Privatisierungsprozesse in der Hochschul-Bildung
2. August 2012 | Lea Karrasch
Wie andere Bildungsbereiche auch, sind Universitäten und Hochschulen einem starken Privatisierungsdruck ausgesetzt. Aber kaum ein anderer Bereich wurde in den vergangenen Jahren so grundlegend umgebaut wie die akademische Bildung. Einfallstor für eine Hochschule, die nach wirtschaftlichen Regeln autonom haushaltet und agiert, war und ist die dauerhafte staatliche Unterfinanzierung des Hochschulbereichs. Die Kürzungen von öffentlichen Mitteln haben dazu geführt, dass Universitäten häufig keine andere Lösung sahen, als sich nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten umzuschauen. Die Politik hat diese Entwicklung dahingehend gefördert, dass durch die Reform vieler Landeshochschulgesetze die Wege frei waren, neue Finanzquellen anzuzapfen. Problematisch ist dabei insbesondere die Gefährdung der Unabhängigkeit der Wissenschaft und der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Sie können und müssen auf unsere gesellschaftlichen Fragen Antworten geben. Diese Leitfunktion steht jedoch durch den Druck der Wissenschaftseffizienz und der ständig wachsenden Konkurrenz um (Dritt-)Mittel im Hochschulbereich seit längerem auf tönernen Füßen.
Mit der neuen „Hochschulfreiheit“ gehen eine Reihe von Umgestaltungsmaßnahmen einher. Zu nennen wären neben der Einführung von Hochschulräten und der Errichtung von Stiftungs- und Privathochschulen auch die Einführung von Studiengebühren und die vermehrten befristeten Beschäftigungsverhältnisse wissenschaftlichen Personals. Die Privatisierungslobby setzt dabei keineswegs alleine auf zusätzliche private Anbieter. Ihr ist es in Teilen gelungen, das System der öffentlichen Hochschulen umzubauen. Ideologisches Leitbild ist dabei die „deregulierte“ oder „unternehmerische“ Hochschule. Dieses Leitbild beinhaltet insbesondere die Vorstellung einer wirtschaftlichen Autonomie öffentlicher Hochschulen. Diese werden in die Selbstständigkeit entlassen, um flexibel und ungehindert von Vorgaben der Wissenschaftsbürokratie im Bildungswettbewerb agieren zu können. Konsequenz ist, dass viele Universitäten und Hochschulen nun selbst über Finanzen und Personal bestimmen können. Durch die nicht ausreichende staatliche Grundfinanzierung der Hochschulen resultieren aus dieser neuen Politik häufig sehr kurzfristige Haushaltspläne und stark befristete Verträge für die Beschäftigten. Eine massive Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftsbereich ist die Folge.
Einen Austausch über diesen Wandlungsprozess gibt es meist nur unter Betroffenen – kaum wahrgenommen außerhalb der „Hochschulwelt“. Dabei führt die Wandlung hin zum akademischen „Dienstleistungsunternehmen“ dazu, dass die Hochschulen ihre Forschungsleistungen sowie die Aus- und Weiterbildung von Studierenden auf dem Markt und in Konkurrenz zu anderen anbieten müssen. Forschungsauftraggeber und -investoren, Stifter und Sponsoren sowie Studierende sind die Zielgruppen. Dies teilen die neuen Privat- und Stiftungshochschulen mit den umstrukturierten öffentlichen „unternehmerischen Hochschulen“. Die Schwerpunkte der privaten Hochschulen liegen dabei zumeist bei den stark nachgefragten Studiengebieten Wirtschaft und Management. Für das Studium an den privaten Hochschulen werden häufig sehr hohe Studiengebühren fällig.
