Immobilieninvestitionen und Verdrängung in Universitätsstädten: Das Beispiel Göttingen
25. Juli 2019 | Robin Marlow, Michael Mießner
Wohnraummangel, steigende Immobilieninvestitionen und Mieten sowie Verdrängung sind mittlerweile keine rein großstädtischen Phänomene mehr. Auch Universitätsstädte sind mehr und mehr von dieser Entwicklung betroffen, wie am Beispiel der Stadt Göttingen gezeigt werden kann.
Der Anlagedruck auf dem deutschen Immobilienmarkt ist Ausdruck längerfristiger Entwicklungen, zu denen zum einen die Öffnung des deutschen Immobilienmarktes für Finanzinvestitionen zählt. Zum anderen wird seit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die im Jahr 2007 ausbrach, anlagesuchendes Kapital in den deutschen Immobilienmarkt investiert.
Hintergründe des Anlagedrucks auf dem Immobilienmarkt
In den frühen 1990er Jahren wurden in Deutschland verschiedene Finanzmarktliberalisierungsgesetze erlassen, die unter anderem zur Folge hatten, dass seitdem internationale Finanzinvestor*innen in deutsche Immobilien investieren können. [1] Daraufhin verzeichneten offene und geschlossene deutsche Immobilienfonds erhebliche Kapitalzuflüsse. Seit im Jahr 2007 Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen in Deutschland zugelassen wurden, spielen diese eine immer größere Rolle. Hinzu kommt, dass seit der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007 das Kapital auf der Suche nach einer profitablen und sicheren Anlagemöglichkeit im sogenannten »zweiten Kapitalkreislauf« [2], dem Immobilienmarkt, fündig wurde. Da die deutsche Wirtschaft die Wirtschafts- und Finanzkrise gut überstand und seit dem Jahr 2009 vergleichsweise hohe Wachstumsraten aufweist, die Mieten in Deutschland im internationalen Vergleich günstig sind und damit hohe Steigerungsraten möglich erscheinen, gilt der deutsche Immobilienmarkt als sichere Anlagesphäre mit guten Renditeaussichten. Aus diesem Grund wurde vermehrt Kapital auf dem deutschen Immobilienmarkt investiert.
Der so entstandene Investitionsdruck wurde zuerst in den sogenannten »Big Five« Frankfurt am Main, München, Düsseldorf, Hamburg und Berlin [3] und in den vergangenen Jahren auch in vielen anderen deutschen Großstädten deutlich. Die mit diesem Anlagedruck verbundenen Immobilienpreissteigerungen führen in den Ballungsräumen seit einiger Zeit zu sinkenden Renditelücken zwischen dem eingesetzten Kapital und den durch Verkauf oder Vermietung möglichen Erlösen. Aus diesem Grund geraten kleinere Großstädte, Universitätsstädte und Regionalstädte zunehmend in den Fokus von Anleger*innen. [4]
In diesen Städten sind die Immobilienpreise auf einem niedrigeren Niveau als in den zentralen Lagen der Ballungsräume und Spielräume für Mietpreissteigerungen sind noch gegeben. Investitionen von Anleger*innen in diesen sogenannten B-Lagen-Städten gelten dabei als risikoreich und die Spekulation auf hohe Renditen kann nur aufgehen, wenn es tatsächlich gelingt, Mietpreissteigerungen in diesen Städten durchzusetzen. Insbesondere Universitätsstädte und das studentische Wohnen gelten den Investor*innen dabei als lukrativ. Am Beispiel der Universitätsstadt Göttingen wollen wir im Folgenden kurz die Bedeutung der Studierenden für den Göttinger Wohnungsmarkt darstellen und anschließend zeigen, was das studentische Wohnen für Investor*innen attraktiv macht
Der studentische Wohnungssektor in Göttingen
Die Bedeutung, die das studentische Wohnen für den Wohnungsmarkt der hier untersuchten Universitätsstadt Göttingen hat, wird an folgenden Entwicklungen deutlich: Zwischen 2011 und 2017 stieg die Zahl der wohnberechtigten Bevölkerung in der Stadt von 128.617 auf 134.824 Menschen. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Studierenden der Universität Göttingen, die in der Stadt wohnen, von 14.573 auf 21.666. [5]
Aufgrund des starken Zuzugs von Studierenden zu Beginn desWintersemesters bemühen sich Studentenwerk und Stadtverwaltung seit einigen Jahren im Herbst darum, Wohnraum für Erstsemester bereitzustellen, indem sie an die Bevölkerung appellieren, Zimmer zur Untermiete zur Verfügung zu stellen, oder durch die Anmietung von Hotelzimmern Studierenden für kurze Zeit Wohnraum bereitstellen. Zudem richtete eine studentische Initiative im November 2014 ein Zeltlager für Erstsemesterstudierende ein und machte damit auf den studentischen Wohnraummangel aufmerksam.
