Investitionsschutz im transatlantischen Freihandelsabkommen bleibt unnötig und gefährlich
21. April 2016 | Patrick Schreiner
Von Beginn an war der geplante Investitionsschutz einer der am meisten kritisierten Punkte des transatlantischen Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und den USA (TTIP). Mit guten Gründen, soll hier doch eine letztlich undemokratische Paralleljustiz geschaffen werden, die (an jeder Rechtsstaatlichkeit vorbei) den Unternehmen privilegierte Klagerechte verschafft. Nach massiver Kritik hat die Europäische Kommission zwischenzeitlich einen reformierten Vorschlag für solche Investitions-Schiedsgerichte vorgelegt. Doch auch dieser Ansatz steht in der Kritik – aus gleichfalls guten Gründen.
Ziel des Vorschlags der EU-Kommission ist es nach eigener Aussage, „das Recht auf Regulierung zu wahren und ein gerichtsähnliches System mit einem auf klar festgelegten Regeln basierenden Berufungsmechanismus, qualifi zierten Richtern und transparenten Verfahren zu schaffen.“ Sie beansprucht damit, die wesentlichsten Probleme bisheriger Schiedsgerichte zu beheben: Erstens soll den Regierungen und Parlamenten nicht das Recht genommen werden, Regulierungen zu beschließen und Gesetze zu verabschieden. Zweitens soll das System der Schiedsgerichte auf klaren und transparenten Verfahrensregeln beruhen, was auch eine klarere Definition von Rechtsbegriffen einschließt. In der Vergangenheit hatten sich unklare Rechtsbegriffe immer wieder als Einfallstore erwiesen, durch die findige Anwälte die Interessen von Unternehmen durchsetzen konnten. Drittens soll es Berufungsmöglichkeiten und feste Richterstellen mit unabhängigen Richtern geben. Viertens sollen die reformierten Schiedsgerichte perspektivisch öffentliche Einrichtungen sein – statt wie bisher private. Und fünftens soll die Möglichkeit, sich an ein Schiedsgericht zu wenden, eingeschränkt und auf diese Weise der Missbrauch durch klagefreudige Unternehmen unterbunden werden.
Bei CDU, FDP und – mit leichten Einschränkungen – bei der SPD stieß der Vorschlag für ein reformiertes Schiedsgerichtssystem (ICS) auf Zustimmung, ebenso bei Unternehmens- und Industrieverbänden in Europa. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure und Fachverbände allerdings, die schon in der Vergangenheit auf die Gefahren des Freihandels im Allgemeinen und des geplanten EU-US-Freihandelsabkommens im Besonderen hingewiesen hatten, hielten ihre Kritik aufrecht. Sie argumentieren, dass der Kommissionsvorschlag nicht das einhalte, was die Kommission verspreche.
Die Gewerkschaften hatten sich schon auf dem DGB-Bundeskongress 2014 klar gegen Investitionsschutz und Schiedsgerichtsverfahren gewandt. Im dort beschlossenen Antrag heißt es: „Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU nicht erforderlich und dürfen nicht mit TTIP eingeführt werden. Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Defi nitionen von Rechtsbegriffen, wie ‚Faire und Gerechte Behandlung‘ oder ‚Indirekte Enteignung‘ sind ohnehin in jedem Abkommen abzulehnen.“ Nach dieser Positionierung spielt es keine Rolle, ob ein Schiedsgericht öffentlich oder privat ist, ob es mehr oder weniger transparent ist, ob es feste oder wechselnde Richter hat usw. Investitionsschutzvorschriften, die ja per Definition Unternehmen gegenüber Staaten, Gewerkschaften, ArbeitnehmerInnen und Verbänden bevorteilen, sind aus gewerkschaftlicher Sicht schlicht nicht erforderlich.
Der Erlanger Rechtswissenschaftler Markus Krajewski und die Rechtswissenschaftlerin Rhea Tamara Hoffmann haben in einem Gutachten für die Friedrich-Ebert-Stiftung deutlich gemacht, dass eine Bevorteilung von Investoren (ergo Unternehmen) auch im neuen Vorschlag der EU-Kommission vorgesehen ist: „Der Kommissionsvorschlag zielt auf eine Reform des gegenwärtigen Systems des Investitionsschutzes ab, bietet ausländischen Investoren aber weiterhin prozedurale wie materielle Sonderrechte, ohne ihnen konkrete Pflichten aufzuerlegen.“ Krajewski und Hoffmann schreiben zwar, dass das Konzept der Kommission eine Verbesserung gegenüber bisherigen Investitionsschutz-Regelungen darstelle, sie halten es aber insgesamt für unzureichend. So könne man die Schiedsgerichte durchaus darauf beschränken, das Prinzip durchzusetzen, dass ausländische Investoren nicht schlechter gestellt werden dürfen als inländische. Der Kommissionsvorschlag aber unterlässt dies, er räumt den Schiedsgerichten die Möglichkeit ein, ausländische Investoren gegenüber inländischen besserzustellen.
