Geldautomaten-Kapitalismus? Das bedingungslose Grundeinkommen – ein illusorischer Ladenhüter
31. Oktober 2019 | Michael Wendl
Die Diskussionen über ein Bedingungsloses Grundeinkommen sind nicht nur älter, sondern auch illusorischer, als viele meinen: Warum ein BGE weder emanzipatorisch ist, noch einen Ausweg aus der kapitalistischen Ausbeutung bietet.
Die Debatten über ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) markieren einen Ladenhüter in der Geschichte sozialer Ideen. Begonnen hatte die aktuelle Diskussion bereits in den 1980er Jahren, als die zunehmende Digitalisierung der Produktion Hannah Arendts (1962) These vom Ende der Arbeitsgesellschaft wieder aktualisieren konnte. In den 1980er Jahren hieß das BGE noch GME, also Garantiertes Mindesteinkommen. Die Debatte hatte wie heute zwei ideologisch aufgeladene Quellen, einmal eine neoliberale, die sich gegen den damals noch keynesianischen Wohlfahrtstaat richtete, und eine emanzipatorisch verstandene utopische Idee, die von der Überwindung falscher oder entfremdeter Lohnarbeit träumte. An diesen beiden ideologischen Strömungen hat sich nichts geändert und auch die Angst vor dem Ende der Arbeitsgesellschaft, anders gesagt vor technologischer Arbeitslosigkeit, ist geblieben oder wieder erneuert worden. In dieser Debatte geht es um mehrere Aspekte.
Erstens geht es um die Größenordnungen der Kosten eines BGE und die damit verbundenen Größen der Einkommensumverteilung. Es geht also darum, ob ein existenzsicherndes BGE im Rahmen des Kapitalismus überhaupt finanzierbar ist.
Zum zweiten geht es um die Rückwirkungen eines Grundsicherungs- bzw. Grundeinkommensmodells auf die bestehenden Sozialversicherungen, hier die Renten- und die Arbeitslosenversicherung. Darüber hinaus ist zu prüfen, welche Effekte die Verteilungswirkungen eines emanzipatorisch verstandenen existenzsichernden BGE auf die Entwicklung einer Volkswirtschaft insgesamt haben.
Zum dritten geht es um den strategischen Stellenwert des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) im Rahmen einer Systemtransformation. Das heißt: Ist das ein Modell im Kapitalismus, um diesen erträglicher oder sozialer zu machen? Oder ist es ein Instrument zur Veränderung in dem Sinn, dass mit der Einführung des BGE gleichsam »systemfremde« Elemente im Kapitalismus durchgesetzt werden, um diesen zu einem »Mischsystem« zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu machen, in dem Sinne, dass es Märkte und kapitalistische Produktion gibt, aber daneben einen breiten und differenzierten nichtkapitalistischen Sektor, der einerseits aus dem staatlichen Bereich und andererseits aus einer Bandbreite von über Grundeinkommen finanzierten Tätigkeiten besteht? Oder provokant gefragt, geht es nur um ein bescheidenes »Schlaraffenland« für Erwerbslose und Altersarme, das einfach besser ist als das Elend und die Schikanen im Hartz IV-Regime?
Viertens: Was sind die Bewusstseinsformen oder die ideologischen Grundlagen, die sich hinter der Utopie eines bedingungslosen Grundeinkommens verbergen? In die Zukunft gedacht: Ist es eine neue kommunistische Utopie? Diese zielt auf ein Grundeinkommen für alle in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft. Wer aber mehr haben will, arbeitet zusätzlich in einer vergesellschafteten Ökonomie, die ihre Überschüsse einmal für Investitionen (gerade in Bildung und Forschung), zum anderen für das Grundeinkommen ausgibt.
