Mietenwahnsinn: Der Markt wird’s nicht richten
21. März 2019 | Patrick Schreiner
Lange galt Wohnungspolitik als langweilig und nebensächlich. Heute explodieren vielerorts die Mieten, werden Menschen aus ihren Nachbarschaften verdrängt, finden Großdemonstrationen statt, geben Medien dem Thema breiten Raum. Wohnen ist wieder zurück auf der politischen Agenda.
Ein spekulativer Teufelskreis
Wohnraum ist vor allem in Groß- und Universitätsstädten zur Profitmaschine geworden. Neu gebaut wird vorwiegend hochpreisig; der Kauf und teurere Verkauf von Immobilien ist ein Geschäftsmodell geworden, ebenso das Modernisieren von Bestandswohnungen auf Kosten der Mieter. Der Teufelskreis aus Spekulation und steigenden Immobilienpreisen dreht sich immer schneller, und sein Resultat ist stets gleich: Auf der einen Seite wird Wohnen für die Mehrheit teurer, Menschen werden aus ihren Nachbarschaften verdrängt. Zwischen 2010 und 2017 sind die Nettokaltmieten (Angebotsmieten) in Deutschland um 29 Prozent angestiegen, in Großstädten um 42 Prozent, in München um 46 Prozent, in Berlin um 68 Prozent. Auf der anderen Seite reibt sich eine gutsituierte Minderheit die Hände. Das reichste Fünftel der Bevölkerung besitzt 75 Prozent aller Immobilienvermögen.
Der deutsche Wohnungsmarkt verschärft so die ohnehin wachsende soziale Ungleichheit. So ist etwa die seit Jahren ansteigende Armutsrisikoquote im Land ausschließlich auf einen Anstieg des Armutsrisikos bei Mieterinnen und Mieter zurückzuführen. Und während die Wohnkosten bei Eigentum in den letzten Jahren stagnierten, stiegen sie bei Miete deutlich an.
Im Ergebnis sind deutlich mehr Mieterinnen und Mieter von einer Überbelastung durch Wohnkosten betroffen als Eigentümerinnen und Eigentümer. Als Überlastung gilt hier, wenn ein Haushalt mehr als 40 Prozent seines verfügbaren Einkommens für das Wohnen ausgeben muss.
Immobilienwirtschaft und Politik fordern nun: »Bauen, bauen, bauen!« Durch ein größeres Angebot an Wohnraum sollen die Mieten sinken. Tatsächlich ist Wohnraummangel ein Problem - es gibt in Deutschland zuwenige Wohnungen. Das Problem verschärft sich seit vielen Jahren dadurch, dass der Neubau an Wohnungen hinter dem Bedarf weit zurückbleibt. Und doch ist »Bauen!« nicht einmal die Hälfte der Lösung. Denn solange sich mit Spekulation und Mieterhöhungen im Bestand Profite machen lassen, wird Neubau durch Private allenfalls im gehobenen Preissegment stattfinden. Durch Spekulation steigende Grundstückspreise tun dabei ein Übriges.
Wohnraum ist öffentliche Aufgabe
Der zunehmende Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist die Quittung für Fehlentscheidungen der zurückliegenden Jahrzehnte: Bund, Länder und Kommunen haben beträchtliche Wohnungsbestände privatisiert (seit 1999 per Saldo fast 650.000 Wohnungen, wobei hier nur Verkäufe ab 800 Wohnungen berücksichtigt sind.) Der Gesetzgeber hat Regelungen zum Schutz der Mieterinnen und Mieter vor Kündigung und steigenden Mieten geschwächt. Die Kommunen haben Personal in ihren Bauverwaltungen reduziert (zwischen 1991 und 2010 wurde jede dritte Stelle abgebaut, bis 2015 ging die Beschäftigtenzahl um weitere knapp neun Prozent zurück.) Bund und Länder wiederum haben die Mittel für den sozialen Wohnungsbau gekürzt. Und die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau hat man 1990 gleich ganz gestrichen. »Markt vor Staat« war das Motto.
Die Lösung der Wohnungsmisere kann vor diesem Hintergrund nur darin bestehen, die öffentliche Kontrolle des Wohnungsmarktes wiederherzustellen: durch mehr öffentlichen Wohnungsbau, durch eine striktere Mietpreis-Regulierung, durch mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau. Um Spekulation einzuschränken, sollten sich Kommunen Grundstücke frühzeitig und preisgünstig sichern, Baugenehmigungen mit sozialen Vorgaben verknüpfen und Vorkaufsrechte nutzen. Um bezahlbare Wohnungen dauerhaft zu sichern, braucht es ferner eine Neue Gemeinnützigkeit. Die Idee dahinter: Wohnungsunternehmen erfüllen Vorgaben insbesondere beim Mietpreis, sie akzeptieren eine Begrenzung ihrer Gewinne und investieren Erträge wieder in den Wohnraum. Im Gegenzug erhalten sie Förderungen und steuerliche Vorteile.
Es geht auch anders
Dass eine andere Wohnungspolitik und ein anderes Bauen möglich sind, zeigt Wien. Die Wohnungsgemeinnützigkeit hat man in Österreich nie abgeschafft. Fast zwei Drittel der Menschen in Wien leben in preisgebundenen kommunalen oder geförderten Wohnungen. Und anders als im deutschen sozialen Wohnungsbau besteht die Sozialbindung dauerhaft. Dieses System drückt die Mieten am gesamten Markt. Im Ergebnis hat Wien die niedrigsten Wohnkosten, vergleicht man sie mit denen anderer europäischer Metropolen. Und der Anteil der durch Wohnkosten überbelasteten Haushalte (siehe oben) lag 2017 in österreichischen Großstädten bei 11,3 Prozent - in deutschen Großstädten hingegen bei 17,9 Prozent.
Der Artikel erschien zuerst in einer kürzeren Fassung und ohne Schaubilder in der Fachbereichsbeilage »Die Besonderen« der Gewerkschaft ver.di. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung. - Am 6. April findet in Berlin eine große Demonstration gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn statt, weitere Informationen: ▸https://mietenwahnsinn.info/demo-april-2019/.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.