Antirassismus verbindet.
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Sebastian Friedrich ist Journalist und Publizist aus Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsdiskurse, Neue Rechte, AfD, Kritische Soziale Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Als @formelfriedrich twittert er regelmäßig. Seine Homepage: sebastian-friedrich.net.