Kauf Dich reich und glücklich?!? Über Experten, die pausenlos erzählen, »dass du es schaffen kannst«
25. Juni 2018 | Patrick Schreiner
Politik und Gesellschaft schreiben die Schuld an sozialen und ökonomischen Problemen – Stichwort »Selbstverantwortung« – gerne den Betroffenen zu. Gleiches gilt für individuelle Verdienste und Erfolge. Dabei spielen (vermeintliche) Expertinnen und Experten für das alltägliche Leben der Menschen eine zentrale Rolle.
Es lohnt sich, solche Expertinnen und Experten genauer in den Blick zu nehmen: Was bedeutet es, wenn Menschen Rat suchen – und andere ihn geben?
Ein breites Spektrum
Längst nicht mehr zu überblicken ist die Zahl der Bücher, in denen Autorinnen und Autoren über Themen wie Reichtum, Selbstbewusstsein, Erfolg oder Glück aufklären wollen. Ihre Veröffentlichungen tragen Titel wie »Laß endlich los und lebe«, »Neuer Mut zum Glücklichsein«, »Mich übersieht keiner mehr«, »Am Arsch vorbei geht auch ein Weg«, »Die unendliche Quelle ihrer Kraft« und (der Klassiker schlechthin) »Sorge dich nicht – lebe!«. Ihre Kernaussage ist stets gleich: Die Ursache wie auch die Lösung für Schwierigkeiten jeglicher Art liege in jedem Menschen selbst. Folglich könne jeder erfolgreich und glücklich werden, wenn er nur die richtige innere Haltung mitbringe und/oder sein Verhalten ändere. Der Autor Ilja Grzeskowitz benennt diesen Glaubenssatz schon im Buchtitel: »Denk dich reich! Wohlstand ist Einstellungssache.« Die Grenzen solcher Veröffentlichungen zur Esoterik sind bisweilen fließend. Esoterische und nicht-esoterische Ratgeberliteratur unterscheiden sich im Grunde lediglich hinsichtlich der Frage, ob »übersinnliche« und »spirituelle« Faktoren existent und relevant sind.
Auch auf »YouTube«, Blogs und Sozialen Netzwerken im Internet wie Instagram, Pinterest oder Facebook tummeln sich Expertinnen und Experten mit Fotos, Texten und Filmchen zu unterschiedlichsten Themen: Ob Rhetorik oder innere Einstellung, Ernährung oder Mode, Gewicht abbauen oder Selbstbewusstsein aufbauen – da ist für jede und jeden etwas dabei. »Influencer« Anne Kissner (»2018 wird euer Jahr! Und ich helfe euch dabei«) zum Beispiel informiert junge Leute über Fitness, Ernährung, Schönheits-OPs und das Überwinden des inneren Schweinehunds – mit klarer Zielstellung: »Ernährung ist mindestens 60 bis 70 Prozent von jedem Erfolg«. Dass gesellschaftlicher Zwang zur Selbstoptimierung auch auf einen selbst zurückfallen kann, musste ihre Kollegin Sophia Thiel erleben. Sie erfuhr von Fans und Boulevard scharfe Kritik, als der hart erarbeitete und von hunderttausenden bewunderte Waschbrettbauch dann doch kurzzeitig wieder weg war.
Das Spektrum solcher Expertinnen und Experten reicht über die genannten Beispiele noch weit hinaus. In »Daily Talkshows« zu Themen wie etwa Hartz-IV-Bezug, Computerspielsucht oder Untreue jagen Moderatorinnen und Moderatoren Menschen mit übermäßigem Geltungsdrang und/oder mangelnder Medienerfahrung aufeinander, um anschließend zu richten, zu schlichten und zu beraten. In Castingshows erklären hippe Coaches den Kandidatinnen und Kandidaten, welche innere Einstellung zu Erfolg und Anerkennung führe. Bildungs- und Karrierecoaches verkaufen ihre Beratungs- und sonstigen Dienstleistungen gleich direkt an Interessierte. Genau wie Trainerinnen und Trainer innerhalb und außerhalb von Fitnessstudios. In Zeitschriften und Zeitungen wird uns erklärt, wie wir uns zu kleiden, uns schön zu machen, unsere Wohnung einzurichten und unseren Konsum auszurichten haben. Und so manche Psychotherapie hat weniger die seelische Gesundheit der Klientinnen und Klienten zum Ziel als vielmehr das Wiederherstellen oder gar Optimieren ihrer Arbeitsfähigkeit und Motivation. Stars wiederum erzählen in ihren Autobiografien oft nicht nur vom eigenen Leben, sondern verkünden auch allerlei Weisheiten.
