Referendum in Italien: Vorsitzende der Gewerkschaft CGIL ruft zum "Nein" auf
2. Dezember 2016 | Patrick Schreiner
Die Vorsitzende der größten italienischen Gewerkschaft CGIL, Susanna Camusso, ruft gemeinsam mit den Vorsitzenden der Partisanen-Organisation ANPI und der antifaschistischen Organisation ARCI dazu auf, beim Referendum über eine Verfassungsreform am 4. Dezember mit "No" zu stimmen.
Der italienische Regierungschef Matteo Renzi beabsichtigt, durch eine Verfassungsänderung Italien stärker zu zentralisieren und politische Mehrheiten mächtiger zu machen, als sie es laut Wahlergebnis eigentlich sind. Letztlich zielen seine Vorschläge darauf ab, zahlreiche demokratische Sicherungsmechanismen abzubauen, die Italien nach dem Zweiten Weltkrieg als Lehre aus dem Faschismus eingeführt hatte. Dies ist wohl der wesentlichste Grund für die Ablehnung, die gerade von ehemaligen PartisanInnen und von AntifaschistInnen gegenüber Renzis Vorhaben geäußert wird.
Dieser hat für den Fall des Scheiterns seinen Rücktritt angekündigt.
Die Tagesschau fasst die wesentlichsten Punkte ganz gut zusammen:
Kern der Reform ist die Entmachtung der zweiten Kammer des Italienischen Parlaments. Bisher haben die 315 gewählten und fünf ernannten Senatoren genau die gleichen Rechte wie die 620 Mitglieder der Abgeordnetenkammer. [...] Deshalb sollen nur noch 100 Senatoren übrig bleiben, die aus den Regionen entsandt werden. Mit vielen Fragen - wie zum Beispiel mit dem Haushalt oder mit Vertrauensabstimmungen über die Regierung - soll sich der Senat in Zukunft nicht mehr befassen. [...]
Kritiker sorgen sich hingegen um die Demokratie, weil es weniger gewählte Abgeordnete gibt und auch weil die Abgeordnetenkammer nach dem gültigen Wahlrecht mit einem Bonussystem zusammengesetzt wird, das zwar den Wahlsieger stärkt und so für stabile Mehrheiten sorgt, aber den Wählerwillen verfälscht. [...] Außerdem soll mit dem Referendum die Verwaltungsebene der Provinzen abgeschafft werden, die mit den deutschen Landkreisen vergleichbar sind. Der Zentralstaat bekäme mehr Kompetenzen, die Regionen hätten künftig weniger. Wer ein Referendum auf den Weg bringen will, muss in Zukunft dafür mehr Unterschriften sammeln als bisher.
In einem gemeinsamen Aufruf von Carlo Smuraglia (ANPI), Susanna Camusso (CGIL) und Francesca Chiavacci (ARCI) heißt es unter anderem:
Wir empfehlen den Bürgerinnen und Bürgern nachdrücklich, reflektiert und verantwortungsbewusst abzustimmen.
Es handelt sich nicht um ein einfaches Gesetz, sondern um die Verfassung, unsere grundlegendste Urkunde.
Fehlerhafte Veränderungen, die nicht funktionieren werden, [....] werden unvorhersehbare und desaströse Folgen haben für das Gleichgewicht der Macht, für die Repräsentation, für das Ausüben der Volkssouveränität, letztlich für die Demokratie selbst, die im Gegensatz dazu gerade durch die volle Anwendung der republikanischen Verfassung gestärkt, entwickelt und verteidigt wird.
Reflektiert und verantwortungsbewusst, wählt NEIN
Es ist bezeichnend, dass Italien (auch und hoffentlich vor allem) die demokratischen Konsequenzen der Renzi-Pläne diskutiert - während die Eliten in Deutschland sich offenbar nur die Frage stellen, welche Folgen ein "Nein" für die fehlkonstruierte Europäische Währungsunion haben könnte (Beispiele: Fratzscher, Welt).
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.