Auch könne der Kommissionsvorschlag nicht ausschließen, dass staatliche Maßnahmen etwa in den Bereichen Arbeit, Soziales oder Umwelt zu einer Schadensersatzpflicht gegenüber klagenden Investoren führen, so Krajewski und Hoffmann. Das (angebliche) Ziel der Kommission, staatliche Regulierungsmöglichkeiten und Gesetzgebung nicht einzuschränken, wird damit verfehlt. Hieraus resultiert die Gefahr, dass bestehende Standards zum Schutz von Beschäftigten und Umwelt indirekt unter Druck geraten.
Ähnlich kritisch äußern sich auch die TTIP-kritischen Organisationen PowerShift, TTIP unfairhandelbar und Campact in einer gemeinsamen rechtlichen Analyse des Kommissionsvorschlags. Trotz „einiger positiver Ansätze“ beschränke sich dieser „weitgehend auf kosmetische Korrekturen des bestehenden ISDS-Systems“. Undemokratische und rechtsstaatswidrige Privilegien der Investoren blieben bestehen. Auf den Kern der Kritik an bisherigen Schiedsgerichtssystemen gehe der Vorschlag der EU-Kommission gleich gar nicht ein. So bleibe etwa die „Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit auch hier hinter gängigen rechtsstaatlichen Standards zurück“: „Die Schiedsrichter des ICS wären nebenamtlich tätig und würden im Wesentlichen pro Fall bezahlt, so dass sie auch ein finanzielles Interesse an einer hohen Zahl von Investorenklagen hätten. Gerade diese strukturellen Anreize für eine investorenfreundliche Rechtsprechung sind ein zentrales Problem der bisherigen Schiedsgerichtsbarkeit.“ Hinzu komme, dass die Schiedsrichter nach Tagessätzen bezahlt werden sollen. Hierdurch haben sie einen Anreiz, Prozesse auf Kosten der
Steuerzahler in die Länge zu ziehen.
In einer Stellungnahme vom Februar 2016 lehnt auch der Deutsche Richterbund den Vorschlag der EU-Kommission für reformierte Schiedsgerichte im Rahmen von TTIP ab. Nicht nur zweifelt der „Bund der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte“ an der Unabhängigkeit der Schiedsrichter. Er teilt auch die Kritik zahlreicher zivilgesellschaftlicher Akteure, die ein „Sondergericht für Investoren“ schlicht für unnötig halten: „Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, den Zugang zum Recht für alle sicherzustellen und durch die entsprechende Ausstattung der Gerichte dafür zu sorgen, dass der Zugang auch für ausländische Investoren gangbar ist. Die Einrichtung eines ICS ist daher der falsche Weg, Rechtssicherheit zu gewährleisten.“
Auch beim DGB und den Gewerkschaften stößt der Vorschlag der EU-Kommission auf Kritik. Im März 2016 haben sie ihren oben erwähnten, ablehnenden Beschluss zu Schiedsgerichten und Investitionsschutz in Handelsverträgen erneuert: „Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften lehnen Regelungen zum Investitionsschutz in Abkommen zwischen Staaten mit hoch entwickelten Rechtssystemen ab. Die EU und auch die USA sowie Kanada, die Vertragspartner der Abkommen TTIP und CETA, schützen Eigentumsrechte umfänglich. Das hohe Maß an gegenseitigen transatlantischen Direktinvestitionen zeigt, dass Investoren sich nicht in ihrer Investitionssicherheit bedroht sehen. Auch der Kommissionsvorschlag für ein neues Investitionsschutzkapitel für TTIP und CETA stellt aus gewerkschaftlicher Sicht keine Lösung der damit verbundenen grundsätzlichen Probleme dar.“
Quellen:
- Deutscher Gewerkschaftsbund (2014): Freihandelsverhandlungen mit den USA aussetzen – Kein Abkommen zu Lasten von Beschäftigten, Verbrauchern oder der Umwelt. <http://www.boeckler.de/magmb_201406_ttip.pdf> (03.02.2016).
- Deutscher Gewerkschaftsbund (2016): Investitionsschutz in TTIP & anderen internationalen Verträgen. Positionspapier.
- Deutscher Richterbund (2016): Stellungnahme zur Errichtung eines Investitionsgerichts für TTIP – Vorschlag der Europäischen Kommission vom 16.09.2015 und 12.11.2015. <http://www.drb.de/cms/index. php?id=952> (03.02.2016).
- Europäische Kommission (2015): EU stellt Vorschlag für Investitionsschutz und Investitionsgericht für TTIP fertig. <http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-6059_de.htm> (03.02.2016).
- Krajewski, Markus/ Hoffmann, Rhea Tamara (2016): Der Vorschlag der EU-Kommission zum Investitionsschutz in TTIP. Berlin.
- PowerShift/ TTIP unfairhandelbar/ Campact (2015): Investitionsschutz in TTIP: Kommission verweigert Systemwechsel. Kurzanalyse des Reformvorschlags der EU-Kommission vom 16.09.2015 − Halbherzige Reformen sollen massive Ausweitung des weltweiten Investitionsschutzes rechtfertigen. Berlin.
Der Artikel erschien zuerst in WISO-Info 2/2016.
Am 23. April demonstriert ein Bündnis in Hannover für einen fairen Welthandel und gegen TTIP, CETA und Schiedsgerichte. Anlass ist der Besuch von US-Präsident Barack Obama sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Hannover Messe. Mehr dazu auf der Kampagnenseite der Veranstalter.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.