Zunächst gibt es zwei Probleme: Derart strategisch wird die Debatte über Grundsicherung oder Grundeinkommen nicht angegangen. Es gibt einen simplen Streit über Höhe und Sanktionsfreiheit nach dem Motto, die weitergehende Forderung muss die bessere Forderung sein. Zum Zweiten wird überhaupt nicht reflektiert, dass mit der Forderung nach dem BGE eine neue Klassengesellschaft gefordert wird: die Unterscheidung zwischen Erwerbsarbeit und Nichterwerbsarbeit. Die gibt es heute bereits, allerdings umgekehrt: die Unterscheidung zwischen Rentiers, also den Beziehern von Kapitaleinkommen ohne eigene Arbeitsleistung und arbeitender Bevölkerung, bei der die sozialen Transfers bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter auf vorhergegangener Arbeitsleistung beruhen. Mit der Forderung nach dem BGE tritt eine neue »Klasse« von allerdings »alternativen Rentiers« (in einer extrem bescheidenen Variante) auf die politische Bühne.
1. Umverteilung
Ein bedingungsloses Grundeinkommen in der populären Höhe von individualisiert 1000 € wird rund 1000 Mrd. € pro Jahr kosten. Bedingungslosigkeit bedeutet, dass es keine Voraussetzungen für den Bezug des BGE, wie Bedürftigkeit oder Arbeitslosigkeit geben wird, was dazu führt, dass jedes Gesellschaftsmitglied ab einem bestimmten Alter Anspruch auf ein BGE hat. Das ist eine enorme Fehlallokation von finanziellen Ressourcen, da nur eine kleine Minderheit ein solches BGE aus materiellen Gründen, also wegen Arbeitslosigkeit oder Altersarmut benötigt. Diese enorme Verschwendung von öffentlichen Einnahmen ist der Preis für die Bedingungslosigkeit des Einkommens. Wie können diese mindestens 1000 Mrd. € finanziert werden?
Das Volumen der Einnahmen aus Bundessteuern lag 2017 bei knapp 310 Mrd. €. Ein Rückgriff auf Länder- und Gemeindesteuern ist unrealistisch, weil damit diesen Gebietskörperschaften die Finanzgrundlage entzogen werden. Von diesen 310 Mrd. € können staatliche Transfers, wie die Ausgaben für Hartz IV-Transfers, die dann nicht mehr anfallen, für ein BGE verwendet werden. 2017 waren das rund 40 Mrd. €. Damit benötigen wir für ein ein BGE von 1000 € ein erhöhtes Aufkommen aus den Bundessteuern in einer Größenordnung von rund 960 Mrd. €. Das werden dann Einkommenssteuern auf hohe Arbeitsentgelte, Vermögens- und Unternehmenssteuern und die Umsatzsteuer sein. Das Problem besteht hier darin, dass 2017 das gesamte Volkseinkommen 2,457 Bio. € beträgt. Es zerfällt in 1,669 Bio. € Arbeitnehmerentgelte und 778 Mrd. € Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Dazu kommen noch die Abschreibungen, wobei ich hier davon ausgehe, dass sie nicht für ein BGE verwendet werden können, weil das die Substanz einer nationalen Ökonomie beschädigen würde. Aus diesen beiden Größen Arbeitnehmerentgelte und Kapital- und Vermögenseinkommen müssen daher 960 Mrd.€ zur Finanzierung eines BGE abgezweigt werden. Es gibt dazu Verteilungsrechnungen aus dem Kreis der BGE-Befürworter. Eine, die von den Jusos aus Pinneberg stammt (Vorwärts 24.01.2019) zielt darauf, alle Einkommen, die über die Höhe des BGE hinausgehen, mit 50 % zu versteuern. Es gibt dazu jährlich einen Freibetrag von 12000 € plus 12000 € Grundeinkommen, die ausbezahlt und nicht versteuert werden. Die darüber hinaus gehenden Einkommen werden mit 50 % versteuert. Das würde den Teil der Arbeitnehmerentgelte und Renten, der oberhalb von 2000 € liegt und die Gewinn- und Vermögenseinkommen faktisch halbieren. Die föderalen und kommunalen Steuereinnahmen, die aus der Verteilung der Einkommenssteuer auf die drei Gebietskörperschaften stammen, werden damit auch für die Finanzierung des BGE verwendet und führen zu einer entsprechenden Verminderung des Steueraufkommens von Bund, Ländern und Gemeinden. Die staatlichen Sozialtransfers werden in diesem Fall zu einem großen Teil ebenfalls für die Finanzierung des BGE verwendet. Die Zukunft der Sozialversicherungen bleibt hier unklar. Unstrittig ist nur ein Beitrag für eine Krankenversicherung und bestimmte staatliche Transfers wie das Kindergeld. Nach diesem Modell werden zunächst 1000 € pro Kopf ausgeschüttet und danach plus einer deutlichen Steuererhöhung bei rund 80 % der Bezieher wieder eingetrieben. Insofern ist dieses Modell nicht bedingungslos, da nur Bedürftige mit einem Einkommen bis 1000 € nicht besteuert werden. Ab einem Einkommen von ca. 3000 € pro Monat (für Ledige) wird die zukünftige Steuerlast höher sein als im geltenden Steuersystem.