Mietpreissteigerungen im Sektor des studentischen Wohnens
Während in Großbritannien schon seit geraumer Zeit über die Rolle von Studierenden auf den Wohnungsmärkten diskutiert wird, [6] wurde der studentische Wohnungsmarkt in der deutschen Diskussion lange kaum beachtet. [7] Doch tatsächlich haben private und institutionelle Investor*innen das studentische Wohnen in den letzten Jahren als Anlagesphäre wiederentdeckt. [8]
Das studentische Wohnen ist für Vermieter*innen aus verschiedenen Gründen interessant: Zum einen ermöglicht die hohe Fluktuation in studentisch genutzten Wohnungen mit jedem Neumietvertrag eine leichtere Durchsetzung von Mieterhöhungen. Zweitens sind Ein-Zimmer-Apartments für Vermieter*innen leicht zu bewirtschaften und ermöglichen aufgrund der geringen Wohnungsgrößen erschwingliche Gesamtmieten bei gleichzeitig hohen Quadratmetermietpreisen. Drittens können Studierende vergleichsweise hohe Mieten zahlen, weil hinter jeder*m Studierenden häufig zwei Eltern mit jeweils einem Einkommen stehen oder die Studierenden BAföG erhalten. Dies vermindert zusätzlich das Mietausfallrisiko. Viertens haben Studierende in den vergangenen Jahren einen stetig höheren Anteil ihres Einkommens für Miete ausgegeben. [9] Fünftens wohnen Studierende häufig in Wohngemeinschaften zusammen. Dies erlaubt es den Studierenden, geringere Mieten pro Person als in einem Ein-Zimmer-Apartment zu zahlen, während das gemeinschaftliche Aufbringen der Miete zugleich hohe Mietzahlungen pro Wohnung ermöglicht. Diese Wohneigenschaften von Studierenden und ihre Umgangsstrategien mit hohen Mieten machen Studierende für Investor*innen interessant, weil Mietpreissteigerungen so im Sektor des studentischen Wohnens leicht möglich sind.
Investor*innen auf dem studentischen Wohnungsmarkt
Angesichts dieser guten Möglichkeiten zur Renditesteigerung im Segment des studentischen Wohnens treten zunehmend überregionale Investor*innen auf dem Göttinger Wohnungsmarkt auf. Hier sollen zwei Beispiele zur Veranschaulichung dienen.
Die erste ist die BaseCamp Student GmbH, ein Subunternehmen der BaseCamp-Gruppe, die Studierendenapartments in Dänemark, Polen und Deutschland hält. [10] Das Göttinger Projekt, das vom renommierten Architekturbüro Sauerbruch Hutton geplant wird, soll 560 Wohnplätze in Einzelappartements und Clusterwohnungen mit Vollmöblierung zur Verfügung stellen. Des Weiteren soll es in der Einrichtung Leihfahrräder, Fitnessräume, einen Kinoraum und eine Rundumbetreuung geben, die an ein Hotel erinnert. Das Unternehmen verspricht Mieten, die denen des Studentenwerks ähneln sollen. Die tatsächlichen Beträge dürften aber in ihren Apartments wie in ihren Beständen in anderen deutschen Städten bei circa 500 € liegen.
