Interview
Markus Henn: »Mit ÖPP in der Entwicklungspolitik verdienen Konzerne viel Geld - auf Kosten der betroffenen Länder«
10. Oktober 2019 | Patrick Schreiner
Markus Henn über Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) in der Entwicklungszusammenarbeit und über die Interessen, die damit verbunden sind. Henn ist Referent für Finanzmärkte bei WEED e.V.
Welche Rolle spielen Öffentlich-Private Partnerschaften in der Entwicklungszusammenarbeit?
Henn: Eine wichtige. Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben spielt mindestens seit den 1980er Jahren eine wichtige Rolle bei den Bedingungen von IWF und Weltbank für Kredite an Länder, die in einer Wirtschaftskrise stecken. Dabei ging es oft um die Privatisierung staatlicher Betreiber in der Wasser- oder Energieversorgung und die Vergabe von Konzessionen an private Betreiber. Das hat aber oft nicht die versprochenen Verbesserungen gebracht, wie IWF und Weltbank später zumindest teilweise eingestanden haben. Dennoch wird bis heute bei Krediten in diese Richtung gedrängt, und neuerdings auch zu ÖPP-Gesetzen. Seit den 1990er Jahren hat die Weltbank zudem eine Beratung zu ÖPP aufgebaut und 2015 erstmals Muster für ÖPP-Verträge veröffentlicht. Dort geht es vor allem um den Schutz von Investorenrechten, obwohl die Weltbank eigentlich die Staaten beraten soll. Zum Beispiel wird den Investoren ein starkes Entschädigungsrecht eingeräumt, wenn es zu »unvorteilhaftem Regierungshandeln« kommt. Das umfasst eine lange Liste an Dingen, darunter Streiks, die nicht primär der Durchsetzung von Gehaltsforderungen dienen. Noch weiter gehen Entschädigungen bei allen Arten von Gesetzesänderungen. Der einzelne Investor kann sich so im äußersten Fall gegen alle Änderungen absichern. In den letzten Jahren sind auch die G20 auf den ÖPP-Zug aufgesprungen: Sie sind zentral im 2017 während der deutschen G20-Präsidentschaft eingeführten »Compact with Africa«, bei dem G20-Staaten mit afrikanischen Staaten »Partnerschaften« eingehen und ihren Konzernen Projekte verschaffen. Auch in der sonstigen deutschen Entwicklungszusammenarbeit spielen ÖPP eine Rolle. Es gibt unter anderem das Programm develoPPP, das allerdings eher kleine Projekte zum Ziel hat. Mehr Geld fließt bei ÖPP-Projekten, die von der staatlichen Entwicklungsbank KfW und ihrer Tochtergesellschaft DEG finanziert werden. Im Agrarsektor spielen ÖPP eine wachsende Rolle, wie jüngst eine Studie von FIAN und INKOTA gezeigt hat. Besonders sticht ein Fonds hervor, der Africa Agriculture and Trade Investment Fund (AATIF), bei dem die Deutsche Bank als Finanzierer beteiligt ist. Die Bank darf vorrangig Gewinne einstreichen, Verluste werden aber vorrangig von der öffentlichen Hand getragen. Diese »Risikoverteilung« ist typisch für ÖPP-Projekte. Lange Rede, kurzer Sinn: Mit ÖPP in der Entwicklungspolitik verdienen Konzerne viel Geld – auf Kosten der betroffenen Länder.
Was unterscheidet eine »langfristige Konzession« von einem klassischen ÖPP-Projekt, bei dem ein privater Partner durch die öffentliche Hand mit dem Bau, der Sanierung, dem Betrieb und/oder der Finanzierung einer Infrastruktur beauftragt wird?
Henn: Es gibt eine Reihe von Definitionen und manchmal ist es auch etwas verwirrend. Ich denke aber, dass Bau oder Sanierung nicht das Entscheidende sind, sondern der Betrieb. Bau und Sanierung werden auch bei öffentlichen Projekten in der Regel durch private Konzerne übernommen, zumindest in Deutschland. Deshalb bleibt das wichtigste Kennzeichen eines ÖPP-Projekts der langfristige Betrieb durch den Privaten statt durch den Staat oder die Kommune. Dort treten auch die typischen Probleme mit ÖPP auf, wie etwa, dass es trotz der riesigen und meist geheimen Verträge umfangreiche und teure Nachverhandlungen gibt, sobald etwas passiert, was nicht genau geregelt ist. Insofern ist eine langfristige Konzession auch eine ÖPP-Variante. Das beste Beispiel dafür ist die französische Wasserwirtschaft, wo solche Konzessionen schon seit rund hundert Jahren vergeben werden. Und so lief es beim ÖPP der Berliner Wasserbetriebe mit RWE und Veolia von 1999 bis 2015, wo genau solche Probleme aufgetreten sind, bis schließlich die Verträge vorzeitig gekündigt wurden, nachdem ein Referendum die Offenlegung der Geheimverträge erzwungen hatte.
Sie haben sich zwei ÖPP-Projekte genauer angesehen: einen Flughafen in Dakar/Senegal und einen Staudamm in der Nähe des Victoriasees/Uganda. Worum ging es bei diesen Vorhaben, und wie ist der heutige Stand?