Hier gibt es einen fundamentalen Zielkonflikt mit der an der keynesianischen Theorie orientierten Linken in Parteien und Gewerkschaften. Diese strebt eine, wenn auch erheblich geringere Umverteilung ebenfalls an, aber sie will einen großen Teil davon für öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Erziehung und Bildung, für eine Ausweitung der öffentlichen Beschäftigung und für einen ökologischen Umbau verwenden. Die Keynesianer plädieren für Investitionen in die Zukunft der Gesellschaft, eine Zukunft, in der Arbeitslose wieder Beschäftigung finden und nicht durch ein Grundeinkommen vom Arbeitsmarkt abgekoppelt werden, um dadurch den Arbeitsmarkt zu entlasten. Die Anhänger des BGE plädieren dagegen einmal für den zeitnahen Konsum, in der Perspektive für den Ausstieg aus der Erwerbsarbeit (»Ende der Arbeitsgesellschaft«).
Um diesen Zielkonflikt aufzulösen, können wir noch mindestens einmal 150 Mrd.€ dazurechnen, um die Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur zu finanzieren. Im Klartext: Es müssen mit Hilfe der staatlichen Gesetzgebungsmacht den reichen Privathaushalten und den profitablen Unternehmen rund 1100 Mrd. € jährlich als Daueraufgabe abgenommen werden. Das gesamte Steueraufkommen würde damit einschließlich der indirekten Steuern von auf rund 1800 Mrd. € ansteigen. Das Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen lag 2017 bei 788 Mrd.€. Auch wenn dieses konfiskatorisch besteuert wird, können daraus höchstens 250 Mrd. € zusätzliche Einkommen generiert werden, weil ein bestimmtes Volumen für zusätzliche Investitionen in einer Größenordnung von 300 bis 400 Mrd. € weiter zur Verfügung stehen muss. Zudem sind in diesen Einkommen auch die rein rechnerischen Mietwerte selbst genutzten Wohneigentums sowie die Einkommen von Selbständigen enthalten.
Dann fehlen aber noch mindestens 750 Mrd. €, die aus den Arbeitnehmerentgelten oder dann doch aus indirekten Steuern abgezweigt werden müssen. Theoretisch ist es vorstellbar, dass die mittleren und hohen Arbeitnehmerentgelte sehr hoch besteuert werden, aber bei einem Gesamtvolumen der Lohn- und veranlagten Einkommenssteuer von 250 Mrd. € (2017) ergeben sich daraus vielleicht noch einmal gerade 50 Mrd. €, weil dieses Steueraufkommen insgesamt nicht ausreichend groß ist. Deshalb wird kein Weg daran vorbeigehen, dass das Finanzierungsvolumen des Sozialstaats (Sozialversicherungen und staatliche Transfers) deutlich verringert werden muss, wie das zentral aus der neoliberalen Sicht gefordert wird (siehe unter 3.).
Die mit Umverteilungsprozessen in solchen Größenordnungen verbundenen politischen Auseinandersetzungen sind gewaltig, das Aufkommen aus der Körperschaftssteuer müsste sich dann rund vervierfachen, aber auch das Lohnsteueraufkommen würde sich zu Lasten der mittleren und hohen Arbeitseinkommen um rund ein Viertel erhöhen. Zugleich würden Leistungen der sozialen Sicherung dramatisch reduziert. Im Kern läuft es auf eine groß dimensionierte Umverteilung zulasten der höheren Arbeitnehmerentgelte hinaus, deren stärkere Besteuerung im Volumen deutlich höher ist als die 1000 €, mit den sie vorher subventioniert wurden.