Expertinnen, Experten und der Markt
Neoliberale Gesellschaften sind Markt-Gesellschaften, in denen Produktion und Konsum der Kapitalvermehrung dienen. Zugleich sind sie Beratungs-Gesellschaften, in denen Menschen ihre Rollen und Funktionen im sozialen und ökonomischen Ganzen mit Unterstützung Dritter beständig durchdenken, weiterentwickeln und optimieren. Beides hängt eng zusammen, und die eben erwähnten Expertinnen und Experten spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie liefern Handlungsmuster, Denkfiguren, Erklärungen und moralische Vorstellungen, die das Leben (angeblich oder tatsächlich) verständlicher und eindeutiger machen. Sie wollen den Weg zeigen zu Zufriedenheit, Glück, Erfolg – durch Integration in eben diese Markt-Gesellschaften.
Ihre Angebote unterbreiten Expertinnen und Experten – wie könnte es anders sein – auch selbst an Märkten. Sie verkaufen ihr Wissen und ihre Kompetenzen entweder in Produktform direkt an ihre Zielgruppe, oder sie schalten Medien dazwischen – Magazine, Bücher, Fernsehen, Internet. Nicht selten machen sie beides: Dann dient das YouTube-Filmchen, die Buchveröffentlichung oder die Zeitschriftenkolumne vorrangig dazu, Kundinnen und Kunden für die finanziell lukrativeren Kurse, Gruppenseminare oder Einzelcoachings zu gewinnen. Andere wiederum sind derart gutverdienende Stars, dass sie mit dem gemeinen Volk gar nicht (mehr) in Berührung kommen müssen. Sie machen oft mit verschiedenen Medienprodukten Profit und nutzen diese zugleich, um andere ihrer Produkte zu bewerben.
Und die Rechnung geht auf. Mit Menschen auf der Suche nach Orientierung, Zufriedenheit, Glück und Erfolg lässt sich gutes Geld verdienen. Genau das ist auf der Nachfrageseite bisweilen auch die Motivation der Kundinnen und Kunden. Aus einem »Denk dich reich!« wird dann ein »Kauf dich reich!« Oder wahlweise: Kauf dich selbstbewusst, Kauf dich fit, Kauf dich glücklich, Kauf dich erfolgreich…
Dieses Expertentum und die damit verbundenen Geschäftsmodelle sind nicht neu. Esoterik hat ihre modernen Wurzeln im 19. Jahrhundert, genau wie Ratgeberkolumnen in Zeitschriften. Ratgeberbücher im heutigen Sinne zu Themen wie Motivation, Erfolg und Lebensführung gibt es seit mindestens den 1910er Jahren. Seit den 1980er Jahren kam es für derlei Angebote gleichwohl zu einem enormen Aufschwung. So sind beispielsweise Coachings verschiedenster Art zu einer kaum mehr zu überblickenden Industrie geworden (bis hin zu »Coachings für Coaches«). Das gleiche gilt für Produkte und Dienstleistungen rund um körperliche Fitness. Ein beachtliches Wachstum erfuhren auch die meisten anderen oben erwähnten Angebote. Nicht das Expertentum als solches, wohl aber seine Vielfältigkeit und insbesondere sein Ausmaß sind Folgen der Neoliberalisierung westlicher Gesellschaften.
Entgrenzung, Druck, Verunsicherung
Dieser Zusammenhang lässt sich nicht nur beobachten, sondern auch begründen. Neoliberale Politik hat seit Jahrzehnten Märkte radikal entgrenzt – sie hat insbesondere Sozialstaatlichkeit und Marktregulierungen abgebaut, Arbeitsmärkte flexibilisiert und Einkommen sowie Vermögen bei immer weniger Menschen konzentriert. Im Ergebnis weisen neoliberale Gesellschaften eine zunehmende soziale Ungleichheit und wachsende Unsicherheiten auf – weit über Märkte im engeren Sinne hinaus. Private bzw. soziale Beziehungen (in Familie, Freundeskreis und Klasse) sowie Organisationen (insbesondere Gewerkschaften, Parteien, Kirchen und Vereine) verlieren an Bindekraft. Ideologisch wird diese Entwicklung (auch) als ein Zugewinn an Freiheit und Handlungsmöglichkeiten interpretiert – hemmende soziale Strukturen, Autoritäten und Hierarchien würden überwunden. Zugleich wird sie mit der Überzeugung verknüpft, dass die so entstehenden Gesellschaften meritokratisch seien: Erfolg beruhe auf Leistung und Misserfolg auf Minderleistung. Wer »es schaffen« wolle, der könne es – und habe nun endlich auch alle Chancen dazu. Die Kandidatinnen und Kandidaten in Castingshows etwa sprechen regelmäßig von ihren »Träumen«, die sie leben wollen. Und sie freuen sich über die Bescheidwisser, die ihnen – und indirekt dem Publikum – den Weg dorthin weisen sollen. Auch Ex-Casting-Star Daniel Küblböck steigt entsprechend in seine Autobiografie ein: »Alles ist möglich. Das Leben ist crazy«, heißt es dort.