Die schleichende Umgestaltung der Universitäten und Hochschulen hat seit Ende der 1990er Jahre bundesweit stark an Geschwindigkeit und Ausmaß zugenommen. Im Jahr 1999 erklärten die europäischen Bildungsminister in Bologna, dass sie die Hürden zwischen den nationalen Hochschulsystemen abschaffen wollen, um mehr grenzüberschreitende Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erreichen. Im Rahmen des Bologna-Prozesses wurden nach anglo-amerikanischem Vorbild die Studienabschlüsse Bachelor und Master eingeführt. Der Bachelorabschluss zielt vor allem darauf, möglichst viele Studierende unmittelbar für den europäischen Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Der auf dem Bachelor aufbauende Master steht hingegen nur zwei Gruppen offen: Den Absolventinnen und Absolventen mit besonders guten Noten und den Berufstätigen, die eine teure Weiterbildung wahrnehmen wollen und privat finanzieren können. So soll der Bologna-Prozess den so genannten „Akademiker-Output“ bei gleich bleibendem oder sinkendem finanziellem Input erhöhen. Anders formuliert: Die Zahl der Akademikerinnen und Akademiker soll bei geringeren Kosten für die öffentliche Hand erhöht werden. Dies geschieht, indem für die Masse der Bildungsabschlüsse weniger Mindestanforderungen gestellt werden (Bachelor) und nur für Studierende mit besonders guten Noten oder besonders dickem Geldbeutel ein weiterführendes wissenschaftliches Studium ermöglicht wird (Master).
Die Gebührenpflicht verstärkt die bestehenden Ungleichheiten im Bildungssystem zusätzlich. Studiengebühren sind unsozial, da sie ein Studium von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen abhängig machen.
Teil des Umstrukturierungsprozesses ist auch das Ende des lange geltenden Grundsatzes, dass jede Hochschule im Prinzip gleichrangig ist. Stattdessen zählt nun „Elite“. Seit 2007 gibt es neun „Elite-Universitäten“ in Deutschland: Neben den Siegern der ersten Runde der so genannten "Exzellenzinitiative" (Technische Universität Karlsruhe – heute Karlsruhe Institut für Technologie, Technische Universität München und Ludwig-Maximilians-Universität München) sind dies die Freie Universität Berlin, die Universitäten in Göttingen, Freiburg, Konstanz, Heidelberg sowie die Technische Hochschule Aachen.
Unter dem Umbau der Hochschulen in „akademische Dienstleistungsunternehmen" leidet auch die ohnehin schon eingeschränkte Mitbestimmung der Hochschulmitglieder. In vielen Bundesländern sind die von den Beschäftigten gewählten Hochschulorgane nur noch auf beratende Funktionen beschränkt. Alle wesentlichen Kompetenzen, insbesondere in Haushaltsfragen, werden bei den Leitungsorganen konzentriert. Dieser Prozess stellt nicht nur das Prinzip der Hochschulselbstverwaltung in Frage, auch die Professorinnen und Professoren haben künftig bei den neuen, zentralistischen Leitungsstrukturen des „Unternehmens Hochschule“ nicht mehr viel mitzureden.
Mittlerweile werden in immer mehr Bundesländern so genannte Hochschulräte eingeführt. Sie befördern letztlich eine institutionelle und ideologische Privatisierung der Hochschulen. Hochschulräte und ihre „unabhängigen“ Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Wirtschaft sollen die Richtung der Hochschulentwicklung vorgeben sowie die Hochschulleitung bestimmen. Unternehmen haben mit rund einem Drittel der externen Mitglieder ein gewichtiges Wort mitzureden. An Universitäten kommen im Durchschnitt 34 % der externen Hochschulratsmitglieder aus der Wirtschaft. An Fachhochschulen sind es sogar 46 %. Noch höher liegen die Werte an privaten Hochschulen (47 %) und Technischen Hochschulen (48 %). Gewerkschaftliche Mitglieder hingegen sind in den bundesdeutschen Hochschulräten mit gerade einmal drei Prozent nur marginal vertreten.
Die Veränderungen der Rechtsform von Hochschulen, insbesondere die Gründung von Stiftungsuniversitäten, ist „en vogue“. In Hessen ist die Universität in Frankfurt eine Stiftungsuniversität. In Niedersachsen stehen die Universitäten in Göttingen, Hildesheim, Lüneburg sowie die Medizinische Hochschule Hannover und die Hochschule Osnabrück in der Trägerschaft einer Stiftung öffentlichen Rechts. Noch in diesem Jahr soll die Universität Osnabrück die Rechtsform einer Stiftungsuniversität annehmen. Bundesweit ist die Umwandlung vieler weiterer Hochschulen in Stiftungsuniversitäten angedacht oder geplant.
Befürworterinnen und Befürworter dieses Prozesses argumentieren, der Status von Stiftungshochschulen
- erhöhe die Autonomie der Hochschulen durch den Abbau staatlicher Detailsteuerung,
- schaffe mehr Flexibilität,
- garantiere eine schnellere Entscheidungsfähigkeit,
- ermögliche eine höhere Wirtschaftlichkeit und
- verbessere die Rahmenbedingungen für das Engagement von Drittmittelgebern. Was Unternehmen und Stifter bezahlen, soll helfen, Forschung und Lehre zu verbessern.