Das verstößt klar gegen das Leitbild sozialer Gerechtigkeit, das auf der Vorstellung eines auf eigener Arbeit basierenden Einkommens basiert. Die große Mehrheit der abhängig Beschäftigten wird die deutliche Reduzierung ihrer auf eigener Arbeit basierenden sozialen Ansprüche entschieden ablehnen. Daher wird sich sofort die Durchsetzungsfrage stellen.
Der Hinweis auf die hohen privaten Vermögen (»Geld ist genug da«), zielt auf Vermögen, also auf eine Bestandsgröße, nicht aber auf Einkommen, also auf eine Stromgröße. Einkommen können aber nur durch Einkommen finanziert werden, nicht – oder nur zeitweise – durch das Abschmelzen von Vermögen. Dieses hat sich zu Kapital materialisiert und erzeugt aus der Anlage von Kapital und die damit verbundene Nutzung von Arbeitskraft Profite, Zinsen und (Boden-)Renten. Wenn es abgeschmolzen wird, verringern sich die daraus resultierenden Einkommen, deren konfiskatorische Besteuerung gerade die Grundeinkommen finanzieren soll.
Beide Sichtweisen, die neoliberale und die emanzipatorisch-utopische, basieren darauf, dass die eigentlichen Quellen der Wertschöpfung, die lebendige Arbeit und die Ressourcen der Natur nicht gekannt werden. So wird dem Kapital eine eigene Potenz der Wertschöpfung und Wertvermehrung (1) angedichtet, an der jetzt endlich etwa auch die Erwerbslosen partizipieren wollen - obwohl ihr eigenes Arbeitsvermögen, also ihre Arbeitskraft, aus dem Wertschöpfungsprozess ausgegrenzt worden ist. Ihre unentgeltliche Mehrarbeit ist nicht mehr gefragt, was sie im Gegenzug zwingt, am gesellschaftlichen Reichtum über soziale Transfers teilzuhaben. Bis 2004 wurde diese Abhängigkeit durch die Arbeitslosenversicherung geregelt. Abzüge vom Lohn sicherten ein Einkommen für Phasen der Arbeitslosigkeit. Mit den Hartz-Reformen wurde dieser »Klassenfonds« der abhängig Beschäftigten in eine staatliche Armutsverwaltung mit dem Ziel des Lohndumpings im Niedriglohnbereich transformiert. Damit ist aber auch der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitseinkommen und der daraus abgeleiteten Sozialeinkommen verloren gegangen.
Weil dieser grundsätzliche Zusammenhang der Entstehung von Einkommen und ihrer Verteilung in einer kapitalistischen Gesellschaft aber nicht verstanden wird, kommt es zu dieser verrückten Vorstellung, die Höhe der aus dem gesellschaftlichen Mehrprodukt abgeleiteten sozialen Transfers sei allein eine Frage des Willens und der Entschiedenheit bei der Artikulation der Forderungen und zum zweiten, es gehe dabei in erster Linie um eine Beschneidung der Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit und Vermögen. Diese Sicht wäre angemessen, wenn der so genannte Produktionsfaktor Kapital eine eigene Potenz der Wertschöpfung hätte. Dann könnten wir uns über die Verteilung der daraus resultierenden Wertzuwächse entsprechende Gedanken machen. (2)
Wenn dies aber nicht der Fall ist, wird der Blickwinkel völlig anders: Dann geht es darum, das aus der Ausbeutung der Lohnarbeit resultierende gesellschaftliche Mehrprodukt rational zu verteilen. Aus dieser Sicht ist es sinnvoller, in Erziehung, Bildung, Forschung und in eine ressourcenschonende Umweltpolitik zu investieren, als in den bloßen Konsum etwa von Erwerbslosen. Was diese betrifft, ist es wiederum sinnvoller, in ihre Beschäftigung, das heißt in die gesellschaftliche Nutzung ihres Arbeitsvermögens zu investieren, als einen sozial abgefederten dauerhaften Abschied in den Sektor der Nichterwerbsarbeit zu subventionieren. Dies ist auch im Interesse der Erwerbslosen, die eine gesellschaftlich sinnvolle Arbeit der Alternative eines öffentlich subventionierten »Müßiggangs« auf bescheidenem Niveau in der Regel vorziehen werden. Gegenwärtig zwingt die mit den Bedingungen von Hartz IV verbundene persönliche Demütigung die Menschen dazu, dass die Rolle des bescheidenen, »alternativen« Rentiers attraktiv wird.