Ähnliche Versprechen macht die BGPGruppe mit ihren »Campusglück« Studierendenapartments. Das Unternehmen besitzt rund 16.000 Wohn- und Gewerbeeinheiten in verschiedenen deutschen Städten, darunter Studierendenapartments in Göttingen, Karlsruhe, Kiel, Köln und Münster. [11] Die Göttinger Apartments werden ebenfalls mit einer »Rundum-sorglos-Komplettmiete« beworben. Die Mieten liegen hier zwischen 349 € und 549 € – allerdings nicht für ein Ein-Zimmer-Apartment, sondern für ein Wohngemeinschaftszimmer – in einem vergleichsweise alten Plattenbau – und damit im Göttinger Vergleich sehr hoch.
Aber nicht nur überregionale Investor*innen haben das Segment des studentischen Wohnens in Göttingen entdeckt, sondern auch lokale, die den Göttinger Markt schon seit Jahren gut kennen. Beispielsweise hat die Göttinger Firma Lorenz/Sgodda im Jahr 2014 ein neues Studierendenwohnheim mit 33 Ein-Zimmer-Apartments und einer Wohngemeinschaftswohnung neu gebaut, in dem bereits zum damaligen Zeitpunkt die Mietpreise für die Ein-Zimmer-Apartments auf dem für Göttinger Verhältnisse überdurchschnittlichen Niveau von 9,65 € bis zu 10,74 € je Quadratmeter lagen.
Diese drei Beispiele verdeutlichen, dass das studentische Wohnen auch in einer verhältnismäßig kleinen Universitätsstadt wie Göttingen für überregionale und lokale Investor*innen attraktiv geworden ist. Insbesondere die zunehmende Investitionstätigkeit überregionaler Investor*innen zeigt, dass die Renditen in diesem Segment durchaus mit denen in den Ballungsräumen vergleichbar sind und Investor*innen aus diesem Grund auch Investitionen in B-Lagen-Städten in Betracht ziehen.
Sozialräumliche Verdrängung in der Universitätsstadt Göttingen
Die hohen Mieten, die im Segment des studentischen Wohnens erzielbar sind, haben aber auch sozialräumliche Konsequenzen. Mit ihnen gehen Verdrängungsprozesse einher, die im Anschluss an die britische Diskussion als »Studentifizierung« [12] bezeichnet werden können. Damit wird eine Form der Gentrifizierung bezeichnet, die sich dadurch auszeichnet, dass die vermieter*innen- und investor*innengetriebene Aufwertung von Stadtquartieren an den Bedürfnissen von Studierenden ausgerichtet wird und andere Bevölkerungsgruppen aus diesen Quartieren verdrängt werden.
Beispielsweise steigt der Ertragswert einer Wohnung, wenn eine Kleinfamilie aus einer Wohnung aus- und eine studentische Wohngemeinschaft zu höherer Miete einzieht. So kann eine studentische Wohngemeinschaft häufig durch das gemeinschaftliche Aufbringen der Miete eine höhere Miete zahlen als viele Mittelschichtshaushalte und erst recht als einkommensschwache Bevölkerungsgruppen. Aus diesem Grund sind Studierende für Vermieter*innen in Göttingen eine interessante Mieter*innenklientel. Ein privater Vermieter erläuterte beispielsweise, dass er aus diesem Grund in seinen Beständen Wohnungsgrundrisse anstrebt, die für Studierende und junge Akademiker*innen attraktiv sind, und er so eine homogene Hausbewohner*innenschaft sicherstellt – auch um Konflikte zwischen den Bewohner*innen zu vermeiden.