Neben einer teilweise sehr einseitigen Forschungsförderung ist eine wesentliche Änderung im Stiftungsmodell jedoch, dass das Personal einschließlich der Beamtinnen und Beamten nicht mehr beim Land beschäftigt ist. Stattdessen erhält die Stiftungsuniversität selbst die Dienstherrenfähigkeit. Dies führt für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften in vielen Fällen zu beträchtlichen Nachteilen.
Vermehrt sorgen Unternehmen auch für ihre eigenen Stiftungsprofessuren. Sie werden besonders gerne gesponsert, da sich hier mindestens ein indirekter Nutzen für die Geldgeber erhoffen lässt. RWE finanziert beispielsweise an der Universität Duisburg-Essen einen Lehrstuhl für Energiehandel. Vodafone richtete an der TU Dresden bereits 1994 eine Stiftungsprofessur für Mobile Nachrichtensysteme ein. Und auch der Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg, Bernd Raffelhüschen, lässt sein „Forschungszentrum Generationenverträge“ sponsern: Neben der von Metall-Arbeitgebern getragenen, neoliberalen "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" zählt insbesondere der „Verband der privaten Krankenversicherung e.V.“ zu den Geldgebern. Hier wird die Nähe zur Versicherungsindustrie unmittelbar deutlich. Dass aber auch an staatlichen Hochschulen mittlerweile an vielen Fakultäten eine Verflechtungen von Wissenschaft und Industrieinteressen nicht zu leugnen ist, zeigen vermehrte Personalunionen. So gibt es z.B. im medizinischen Bereich zwischen Forschungseinrichtungen und der Gesundheitsindustrie immer wieder enge Kooperationen. Wessen Wohl dabei im Mittelpunkt steht – die der Wissenschaft, der Industrie oder die der Patienten – sei dahingestellt.
Aus dem neoliberalen Umbau der Hochschulen ergeben sich aus gewerkschaftlicher Sicht zentrale Forderungen. Für die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der Hochschulen stellt sich dabei die Frage, ob angesichts der zunehmenden Privatisierungstendenzen eine unabhängige Forschung und Lehre überhaupt noch gewährleistet werden kann. Es muss Aufgabe des Staates sein, freie Bildung für alle zu gewährleisten. Neben einer stärkeren sozialen Öffnung der Hochschulen sind es insbesondere die Mitbestimmungsrechte von Studierenden, Professorinnen, Professoren und anderen Hochschulbeschäftigten, die ausgebaut werden müssen, um von der „unternehmerischen“ Hochschule wieder zurück zu einer demokratischen Hochschule zu kommen. Die staatliche Hochschul- und Studienfinanzierung muss ausgebaut werden, auch um eine bessere Qualität von Studium und Lehre zu gewährleisten. Die Hochschulautonomie muss in staatlicher Verantwortung gestaltet werden. Arbeitsplätze an Hochschulen benötigen zudem eine tarifliche Regelung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen aller Beschäftigten einschließlich freiberuflicher Lehrbeauftragter und studentischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch die leistungsabhängige Verteilung von Geldern an Lehrstühlen und Fakultäten muss auf den Prüfstand. Die öffentliche Finanzierung von Hochschulen muss gesichert sein, was auch bedeutet, dass Hochschulen und Forschung in gemeinsamer Verantwortung von Bund und Ländern gestaltet werden müssen.
Im Koalitionsvertrag der derzeitigen rot-grünen Regierung Baden-Württembergs findet man die Aussage, dass die „unternehmerische Hochschule“ nie zu den Hochschulen gepasst habe. Doch damit solche politischen Aussagen auch in die Zukunft wirken, müssen insbesondere Gewerkschaften, aber auch andere fortschrittliche Organisationen und Initiativen durch eine kritische Begleitung und die Formulierung von Alternativkonzepten den Privatisierungstendenzen in der Hochschul-Bildung bundesweit entgegentreten.
Der Artikel erschien zuerst in WISO-Info 2 (2012).
Lea Karrasch ist beim DGB Bezirk Niedersachsen - Bremen - Sachsen-Anhalt für Bildungspolitik und den öffentlichen Dienst zuständig.