Rezension
Kritischer Agrarbericht 2020
20. Februar 2020 | Bernd Hüttner
Eines kann dem AgrarBündnis angesichts des Kritischen Agrarberichtes 2020 nicht vorgeworfen werden: Dass es strittigen Themen aus dem Weg geht.
Schon länger gibt es in der Öffentlichkeit eine neue Debatte um »ländliche Räume«. Sind sie von den StädterInnen sehnsüchtig als Sinnressource betrachtete Idylle, oder von rechten und nazistischen AkteurInnen besetzte Räume? Oder gar beides zugleich? Oft wird auch vergessen, wie hoch der Anteil der Wertschöpfung und der Bevölkerung ist, die in ländlichen Räumen erbracht wird, bzw. dort leben. Je nach Definition von »ländlich« überschreiten hier die Parameter schnell die 40-Prozent-Marke. Die Landwirtschaft bzw. genauer: die Bauern und Bäuerinnen fühlen sich, trotz aller Subventionen, »am Rande der Gesellschaft«, eingeklemmt zwischen Verteufelung und Idealisierung.
Im neuen Bericht werden die Fakten zu vielen strukturellen Gegebenheiten des Gegenstandes genannt: Entwicklung der (Bio-) Märkte, regionale Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen »Ost« und »West«. Die insgesamt 87, dem herausgebenden ▸AgrarBündnis verbundenen AutorInnen verfügen über viel Expertise. Sie kritisieren das Bestehende, machen detaillierte Vorschläge an die Politik, und sie stellen viele individuelle und kollektive solidarische Alternativen vor.
Charakteristisch für den »Kritischen Agrarbericht« ist es, dass immer wieder soziale Faktoren eine große Rolle spielen: Anerkennung und Wertschätzung, Geschlechterfragen, Hofnachfolge, …. Unstrittig ist es, dass sich die Landwirtschaft zur Gesellschaft hin öffnen muss, und nur ein breites gesellschaftliches Bündnis weitergehende sozial-ökologische Reformen erreichen kann. Umweltschutz, VerbraucherInnen, TierschützerInnen und Landwirtschaft müssen zusammenarbeiten. Mitte Januar rufen jedes Jahr über 100 Organisationen rund um das AgrarBndnis zur alljährlichen »Wir haben es satt«-Demonstration »für eine enkeltaugliche Landwirtschaft« auf.
Die meisten AutorInnen der Publikation haben einen akademischen Background, arbeiten an Universitäten oder in Forschung und Verbänden, was dem Sprachgebrauch vieler, wenn auch nicht aller Artikel anzumerken ist. Alle Texte dieser ausdrücklich zu empfehlenden Ausgabe sind ebenso wie alle Ausgaben seit 2002 (dieser seit 1993 erscheinenden Reihe) online frei zugänglich. Wer und welche also über die Zukunft der ländlichen Räume und der Landwirtschaft mitreden möchte, weiß jetzt, wo es reichlich gutes Material gibt.
Bibliografische Angaben:
Agrarbündnis (Hrsg.): »Stadt, Land – im Fluss«. Kritischer Agrarbericht 2020, 360 Seiten, 25,00 EUR zzgl. Porto). Im Buchhandel oder direkt beim ABL Verlag in Hamm oder hier: ▸https://www.kritischer-agrarbericht.de/Home.86.0.html .
Weitere Informationen:
▸https://www.wir-haben-es-satt.de/
Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler. Er lebt und arbeitet in Bremen und ist Referent für Zeitgeschichte und Geschichtspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Webseite: www.bernd-huettner.de.