Rezension
Ökosozialismus. Eine Einführung
5. Oktober 2022 | Bernd Hüttner
Der Ökosozialismus hat eine lange Tradition. Das 50-jährige Jubiläum des Berichts »Die Grenzen des Wachstums« des Club of Rome nimmt Alexander Neupert-Doppler zum Anlass, auf diese 50 Jahre zurückzublicken.
Er hat Ideen und weniger Bewegungen im Fokus. Seine Materialauswahl ist originell, um nicht zu sagen gewöhnungsbedürftig. Er nimmt aus jedem Jahr seit 1972 genau eine Publikation, was aber dazu führt, dass zum Beispiel das wichtige und aktuelle Buch »Kapitalismus im Lebensnetz. Ökologie und die Akkumulation des Kapitals« von Jason W. Moore (Berlin 2019) nicht debattiert wird.
Der 1981 geborene Neupert-Doppler hat die Stimmen von EinzelautorInnen, linken WissenschaftlerInnen und auch PolitikerInnen zusammengetragen, die in der Rückschau, die ja immer auch eine Konstruktion ist, einen bunten Strang ergeben. Personell geht es von Murray Bookchin und Vandana Shiva über Wolfgang Harich und Rudolf Bahro bis hin zu Jutta Ditfurth, trotzkistischen Autoren und Elmar Altvater. Sie werden vorgestellt und erklärt. Anhand verschiedener inhaltlicher Pole und immer wieder diskutierter Widersprüche werden Differenzen und Traditionen deutlich.
Wie steht es um das Verhältnis von unter anderem Lokalismus und globalem Ansatz, von Markt, Selbstverwaltung und Staat, von Parlament/Partei und Bewegung, von Revolution und Transformation, von Marxismus und Feminismus? Ist Nachhaltigkeit, die ab Mitte der 1990er aufkommt, ein Begriff, auf den sich der Ökosozialismus positiv beziehen kann, oder sollte er kritisiert und abgelehnt werden? Wie wichtig sind Gewerkschaften bzw. andere Formen der Organisation von ArbeiterInnen? All diese Fragen debattiert Neupert-Doppler anhand der von ihm ausgewählten Beispiele. Er konfrontiert die Ansätze auch immer wieder mit der Frage, welche Rolle Utopien in ihnen spielen, was wiederum aus seinen persönlichen theoretischen Interessen herrührt. Der Autor weist darauf hin, dass Utopien mindestens drei Funktionen haben: Sie kritisieren das Bestehende, sie umreißen das Mögliche und sie motivieren zur Aktion. Dass der ökosozialistische Ansatz so schwach sei, führt Neupert-Doppler auch auf den allgemeinen Utopieverlust in der gesellschaftlichen Linken zurück.
Als Quintessenz lässt sich festhalten, dass ein verengter und deshalb untauglicher Begriff von Arbeit und Produktion immer noch weit verbreitet ist; die Tätigkeiten, die als Care bezeichnet werden, und nur teilweise in Form von Lohnarbeit erbracht werden, müssen heute mitgedacht werden.
Insgesamt erhält die Leserin einen soliden und umfassenden, wenn auch nicht vollständigen Überblick über einen wichtigen Strang emanzipatorischen Denkens - was angesichts der heutigen Geschichtslosigkeit schon allein wertvoll ist.
Bibliografische Angaben
Alexander Neupert-Doppler: Ökosozialismus (INTRO - Eine Einführung) Mandelbaum Verlag, Wien/Berlin 2022, 204 Seiten, 14 Euro.
Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler. Er lebt und arbeitet in Bremen und ist Referent für Zeitgeschichte und Geschichtspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Webseite: www.bernd-huettner.de.