Gute Arbeit in der Wirtschaftsförderung der Länder
30. April 2012 | Patrick Schreiner, Thomas Müller
In jüngster Zeit hat die thüringische Landesregierung mit dem Beschluss Aufsehen erregt, die Höhe von Investitionshilfen unmittelbar an Höchstquoten für die Beschäftigung von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern in den betreffenden Unternehmen zu binden. Auch andere ostdeutsche Bundesländer, etwa Sachsen-Anhalt, streben vergleichbare Regelungen an. In Westdeutschland hingegen scheint eine entsprechende Ausrichtung der Wirtschaftsförderung der Länder bislang nicht auf der Tagesordnung zu stehen.
Man bezeichnet als „Wirtschaftsförderung“ üblicherweise sämtliche Anstrengungen, durch die wirtschaftliche Akteure in einer bestimmten Region finanziell oder materiell unterstützt werden sollen. Grundsätzlich betreiben alle politischen Ebenen Wirtschaftsförderung – etwa in Form von Investitionsbeihilfen, Bürgschaften, Forschungs- und Entwicklungszuschüssen oder auch Ausbildungsbeihilfen. So haben nicht nur die Europäische Union und die Bundesregierung verschiedene entsprechende Einrichtungen und Fonds. Auch die Bundesländer und eine Vielzahl der Kommunen unterhalten Institutionen, die die Aufgabe haben, bestimmte Vorhaben ausländischer wie auch inländischer Unternehmen in der Region oder vor Ort finanziell, materiell oder auch ideell zu unterstützen. Dabei greifen sie in hohem Umfang auf Finanzmittel zurück, die im Rahmen europäischer Strukturfonds sowie der bundesdeutschen Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) den Ländern zur Verfügung gestellt werden.
Aus gewerkschaftlicher Sicht darf die Subventionierung von Unternehmen keineswegs bedingungslos erfolgen. Es sollte vielmehr der Grundsatz gelten, dass, wer öffentliche Mittel im Rahmen der Wirtschaftsförderung für sich beansprucht, im Sinne Guter Arbeit auch bestimmte soziale Kriterien erfüllen sollte. Schließlich ist die Wahrung eines geordneten Arbeitsmarktes mit geordneten Entgeltstrukturen durchaus im öffentlichen Interesse. Bei den genannten Kriterien wäre etwa zu denken an die Beachtung eines Mindestlohns, die Einhaltung von Tarifverträgen, das Vorhandensein von Betriebsräten oder das Einhalten bestimmter Quoten bei Leiharbeit, Minijobs und Befristungen.
Allerdings ist die Vorgabe solcher Kriterien politisch und rechtlich nicht unumstritten. Um die Möglichkeiten und Grenzen einer solchen „sozialen Wirtschaftsförderung“ zu klären, haben die Hans-Böckler-Stiftung, die Otto Brenner Stiftung, der DGB, die IG Metall sowie die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam eine rechtswissenschaftliche Untersuchung angestoßen. Die Expertise ist kürzlich in gedruckter Form erschienen; ihre wesentlichen Ergebnisse werden im Folgenden dargestellt.
Die Möglichkeiten und Grenzen einer sozialen Wirtschaftsförderung werden durch verschiedene rechtliche Regelungen bestimmt. So sind etwa europäisches Vertrags- und Beihilferecht, bundesdeutsches Verfassungs- und Wirtschaftsrecht sowie das Verfassungs- und Wirtschaftsrecht der betreffenden Bundesländer heranzuziehen. Nicht zuletzt spielt auch das europäische Vergaberecht eine gewisse Rolle: Wirtschaftsförderung und die Vergabe öffentlicher Aufträge haben immerhin gemein, dass in beider Rahmen finanzielle Mittel an Unternehmen fließen, was deren Gewinne potentiell erhöhen kann.