Die hohen Ertragsmöglichkeiten auf dem Göttinger Wohnungsmarkt spiegeln sich auch in den steigenden Bodenpreisen in der Stadt wider. Dabei stiegen die Bodenpreise nicht in allen Stadtvierteln gleichermaßen an, sondern insbesondere in den Stadtteilen mit einem hohen Studierendenanteil. Zugleich sind genau dies die Quartiere, aus denen Sozialleistungsempfänger*innen und einkommensniedrige Bevölkerungsgruppen verdrängt werden. [13] Diese Gruppen konzentrieren sich so auf immer weniger Stadtteile. Aber nicht nur einkommensschwache Bevölkerungsgruppen werden aus ihren bisherigen Wohnquartieren verdrängt. Auch Mittelschichtsfamilien können sich das Wohnen in universitätsnahen Quartieren immer seltener leisten und ziehen an den Stadtrand. Sie wohnen dort entweder zur Miete und nehmen längere Pendelzeiten in Kauf oder kaufen Wohneigentum in städtischen Randlagen, sofern ihre finanziellen Verhältnisse dies möglich machen. Letzteres hat häufig eine lebenslange Verschuldung zur Folge.
Politische Auseinandersetzungen um studentisches Wohnen
Angesichts der genannten Entwicklungen ist das Wohnen in den letzten Jahren zunehmend zu einem wichtigen politischen Handlungs- und Konfliktfeld in der Stadt geworden. Dabei wird aber selten direkt das Phänomen der Studentifizierung adressiert. Von stadtpolitischer Seite wurde zum einen ein Wohnungsgutachten in Auftrag gegeben. [14] Es kam zu dem Ergebnis, dass bereits 2014 etwa 900 Wohnungen fehlten und bis zum Jahr 2020 voraussichtlich 800 neue Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut werden müssten sowie 2.400 zusätzliche Wohnungen nötig seien. Im Jahr 2018 wurde darüber hinaus vom Stadtrat ein kommunales Handlungskonzept [15] für bezahlbares Wohnen verabschiedet, das den Bau neuer Wohnungen sicherstellen soll.
Das Handlungskonzept beinhaltet drei zentrale Instrumente. Das erste hiervon ist eine Quote für bezahlbaren Wohnraum von 30 Prozent bei Neubauprojekten, die jedoch auch als mittelbare Belegungsbindung in bereits vorhandenen Beständen der jeweiligen Investorin gesichert werden kann. Das zweite Instrument ist die Subventionierung von günstigen Mieten von bis zu 5,60 € je Quadratmeter in Höhe von einem Euro je Quadratmeter für zehn Jahre plus ein Sofortzuschuss von 160 € je Quadratmeter. Das dritte Instrument ist das sogenannte »Bündnis für bezahlbares Wohnen«, in dem die städtische Wohnungsbaugesellschaft, die zwei lokalen Wohnungsgenossenschaften, das Göttinger Studentenwerk sowie die wichtigsten privaten Investor*innen vertreten sind. Die Politik des Bündnisses beschränkt sich dabei jedoch vornehmlich auf regelmäßige Meetings sowie auf eine freiwillige Selbstverpflichtung, die beinhaltet, dass sich die beteiligten Akteure für bezahlbares Wohnen einsetzen wollen. Trotz des hohen Studierendenanteils an der Bevölkerung hält die Stadt keine spezifischen Instrumente für das studentische Wohnen bereit, wie etwa eine Bevorzugung des Studentenwerks bei der Vergabe von Bauland.
Im Segment des studentischen Wohnens ist das Göttinger Studentenwerk ein bedeutender Akteur. Es bietet über 4.000 Wohnheimplätze und versorgt damit knapp 20 Prozent der in Göttingen wohnhaften Studierenden. Allerdings ist es aufgrund seiner großen Bedeutung und seiner Wohnungspolitik auch mehrfach zum Mittelpunkt von politischen Auseinandersetzungen um studentisches Wohnen geworden. So war beispielsweise die Wiedereröffnung eines leerstehendenWohnheims das Ziel von zwei symbolischen Besetzungen in den Jahren 2012 und 2013. Auch als das Studentenwerk im Jahr 2017 ankündigte, die Mieten in einem Großteil seiner Wohnheime unter anderem mit dem Verweis auf »ortsübliche Vergleichsmieten« erhöhen zu wollen, protestierten viele der Studierenden aus den betroffenenWohnheimen. Sie führten zwei große Demonstrationen durch und begleiteten ihren Protest mit einer Veranstaltungsreihe. Der Allgemeine Sudierendenausschuss und das »Bündnis Wohnheime gegen Mieterhöhungen«, in dem die Studierenden mehrerer Wohnheime des Studentenwerks sich organisiert haben, nahmen darüber hinaus Kontakt zur Landesregierung auf.
