Markus Krajewski: "Mindeststandards können bestehende Standards nicht schützen"
27. November 2014 | Franziska Schröter
Ein Interview mit Markus Krajewski über das EU-US-Abkommen TTIP und andere Freihandelsabkommen. Prof. Markus Krajewski lehrt Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Wie schätzen Sie persönlich als Jurist die Verhandlungen zu TTIP und TISA ein?
Krajewski: Die Verhandlungen zu TTIP und TISA verlaufen nach wie vor sehr intransparent. Auch wenn die Europäische Kommission deutlich mehr Dokumente und Positionspapiere als in der Vergangenheit veröffentlicht, können interessierte Fachleute und Wissenschaftler_innen die Verhandlungen nicht genau verfolgen und sind daher auf Spekulationen und Mutmaßungen angewiesen. Auch die Parlamente, die am Ende das Ergebnis ratifizieren müssen, erhalten nur eingeschränkten Einblick. Das schürt Misstrauen und bereitet vielen Beobachter_innen berechtigte Sorgen.
Reicht die Festschreibung von Mindeststandards aus, um die erreichten / bestehenden Standards zu schützen?
Krajewski: Mindeststandards können bestehende Standards nicht schützen, da sie nur Mindestanforderungen festlegen. Um höhere Standards zu schützen, müssen Öffnungsklauseln vorgesehen werden, die es den Staaten ermöglichen, höhere Standards zu setzen, wenn sie ihre Ziele und Interessen mit Mindeststandards nicht erreichen.
Wie ist es aus Ihrer Sicht zu bewerten, dass bei TTIP mit Negativlisten gearbeitet wird und nicht mit Positivlisten, wie sonst üblich?
Krajewski: Grundsätzlich besteht zwischen Positiv- und Negativlisten kein Unterschied, der die eine Methode besser oder schlechter als die andere erscheinen lässt. Allerdings entfalten Negativlisten im Verhandlungsprozess eine größere Liberalisierungswirkung, da alle Einschränkungen von Liberalisierungen ausdrücklich festgelegt werden müssen, während bei einer Positivliste Liberalisierungen ausdrücklich festgelegt werden müssen. Die EU hat bislang – wie z.B. in der Welthandelsorganisation WTO – Abkommen mit Positivlisten abgeschlossen. Kanada und die USA benutzen traditionellerweise Negativlisten in ihren Freihandelsabkommen. Da auch das Abkommen zwischen der EU und Kanada auf Negativlisten beruht, kann man annehmen, dass die EU ihren Partnern in Nordamerika entgegen kommen will.
Auch Dienstleistungen, die bis jetzt noch nicht existieren oder noch nicht einmal vorstellbar sind, sollen automatisch unter die Regelungen von TISA fallen. Ist eine solche prophylaktische Gesetzgebung ethisch und juristisch vertretbar?
Krajewski: Das ist keine prophylaktische Gesetzgebung, sondern führt zur Verpflichtung, auch neue Dienstleistungen nicht diskriminierend oder marktbeschränkend zu regulieren. Damit werden allerdings regulatorische Möglichkeiten sehr stark eingeschränkt, da in der Zukunft durchaus ein Bedarf an Beschränkungen entstehen kann. Staaten sollten daher neue Dienstleistungen nur in engen Grenzen den Disziplinen eines Handelsabkommens unterwerfen.
Sind Privatisierungen langfristig über völkerrechtliche Verträge erst einmal verankert, geben Staaten ihre Gestaltungsmöglichkeiten freiwillig auf. Wie bindend und unwiderrufbar sind diese Verträge, z.B. wenn der Wunsch nach Rekommunalisierungen
aufkommt?
Krajewski: Völkerrechtliche Verträge können gekündigt werden, wenn der Vertrag dies vorsieht, oder in gegenseitigem Einvernehmen beendet werden. Bei einseitigen Kündigungen sind oft Fristen zu beachten. Völkerrechtliche Bindungen können daher nur schwer und nur in Ausnahmefällen tatsächlich geändert werden.
Eine Firma muss „substanzielle Geschäftsaktivitäten“ vorweisen, um in einem Land zum Beispiel ein Schiedsgericht anrufen zu können. Wie trennscharf ist diese Definition?
Krajewski: Die Definition ist eine typische rechtliche Definition. Sie muss von Schiedsgerichten näher konkretisiert werden und auf die verschiedenen Sachverhalte angewendet werden. Dabei wird es kaum zu einer hundertprozentig trennscharfen Klarheit kommen.
Dieser Text erschien zuerst in einem Flugblatt “Vision Europa” der Friedrich-Ebert-Stiftung Niedersachsen. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Franziska Schröter ist Referentin im Landesbüro Niedersachsen der Friedrich-Ebert-Stiftung.