2. Abbau des Sozialstaats
Welche Auswirkungen hat ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die bestehende Sozialversicherung?
Berührt sind davon direkt die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung. Bezogen auf die Arbeitslosenversicherung besteht die Folge darin, dass diese durch ein allgemeines Grundeinkommen überflüssig wird. Arbeitslosigkeit führt dann zum Grundeinkommen. Bezieher höherer Arbeitseinkommen, die in der Phase der Arbeitslosigkeit mit der Höhe des Grundeinkommens nicht zufrieden sein können, also nahezu alle höher qualifizierten Beschäftigten, müssen dann eine zusätzliche Versicherung abschließen, die möglicherweise auch öffentlich angeboten wird (ob es dazu noch eine »Beteiligung« der Arbeitgeberseite gibt, ist wenig wahrscheinlich). Allgemein gilt, dass die Arbeitgeberseite sich mit der Einführung eines allgemeinen steuerfinanzierten Grundeinkommens aus der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherung zurückzuziehen versuchen wird. In der Rentenversicherung ist die Situation komplizierter: Ein allgemeines Grundeinkommen wird die gesetzliche Rentenversicherung finanziell entlasten und in der Folge in eine Zusatzversicherung für abhängig Beschäftigte mit höheren Einkommen, die zum Grundeinkommen hinzu kommt, transformieren. Da es sich hier aber um eine langfristig angelegte und eigentumsrechtlich garantierte Umlagefinanzierung handelt, werden die Beiträge für die nächsten 30 bis 40 Jahre hoch bleiben, da über die Beiträge bereits gegebene Rentenzusagen finanziert werden müssen. Diese sind als eigentumsähnliche Ansprüche verfassungsrechtlich geschützt; zudem wäre das BGE nicht bedingungslos, wenn dafür Renten gekürzt oder gestrichen würden.
Erst nach einem bestimmten Stichtag tritt dann die Kombination von allgemeinen Grundeinkommen und individuell erworbenen Rentenansprüchen in Kraft. Im Kern ändern sich dadurch nicht die Kosten für die Finanzierung der nicht mehr Erwerbstätigen, sondern nur die Verteilung dieser Kosten. Die Arbeitgeberseite wird einerseits entlastet durch eine Verringerung der Rentenversicherungsbeiträge, sie wird andererseits belastet durch die Steuerfinanzierung des allgemeinen Grundeinkommens. Die Arbeitnehmerseite wird ebenfalls entlastet, was die Beiträge zur Rentenversicherung betrifft, andererseits wird sie durch Steuererhöhungen stärker belastet. Unter dem Strich werden aber im theoretischen Modell beide Seiten stärker zur Finanzierung der Nichterwerbstätigkeit herangezogen, weil ein Grundeinkommen nivellierende Wirkungen hat: Wer mittlere oder höhere Einkommen hat, muss stärker privat vorsorgen, um seinen Lebensstandard im Alter halten zu können. Im Kern verändert sich das bisherige System der Sozialversicherung als einer an den vorhergehenden Arbeitseinkommen orientierten Grundsicherung in eine Zusatzversicherung für die mittleren und höheren Arbeitseinkommen. Die Funktion der Grundsicherung wird dann von dem allgemeinen steuerfinanzierten Grundeinkommen übernommen. Die Kosten der Altersversorgung werden aus dem kollektiven System der Umlagefinanzierung ausgegliedert und individualisiert.
Rechtlich ist dieser Formwechsel hoch riskant. Abzüge von den Arbeitseinkommen für die soziale Sicherung begründen eigentumsähnliche Ansprüche, bei einer steuerfinanzierten Grundsicherung ist dieser Zusammenhang völlig offen. In wirtschaftlichen Notzeiten können dann steuerfinanzierte Leistungen anders als beitragsfinanzierte Leistungen drastisch reduziert werden.
