Nur die halbe Wahrheit: IWF identifiziert Mangel an sicheren Anlagemöglichkeiten
11. April 2012 | Patrick Schreiner
Wie Spiegel Online heute berichtet (Link), warnt der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem ebenfalls heute in Teilen erschienenen globalen Finanzstabilitätsbericht (Link) vor einem Mangel an sicheren Finanzanlagen. Dieser könne die globale Finanzstabilität gefährden. Dabei benennt der IWF allerdings nur die halbe Wahrheit. Er verschweigt, dass auch die Reduktion von Staatsschulden sichere Anlagemöglichkeiten vernichtet.
Tatsächlich gibt Spiegel Online die Analyse des IWF korrekt, wenn auch sehr knapp wieder. Dort werden mehrere Faktoren genannt, die zu einem Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage am Markt für sichere Finanzanlagen führen:
In the future, there will be rising demand for safe assets, but fewer of them will be available [...]
Als Gründe nennt der IWF hierfür:
- Das Angebot an sicheren Finanzanlagen gehe drastisch zurück, weil immer mehr Staatsanleihen als unsicher gelten bzw. die finanzielle Stabilität vieler Staaten von Finanzmarktakteuren und Ratingagenturen bezweifelt werde. Während beispielsweise Ende 2007 noch 68 Prozent der fortgeschrittenen Industriestaaten ein Triple-A-Rating hatten, seien es Ende Januar 2012 nur noch 52 Prozent gewesen. Dies habe weltweit zu einem Wegbrechen sicherer Anlagen im Umfang von etwa 15 Billionen US-Dollar geführt. Bis 2016 könnten hier noch einmal 9 Billionen US-Dollar hinzukommen.
- Der IWF sieht als einzigen Grund hierfür einen Verlust an Vertrauen. Anlagen würden unsicherer, wenn ihnen nicht mehr vertraut wird. Genau dies sei mit den Staatsanleihen von immer mehr Staaten geschehen.
- Mit der globalen Krise sei zudem das Angebot privat generierter sicherer Anlagen zusammengebrochen. Von privater Seite könne daher keine Substitution der weggebrochenen sicheren Anlagemöglichkeiten in Staatsanleihen erwartet werden.
- Zugleich aber wachse die Nachfrage nach sicheren Anlagemöglichkeiten. Dies führt der IWF einerseits auf strengere Anlagevorschriften (Basel III) und andererseits auf die Krisenreaktionen der Zentralbanken zurück, letztere hätten die Märkte mit Geld geflutet. Dieses Geld werde nun nachfragewirksam (gemeint: Nachfrage nach sicheren Anlagemöglichkeiten).
- Zugleich nehme durch die zunehmende Unsicherheit an den Märkten das Bedürfnis nach sicheren Anlagen ganz allgemein zu (und entsprechend die Nachfrage).
- Da immer weniger Staaten als sicher gelten, konzentrierten sich die wachsenden Gelder, die Anlagemöglickeiten suchen, auf die verbliebenen sicheren Staatsanleihen. Dies führe dort - etwa in Deutschland, den USA oder Japan - zu immer niedrigeren Zinsen.
Diese Analyse ist nicht falsch, aber doch nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich kann es zu Problemen führen, wenn Angebot und Nachfrage bei sicheren Anlagen drastisch auseinanderfallen. Allerdings weist die Analyse des IWF folgende blinde Flecken auf:
- Die wesentlichsten Faktoren, die im IWF-Bericht als verantwortlich für das Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage benannt werden, sind temporär - zumindest wenn die Krise erfolgreich und weltweit bewältigt wird. Die Notenbankgelder sind Kredite, die bei besser laufender Konjunktur wieder eingezogen werden. Der Verlust an Vertrauen in bestimmte Staaten wird ebenfalls passé sein, sobald die ökonomische Krise in diesen Staaten bewältigt ist. (Der IWF nennt übrigens selbst zu Recht die wirtschaftliche Entwicklung als einen ganz entscheidenden Faktor zur Stabilisierung des Vertrauens in diese Staaten, und er warnt folgerichtig vor einer Austeritätspolitik. Diesen nicht unwesentlichen Aspekt verschweigt Spiegel Online geflissentlich.)
- Geldschöpfung findet keineswegs nur durch Notenbanken statt, wie der IWF suggeriert, sondern ist alltäglich. Ein Blick auf Youtube (Stichwort: Geldschöpfung) oder in ein Einführungsbuch der Volkswirtschaftslehre genügt: Auch durch die Anlage von Geld bei Banken oder Versicherungen entsteht neues Geld, sobald die Banken und Versicherungen die eingesammelten Mittel wieder verleihen oder anlegen. Auf diese Weise nimmt die Geldmenge zu - auch diese zusätzlichen Gelder wollen angelegt werden.
- Geld, das Anlagemöglichkeiten sucht, ist immer Geld, das von irgend jemandem besessen wird. Seien es Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen, Banken, Versicherungen oder Hedge-Fonds - Vermögen ist immer seinem Besitzer oder seiner Besitzerin zuzuordnen. Wenn die Staaten ihre Schulden reduzieren, ohne dafür aber die diesen Schulden gegenüberstehenden (und wachsenden) Vermögen heranzuziehen, entsteht notwendig ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei sicheren Anlagen. Denn die Vermögen werden weiterhin, und in zunehmendem Umfang, nach sicheren Anlagemöglichkeiten suchen. Und Staatsanleihen sind nun einmal die wichtigste und sicherste Anlagemöglichkeit.
- Die Staaten aber werden diese Anlagemöglichkeiten in immer geringerem Umfang bieten: Weltweit werden von den Staaten die Defizite in den Staatshaushalten abgebaut. In Deutschland gibt es die so genannte "Schuldenbremse", in Europa ist ein so genannter "Fiskalpakt" geplant. Beide haben das Ziel, die Schuldenstände der öffentlichen Haushalte drastisch zu reduzieren. Dies wird zu einem Wegfall von Anlagemöglichkeiten führen, der ähnlich wie der vom IWF beschriebene Prozess die globale Finanzstabilität gefährden kann - allerdings dauerhaft.
- Ein gutes Beispiel für solche Zusammenhänge waren die USA der späten 1990er Jahre: Unter Clinton gab es mehrere Jahre mit Haushaltsüberschüssen, ergo nahm der Staat keine neuen Schulden mehr auf, sondern baute diese sogar ab. Die wichtigste Geldanlagemöglichkeit war damit für einige Zeit schlicht weg, und dies in der größten und wichtigsten Volkswirtschaft der Welt. Nicht zufällig gab es genau in dieser Phase sehr viele und sehr weitreichende Schritte der Deregulierung der Finanzmärkte. Schließlich wollten Pensionsfonds, Versicherungen, Banken und andere die von ihnen eingesammelten Gelder weiter anlegen können. Durch Deregulierung ergaben sich neue oder ausgeweitete, aber sehr fragwürdige Anlagemöglichkeiten, mit ihnen kompensierte man den Wegfall der Möglichkeit, Gelder beim Staat anzulegen. Welche Folgen die Deregulierung der Finanzmärkte letztlich hatte, ist bekannt.
Es bleibt dabei: Wer über den Abbau von Staatsverschuldung reden will, der muss auch über den Abbau von Vermögen reden. Auch, weil wir auch hierbei über das Angebot und die Nachfrage bei sicheren Geldanlage-Möglichkeiten und damit über die Finanzstabilität sprechen.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.