All das bleibt für die Menschen nicht ohne Konsequenzen: Sie nehmen die eigene soziale Position zwar als notorisch unsicher, aber eben auch als veränderbar wahr. Sie werde nicht mehr qua Geburt oder Klasse, sondern durch eigenes Handeln und Entscheiden, durch Leistung und Anstrengung bestimmt. Wobei »soziale Position« hier in einem weiten Sinne zu verstehen ist und nicht nur Beruf, Einkommen und Vermögen umfasst, sondern auch das gesamte Gefüge aus privaten und sozialen Beziehungen. Das eigene Leben erscheint rundum als gestaltbar und optimierbar. Es wird zum lebenslangen Projekt – wenngleich in unterschiedlichen Klassen auf unterschiedliche Weise. Der französische Philosoph Gilles Deleuze sprach davon, dass man in heutigen Gesellschaften »nie mit irgend etwas fertig« werde.
Und genau hier kommen Expertinnen und Experten ins Spiel: Sie sollen und wollen beim Gestalten und Optimieren des eigenen Lebens unterstützen. Das Leben als große Castingshow. Sie sollen zum zielgerichteten Nachdenken über sich selbst anleiten. Sie sollen Hilfestellung geben beim Streben nach Erfolg, Anerkennung, Attraktivität und Einkommen. Sie sollen erklären, wie man vor dem Hintergrund immer schwächerer, wechselhafterer Bindungen private und soziale Beziehungen knüpft, nutzt und hält. Sie sollen fit machen für permanenten sozialen und ökonomischen Wandel. Sie sollen den Umgang mit Verunsicherung, Ängsten und Wünschen lehren. Der Konsum entsprechender Produkte gibt den Käuferinnen und Käufern das gute Gefühl, für sich selbst das Richtige zu tun.
Die realen Möglichkeiten zur Gestaltung und Veränderung des eigenen Lebens sind und bleiben gleichwohl beschränkt. Soziale und finanzielle Benachteiligung, ein schlechterer Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und schlichtes Pech beispielsweise schränken die Möglichkeiten Betroffener auf individueller Ebene ein. Auf sozialer Ebene muss eine neoliberale Gesellschaft die Freiheitsgrade ihrer Mitglieder schon alleine deshalb begrenzen, weil Märkte ihre zentralen Gradmesser für Erfolg und Anerkennung sind: Erfolg hat und Anerkennung bekommt, wer sich an Märkten und für Märkte bewährt. Andere Handlungsoptionen sind demgegenüber von allenfalls nachrangiger Bedeutung.
Hinzu kommt ein ungleicher Zugang zu Expertinnen und Experten, verbunden mit einer entsprechend klassenspezifischen inhaltlichen Ausrichtung ihrer Angebote. Ein Karrierecoaching, einen Personal Trainer oder eine esoterische Intensivberatung kann sich nicht jeder und jede leisten. Das Gleiche gilt für den Besuch der Massenseminare oder Online-Teachings, wie sie von zahlreichen Motivationsgurus angeboten werden. Davon abgesehen, haben diese Angebote mit der Lebensrealität von Beschäftigten in der Industrieproduktion oder in einfachen Dienstleistungen ohnehin kaum etwas zu tun. Demgegenüber richten sich bestimmte Zeitschriften zu Esoterik und Lebensberatung durchaus an ein breiteres Publikum. Viele Casting- oder Daily Talkshows und wohl auch bestimmte Beratungssendungen wie »Raus aus den Schulden« wiederum zielen auf sozial Benachteiligte (was nicht ausschließt, dass sie auch Zuspruch durch ein breiteres Publikum erfahren, dann allerdings meist in ironisierender bis verachtender Weise).