In seinem Gutachten zeigt der Arbeitsrechtler Wolfhard Kohte (Universität Halle-Wittenberg), dass die Bundesländer durchaus Möglichkeiten haben, den Unternehmen im Rahmen von Wirtschaftsförderung Vorgaben in Form sozialer Kriterien zu machen – dies gilt in vielen Fällen allerdings nur für Unternehmen bzw. Betriebe, die eine eigene Niederlassung im betreffenden Bundesland unterhalten.
Europarechtlich kann man dabei an die Stärkung elementarer sozialer Ziele im Vertrag von Lissabon anknüpfen; mit ihm wurde die Europäische Grundrechtecharta Teil des Primärrechts. Sie garantiert den Europäerinnen und Europäern unter anderem auch zahlreiche soziale Rechte, vor allem das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen. Die wichtigen Europäischen Strukturfonds müssen nach dem Lissabon-Vertrag für eine Politik des „wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts“ genutzt werden. In einem neuen Programm hat die EU-Kommission – gerade vor dem Hintergrund der jetzigen wirtschaftlichen Krise – eine neue EU-Strategie für soziale Verantwortung von Unternehmen formuliert und verlangt, dass diese auch bei der Förderpolitik berücksichtigt wird. – Im nationalen Recht wäre etwa auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zu verweisen: Als zentrale Ziele sind dort die Schaffung „neuer wettbewerbsfähiger Dauerarbeitsplätze“ bzw. die „dauerhafte Sicherung“ bestehender Arbeitsplätze vor allem im Bereich höher qualifizierter Tätigkeiten gesetzlich auch für die Bundesländer verbindlich festgelegt.
Das von Arbeitgebern und Teilen der Politik immer wieder gerne vorgebrachte Argument, aus rechtlichen Gründen seien soziale Kriterien in der Wirtschaftsförderung nicht möglich, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar:
1. Es kann verlangt werden, dass die geförderten Unternehmen und Betriebe ein gesetzlich festgelegtes Mindestentgelt (beispielsweise von 8,50 Euro je Stunde) bezahlen – und zwar auch in Branchen, für die es keine allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge gibt. Dies dient dem Existenzschutz der Beschäftigten und der Funktionsfähigkeit sozialer Sicherungssysteme.
2. Da nach dem GRW-Gesetz und dem dazu gehörigen Gemeinsamen Koordinierungsrahmen mit Beihilfen im Regelfall überwiegend qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, sind Regeln notwendig, die diese bindenden Vorgaben präzisieren. Daher ist es nahe liegend, in diesem Programm nur Arbeitsplätze zu fördern, die mit einem bestimmten, durchaus höheren jährlichen Mindestbruttolohn (beispielsweise von 25.000 Euro) entlohnt werden. Ziel ist dabei nicht die reine Existenzsicherung, sondern die Qualitätssicherung.
3. Eine vollständige Bindung des geförderten Unternehmens an bestehende Tarifverträge der Branche ist auf jeden Fall möglich, wenn diese allgemeinverbindlich sind. Zusätzlich kann der Beihilfegeber die Beachtung bestimmter tariflicher Regelungen vorschreiben, sofern dies hilft, den Zweck der Förderung zu erreichen. Dies gilt etwa bei Beihilfen für Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen, die notwendig von überdurchschnittlich qualifiziertem und damit überdurchschnittlich bezahltem Personal durchgeführt werden.
4. Möglich ist auch die Vorgabe von Höchstquoten für Leiharbeit, Minijobs und befristete Arbeitsverhältnisse. Hier eröffnen sich Chancen, der zunehmenden Prekarisierung von Arbeitsbedingungen Einhalt zu gebieten.
5. Wirtschaftsförderung kann nicht zuletzt darauf dringen, am Arbeitsmarkt benachteiligte Gruppen besser zu integrieren. So wäre etwa denkbar, geförderten Unternehmen Mindestquoten bei der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, Auszubildenden oder von Menschen mit Behinderung vorzugeben. (Die Arbeitgeberverbände, die sich jetzt in Sachsen-Anhalt auf die Belange der gering qualifizierten Langzeitarbeitslosen berufen, hatten solche Quoten bisher abgelehnt, obgleich diese im Europarecht als eine wichtige Flankierung der Beihilfepolitik anerkannt sind.) Auch an eine geschlechtergerechte Gleichstellungspolitik oder an die Nichtdiskriminierung von Menschen nichtdeutscher Herkunft wäre hierbei zu denken.