Die Studierenden von drei kleineren Wohnheimen mit neun bis zweiunddreißig Plätzen verweigerten die Zahlung der Mieterhöhung. Aufgrund der Weigerung und weil die Auseinandersetzungen um die Mieterhöhungen in den Wohnheimen des Göttinger Studentenwerks ein großes mediales Echo sowie landespolitische Aufmerksamkeit erfuhren, sowie angesichts der hohen Kosten für die notwendigen Sanierungen, nahm das Studentenwerk mit den Bewohner*innen Verhandlungen über einen Verkauf der kleineren Wohnheime auf. Eines der Objekte ist mittlerweile vollständig an einen Verein übergeben worden, der von den im Wohnheim lebenden Studierenden gegründet wurde. Der Verein verfolgt gemeinnützige Zwecke und fördert studentisches Zusammenleben und studentische Kultur. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass das Hausprojekt weiterhin für studentische Belange zur Verfügung steht. Darüber hinaus konnte einer Veräußerung an private Investor*innen vorgebeugt und so drastische Mietsteigerungen zum Zweck der Gewinnerzielung abgewendet werden.
Die Auseinandersetzungen mit dem Göttinger Studentenwerk machten deutlich, dass die Erfolgsaussichten von Studierenden in Konflikten um studentisches Wohnen verhältnismäßig gut sind, wenn sie mit dem Studentenwerk, einer dem Wohl der Studierenden verpflichteten Stiftung öffentlichen Rechts, ausgetragen werden. Deutlich geringere Chancen der Durchsetzung der Interessen von Mieter*innen bestehen hingegen in Auseinandersetzungen mit privaten Investor*innen – ein solcher Kampf gegen Studentifizierung hat in Göttingen bisher noch nicht stattgefunden. Stadtpolitisch ist das Thema der Studentifizierung außerdem bisher kaum im Fokus. Hinzu kommt, dass die Stadtverwaltung und viele Stadtpolitiker*innen Investor*innen nicht verschrecken wollen und deshalb grundsätzlich vermieter*innenfreundliche Ziele verfolgen.
Fazit
Die dargestellten Entwicklungen in der Universitätsstadt Göttingen machen deutlich, dass nicht nur in den Großstädten investor*innengetriebene Verdrängungsprozesse stattfinden. Angesichts des enormen Anlagedrucks auf dem deutschen Immobilienmarkt, der sich lange Zeit insbesondere auf die Ballungsräume konzentrierte, sinken in letzteren die Renditemöglichkeiten. Deshalb rücken in jüngster Vergangenheit auch Universitätsstädte in den Fokus von Investor*innen. Insbesondere das Segment des studentischen Wohnens ist lukrativ für Anleger*innen, weil in diesem Segment Mietpreissteigerungen leicht durchsetzbar sind. Dies hat auch sozialräumliche Konsequenzen. Aufgrund der guten Renditeaussichten im studentischen Wohnen werden Studierende in Universitätsstädten gegenüber anderen Menschen bevorzugt. Auf diese Weise setzen sozialräumliche Verdrängungsprozesse auch in deutschen Universitätsstädten ein, die zur Folge haben, dass es einkommensniedrigen Bevölkerungsgruppen schwerfällt, geeigneten Wohnraum zu finden. Bisher werden die Verdrängungsprozesse im Rahmen der Studentifizierung jedoch politisch kaum adressiert.
Das Beispiel des studentischen Wohnens in Universitätsstädten zeigt auch, dass eine kritische Wissenschaft, die sich mit Prozessen der Stadtentwicklung beschäftigt, nicht nur die Dynamiken in den Großstädten zum Gegenstand ihrer Forschungen machen sollte, sondern auch die Entwicklungen abseits der Ballungsräume. Auch hier finden angesichts von allgemeinen gesellschaftlichen Transformationen Veränderungen der städtischen Entwicklungen statt, die es in den Blick zu nehmen sowie aus kritischer Perspektive zu begleiten gilt.