Gemein ist all diesen Angeboten, dass sie neoliberale Ideologie vermitteln. Die Ursache und die Lösung für Probleme und Elend sehen die Expertinnen und Experten nicht bei Gesellschaft oder Staat, sondern beim Individuum. Nicht selten führen sie dabei sich selbst und das eigene Leben als leuchtendes Beispiel an. So wirbt etwa die »Erfolgsfamily« für eigene Coaching-Angebote mit dem Foto eines gutaussehenden Pärchens und mit Erzählungen vom persönlichen Erfolg in Beruf und Liebesleben. Der langjährige »Popstars«-Juror Detlef Soost (aktuelles Buch: »Be Your Best – Dein starker Körper, Dein klarer Kopf, Dein Hammerleben«) spielt immer wieder – mal subtil, mal offener – mit der Differenz zwischen seinen eigenen Erfolgen und den Defiziten seiner jungen Casting-Kandidatinnen und Kandidaten. Und Fußballstar Stefan Effenberg inszeniert sich in seiner Autobiografie als flexibler und aktiver Macher – so etwa in einer Passage über seinen Weggang aus München, wo er schon alles gewonnen habe und daher »nichts mehr erreichen« habe können.
Im Kern predigen die Expertinnen und Experten Anpassung an die Erwartungen von Märkten und Gesellschaft, mithin an solche »idealen« Vorbilder. Es geht um Selbstoptimierung in körperlicher, geistiger und gedanklicher Hinsicht, um Wettbewerbsfähigkeit, Motivation und Aktivität. Das kann wohlgemerkt auch Anderssein bedeuten. Denn besser als andere zu sein, bedeutet eben auch, sich von ihnen zu unterscheiden. Konsequenterweise wollen weder Ex-Casting-Star Daniel Küblböck noch Ratgeberautor Ilja Grzeskowitz von »Schubladen« etwas wissen. Eine solche Abweichung muss allerdings Grenzen haben: Sie darf insbesondere nicht gegen den Grundkonsens von Markt, Konkurrenz und Selbstverantwortung verstoßen. Es ist eine seltsame, bisweilen widersprüchliche Mischung aus Anpassung und Abweichung, aus Konformität und Kreativität, die das Leben im Neoliberalismus bestimmt. Solidarität ist dabei oft keine relevante Kategorie, soziale Teilhabe muss man sich verdienen.
Ermächtigender und autoritärer Stil
Die Vermittlung solcherlei neoliberalen Gedankenguts durch Expertinnen und Experten erfolgt – analog zum Zugang zu ihren Angeboten – klassen- und zielgruppenspezifisch. Dabei lassen sich zwei Haltungen oder Stile unterscheiden: ein ermächtigender und ein autoritärer. Als ermächtigend wäre eine Haltung zu verstehen, die den Kundinnen und Kunden Chancen und Möglichkeiten aufzeigt, Hoffnungen und Träume weckt. Sie will zielgerichtetes neoliberales Denken, Fühlen und Handeln aus innerem Antrieb heraus herbeiführen. Als autoritär wäre hingegen eine Haltung zu verstehen, die Ängste vor Missachtung und Abstieg weckt, falsche Handlungen und Einstellungen beschreibt, einzelnen Menschen Schuld und Verantwortung zuweist, Warnungen ausspricht. Sie will neoliberales Denken, Fühlen und Handeln durch äußeren Druck herbeiführen – als Reaktion auf Erwartungen und Zwänge.
Tendenziell (aber nicht ohne Ausnahmen) gilt: Je sozial höhergestellt die Zielgruppe und je direkter der Kontakt zu ihr, desto ermächtigender ist der Stil der Expertinnen und Experten. Ein Coaching oder eine esoterische Beratung beispielsweise hat per se zum Ziel, die (in der Regel ja gut zahlenden) Kundinnen und Kunden zu befähigen und zu motivieren. Hier übermäßig sozialen Druck und Ängste aufzubauen, wäre unnötig und wohl kontraproduktiv. Auch wer ein Ratgeberbuch über Selbstmotivation oder Selbstbewusstsein kauft, wird nicht übermäßig mit Bedrohungsszenarien und Vorwürfen aktiviert werden wollen und müssen. Wenn hingegen in der TV-Sendung »The Biggest Loser« nach einer Unterredung mit seinem Trainer ein junger übergewichtiger Mann über seine Disziplin beim Abspecken spricht und die Regie zeitgleich die Information einblendet, es handle sich um einen »Arbeitssuchenden aus Wuppertal«, dann wird dem Publikum mehr als deutlich gemacht, wer hier Verantwortung und Schuld trägt. Gleiches gilt, wenn die TV-Moderatorin Britt Hagedorn bei einem Daily-Talkshow-Gast fernsehöffentlich »qualitativ die echt ganz ganz miese Lebensvariante« erkennen möchte.