Henn: Beides sind Großinfrastruktur-Projekte, die in den letzten Jahren abgeschlossen wurden, der Damm 2012, der Flughafen 2018, beide nach langer Bauzeit. Am Bujagali-Damm in Uganda sind KfW und DEG mit Krediten von 45 Millionen Euro beteiligt, aber auch die Weltbank und andere. Den Flughafen in Dakar sollte ursprünglich die Fraport AG betreiben, die auch den Frankfurter Flughafen betreibt; sie stieg aber 2016 aus dem Projekt aus. In beiden Fällen gab es Probleme, die für alle – auch öffentlichen – Großprojekte typisch sind: Fragen nach dem wirtschaftlichen Nutzen, Kostensteigerungen, Korruption, Umweltschäden und Umsiedlungen, um nur die wichtigsten zu nennen. Der Damm hat immerhin die Stromversorgung in Uganda deutlich verbessert. Aber Umweltorganisationen aus Uganda halten den Damm für eine ökologische Katastrophe, und er ist eines der Projekte mit den meisten Beschwerden bei der Weltbank. Den Beschwerden wurde zum Teil in der Sache Recht gegeben, zum Beispiel bei der Verletzung von Arbeitsrechten, aber die Umsetzung der Entscheidungen ist nicht immer erfolgt, weshalb die Weltbank den Fall kürzlich erneut untersucht hat. Der Damm musste zweimal ausgeschrieben werden, weil das erste private Betreiberkonsortium in einem Korruptionsskandal unterging. Auch im Fall des Flughafens läuft gegen die Fraport AG ein Korruptionsverfahren in Frankfurt. Das verwundert nicht, weil Karim Wade, der frühere Transportminister und Sohn des Ex-Präsidenten, 2013 im Senegal wegen Korruption zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde.
Gibt es in diesem Zusammenhang Probleme, die speziell mit den ÖPP zusammenhängen?
Henn: Das lässt sich nicht leicht trennen von allgemeinen Großprojekt-Risiken, aber das ÖPP sorgt dafür, dass die Projektverträge geheim sind, was vermutlich noch mehr zur Korruption anreizt. Auch gibt es in beiden Fällen Abnahme- bzw. Preisgarantien, was in Uganda zu hohen Strompreisen führte und im Fall des Flughafens zu Streit zwischen dem Staat Uganda und dem aktuellen Betreiber, einer türkischen Firma. Am Beispiel des Damms kann man auch gut sehen, wie viel Geld mit ÖPP zu machen ist: Der eine Investor, eine Tochter des US-amerikanischen Megafonds Blackstone, hat nach zehn Jahren seinen Anteil 2018 mit einer Rendite von 250 Prozent verkauft. Und das, obwohl sein Anteil zuvor komplett durch Garantien der Weltbank abgesichert war.
Welche Argumente werden seitens der Bundesregierung für ÖPP in der Entwicklungszusammenarbeit angeführt?
Henn: Es gibt zwei Hauptargumente: Zum einen sollen das private Können und Wissen besser sein als das der öffentlichen Hand. Zum anderen soll es ohne die privaten Gelder nicht gehen, weil die Erreichung zum Beispiel der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu viel koste. Die Kosten für eine hochwertige Infrastruktur sind natürlich hoch. Allerdings sind ÖPP oft nur eine Scheinlösung, weil sie auch hohe Kostenverpflichtungen der öffentlichen Hand oder – im Fall von Gebühren – direkt der Bürger/innen bedingen. Oft werden ÖPP nur genutzt, weil sich dabei die Kosten besser im Haushalt verschleiern lassen. Was Können und Wissen angeht, gibt es natürlich effizient arbeitende Unternehmen. Aber die öffentliche Hand betreibt genauso vielfach gute Infrastruktur und Dienste. In diversen wissenschaftlichen Studien finden sich entsprechend keine Belege für die grundsätzliche Überlegenheit der ÖPP gegenüber öffentlichen Projekten. Auch die Rechnungshöfe in Deutschland sowie Europa haben in ihren Auswertungen von ÖPP-Projekten betont, dass diese nicht pauschal überlegen sind und zu vielen Problemen führten. Zugleich haben öffentliche Betreiber den Vorteil, dass sie nachhaltiger und sozialer agieren oder zumindest agieren können, als es bei Privaten der Fall ist. Schließlich werden durch ÖPP die Anreize für Entwicklungsgeld-Geber noch stärker, eigene Konzerne zu begünstigen, denn der Betrieb von Infrastruktur ist in der Regel nur Großkonzernen möglich. Die Entwicklungszusammenarbeit verwandelt sich durch ÖPP noch stärker als schon bisher in eine Förderung für die deutsche Wirtschaft. Die Risiken trägt diese aber nicht, sondern die öffentliche Hand.
Wird diese positive Haltung zu ÖPP auch von privaten Entwicklungsorganisationen geteilt?
Henn: Ganz genau kann ich das nicht sagen, schon weil der Begriff so unterschiedlich verwendet wird. Es gibt jedenfalls eine große Bandbreite an Organisationen bis hin zu den Stiftungen wie die von Bill und Melinda Gates, die erwartungsgemäß sehr offen für ÖPP sind. Die großen deutschen Hilfsorganisationen nehme ich als skeptisch, aber noch offen wahr. Andere Organisationen sind grundsätzlich ablehnend, jedenfalls was Basisdienste wie Energie, Gesundheit oder Wasser angeht. Einig ist man sich sicherlich darin, dass es mehr Transparenz braucht und die Verträge, aber auch die Prüfungen im Vorfeld öffentlich sein müssen. Auch unterstützen es wohl alle, dass die die öffentlichen Kosten von ÖPP in den Staatshaushalten abgebildet werden müssen. Heute führt die ungleiche Behandlung von Zahlungsverpflichtungen aus ÖPP und aus öffentlichen Projekten dazu, dass alleine deshalb Projekte als ÖPP gemacht werden, weil sich die Kosten besser verstecken lassen.
Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf ein Video einer Podiumsdiskussion zum Thema, die im Rahmen einer von WEED mitveranstalteten Konferenz in Berlin stattfand: ▸https://www.youtube.com/watch?v=UgdvyGH7AAA
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.