Auch makroökonomisch spricht nichts für die Finanzierung von sozialen Transfers über Steuern statt über die Löhne. Das würde insgesamt zu einer deutlich höheren Steuerquote in der Gesellschaft führen. Ob eine solche Gesellschaft bereit ist, darüber den komfortablen Ausstieg eines Teils der Gesellschaft in die Rolle von »bescheidenen« Rentiers zu alimentieren, ist mehr als zweifelhaft. Die Gemeinschaft der Steuerzahler wird verlangen, dass die so subventionierten Gesellschaftsmitglieder für zumutbare Arbeit zur Verfügung stehen. Über die Frage, was in diesem Zusammenhang »zumutbar« heißt, wird dann sicher politisch gestritten werden. Da gibt es andere Lösungen, als diejenigen, die mit Hartz IV fixiert worden sind. Aber auch in einem stärker steuerfinanzierten Sozialstaat wird es kein finanziell attraktives bedingungsloses Grundeinkommen geben. Es ist auch unter diesen veränderten Bedingungen in dem erforderlichen Volumen nicht finanzierbar (siehe oben).
Die nächste Frage zielt auf die makroökonomischen Effekte des BGE. Die hier vorgenommene Umverteilung führt auch zu einer Veränderung der aggregierten Nachfrage. Die öffentliche Nachfrage nach Investitionen wird schrumpfen, weil ein größerer Teil des Steueraufkommens für den Konsum ausgeben wird. Das hat einmal negative Auswirkungen auf die öffentliche Infrastruktur und führt durch die Anhebung der Nachfrage nach Konsumgütern zu Preisansteigen. Gleiches gilt für die Überwälzung der höheren Unternehmenssteuern auf die Preise. Unter bestimmten Bedingungen kann ein leichter Anstieg der Inflation makroökonomisch sinnvoll sein. Es ist aber zugleich damit zu rechnen, dass die privaten Investitionen zurückgehen werden. In der allgemeinen Tendenz sind mit dieser Variante von Umverteilung erhebliche Risiken für die zukünftige Wertschöpfung und die Weiterentwicklung des gesamtgesellschaftlichen (privaten wie öffentlichen) Kapitalstocks verbunden. Eine Ausweitung des Konsums ohne ein entsprechendes Ansteigen der Wertschöpfung führt nur zu höheren Preisen, was die Kaufkraft der Grundsicherung verringert. Insofern stellt eine direkte Finanzierung des Staates durch die Zentralbank, wie das im Rahmen der Modern Monetary Theory diskutiert wird, keine Lösung dar. Der Staat müsste die vermehrte Ausgabe von Geld durch höhere Steuern wieder zurückholen, damit es nicht zu einer Inflation kommt. (3)
3. Gesellschaftstransformation?
Die dritte Frage nach dem Stellenwert dieser Forderung im Rahmen einer Transformation des kapitalistischen Systems in eine »postkapitalistische« oder »sozialistische« Gesellschaftsordnung ist einfach zu beantworten. Das BGE wird nicht als Einkommensform einer nichtkapitalistischen Gesellschaft betrachtet, sondern als mögliche Variante der Einkommensverteilung in den bestehenden kapitalistischen Gesellschaften. Für eine solche Interpretation spricht, dass ein allgemeines Grundeinkommen auch zum wirtschafts- und sozialpolitischen Repertoire neoliberaler Reformvorschläge (zum Beispiel bei Milton Friedman in der Form einer »negativen Einkommenssteuer«) gehört und auch die »linken« Befürworter des BGE (wie zum Beispiel Claus Offe) diesen Vorschlag in die gegenwärtige Finanzierungskrise des Sozialstaats einordnen. Diese wiederum thematisieren mit ihrem Plädoyer für ein BGE ein zentrales Problem: Das BGE kann aus dieser Sicht eine selbst gestaltete Lebensführung der Menschen ermöglichen, weil diese sich nicht mehr dem Diktat unterwerfen müssen, jede Arbeit anzunehmen. »Systemfremd« sind solche Vorschläge allerdings nicht. Die Alimentierung von Nichterwerbstätigen durch die Erwerbstätigen gehört zu den Grundanforderungen, die jede Gesellschaft leisten muss. Ein bedingungsloses Grundeinkommen markiert hier einen weiteren Schritt, weil vom politischen Anspruch gesehen, die soziale Kontrolle der so subventionierten Gesellschaftsmitglieder aufgehoben wird. Allerdings sind die mit dem BGE verbundenen Einkommenserwartungen völlig illusionär. Über die Begrenzung dieser Sozialeinkommen – siehe oben – wird sich indirekt wieder eine soziale Kontrolle und Begrenzungen der Transfers durchsetzen, die zur Aufnahme von Lohnarbeit zwingen.