Nun schließen sich eine ermächtigende und eine autoritäre Haltung allerdings keineswegs gegenseitig aus. Tatsächlich treten Expertinnen und Experten niemals ausschließlich ermächtigend oder autoritär auf, sondern sie verbinden – in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen und Ausprägungen – beide Haltungen miteinander. So skizzieren auch Moderatorinnen in Daily Talkshows am Horizont die Möglichkeit eines »besseren« Lebens. Umgekehrt verweisen auch Ratgeberbücher auf mögliche Defizite und falsche Verhaltensweisen. Die Ratgeber-Autorin Eva Wlodarek etwa mahnt ihre Leserinnenschaft, »Anregungen und Hinweise« zu entnehmen genüge nicht: »[…] falls Sie sich diese Eigenschaften wirklich erarbeiten wollen, müssen Sie etwas mehr investieren: festen Willen, Konsequenz und Geduld.« Der autoritären Mahnung lässt sie aber sofort wieder Ermächtigendes folgen: »Ich verspreche Ihnen, daß sich das Ergebnis lohnen wird.«
Hinter der Verknüpfung von ermächtigender und autoritärer Haltung im Auftreten von Expertinnen und Experten stecken nicht nur ideologische Motive. Zwar spiegelt diese Kombination durchaus die neoliberale Grundhaltung: Das Leben sei gestaltbar und wer etwas leiste, der erreiche auch etwas, weshalb selbst schuld sei, wer nichts erreiche. Dieser Glaubenssatz ist ermächtigend und autoritär zugleich; mit Antonio Gramsci gesprochen trifft hier Konsens auf Zwang. Doch sollte man die ökonomische Seite des neoliberalen Expertentums nicht unterschätzen: Dessen Geschäftsmodell setzt Anschlussfähigkeit voraus. Niemand würde Beratungsleistungen und Medieninhalte nachfragen, die losgelöst sind von dem, was gesellschaftlich als »normal« und selbstverständlich gilt – eine klassen- und zielgruppenspezifische Ausrichtung ihrer Inhalte eingeschlossen. Dass die Haltung gegenüber Kundinnen und Kunden zugleich ermächtigend und autoritär ausfällt, hat aber noch einen weiteren Grund: der schnöde Mammon. Die ermächtigende Komponente gibt den Konsumentinnen und Konsumenten das Gefühl, ein besseres Leben erreichen zu können. Das ist eine erste Motivation, die Geldbörse zu öffnen. Dieses Gefühl darf aber nicht überhandnehmen, es darf nicht in das Gefühl umschlagen, schon genug zu wissen oder genug verändert zu haben. Deshalb braucht dieses Geschäftsmodell auch eine autoritäre Komponente. Sie lässt noch nach jahrzehntelangem Konsum von Expertenwissen an eigene Unzulänglichkeiten und Defizite glauben, die es auszumerzen gelte. Dann erst rollt der Rubel richtig – und zwar dauerhaft. Wem es gelingt, zielgruppenspezifisch die passende Mischung von ermächtigender und autoritärer Haltung zu finden, mit aktuellen Trend-Themen zu verbinden und sich bei alldem noch ein Alleinstellungsmerkmal zu geben, der kann als Expertin oder Experte richtig dicke Geld verdienen.
Das Politische im Unpolitischen
Und das, ohne im Geringsten als politisch zu gelten: Die Expertinnen und Experten wollen ja nur beraten, Tipps geben, unser Leben schöner und glücklicher machen. Wer könnte etwas dagegen haben? Genau darin aber liegt die Gefahr. Hier wird neoliberales, mithin sehr wohl politisches Gedankengut vermittelt, das oft selbst auf den zweiten Blick nicht als solches erkennbar ist. Genau in dieser subtilen Wirkmächtigkeit liegt die hartnäckige Beständigkeit des Neoliberalismus: Marktextremismus, Vorstellungen von gerechter sozialer Ungleichheit und ein von Konkurrenz geprägtes Menschenbild erscheinen als alltäglich, normal und selbstverständlich. Wer politische Veränderungen anstrebt, wird sich mit diesem Umstand auseinandersetzen müssen. Expertinnen und Experten für das alltägliche Leben im neoliberalen Kapitalismus wahlweise als absonderlich oder irrelevant abzutun, ist jedenfalls zu wenig.
Vom Autor sind beim PapyRossa-Verlag zwei Bücher zum Thema erschienen: ▸»Unterwerfung als Freiheit – Leben im Neoliberalismus« (5. Auflage 2018) und ▸»Warum Menschen sowas mitmachen – Achtzehn Sichtweisen auf das Leben im Neoliberalismus« (2. Auflage 2018). - Dieser Artikel erschien in überarbeiteter Fassung zuerst in der Tageszeitung ▸junge Welt. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.