Für alle diese fünf Punkte ist zu vermerken, dass soziale Kriterien keineswegs zwingend als notwendige Bedingungen vorgegeben werden müssen. Denkbar wären vielmehr auch Boni-Regelungen, denen zufolge Unternehmen bei Erfüllung bestimmter Kriterien eine erhöhte Förderung erhalten. In diesem Fall wären durchaus auch weiter reichende soziale Kriterien möglich: So können eine umfangreiche Tarifbindung oder eine durch themenbezogene Betriebsvereinbarungen dokumentierte Mitbestimmungskultur im Unternehmen zu erhöhten Fördersummen führen.
Darüber hinaus gilt bei der Wirtschaftsförderung, was auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gilt: Unternehmen haben rechtliche Pflichten etwa bei Arbeits- und Gesundheitsschutz, bei Arbeitszeiten oder bei der Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erfüllen. Die mit dem Rechtsbegriff der „Zuverlässigkeit“ umschriebene Einhaltung solcher gesetzlicher Regelungen ist seit langem als Voraussetzung jeglicher staatlicher Förderung anerkannt. Es ist daher geboten, die Einhaltung dieser Pflichten bei der Vergabe von Wirtschaftsfördermitteln intensiver als bisher zu überprüfen. Unternehmen oder Betriebe, die nachhaltig gegen diese Pflichten verstoßen, sind dann von Beihilfe- und Vergabeverfahren auszuschließen. Dies gälte dann beispielsweise auch für Unternehmen oder Betriebe, die wegen der Unterdrückung von Betriebsratswahlen oder wegen der Behinderung der Betriebsratsarbeit verurteilt wurden.
Zumindest kurz angemerkt sei, dass sich fernab der Frage der Verankerung sozialer Kriterien in der Wirtschaftsförderung auch die Frage einer besseren Einbindung der Beschäftigten und ihrer Vertretungen stellt. Hier gilt: Beihilfeverfahren sind Verwaltungsverfahren, bei denen der Sachverhalt von der Behörde geklärt werden muss. Angesichts des wichtigen Erfahrungswissens der Arbeitnehmer spricht alles dafür, dass  Beihilfegeber bei der Entscheidungsfindung oder der Umsetzung der Fördermittel-Vergabe Betriebsräte und Gewerkschaft konsultieren. Der Staat ist gehalten, durch Information und Kommunikation einen Ausgleich der Interessen von Unternehmen, Beschäftigten und der öffentlichen Hand zu schaffen.
Wie eingangs erwähnt, gibt es gerade in ostdeutschen Ländern durchaus einige Bestrebungen, soziale Kriterien in der Wirtschaftsförderung zu verankern. „Ein Billiglohnland Thüringen wird mit öffentlichen Mitteln nicht mehr unterstützt“, kündigte Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) im Frühjahr an. Thüringer Unternehmen erhalten nur noch die volle Investitionsförderung aus GRW-Mitteln, wenn sie weniger als zehn Prozent Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer beschäftigen. Liegt deren Anteil an der Belegschaft zwischen 10 und 30 Prozent, wird den Unternehmen nicht mehr als ein Basisfördersatz gezahlt. Ist die Quote noch höher, wird die Zahlung ganz gestrichen. Dies entspricht der seit dem 1. Dezember 2011 geltenden Rechtslage, wonach Leiharbeit nur für vorübergehende Tätigkeiten eingesetzt werden darf. Wenn mehr als 30 Prozent der Tätigkeiten in einem Betrieb „vorübergehend“ sind, kann es sich nicht um die nach dem GRW-Gesetz verlangten dauerhaften Arbeitsplätze handeln.