Die Frage des Arbeitszwangs lässt sich aber einfacher lösen: durch eine Änderung der Zumutbarkeitsbedingungen von angebotener Arbeit. Wenn nicht zumutbare Arbeit ohne Sanktionen abgelehnt werden kann – wie dies vor 1982 im Arbeitsförderungsrecht (AFG) geregelt war – stellt sich diese Frage nicht. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Hartz I bis IV einfach zurückgenommen würden und die Einkommensformen des AFG mit Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe mit dem Verständnis von zumutbarer Arbeit vor 1982 wieder institutionalisiert würden. Damit würde die absurde Vorstellung, die Arbeitslosen seien an ihrer Arbeitslosigkeit selbst schuld, fundamental korrigiert.
4. Warum ist die Ideologie eines BGE populär?
Aus makroökonomischer Sicht absurde Regelungen wie die Hartz-Gesetze und ihre Praxis provozieren ähnlich absurde Reaktionen. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen gehört dazu. Aus einer ideologiekritischen Sicht geht es darum, zu erklären, warum so phantastische Modelle populär werden. Aus der neoliberalen Sicht ist diese Erklärung einfach. Der Neoliberalismus ist eine politische Utopie, die durch einen unbeirrbaren Glauben an die Effizienz freier Märkte bestimmt wird. Märkte erreichen hier aus sich selbst heraus eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen, deren Unterschiede auf entsprechend unterschiedliche Leistungen zurückzuführen sind. Wenn alle ihrem eigenen Nutzen folgen und Staat und Gewerkschaften sie dabei nicht behindern, wird ein Optimum an Wohlfahrt gewonnen. Die der politischen Utopie des Neoliberalismus zugrundeliegenden ökonomischen Theorien werden zusammenfassend als neoklassisch bezeichnet, auch wenn sich unter diesem Begriff verschiedene Varianten wie der Monetarismus, der deutsche Ordoliberalismus und die Österreichische Schule zusammenfassen lassen. In der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie oder -doktrin gibt es keine unfreiwillige oder ökonomisch erzwungene Arbeitslosigkeit, sondern nur freiwillige. Wer arbeitslos ist, hat nach dieser Ideologie beschlossen, dass der individuelle Nutzen von Nichtarbeit größer ist als das Leid der Arbeit, genauer der Lohnarbeit. Mit dem BGE wird für diese nutzentheoretisch bestimmte Entscheidung ein geeigneter institutioneller Rahmen bereitgestellt.