Anmerkungen
[1] Sabine Dörry 2010: »Europäische Finanzzentren im Sog der Finanzialisierung. Büromärkte und Stadtpolitik in Frankfurt, London und Paris«, in: Informationen zur Raumentwicklung (5/6): 351–364.
[2] David Harvey 2006: The Limits to Capital. London [u. a.].
[3] Susanne Heeg 2011: »Finanzkrisen und städtische Immobilienmärkte. Die räumlichen Auswirkungen in und zwischen Städten«, in: Alex Demirovic (Hg.): Vielfach-Krise. Im finanzmarktdominierten Kapitalismus, Hamburg: 181–198.
[4] Thorsten Fehlberg & Michael Mießner 2015: »Mietpreissteigerungen und Wohnungsengpässe abseits der Ballungsräume. Investitionen in Wohnimmobilien in B-Lagen und Regionalzentren – das Beispiel Göttingen«, in: suburban. zeitschrift für kritische stadtforschung 3 (1): 25–44.
[5] Göttinger Statistisches Informationssystem 2018: Stadt Göttingen: Studierende und wohnberechtigte Bevölkerung 1950 bis 2017. Verfügbar unter ▸http://www.goesis.goettingen.de/pdf/055_01.pdf (letzter Zugriff: 17.04.2019).
[6] Bspw. Julie Rugg, David Rhodes & Anwen Jones 2002: »Studying a Niche Market. UK Students and the Private Rented Sector«, in: Housing Studies 17(2): 289–303.
[7] Jan Glatter, Katharina Hackenberg & Manuel Wolff 2014: »Zimmer frei? Die Wiederentdeckung der Relevanz des studentischen Wohnens für lokale Wohnungsmärkte«, in: Raumforschung und Raumordnung 72(5): 385–399.
[8] Vgl. auch für die folgenden Ausführungen: Michael Mießner 2017: »Studentische Wohnungen als Anlageobjekte: Zu den sozialräumlichen Implikationen einer Investitionsstrategie in der Universitätsstadt Göttingen «, in: RaumPlanung (189): 47–51.
[9] Deutsches Studentenwerk 2017: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016: 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes, durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.
[10] ▸https://basecampstudent.com/ (letzter Zugriff: 24.4.2019).
[11] ▸https://www.bgp-gruppe.com/ (letzter Zugriff: 17.4.2019).
[12] Darren P. Smith 2005: »›Studentification‹: the Gentrification Factory?«, in: Rowland Atkinson & Gary Bridge (Hg.): Gentrification in a Global Context: The New Urban Colonialism. London et al.: 72–86.
[13] Michael Mießner & Tobias Klinge 2017: »Sozialräumliche Segregation in der Stadt Göttingen. Verdrängungsprozesse im Spannungsfeld von Investorenstrategien und sozial gerechter Wohnraumversorgung«, in: Christoph Dittrich, Ulrich Harteisen, Tobias Reeh & Swantje Eigner-Thiel (Hg.): Land und Stadt: Lebenswelten und planerische Praxis. Göttingen: 117–140.
[14] GEWOS Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung GmbH 2016: Wohnraumbedarfsprognose Göttingen. Verfügbar unter: ▸https://ratsinfo.goettingen.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=13153 (letzter Zugriff: 24.4.2019).
[15] Stadt Göttingen 2018: Kommunales Handlungskonzept zur Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum in Göttingen. Verfügbar unter: ▸https://ratsinfo.goettingen.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=16449 (letzter Zugriff: 24.4.2019).
Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift ▸Forum Wissenschaft, Nr. 02/2019 . Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Robin Marlow (Georg-August-Universität Göttingen) beschäftigt sich mit Prozessen der Göttinger Stadtentwicklung
und auf dem Göttinger Wohnungsmarkt.
Michael Mießner (Technische Universität Dresden) befasst sich mit den Entwicklungen auf den Immobilienmärkten abseits der Ballungsräume sowie mit Fragen der Regionalentwicklung und Raumordnungspolitik.