Die Thüringer Regelung stellt einen ersten Schritt zur Eindämmung der Leiharbeit dar, der – wenig überraschend – im Arbeitgeberlager auf einigen Widerspruch stieß. Insbesondere Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser meldete sich lautstark und kritisch zu Wort. Er verbreitete einmal mehr die Mär von schlechter werdenden Standortbedingungen in Thüringen. Damit zeigte er sich blind gegenüber dem Umstand, dass sich längst die schlechten Lohn- und Arbeitsbedingungen in den ostdeutschen Ländern zu einem veritablen Standortnachteil entwickelt haben. Schließlich führen sie zu einer massiven Abwanderung gerade gut qualifizierter Fachkräfte. Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass derzeit gerade in ostdeutschen Bundesländern die Verankerung sozialer Kriterien in der Wirtschaftsförderung angegangen wird.
In Sachsen-Anhalt wurde bereits im Vorfeld der Landtagswahl im Frühjahr 2011 ein Schwenk in der wirtschaftspolitischen Argumentation nach dem Muster Thüringens offensichtlich. Selbst der CDU-Spitzenkandidat Reiner Haseloff, damals noch Wirtschaftsminister, thematisierte in Abkehr von seiner bisherigen Strategie auf einmal die Notwendigkeit höherer Löhne, um der Abwanderung entgegenzuwirken und Fachpersonal zu halten. In der Folge kam es zur Unterzeichnung eines so genannten Fachkräftesicherungspaktes und einer „Erklärung zur Stärkung der Tarifpartnerschaft“ auf Initiative der Industriegewerkschaften.
In der Koalitionsvereinbarung wurde neben einer neuen Initiative für ein Vergabegesetz unter anderem vereinbart, Wirtschaftsfördermittel stärker an soziale und tarifliche Standards zu binden. Im Zentrum steht dabei die Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsförderung. Hier haben die Länder die Möglichkeit, landesspezifische Regelungen vorzusehen. IG Metall und DGB hatten hierzu zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt umfangreiche Forderungen vorgelegt, die unter anderem vorsahen, die GRW-Förderung zukünftig an die Tarifbindung der Firmen zu binden. Weitere Kriterien sollten hinreichende Ausbildungsleistungen, eine niedrige Leiharbeitsquote, keine Behinderung von Gewerkschaftstätigkeit und Betriebsräten sowie ein stündliches Mindestentgelt von 8,50 Euro Arbeitnehmer-Brutto sein. Das Wirtschaftsministerium hat zwischenzeitlich Entwürfe vorgelegt, die zumindest einige Aspekte inhaltlich aufgreifen. Tarifbindung soll zum Beispiel im Rahmen eines Bonus-Systems gewürdigt werden. Die Arbeitgeberverbände und Kammern haben sich zuletzt stark ablehnend geäußert. Die endgültige Form der Richtlinie ist also noch umstritten. Ein Einstieg in die Diskussion ist aber schon einmal gelungen.
Die Beispiele Thüringen und Sachsen-Anhalt zeigen, dass soziale Kriterien zur Verankerung von Guter Arbeit in der Wirtschaftsförderung langsam politische Realität werden. Dass dabei noch deutlich mehr Handlungsspielräume bestehen, als derzeit ausgeschöpft werden, macht die oben dargestellte rechtswissenschaftliche Expertise deutlich. Es wäre wünschenswert, den politischen Druck auf Politik und Wirtschaft zu erhöhen, um soziale Wirtschaftsförderung in Deutschland von einer Ausnahme zur Regel zu machen. Schließlich stellt sie ein nicht unwichtiges Instrument im Kampf gegen prekäre Beschäftigung, Billiglöhne und Diskriminierung und für Gute Arbeit dar.
Das vorgestellte Gutachten findet sich hier: http://library.fes.de/pdf-files/bueros/hannover/08921.pdf.
Dieser Text erschien zuerst in: WISO-Info 1 (2012) (Link)
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.
Thomas Müller ist Gewerkschaftssekretär der IG Metall.