Aus einer emanzipatorisch verstandenen Sicht kann das als Weg zur Autonomie des Individuums, das zwischen selbstbestimmter Eigenarbeit und fremdbestimmter Lohnarbeit wählen kann, verstanden werden. Eine solche Sicht weist darauf hin, dass sich die Individuen in reifen kapitalistischen Gesellschaften in erster Linie als Individuen und nicht mehr als Angehörige einer sozialen Klasse oder eines sozialen Milieus verstehen, also von Gruppen, die in einer Klassengesellschaft eine ökonomisch und sozial bestimmte Position einnehmen. Sie verstehen sich als sozial ungebundene Individuen, die ihr Leben frei bestimmen wollen und dabei von den sozialen Voraussetzungen und Einschränkungen von Autonomie abstrahieren oder frei sein wollen. Eine sozial ungebundene Autonomie wird selbst zur Utopie eines freien Lebens. Dieser Individualisierungsprozess ist aber, gerade bei denen, die ihn ausleben wollen, ein Resultat sozialstaatlicher Sicherheit, der dazu geführt hat, dass bestimmte, früher als sozialer Stand oder Klasse bezeichnete Schranken in den Hintergrund getreten sind. Sie bestehen aber nach wie vor. Dieser Schein von Abwesenheit oder Unsichtbarkeit sozialer Schranken wirkt ganz überwiegend nicht für die große Mehrheit der abhängig Beschäftigten, deren Individualität durch die Machtverhältnisse im System der Lohnarbeit und durch die Höhe der Löhne bestimmt wird. Diese Vorstellung der Rationalität individuell motivierter Handlungen hat zur Folge, dass die Menschen zwar bewusst handeln, aber kein oder nur ein unzureichendes Bewusstsein über die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen haben, unter denen sie handeln. Sie kennen die gesellschaftlichen und sozialstaatlich fundierten Voraussetzungen ihrer individuellen Handlungen nicht (mehr) und führen individuelle Handlungen auf autonome persönliche Entscheidungen zurück. Mit dem BGE wollen sie für diesen Zusammenhang eine materielle Mindestsicherung.
Diese Entwicklung kann auch erklären, warum die Parteien der politischen Linken, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr in makroökonomischen oder gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen denken. Das Individuum sieht aber nicht, warum sein Horizont so beschränkt ist. Mikroökonomische Entscheidungen fallen aus einer nutzentheoretischen Sicht, aus der das BGE bewertet wird. Was nutzt es mir bei meiner Lebensgestaltung? Hinter diesem theoretisch nicht reflektierten Alltagshandeln stehen aber ökonomische Kalküle und entsprechende neoklassische Theorien. Deshalb ist es kein Zufall, dass die Debatten um ein Grundeinkommen durch neoliberale Varianten geprägt werden. Die Anhänger des BGE sind mit ihren Alltagsvorstellungen tief in der bürgerlichen Gesellschaft verankert, auch wenn sie hier nur eine ganz bescheidene Rolle spielen wollen.
In der Konsequenz bedeutet diese Forderung die intellektuelle Resignation oder Kapitulation vor der Herausforderung einer politischen Gestaltung und Überwindung von kapitalistischen Gesellschaften. In der Frage der Höhe dieses Einkommens geht es darum, für wie viel Geld potenzielle gesellschaftliche Opposition und Konflikte eingekauft und politisch stillgelegt werden können. Das Tragische an diesem Angebot liegt darin, dass die ökonomischen und politischen Eliten die Erwerbslosen noch nicht einmal als gesellschaftliche Opposition identifiziert haben. Warum sollten sie für politische Abstinenz mehr bezahlen als das absolute Existenzminimum? Das emanzipatorisch gedachte Grundeinkommen gibt es nur als neoliberale Inszenierung. Diese hat eine offene, gut erkennbare Gestalt in der neoklassischen Utopie einer »freiwilligen« Arbeitslosigkeit, für die ein Existenzminimum garantiert werden soll. Sie nimmt eine verdrehte, mystifizierte und illusorische Form an, wenn sie als Emanzipation von der Lohnarbeit verstanden werden soll.
Anmerkungen
(1) Zur Kritik dieser Vorstellung einer Wertvermehrung des Kapitals aus sich selbst, siehe Karl Marx in: Das Kapital Bd. 1 (MEW 23) S. 652 und Band 3 (MEW 25) S. 838.
(2) Die Forderung nach einer Maschinensteuer beruht auf der gleichen Illusion oder Mystifikation.
(3) Die Modern Monetary Theory ist eine post-keynesianische Theorie der Beschreibung der Geldschöpfung und der Staatsfinanzierung über das Zusammenwirken von Geschäftsbanken, Zentralbank und Staat. Beschäftigungspolitisch zielt sie auf die Herstellung von Vollbeschäftigung und gerade nicht auf einen Ausstieg aus der Erwerbsarbeit.
Michael Wendl ist Soziologe, Mitglied der deutschen Keynes-Gesellschaft, er hat von 1980 bis 2016 für die Gewerkschaften ÖTV und ver.di gearbeitet.